Illegaler Giftmüll in Differdingen, Machtkampf um die Monarchie-Reform, Justizaffären und vieles mehr: Das vergangene Jahr war stark, aber nicht ausschließlich durch die Corona-Pandemie geprägt. Ein Rückblick auf die meistgelesenen Stories, die 2020 bei Reporter.lu erschienen sind.
Blickt man am Ende dieses wahrlich außergewöhnlichen Jahres zurück, so könnte man meinen, dass das Coronavirus sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft – und auch die Berichterstattung der Medien – bestimmt hat. Das stimmt natürlich. Die „Jahrhundert-Pandemie“ hatte lange auch die volle Aufmerksamkeit unserer Redaktion sicher.
Doch der Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate zeigt auch: Es waren nicht nur die Stories über Infektionen, Inzidenzen und die Lage in den Krankenhäusern, auch nicht ausschließlich die kritischen Analysen und Faktenchecks der Regierungspolitik, die unsere Leser am meisten interessierten.
Ob Corona-Bezug oder nicht: Die meistgelesenen REPORTER-Stories waren auch in diesem Jahr vor allem aufwändigere Recherchen und exklusive Hintergrundberichte, die Missstände aufdeckten und oft ganz konkret etwas bewirkten. Wir präsentieren den ultimativen Rückblick auf die besten REPORTER-Stories des Jahres:
1. Warum Luxemburgs Krankenhäusern der Kollaps droht
Worum geht es letztlich in der Bewältigung der Corona-Krise? Die Antwort auf diese Frage trifft auf nahezu die ganze Welt zu und man hat sie demnach mittlerweile oft genug gehört. Es gilt eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Doch ganz am Anfang der Pandemie war noch nicht so klar, was dieses Ziel konkret bedeutet.
In ihrem Beitrag „Corona-Krise: Warum Luxemburgs Krankenhäusern der Kollaps droht“ gingen Laurence Bervard und Michèle Zahlen der Frage nach, wie gut Luxemburgs Gesundheitssystem in dieser Krise tatsächlich aufgestellt ist. Dabei ging es nicht nur um die Zahl der Intensivbetten und genügend Ausrüstung der Kliniken, sondern auch schon um die drohende Perspektive, dass den Kliniken das Personal ausgehen könnte. Mit über 10.000 einzelnen Seitenaufrufen („unique visitors“) war dieser Beitrag unser meistgelesener Artikel des Jahres.

Auch in den weiteren Monaten der Pandemie gehörten unsere Recherchen zur Situation in den Krankenhäusern zu den gefragtesten Beiträgen. Das gilt sowohl für die mitunter umstrittene Frage der Behandlungsmethoden bei Covid-19 als auch für die Rückkehr der Kliniken in den „Covid-Modus“ in der zweiten Welle oder unsere Reportage von einer Intensivstation.
2. „La situation est très, très grave“
Neben den Krankenhäusern geriet zu Beginn der Pandemie aber auch die Situation in den Alten- und Pflegeheimen zunehmend in den Fokus. Das lag nicht nur daran, dass vor allem ältere Menschen zur Covid-19-Risikogruppe gehören. Zu den Gründen gehörte auch, dass sich Luxemburgs Pflegeeinrichtungen erst mit reichlich Verspätung auf die erste Infektionswelle vorbereiteten.
Marie-Laure Rolland war eine der ersten Journalistinnen in Luxemburg, die sich mit dem Problem ausführlich befasste. Gemeinsam mit Laurence Bervard arbeitete sie die Lage in einem Altenheim in Bertrange auf, in dem kurz zuvor ein erster Bewohner an den Folgen von Covid-19 verstorben war. Die Recherche „Les maisons de retraite face au Covid-19: ‚La situation est très, très grave'“ beleuchtet dabei nicht zuletzt die mangelnde Vorbereitung der Politik, die Unterversorgung mit adäquatem Schutzmaterial und die Sorgen des Personals vor einer Überlastung ihrer Kapazitäten.

Unsere Reporterin Marie-Laure Rolland behielt die Situation in den Pflegeheimen auch in den folgenden Wochen im Auge. In „La crise ne fait que commencer“ schilderte sie, wie sich die Behörden und die Einrichtungen erst langsam an die Entwicklung der Pandemie anpassten. Einige Monate später ging sie der Frage nach, wie Bewohner und Angestellte eines Altenheims die erste Corona-Welle überstanden haben.
3. Luxemburgs Sonderweg in der Pandemie
Auch ein Corona-Thema, allerdings nach einem größeren Zeitsprung: Nachdem die große Unsicherheit, der erste Lockdown und der Sommer überstanden waren, wandelte sich nicht nur die sanitäre Lage, sondern auch die Strategie der Regierung. Hatte die Koalition bis dahin noch die Prinzipien der Antizipation und der Prävention hochgehalten, zögerte sie Anfang November mit neuen Maßnahmen zur Eindämmung der beginnenden zweiten Infektionswelle.
In ihrem Hintergrundbericht „Luxemburgs Sonderweg in der Pandemie“ versuchten Christoph Bumb und Pol Reuter die Gründe für diesen offensichtlichen, aber nie offen kommunizierten Strategiewechsel herauszufinden. Zu den Erkenntnissen der Recherche gehörten Defizite in der Krisenkommunikation, trügerische Modellrechnungen und unvollständige Datenanalysen sowie teilweise auch schlicht überforderte staatliche Behörden.

Auch davor und seitdem widmeten wir uns der kritischen Analyse der Regierungsstrategie. In „Unvorbereitet in die zweite Welle“ beleuchteten Pol Reuter und Laurent Schmit die unübersichtliche Lage im Sommer. In „Wellenritt statt Wellenbrecher“ analysierte Pol Reuter die abwartende Haltung der Koalition, die bis in den Dezember anhielt.
4. Ermittlungen am großherzoglichen Hof
Mitten in der Pandemie prägten aber auch andere Themen die Arbeit unserer Redaktion. Dazu gehört nicht zuletzt der Fortgang der Erneuerung der Luxemburger Monarchie. Ende Januar 2020, also wenige Wochen bevor das Virus die halbe Welt auf den Kopf stellte, wurde der Waringo-Bericht vorgestellt. Seitdem bemüht sich das Staatsministerium unter Premier Xavier Bettel um eine rasche Umsetzung der von seinem Sonderbeauftragten vorgeschlagenen Reformen.
Bis zur politischen Vollendung der Reform sollten aber noch eine Reihe von Altlasten auftauchen. So könnte man jedenfalls die Tatsache beschreiben, dass der frühere „General Manager“ des Hofes, David Grieu, fristlos entlassen und gegen ihn Strafanzeige erstellt wurde. In seinem Exklusivbericht „Großherzoglicher Hof: Ermittlungen gegen ehemaligen ‚General Manager'“ beleuchtet Christoph Bumb die Hintergründe dieser Episode. Dem früheren Angestellten, der als Vertrauter von Großherzogin Maria Teresa galt, wird vorgeworfen, dass er Mitarbeiter angewiesen haben soll, interne Dokumente des großherzoglichen Hofes verschwinden zu lassen. Ein klarer Fall von: „Affaire à suivre“.

5. Bettel weist Großherzog in die Schranken
Noch eine Exklusivstory, noch einmal über den großherzoglichen Hof: Auch die Episode um die Annullierung einer hochrangigen Entlassung am Hof passt in das Bild, wonach die Personalpolitik der Ausgangspunkt für die zunehmende politische Kontrolle der Geschehnisse im Palast und die Mission des Sonderbeauftragten Jeannot Waringo war.
Man stelle sich vor: Der Großherzog entlässt einen seiner engsten Mitarbeiter, Kabinettschef Michel Heintz, informiert aber nicht den für die Monarchie zuständigen Minister über diese Entscheidung. Dieser Minister, seines Zeichens Premier, sucht daraufhin das Gespräch mit dem Staatsoberhaupt und drängt diesen dazu, die Entlassung rückgängig zu machen. Genau dies ist im vergangenen Juni passiert, wie REPORTER-Chefredakteur Christoph Bumb im Beitrag „Reform der Monarchie: Bettel weist Großherzog in die Schranken“ berichtet.

6. Mangelhafte Masken aus Testzentren zurückgezogen
Von der Monarchie zurück zur Pandemie: Journalistische Recherchen, die sofort und unmittelbare Konsequenzen haben, sind eher die Ausnahme. Bei unserer Exklusivstory „Mangelhafte Masken aus allen Testzentren zurückgezogen“ war dies jedoch eindeutig der Fall. Nur weil unser Reporter Laurent Schmit enthüllte, dass in den Zentren des „Large Scale Testing“ zum Teil gefälschte und mangelhafte Atemschutzmasken des Typs FFP2 im Einsatz waren, wurden die Verantwortlichen überhaupt darauf aufmerksam.
Die „Hôpitaux Robert Schuman“ hatten das Schutzmaterial geliefert, reagierten dann im Zuge der Veröffentlichung des Beitrags schnell mit einer landesweiten Rückrufaktion. Allerdings verbirgt sich hinter dieser Episode eine weit verbreitete Praxis. In ganz Europa wurde zu Beginn der Pandemie im großen Stil medizinisches Schutzmaterial gekauft, dessen Herkunft oft genug zweifelhaft war, wie Reporter.lu auch im Rahmen einer Kooperation von internationalen Journalisten berichtete.

7. Eine halbe Million Zweifel
„Es kostet, was es kostet“, sagte Xavier Bettel zu Beginn der Pandemie. In der Tat gab der Staat bei der Bewältigung der Krise seine in normalen Zeiten gebotene haushaltspolitische Zurückhaltung rasch auf. Dabei wurde erst nach und nach offensichtlich, was die Krisenbewältigung die Steuerzahler letztlich kosten wird.
Erste Hinweise darauf, wie kostspielig allein die Materialschlacht zur Bekämpfung des Virus wird und wie zuverlässig die erworbenen Produkte sind, lieferten Laurent Schmit und Véronique Poujol bereits im April mit ihrer Recherche zu Bestellungen von Testkits der Firma „Fast Track Diagnostics“: „Corona-Massentests: Eine halbe Million Zweifel“.

Auch in den folgenden Wochen recherchierte Reporter.lu regelmäßig zu den oft für die Öffentlichkeit verborgenen Kosten der Regierungspolitik in dieser Pandemie. Dabei tat sich schnell auch die Frage auf, inwiefern der Luxemburger Staat eigentlich in der Lage ist, alle Dienstleistungen selbst sicherzustellen. Sowohl die Verwaltung des „Large Scale Testing“ als auch die PR des Krisenmanagements wurden zum Teil ausgelagert. Und auch bei der jetzt begonnenen Impfkampagne setzt die Regierung auf Outsourcing, wie unser Reporter Laurent Schmit berichtete.
8. Flavio Becca rattrapé par le fisc
Um viel Geld und die Beziehung zwischen dem Staat und der Privatwirtschaft ging es auch in der Story: „Le groupe Becca rattrapé par le fisc“. Der Hintergrund: Der Geschäftsmann Flavio Becca ist ins Visier der Steuerverwaltung geraten. Die exklusive Recherche unserer Reporterin Véronique Poujol erlaubt dabei einen bisher ungeahnten Einblick in den Lebensstil und das facettenreiche Geschäftsgebaren des Unternehmers, der als einer der reichsten Menschen des Landes gilt.

Es war zudem nicht das einzige Mal, dass Flavio Becca 2020 in den Recherchen von Reporter.lu vorkam. In ihrem Beitrag „Un divorce à un milliard d’euros“ erklärt Véronique Poujol anhand von neuen Erkenntnissen den langen, milliardenschweren Streit der früheren Geschäftspartner Flavio Becca und Eric Lux. In der Recherche „Liaisons à risque entre Etienne Schneider et Flavio Becca“ geht es hingegen um mögliche privat-öffentliche Interessenkonflikte bei Immobiliengeschäften – im Zentrum der Kontroverse: Ex-Vizepremier Etienne Schneider.
9. „Es ist schon eine enorme Belastung“
Während der ehemalige Gesundheitsminister nur noch sporadisch in den Medien auftaucht, wurde die Nachfolgerin von Etienne Schneider mit der Pandemie prompt ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert. Dass das Management der Krise dabei nicht nur politisch heikel ist, sondern auch menschlich an die Reserven geht, erklärte die Ministerin in ungeahnt offener Weise im Interview mit Reporter.lu.
„Es gab schon ein, zwei Momente, in denen man sich fragt: Musst du dir das unbedingt antun?“, sagte Paulette Lenert etwa. Und: „Ich muss das irgendwann mit mir selbst ausmachen, ob ich mich dauerhaft in diesem politischen Leben hier wiederfinden kann oder nicht.“ Das Interview, in dem es auch um Fehler, Versäumnisse und politische Verantwortung geht, gehörte zu unseren meistgelesenen Beiträgen des Jahres 2020. Mit dem „Phänomen Paulette Lenert“ beschäftigte sich REPORTER-Chefredakteur Christoph Bumb auch in einer Episode seines Podcasts „De Briefing“.

10. Der illegale Giftmüll von Differdingen
„Es ist ein handfester Umweltskandal“, begann Charlotte Wirth im Januar 2020 ihren Artikel über die Entsorgung von Giftstoffen und anderen problematischen Industrieabfällen im Süden des Landes. Für ihre Recherche hatte sich unsere Reporterin mehrere Wochen lang mit Studien und anderen Dokumenten beschäftigt, war vor Ort unterwegs und sprach mit vielen Insidern.
Der ausführliche Exklusivbericht „Deponien außer Kontrolle: Der illegale Giftmüll von Differdingen“ schildert die Problematik des „Crassier“ in Differdingen, einer Ansammlung von mehreren Deponien, die zum Teil – so eine Erkenntnis der Recherche – gegen das Gesetz verstoßen. Die Geschichte des illegalen Giftmülls macht aber auch deutlich, dass die verantwortlichen staatlichen Behörden und die Gemeinden jahrelang mit dem Problem überfordert waren oder dessen Lösung zumindest nicht als Priorität ansahen.

Die Recherche sorgte nicht nur für große Leserzahlen bei Reporter.lu, sondern auch für eine Reihe von parlamentarischen Anfragen und eine Dringlichkeitssitzung des zuständigen Ausschusses im Parlament. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) sieht die Verantwortung für die Missstände beim Stahlkonzern ArcelorMittal, doch auch ihr eigenes Ministerium ignorierte Warnungen der betroffenen Gemeinden. Die politische und juristische Aufarbeitung des „handfesten Umweltskandals“ dauert indes noch an.
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