Ein offener Brief von Gaston Vogel beschäftigt die Gerichte. Es geht um ein Schreiben aus dem Jahr 2015, in dem der bekannte Anwalt rumänische Bettler unter anderem als „Abschaum“ bezeichnet hatte. Die Justiz hat dabei auch jene Medien im Visier, die Vogels Leserbrief veröffentlichten.

„Madame le Bourgmestre, Votre Cité est devenue répugnante et la colère gronde au sein de la population“: Mit diesen Worten begann Gaston Vogel seinen offenen Brief vom 5. August 2015 an die Bürgermeisterin der Hauptstadt, Lydie Polfer (DP). Es sind allerdings erst die folgenden Zeilen des Briefes, die im Sommer vor fünf Jahren für Aufregung und mediale Aufmerksamkeit sorgten. „L’air est rempli des puanteurs que dégagent les cortèges quotidiens de mendiants dégueulasses, insolents (…). Personne ne s’occupe de cette racaille“, schrieb der Anwalt.

Es war nicht das erste Mal, dass Gaston Vogel durch seine Leserbriefe in den Medien des Landes für Aufsehen sorgte. Doch es ist das erste Mal, dass seine Worte juristische Folgen haben könnten. Kurz nachdem unter anderem „RTL“ den Brief von Gaston Vogel veröffentlicht hatte, reichte die „Ligue des Droits de l’Homme Luxembourg“ eine Klage wegen Diskriminierung und Aufrufes zum Hass („incitation à la haine“) ein. Die Anzeige wurde für zulässig erklärt und beschäftigt seitdem die Gerichte. Dies bestätigt ein Justizsprecher auf Nachfrage von Reporter.lu.

Die Mitverantwortung der Medien

Im Laufe des Verfahrens geht es jedoch nicht nur um die Wortwahl von Gaston Vogel, sondern auch um die Verantwortung der Medien und die Grenzen der Pressefreiheit. Auch wenn die ursprüngliche Anklage gegen den Anwalt gerichtet war, entschied die Staatsanwaltschaft nämlich, dass es in der Untersuchung auch um die Rolle jener Publikationen gehen solle, die den Leserbrief veröffentlichten. Dabei handelt es sich um den Onlineauftritt von „RTL“ und die Tageszeitung „Lëtzebuerger Journal“, wie es aus gut unterrichteten Kreisen heißt.

Zu den Beschuldigten gehören demnach neben Gaston Vogel auch „CLT-Ufa“, das Unternehmen hinter „RTL Lëtzebuerg“, sowie ein Redakteur des „Lëtzebuerger Journal“. Letzterer wurde im Laufe der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als verantwortliches Redaktionsmitglied identifiziert, das den Leserbrief veröffentlicht haben soll. Im Fall von „RTL“ konnte nicht zweifellos ermittelt werden, welche Person für die Entscheidung zur Publikation verantwortlich war. Auf „RTL.lu“ ist der betreffende Beitrag bis heute online aufrufbar.

Die beiden Medien hätten laut der Justiz eine Mitverantwortung, weil sie den Leserbrief entgegen der Praxis anderer Publikationen ohne Anmerkung oder journalistische Einordnung veröffentlichten, heißt es aus gut unterrichteten Kreisen. Die Justiz beruft sich dabei auf das Prinzip der sogenannten „responsabilité en cascade“ laut Artikel 21 des Gesetzes über die freie Meinungsäußerung in den Medien. Demnach kann nicht nur der Autor, sondern auch der verantwortliche Herausgeber für einen möglichen Gesetzverstoß verantwortlich gemacht werden.

Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Jean-Lou Siweck, der Präsident des Luxemburger Presserats, zeigt sich im Gespräch mit Reporter.lu erstaunt über diese rechtliche Interpretation. Gleichzeitig betont er, dass sich jedes Medium unabhängig von der Rechtslage der „deontologischen Dimension seines Handelns bewusst sein“ müsse. „Man muss nicht alles abdrucken. Zur journalistischen Aufgabe gehört es, ständig abzuwägen“, so Siweck. Das gelte besonders, wenn es um mögliche Diskriminierungen geht oder der Autor „eine sehr bekannte Persönlichkeit ist, mit einer langen Tradition politischer Äußerungen“.

Ein journalistisches Medium bewege sich ständig im Spannungsfeld zwischen der Presse- und Meinungsfreiheit einerseits und dem Respekt der Menschenwürde andererseits, so Jean-Lou Siweck weiter. Letzterer Punkt wird auch im Verhaltenskodex des Presserats ausdrücklich und ausführlich erwähnt. Dort heißt es in Artikel 5 „Du respect d’autrui“: „La presse s’engage à éviter et à s’opposer à toute discrimination pour des raisons de sexe, de race, de nationalité, de langue, de religion, d’idéologie, d’ethnie, de culture, de classe ou de convictions, tout en assurant le respect des droits fondamentaux de la personne humaine.“

Gleichzeitig betont der „Code de déontologie“, den alle Berufsjournalisten des Landes bei ihrer Anerkennung durch den Presserat ausgehändigt bekommen, aber auch das fundamentale Recht der Meinungsfreiheit. Es gebe keine eindeutige, auf alle Fälle anwendbare Leitlinie, sagt Jean-Lou Siweck. Angesprochen auf den konkreten Fall des Leserbriefs von Gaston Vogel, betont der Präsident des „Conseil de Presse“ zudem die Praxis, wonach der Beschwerdeausschuss des Presserats sich nicht mit Affären beschäftige, solange diese ein laufendes Verfahren der Justiz betreffen. Im Fall einer Verurteilung eines Mediums oder eines Journalisten werde der Presserat aber Stellung beziehen.

Verteidigung setzt auf Verzögerung

Die ursprüngliche Klage bezieht sich dabei ganz konkret auf die Wortwahl des Leserbriefs von Gaston Vogel. Vor allem die Begriffe „puanteurs“ („Gestank“), „racaille“ („Abschaum“) oder „mendiants dégueulasses“ („ekelhafte Bettler“), mit denen der Autor des Briefes Menschen aus Rumänien beschrieben hatte, könnten strafrechtlich relevant sein.

Um den Straftatbestand der „incitation à la haine“ laut „Code pénal“ zu erfüllen, muss nicht nur eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder anderen Merkmalen nachgewiesen werden. Zudem muss eine bewusste Absicht vorliegen, die Äußerungen müssen öffentlich getätigt worden sein und unzweifelhaft Feindseligkeit oder Ablehnung hervorrufen. Laut Artikel 457-1 des Strafgesetzbuches stehen auf den Aufruf zum Hass eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und ein Bußgeld von maximal 25.000 Euro.

Die Verteidigung versuchte bisher diverse Rechtsmittel einzulegen, um eine öffentliche Verhandlung zu verzögern. Laut Informationen von Reporter.lu wurden die Beschwerden der Anwälte der Angeklagten bisher aber alle abgewiesen. Nach mehreren Einsprüchen und Verweisen zwischen den Gerichtsbarkeiten ist momentan erneut das Kassationsgericht mit der Affäre befasst. Mitte Dezember wird mit einer Entscheidung gerechnet, ob die Angelegenheit vor einer Strafkammer verhandelt wird, bestätigt ein Justizsprecher.

Langer Schatten einer Sommerdebatte

Unabhängig von der juristischen Belangbarkeit seines Inhalts, hatte der Leserbrief von Gaston Vogel im Sommer 2015 politisch und medial hohe Wellen geschlagen. Dazu gehörten ein Protestschreiben der rumänischen Botschafterin und Kritiken von diversen Organisationen. In ihrer direkten Antwort auf den Brief hatte die Bürgermeisterin von Luxemburg-Stadt, Lydie Polfer, ihrerseits durchaus Verständnis für die Sichtweise des Anwalts geäußert. Gleichzeitig wies die DP-Politikerin aber auch auf eine „approche bien plus nuancée et respectueuse de la dignité des personnes fragilisées“ hin.

Auch Premierminister Xavier Bettel (DP) mischte sich damals in die Debatte ein und bezog deutlicher Stellung als seine Parteifreundin. „Bettler, Flüchtlinge, kriminelle Ausländer – das ist ein gefährlicher Cocktail für Populisten und Demagogen“, sagte der Premier damals laut dem „Luxemburger Wort“ in Reaktion auf den offenen Brief von Gaston Vogel. Es sei „traurig, dass man das Sommerloch auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft füllt“.

Die Staatsanwaltschaft wollte den Sachverhalt laut einer Stellungnahme von Ende August 2015 „prüfen“. Die juristische Aufarbeitung nahm jedoch erst in Folge der Klage durch die „Ligue des Droits de l’Homme Luxembourg“ ihren Lauf.

Gaston Vogel wollte sich auf eine schriftliche Anfrage von Reporter.lu nicht zum Kern des Sachverhalts äußern.