Von manchen Ärzten als „Wundermittel“ gegen Covid-19 gepriesen, von anderen wegen unklarer Forschungslage skeptisch beäugt: Das umstrittene Medikament Chloroquin wird auch in Luxemburgs Krankenhäusern bei Coronavirus-Erkrankungen immer häufiger verabreicht.

Er habe ein „gutes Gefühl“, dass Chloroquin den Durchbruch bei der Behandlung von Covid-19 bringen könnte, sagt Donald Trump. Umgehend wurde der US-Präsident zwar von Experten korrigiert. Es gebe keine ausreichenden Belege dafür, dass das Malaria-Medikament auch bei Coronavirus-Erkrankungen helfen könnte, sagte etwa Anthony Fauci, der Direktor des US-Instituts für Infektionskrankheiten.

Und doch ist Donald Trump bei weitem nicht der einzige, der in der Coronavirus-Pandemie Hoffnungen in Chloroquin setzt. In mehreren klinischen Studien, etwa in China oder Frankreich, wird das Arzneimittel bereits seit Wochen gegen Covid-19 eingesetzt. Pharmakonzerne wie die deutsche Bayer AG produzieren mittlerweile große Vorräte an Medikamenten mit dem Wirkstoff und wollen diese in der aktuellen Krise kostenlos an Regierungen weitergeben.

Auch in Luxemburg wird Chloroquin im Kampf gegen Covid-19 bereits verwendet. Das Großherzogtum nimmt an einer Studie teil, bei der unter anderem der Wirkstoff Hydroxychloroquin verabreicht wird, sagte CHL-Direktor Romain Nati Ende März auf einer Pressekonferenz. Dr. Thérèse Staub, Leiterin des „Service national des maladies infectueuses“ ergänzte damals, dass das Medikament nur vereinzelt und nur mit dem Einverständnis der Patienten eingesetzt würde.

Immer mehr Behandlungen mit Chloroquin

Heute ist man in Luxemburgs Krankenhäusern aber offenbar einige Schritte weiter. Chloroquin genießt bei immer mehr Ärzten Vertrauen in der Behandlung von Covid-19-Symptomen. Laut Informationen von REPORTER wird das Arzneimittel etwa im „Centre Hospitalier de Luxembourg“ (CHL) in Strassen und bei den „Hôpitaux Robert Schuman“ (HRS) in Kirchberg vermehrt eingesetzt. Ein neuer Leitfaden des „Conseil Supérieur des maladies infectueuses“ sieht die Behandlungsmethode ausdrücklich vor.

„Im HRS gibt es aktuell schätzungsweise 35 bis 40 Covid-19-Patienten und zehn Patienten auf der Intensivstation. 20 bis 30 der Erkrankten wird das Medikament verabreicht. Allerdings vor allem bei Patienten mit einer Lungenentzündung oder stärkeren Symptomen“, präzisiert der medizinische Leiter der HRS, Prof. Dr. Claude Braun, im Gespräch mit REPORTER.

Laut dem Internisten gibt es positive Erfahrungen mit Hydroxychloroquin, vor allem bei Covid-19-Patienten, deren Zustand sich infolge einer schweren Lungenentzündung verschlechtert hatte. Demnach beschränke man den Einsatz des Medikaments momentan auf solche Fälle, so Claude Braun. Bei milden Symptomen raten die Ärzte der HRS jedoch dringend vom Medikament ab, erklärt der medizinische Leiter weiter. „Weil dort das Risiko der Nebenwirkungen höher ist als sein Nutzen.“

Wesentliche Risiken und Nebenwirkungen

Stichwort Nebenwirkungen: Dazu gehören unter anderem Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, Bronchialkrämpfe, Hypoglykämien oder Gewichtsverlust, aber bei höheren Dosen auch irreversible Sehstörungen oder schwere Herzkrankheiten. „Durch die Einnahme von Chloroquin kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen“, erklärt Dr. Laurent Groben. „Es kann sogar zu schlimmen Komplikationen führen. Deshalb sind eine Überwachung des Patienten und regelmäßige EKGs besonders wichtig“, so der Kardiologe vom CHL.

Chloroquin-Präparate werden in der Coronavirus-Pandemie meist bei Patienten mit schwerer Lungenentzündung verabreicht. (Foto: CDC via Unsplash)

Der Experte gibt auch zu bedenken, dass nicht jeder Patient für eine Behandlung mit Chloroquin in Frage kommt. Covid-19-Patienten seien ohnehin „keine Standardpatienten“ und müssten deshalb genau beobachtet werden. „Es kann sein, dass sie höheren Risiken ausgesetzt sind“, so Dr. Laurent Groben im Interview mit REPORTER. Dazu gehört Kaliummangel, der wiederum zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Hinzu kommen einige Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten, etwa bei kardiovaskulären oder psychischen Vorerkrankungen.

Der Kardiologe warnt auch wegen der unklaren Forschungslage vor einer leichtfertigen Verabreichung des Medikaments bei Coronavirus-Erkrankungen. „Es gibt zwar Studien über Chloroquin bei Covid-19-Patienten, aber diese Studien sind alles andere als optimal und weitsichtig“, so Dr. Laurent Groben. Eine Studie aus Frankreich habe die Wirkung des Medikaments beispielsweise nur an einer kleinen Gruppe von Patienten getestet. Große Studien würden zwar aktuell andauern. „Dort ist aber noch nicht absehbar, wann es gesicherte Erkenntnisse geben wird.“

Eine Reihe von „Unsicherheiten“ bleiben

Diese Einschätzung teilt auch Prof. Dr. Claude Braun von den HRS. Obwohl sein Krankenhaus aktuell einen Großteil der hospitalisierten Patienten mit Chloroquin behandelt, verweist auch der medizinische Leiter auf eine Reihe von „Unsicherheiten“. Dazu gehört vor allem: Das Medikament ist zwar offiziell zugelassen für die Therapie und Prophylaxe bei Malaria oder bei rheumatischen Erkrankungen. Doch nicht für die Behandlung von Covid-19-Patienten.

„Es gibt keine medizinische Indikation für Hydroxychloroquin bei Covid-19-Patienten“, sagt Claude Braun. Allerdings kenne die Medizin die Wirkungen des Arzneimittels seit vielen Jahren, deshalb handele es sich bei seinem Einsatz „nicht um ein medizinisches Experiment“. Der medizinische Leiter der HRS spricht seinerseits von einem „Heilungsversuch“.

L’évidence étant très incertaine, à la fois concernant la molécule et la dose administrée, dernier choix de traitement.“Expertengutachen zur Covid-19-Therapie mit Chloroquin

„Wir befinden uns in einer Situation, in der wir mit einer Pathologie zu tun haben, die uns neu ist“, sagt auch Dr. Vic Arendt vom „Service national des maladies infectueuses“ am CHL. „Es gibt keine Marktzulassung von Chloroquin für Corona-Patienten. Dafür aber für andere Krankheitsbilder.“ Anders als die HRS konnte der Verantwortliche des CHL aber keine Zahlen zu den aktuell mit Chloroquin behandelten Patienten in seinem Haus nennen.

Damit man das Medikament überhaupt für Covid-19 nutzen kann, braucht es eine Ausnahmegenehmigung vom Ministerium, die bisher nur für die Nutzung in den Kliniken vorliegt. Auch wenn die bisherigen Studien ergeben, dass es für die Wirkung des Medikaments bei Covid-19-Patienten eine schwache Beweislage gibt, sei er persönlich dafür, Chloroquin auch außerhalb des Krankenhauses einzusetzen, so Dr. Vic Arendt im Gespräch mit REPORTER.

Expertengutachten sieht Chloroquin vor

Dass die Krankenhäuser vermehrt auf Chloroquin-Präparate zurückgreifen, liegt auch an den Empfehlungen des „Conseil Supérieur des maladies infectueuses“. Dieses Gremium hat kürzlich ein Expertengutachten zur Covid-19-Therapie herausgegeben, in dem sich auch ausführlich mit dem Umgang mit Hydroxychloroquin befasst wird. Angesichts der dringenden Lage der Pandemie umfasst das Gutachten ausdrücklich den Gebrauch von Medikamenten, die noch nicht für den Markt zugelassen sind sowie „experimentelle Behandlungsmethoden“.

Das Medikament Chloroquin (unter dem Handelsnamen „Plaquenil“) wird laut dem Gutachten bei antiviralen Behandlungen sowohl von leichten bis mittleren als auch von schweren Lungenentzündungen vorgesehen. Allerdings enthält die Empfehlung auch den Hinweis auf eine Reihe von Kontraindikationen in Verbindung von anderen Medikamenten. Zudem müsse vor und während der Behandlung unbedingt ein Belastungs-EKG vorgenommen werden, um mögliche Auswirkungen auf die Herzaktivität zu kontrollieren.

„Plaquénil“ ist einer der Handelsnamen für das Arzneimittel Hydroxychloroquin, das in einem Gutachten des „Conseil Supérieur des maladies infectueuses“ als mögliche Behandlungsmethode von Covid-19 erwähnt wird. (Foto: Shutterstock.com)

In jedem Fall muss laut dem Gutachten bei der Verabreichung eines Chloroquin-Präparats das mündliche oder schriftliche Einverständnis des Patienten vorliegen. Die behandelnden Ärzte müssen demnach dem Patienten auch ausdrücklich erklären, dass die Chloroquin-Therapie für Covid-19 keine Marktgenehmigung hat. Falls der Erkrankte diese Therapie dennoch akzeptiert, muss diese „Off-label“-Nutzung auch so in der Krankenakte vermerkt werden.

Dabei berufen sich die Luxemburger Experten in ihrem Gutachten vom 2. April unter anderem auf die französische Arzneimittelüberwachung, die eine eher positive Einstellung zum Einsatz von Chloroquin bei Covid-19 hat. Die entsprechenden Voruntersuchungen, etwa des Infektiologen Dr. Didier Raoult des Universitätsklinikums Marseille, gelten international aber als höchst umstritten.

Ärzte bei Covid-19 in der „Zwickmühle“

Das Dokument geht zudem näher auf eine chinesische Studie ein, wonach die Einnahme von 500 Milligramm Chloroquin über zehn Tage bei Covid-19-Patienten mit einer Lungenentzündung eine Wirksamkeit zeige. Allerdings seien nicht alle Daten dazu verfügbar bzw. die Ergebnisse nicht allzu aussagekräftig („évidence très faible“), so die Autoren des Gutachtens. Das Fazit: „Toutefois (…), il n’est pas possible de faire une évaluation correcte de ces résultats.“

Auch weitere klinische Studien zum Einsatz von Chloroquin bei Covid-19 hätten zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht zu verlässlichen Ergebnissen geführt. Angesichts dieser Unsicherheiten sollte Hydroxychloroquin denn auch nur der „dernier choix de traitement“ sein; eine Einschätzung, die den sonstigen Empfehlungen des Expertengutachtens bezüglich der „experimentellen Behandlung“ mit Chloroquin durchaus widerspricht.

Wir sind uns als Ärzte uneinig darüber, ab welchem Zeitpunkt man das Medikament verabreichen soll.“Dr. Vic Arendt, „Service national des maladies infectueuses“

Dr. Vic Arendt vom „Service national des maladies infectueuses“ am CHL gilt innerhalb der Ärzteschaft als Verfechter des Chloroquin-Ansatzes. Er war bei der Verfassung des Gutachtens federführend. Den Umgang mit dem Medikament bezeichnet er als „Zwickmühle“: Vor allem bei älteren Patienten sei das Risiko höher, dass sie Vorerkrankungen haben, die einer Verabreichung von Chloroquin zuwiderlaufen. „Bei ihnen ist allerdings auch das Risiko einer schlimmen Covid-19-Erkrankung höher. Ärzte befinden sich bei diesen Fällen immer in einer Zwickmühle.“

Zudem räumt der Infektiologe ein: „Wir sind uns als Ärzte uneinig darüber, ab welchem Zeitpunkt man das Medikament verabreichen soll. In der Regel ist es aber so: Je früher man eine Infektionskrankheit behandelt, desto besser kann man sie normalerweise kontrollieren.“ Dr. Vic Arendt könnte sich also eine noch breitere Anwendung vorstellen: „Laut Gesundheitsministerium soll Chloroquin nur im Krankenhaus verabreicht werden. Damit schließt man aber auch Patienten aus, die beispielsweise in einem Altenheim oder Pflegeheim erkrankt sind.“ Andere Mediziner, mit anderen Spezialisierungen, äußern sich aber weitaus kritischer und warnen vor einer solchen weiteren Ausweitung der Praxis.

Krankenhäuser haben Vorräte aufgestockt

Der Einsatz von Chloroquin-Präparate sei die Konsequenz einer gewissen „Verzweiflung“ im Kampf gegen die grassierende Coronavirus-Pandemie, räumt Prof. Dr. Claude Braun von den HRS ein. Es sei jedoch zu rechtfertigen, wenn man die positiven Wirkungen bedenkt und sich an alle medizinisch bekannten und mittlerweile erprobten Auflagen hält. Die letztliche Entscheidung, ob das Medikament verabreicht wird, werde in den HRS in der Regel von einem Kollektiv von unterschiedlichen Ärzten getroffen.

Die Empfehlungen des „Conseil Supérieur des maladies infectueuses“ begreift er als Richtlinien, die zum großen Teil dem internen Leitfaden seines Klinikums entsprechen, an den man sich schon seit Beginn der Pandemie halte, so Prof. Dr. Claude Braun weiter. Letztlich handele es sich aber eben nur um „Guidelines“. „Eine Vorgabe, dass auch leichte Symptome mit dem Medikament behandelt werden sollten, würden wir wohl nicht umsetzen. Zumindest momentan. Denn es wäre nicht nachweisbar, ob sich der Zustand des Patienten durch das Medikament gebessert hätte.“

Es gibt keine medizinische Indikation für Hydroxychloroquin bei Covid-19-Patienten.“Prof. Dr. Claude Braun, „Directeur médical“ der HRS-Gruppe

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Covid-19-Therapie durch Chloroquin hat sich mittlerweile aber erledigt: die Verfügbarkeit der Präparate. In der zweiten und dritten März-Woche sei es noch recht schwer gewesen, ausreichend Chloroquin auf dem Markt zu finden, bemerkt Prof. Dr. Claude Braun. „Vor ein paar Wochen hatten wir lediglich etwa 100 Tabletten, die vielleicht für 15 bis 20 Personen gereicht hätten.“

Mittlerweile gibt es diesen Mangel aber nicht mehr. Es sei eine aufwändige, globale logistische Aufgabe gewesen, um genügend Medikamente zu bekommen, heißt es aus den Krankenhäusern. Heute hätten die Kliniken aber ausreichend Vorrat an Chloroquin, der mittlerweile auch gebraucht wird, um die steigenden Behandlungen mit dem Medikament zu gewährleisten. Glaubt man den Experten, wird der Vorrat wohl zumindest so lange halten, bis verlässliche Studien über den Einsatz des „Wundermittels“ vorliegen.


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