Hydroxychloroquin ist ein bekanntes Medikament, das etwa in der Therapie und Prophylaxe von Malaria verwendet wird. Auch bei der Coronavirus-Erkrankung Covid-19 wird der Wirkstoff vermehrt eingesetzt. Die wissenschaftlichen Studien dazu sind bisher aber dürftig.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will noch weitere Studien abwarten, bevor sie eine Empfehlung ausspricht. Die US-Regierung hat bereits eine Großbestellung aufgegeben und Luxemburg hat das Medikament nun in seine offiziellen Richtlinien zur Behandlung von Covid-19 aufgenommen. Kaum ein anderes Medikament spielt in der Coronavirus-Debatte so eine große Rolle wie Hydroxychloroquin. Die Wirksamkeit konnte allerdings trotz vermehrter Studien nicht wissenschaftlich überzeugend bewiesen werden.

Seit Ende Februar diskutiert ganz Frankreich über den Nutzen des Anti-Malaria-Medikaments Hydroxychloroquin. Der Grund: Das Universitätsklinikum in Marseille veröffentlichte ein kurzes Video von Dr. Didier Raoult, in dem der Arzt Chloroquin als Medikament gegen das Coronavirus ins Spiel bringt. Der Infektiologe und Mikrobiologe bezog sich auf eine Studie aus China, die „in vitro“ ergab, dass Chloroquin gegen Sars-CoV-2 anschlägt. Dieser Laborversuch reichte ihm aus, um das neue Coronavirus als „am leichtesten behandelbare Atemwegserkrankung“ zu bezeichnen.

Ein Medikament für alles – im Labor

Tatsächlich gilt das Medikament in der Petrischale bei mehreren Krankheiten als wirksam. Bereits beim SARS-Virus konnten Wissenschaftler im Labor gute Ergebnisse erzielen. Gleiches gilt für Tierversuche, die mit dem Zika-Virus infiziert wurden. In den Tests soll das Medikament die Zink-Konzentration innerhalb der Zellen erhöhen. Das Zink soll dann hemmend auf das Virus wirken.

Was im Labor funktioniert, muss aber nicht zwingend im menschlichen Körper seine Wirkung entfalten. „Wir schlucken das und haben es im Darm oder wir infundieren das, dann haben wir es im Blut. Aber die Zellen der Lunge, wo das Virus ja repliziert, die müssen diese Substanz aufnehmen“, sagte Christian Drosten im NDR-Podcast. Kurz: Es ist nicht immer klar, wie der Wirkstoff eines Medikaments dort hin gelangen soll, wo er wirken soll. Laut dem Virologen der Berliner Charité können Stoffwechsel einer Zelle in einer Zellkulturschale nur bedingt mit Zellen des menschlichen Körpers verglichen werden. Dafür benötigt man klinische Tests.

Wie ein Medikament getestet wird

In diesen Tests haben Chloroquin oder Hydroxychloroquin einen klaren Vorteil. Die auf molekularer Ebene fast identischen Wirkstoffe sind bereits auf dem Markt zugelassen. Im Gegensatz zu neuen Medikamenten müssen sie also keine langjährige Prüfungsphase durchlaufen. Die Nebenwirkungen sind bereits bekannt. Sie können deshalb für die Nutzung gegen neue Viren schneller eingesetzt und getestet werden.

Um die Wirkung zu prüfen, werden Patienten nach dem Zufallsprinzip in zwei repräsentative Gruppen eingeteilt, wovon eine medikamentös und die andere mit einem Placebo behandelt wird. Weder Arzt noch Patient sollen wissen, wem das eigentliche Medikament verabreicht wird. Eine statistische Analyse der Krankheitsverläufe könnte dann ergeben, ob die Genesung schneller war bei Menschen, denen das Mittel verschrieben wurde.

Danach werden die Forschungsergebnisse von anderen Medizinern überprüft, um anschließend publiziert zu werden. Um Ergebnisse schnell der Forschungsgemeinschaft zugänglich zu machen, wird aber in den letzten Monaten gerade auf diese letzte Etappe verzichtet. Viele dieser sogenannten „Pre-Prints“ werden deshalb den wissenschaftlichen Standards nicht gerecht – das gilt auch für die beiden Studien von Dr. Didier Raoult.

Zu schön, um wahr zu sein

In einer ersten Studie verabreichte der Arzt aus Marseille 24 Patienten das Anti-Malaria-Medikament zusammen mit einem Antibiotikum. Bereits nach sechs Tagen sei das Virus bei drei Viertel der Patienten verschwunden. Allerdings wird die Studie von mehreren Wissenschaftlern kritisiert. Zum Beispiel ist die Testbevölkerung der Studie sehr gering und zudem nicht repräsentativ. Die behandelten Patienten sind im Schnitt 51 Jahre alt, während der Schnitt der Kontrollgruppe bei 37 Jahren liegt. Erschwerend kommt hinzu, dass sechs behandelte Patienten nicht in die Ergebnisse einfließen, weil sie zum Beispiel in die Intensivstation überführt wurden oder gestorben sind.

Der Infektiologe reagierte mit einer zweiten Studie auf die Kritik. Allerdings wird auch sie den wissenschaftlichen Standards nicht gerecht. 80 Patienten wurden mit Hydroxychloroquin behandelt – eine Kontrollgruppe gab es nicht. Zudem hatten nur 15 Prozent der Infizierten Fieber und bei 92 Prozent wurde die Erkrankung als „geringes Risiko“ eingestuft. Die behandelten Patienten sind also nicht mit der Gesamtbevölkerung vergleichbar.

Eine weitere Studie aus China zeigt dagegen erste Ergebnisse zur Nutzung des Medikaments, die wissenschaftlich fundierter scheinen. Allerdings haben auch hier nur 62 Patienten teilgenommen. Einige Tage zuvor zeigte eine chinesische Studie jedoch keinen Effekt des Arzneimittels Chloroquin.

Bei Risiken und Nebenwirkungen…

Die Verwendung des Medikaments ist nicht nur wegen mangelnden Studien weiterhin umstritten, auch die Nebenwirkungen bereiten Ärzten und Forschern Sorgen. Sie reichen von Magen-Darm Beschwerden bis Herzrhythmusstörungen und Herzstillstand. Gerade bei Patienten, die bereits andere Medikamente täglich zu sich nehmen müssen, sind die Folgen schwer abzuschätzen. Diese Menschen gehören jedoch oft zur sogenannten Risikogruppe.

Discovery-Studie

In einer europaweiten Studie soll die Anwendung von vier Behandlungen gegen Covid-19 getestet werden. 3.200 Schwererkrankte sollen zufällig einer dieser vier Behandlungen zugeteilt werden. Eine Kontrollgruppe erhält die bis jetzt übliche Behandlung. Getestet wird auch Hydroxychloroquin, allerdings ohne zusätzliche Antibiotika, sowie das noch nicht auf dem Markt zugelassene Remdesivir Medikament gegen Ebola sowie die Aidsmedikamente Lopinavir und Ritonavir.
Neben Frankreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien nimmt auch Luxemburg an der Studie teil.

Zudem müssen die Ärzte den Patienten über die Zeit der medikamentösen Behandlung medizinisch überwachen. Befolgt man das Protokoll des französischen Arztes, müssten die Mediziner das Medikament aber besonders früh im Krankheitsverlauf verabreichen. Dies würde also zu einer zusätzlichen Belastung des Krankenhauses führen, weil Menschen die vielleicht gar keine Behandlung benötigen, eingewiesen werden müssen. Bei geringen Bettkapazitäten ist diese Anwendung also kaum möglich.

Eine Frage der medizinischen Ethik

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gebrauch des umstrittenen Medikaments stellt die Medizin auch vor ethische Fragen. Der Infektiologe Christian Perronne unterstützt Dr. Didier Raoult in der Nutzung des Anti-Malaria-Medikaments. Für ihn müsse man die Methoden der „Kriegsmedizin“ verwenden und daher auf aufwendige Tests verzichten. Zudem sei für ihn eine Studie nicht ethisch vertretbar: „Man sagt den Schwererkrankten, sie werden zufällig für die Behandlung mit dem Medikament ausgewählt, und das, obwohl man sehr wohl die Sterblichkeitsrate dieser Gruppe kennt.“

Ethik spielt auch bei den Kritikern eine Rolle. Der Präsident der französischen Ethikkommission des „Institut national de la santé et de la recherche médicale“ sagte seinerseits, dass gerade die Anwendung von Hydroxychloroquin den Verlauf der Erkrankung verschlimmern könnte. Solange das nicht ausgeschlossen werden kann, sollte man deshalb die normale Testprozedur einhalten.

Laut Hervé Chneiweiss soll das Medikament deshalb wie bei sonstigen medizinischen Studien zuerst bei Schwererkrankten getestet werden. Die Vorgehensweise von Dr. Didier Raoult ist dem jedoch diametral entgegengesetzt. Nur wenn es bereits früh zum Einsatz komme, könne es positiv auf den Krankheitsverlauf einwirken, so der Infektiologe.

Das französische Gesundheitsministerium hat Raoult zum Teil recht gegeben und den Einsatz bei nicht ambulanten Patienten erlaubt. Inwiefern das angebliche Wundermittel tatsächlich wirken soll, wird sich durch neue Studien zeigen. Die Discovery-Studie, an der auch Luxemburg teilnimmt, könnte dafür weitere wissenschaftliche Befunde liefern.


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