Arbeitsminister Dan Kersch startet eine Polemik gegen die „reichen Selbstständigen“. Das schadet nicht nur dem Krisenmanagement der Regierung. Seine Argumente basieren auch auf faktisch falschen Vorurteilen und offenbaren eine symptomatische Weltfremdheit. Ein Kommentar.
Dan Kersch ist kein Kind von Traurigkeit. Eher ein Freund der offenen, manchmal deftigen Worte. „Klare Kante“: Das macht bis zu einem gewissen Grad das Erfolgsgeheimnis des sozialistischen Arbeitsministers und Vizepremiers aus. Was manchmal erfrischend ehrlich wirkt, schießt aber regelmäßig auch über das Ziel hinaus.
In den vergangenen Tagen hat Kersch wieder einmal zugeschlagen. Auf Facebook verwahrte sich der Sozialist gegen mehr pauschale Hilfen für Selbstständige im Rahmen der aktuellen Corona-Krise. Sein Argument: Es gebe zwar eine „Minderheit“ von Selbstständigen, „déi wierklech och perséinlech kéinte Problemer kréien“. Ihm gehe es aber vor allem um die „reichen Affekoten“ und „Patrons“ von großen Handwerksbetrieben. Dass diese keine Hilfen vom Staat zu erwarten hätten, sei eine „sozialpolitische Entscheidung“, für die er einstehe, so der Minister.
Auf einer Pressekonferenz legte der Minister dann noch einmal nach. Zur Frage, ob auch Selbstständige für die Zahlungen des Staates im Sinn der Kurzarbeit in Frage kommen sollen, sagte Kersch: Er sei der Meinung, dass Leute, die eine gewisse Zeit lang „gutes Geld“ verdient haben, nicht gleichberechtigt Zugang zu öffentlichen Mitteln erhalten sollten. „Nationale Solidarität“ bedeute: „Die breiten Schultern müssen mehr tragen als jene, die keine so breiten Schultern haben.“
Nicht alle Selbstständigen fahren Ferraris
Die Argumentation von Dan Kersch ist gleich in mehrerer Hinsicht problematisch. Zunächst handelt es sich um eine fahrlässige Pauschalisierung. Der Minister hat zwar Recht, dass es unter den Selbstständigen solche und solche gibt. Unter den Selbstständigen sind in der Tat viele Personen, die vergleichsweise gut verdienen und auch in Krisenzeiten wahrlich nicht zur prekären arbeitenden Bevölkerung gehören.
Man darf erwarten, dass ein Regierungsmitglied besonders in einer Krise das Allgemeinwohl und nicht nur die kleinkarierte Befriedigung seiner ideologisch begründeten Weltsicht im Sinn hat.“
Auf einen mindestens genauso großen Teil der Freischaffenden trifft dies aber nicht zu, wie etwa auch die „Fédération des Artisans“, die „Confédération luxembourgeoise du commerce“ und die „Horesca“ in einem offenen Brief an den Arbeitsminister schreiben. Die große Mehrheit der Selbstständigen fährt nachweislich nicht „mit einem breiten Grinsen“ in ihren „Ferraris“, wie Dan Kersch in seinem besagten Facebook-Post polemisierte.
„Avec intégrité, exactitude et impartialité…“
Zudem spricht und schreibt hier nicht eine Privatperson, sondern der Arbeitsminister und Vize-Regierungschef des Landes. Dieser hat einen Eid abgelegt, in dem er nicht nur dem Großherzog, der Verfassung und den Gesetzen Treue schwört. Zudem hat er feierlich versprochen, sein Amt mit Integrität, Genauigkeit und Unparteilichkeit auszuüben: „Je promets de remplir mes fonctions avec intégrité, exactitude et impartialité.“
‚Zusammenhalt, Disziplin, Respekt und Solidarität‘ predigt die Regierung in der aktuellen Krise. Doch der Vizepremier ist der erste, der aus dieser verantwortungsbewussten Haltung ausschert.“
Die Einteilung der Bevölkerung in „Gut“ und „Böse“, in „Arm“ und „Reich“, in Hilfsbedürftige und vermeintlich wohlhabende Schmarotzer widerspricht diesem Amtseid. Kerschs Aussagen sind weder unparteilich noch besonders integer und auch analytisch nicht sonderlich genau. Das Problem ist denn auch nicht, dass der Minister für Solidarität eintritt, sondern, dass er die Selbstständigen des Landes pauschal als „Reiche“ stigmatisiert, die doch schon genug Geld hätten und sich gefälligst nicht beschweren sollen.
Kersch leistet Regierung einen Bärendienst
Vor allem gehören viele dieser Selbstständigen zu jenen, die von den Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie unmittelbar betroffen sind. Etliche Restaurants, Cafés und kleine Läden mussten schließen und werden laut der Exit-Strategie der Regierung wohl auch zu den letzten gehören, die ihr Geschäft wieder aufnehmen können. Trotz der beschlossenen Hilfen für die Unternehmen wird ihr finanzieller Schaden enorm sein. Und hinter diesen Geschäften stehen immer auch Einzelschicksale von Menschen, die in diesen Tagen zum Teil am Rande ihrer Existenz leben.
Dass der Minister offensichtlich denkt, dass Selbstständigkeit ein Synonym für Reichtum ist, zeugt entweder von blankem Unwissen oder aber von großer Arroganz gegenüber Tausenden seiner Mitbürger.“
Nun kann man anerkennen, dass die Regierung auch für genau diese Leute bereits erste Hilfen auf den Weg gebracht hat. Parallel zum pragmatischen Handeln der Koalition in dieser Krise gesellt sich nun aber ein Minister, der durch ideologische Stimmungsmache gegen die „Reichen“ eine völlig unnötige Kontroverse vom Zaun bricht. „Zusammenhalt, Disziplin, Respekt und Solidarität“ predigt die Regierung in der aktuellen Krise. Doch der Vizepremier ist der erste, der ohne jegliche Not aus dieser verantwortungsbewussten Haltung ausschert.
Aus den Worten des Arbeitsministers spricht jedoch nicht nur sein Hang zur Provokation und politischen Alleingängen. Kersch beweist auch jene Weltfremdheit, die Berufspolitikern oft attestiert wird. Dabei geht es nicht nur um den Einduck einer pauschalen ideologisch geprägten Weltsicht. Es geht auch um die politische Glaubwürdigkeit eines Vizepremiers, der selbst mit seinem Monatsgehalt von rund 23.000 Euro, also mehr als dem zehnfachen Mindestlohn, definitiv eher zur wohlhabenden Bevölkerung gehört als der Großteil jener Selbstständigen, die Kersch pauschal zu den „Reichen“ zählt.
Zwischen Arroganz und Weltfremdheit
Dass der Minister offensichtlich denkt, dass Selbstständigkeit ein Synonym für Reichtum ist, zeugt entweder von blankem Unwissen oder aber von großer Arroganz gegenüber Tausenden seiner Mitbürger. Dabei kann man es ihm, wie vielen anderen Berufspolitikern zwar nicht übel nehmen, dass sie die Situation eines Unternehmensgründers oder Freiberuflers nicht aus eigener Erfahrung kennen. Dennoch kann man zumindest erwarten, dass ein Regierungsmitglied besonders in einer Krise das Allgemeinwohl und nicht nur die kleinkarierte Befriedigung seiner ideologisch begründeten Weltsicht im Sinn hat.
Probleme lösen statt neue zu schaffen: Vielleicht sollte sich Dan Kersch auch einfach nur ein Beispiel am Krisenmanagement seiner Protegée Paulette Lenert nehmen.“
Indem Dan Kersch von den Selbstständigen undifferenziert als „Reiche“ spricht, offenbart er aber sogar innerhalb seiner Ideologie Widersprüche. Manifeste soziale Ungerechtigkeiten wie die minimale Besteuerung von internationalen Konzernen oder Steuernischen für wirklich Reiche wie Immobilienfonds oder „Stock options“ packt Kerschs lang regierende LSAP nicht an. Aber in dieser Krise sollen auf einmal alle Selbstständigen, die regulär Steuern und Abgaben zahlen, die Bösen sein.
Zudem beweist Kersch ein bemerkenswertes Unverständnis gegenüber der sozio-ökonomischen Realitäten im Land. Mit seiner Reichen-Polemik hat er jedenfalls bewusst oder nicht die vielen kleinen und mittleren Unternehmen im Visier, die nachhaltig Arbeitsplätze schaffen sowie das Rückgrat der lokalen Wirtschaft und damit auch des Sozialstaats ausmachen, deren Verteidigung sich der LSAP-Minister ja so rühmt.
Eine Lektion für den einstigen Mentor
Es wäre an der Zeit, dass der Vizepremier sich einerseits an seinen Amtseid erinnert und andererseits das Ziel des Krisenmanagements seiner Regierung ins Auge fasst. Klassenkampfparolen helfen in einer Pandemie wenig weiter. Im Gegenteil führen sie in der äußerst selektiven, faktisch fragwürdigen Kersch-Version zu neuen politischen Baustellen, als ob das Land während und nach dieser Krise nicht schon genug davon hätte.
Vielleicht sollte sich Dan Kersch auch einfach nur ein Beispiel am Krisenmanagement seiner Protegée Paulette Lenert nehmen. Dann könnte der einstige Mentor vielleicht noch etwas dazu lernen, wie man als pragmatischer, verantwortungsbewusster Politiker dringende Probleme löst statt neue zu schaffen.