Eine hohe Nachfrage, fehlende Kontrollen und irreführende Zertifikate machten es möglich: In der Covid-19-Pandemie wurden europäische Staaten mit Schutzmaterial von fragwürdiger Qualität regelrecht überflutet. Am Geschäft mit den gefälschten Masken waren auch Firmen aus der EU beteiligt.

Von Aubrey Belford, Sarunas Cerniauskas, Matteo Civillini und Ola Westerberg *

Als die erste Welle der Covid-19-Pandemie im März nach Europa schwappte, begann die Materialschlacht. Vor allem Atemschutzmasken des Typs FFP2, die 94 Prozent aller Luftpartikel und eben auch das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 filtern, waren in allen EU-Staaten gefragt. So war auch der Direktor eines Gefängniskrankenhauses in Litauen erleichtert, als die 3.000 bestellten FFP2-Masken bei ihm ankamen.

Die Masken kamen in Kartons an, auf denen das CE-Kennzeichen prangte. Die Markierung verspricht, dass ein Produkt nach europäischen Standards getestet und zugelassen wurde. Beigefügt waren Dokumente einer anerkannten europäischen Zertifizierungsstelle. Kurz: Die Ware schien absolut in Ordnung zu sein.

Was die Mitarbeiter des Krankenhauses jedoch nicht wussten: Die CE-Kennzeichen waren gefälscht und die beiliegenden Papiere gegenstandslos. Die Lieferung wurde ursprünglich von einer chinesischen Firma exportiert, nach deren Inhaber in der Volksrepublik von den Behörden gefahndet wird. Die FFP2-Masken in den Packungen waren nie nach europäischen Standards auf ihre Qualität überprüft worden.

„Wir wollten FFP2- oder FFP3-Masken“, sagt der Leiter des Gefängniskrankenhauses, als er von Journalisten auf die weit verbreiteten gefälschten Masken angesprochen wurde. „Das stimmte so alles. Als wir die Masken erhielten, hatten wir keinerlei Zweifel.“

Ein Markt an der Grenze der Legalität

Litauen ist kein Einzelfall. Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie wurde Europa mit Millionen falschen, fehlerhaften Atemschutzmasken und anderem Schutzmaterial von geringer Qualität regelrecht überflutet. Manche der Lieferungen wurden mit bewusst gefälschten Dokumenten verkauft. Andere basieren aber auf einem Markt, der sich an der Grenze der Legalität bewegt und bei denen die irreführenden Zertifikate von europäischen Unternehmen ausgestellt wurden.

Eine internationale Recherche des „Organized Crime & Corruption Reporting Project“ (OCCRP), an der 13 Medien aus ganz Europa – darunter REPORTER – beteiligt waren, bringt die ganze Tragweite der Praxis ans Licht. Die Geschäfte mit minderwertigem Schutzmaterial und falschen Kennzeichen reichen auch nach Luxemburg, wie unsere Recherche zeigt.

Die mit falschen Kennzeichnungen gelieferten Produkte können unwirksam oder sogar gesundheitsschädlich sein.“Ville Itälä, Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung

Die Dokumente, mit denen die Qualitätsstandards des Materials vorgetäuscht wurden, wurden zum Teil von europäischen Unternehmen verkauft. Eines davon kann auf eine lange Erfahrung in der Branche der Produktzertifizierung zurückblicken. Die entsprechenden Papiere kosten mitunter mehrere Zehntausend Euro. In manchen Fällen wissen die Käufer selbst nicht, dass die Dokumente keinerlei rechtliche Basis haben.

Oft werben die gefälschten Produkte an prominenter Stelle mit dem „CE-Kennzeichen“, der offiziellen Zulassungsmarke für EU-Standards, erklärt die Compliance-Beraterin Dorte Kardel. Erst im Kleingedruckten erfährt man, dass das betreffende Dokument nicht mit einer CE-Zertifizierung einhergeht und letztlich keinen rechtlich bindenden Wert hat, so die Expertin.

Verdächtige Masken in 19 Ländern

Der Großteil der von Reportern des OCCRP enthüllten Dokumente wurden von einem italienischen Unternehmen ausgestellt: Ente Certificazione Macchine (ECM), eine Firma mit Sitz in Bologna, die seit langem in der Zertifizierung von in der EU vertriebenen Produkten tätig ist. ECM wurde bereits im April von den italienischen Behörden wegen irreführender Methoden suspendiert. Recherchen des OCCRP belegen jedoch, dass das Unternehmen auch danach noch in der Kennzeichnung von Schutzmasken tätig war.

Schutzmaterial mit einer fragwürdigen Dokumentation wie jener von ECM wurde demnach in mindestens 19 Ländern verkauft, zeigen die Recherchen des OCCRP und seiner Medienpartner. Darunter sind Atemschutzmasken, die später vom Markt genommen wurden, weil sie in mehreren Sicherheits- und Qualitätstests durchgefallen waren. In Rumänien führen die Recherchen des OCCRP unter anderem in das Milieu der organisierten Kriminalität.

Jeder, der schnelles Geld verdienen wollte, ergriff in dieser Zeit die Gelegenheit, genau das zu tun.“Henk Vanhoutte, European Safety Federation

Auch die chinesische Firma Kangyuan Jiankang Technology, welche die fehlerhaften FFP2-Masken nach Litauen lieferte, benutzte die gefälschte CE-Dokumentation. Masken der gleichen Marke wurden auch nach Estland, Malta und Portugal geliefert.

Das Problem liegt jedoch nicht nur in der mangelnden Kennzeichnung: Die Atemschutzmasken, die im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie dringend gebraucht werden, können auch die öffentliche Gesundheit gefährden. In Schweden haben Tests etwa ergeben, dass FFP2-Masken mit gefälschten Kennzeichen nicht die gleiche Leistung bei der Filtrierung von Luftpartikeln aufweisen, wie es für Masken dieses Typs eigentlich vorgeschrieben ist.

Unwirksam bis gesundheitsschädlich

Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) sowie mehrere nationale Strafverfolgungsbehörden untersuchen aktuell den betrügerischen Umgang mit gefälschten und irreführenden Zertifikaten für Schutzmaterial, bestätigt OLAF-Direktor Ville Itälä auf Nachfrage. Millionen Produktartikel seien bereits beschlagnahmt worden. „Die mit falschen Kennzeichnungen gelieferten Produkte können unwirksam oder sogar gesundheitsschädlich sein. Das Problem betrifft nicht nur die Verbraucher, sondern auch Apotheken, Pflegeheime oder große institutionelle Käufer wie Krankenhäuser oder Gefängnisse“, so der OLAF-Chef.

Die Ursache des Problems liegt demnach darin, dass die komplexen europäischen Regeln für die Qualität von Gesundheitsprodukten in der aktuellen globalen sanitären Krise nicht greifen. Eigentlich gelten für Atemschutzmasken oder vergleichbare Ausrüstung, die auf den europäischen Markt kommen, strikte Qualitätsstandards. Diese werden von „benannten Stellen“ überprüft, also Unternehmen, die von der Europäischen Kommission anerkannt werden.

Hohe Nachfrage, findige Unternehmer

In der Covid-19-Pandemie drängen jedoch Personen und Organisationen auf den Markt, die wenig oder keine Erfahrung mit dem Geschäft und den europäischen Regeln haben. „Jeder, der schnelles Geld verdienen wollte, ergriff in dieser Zeit die Gelegenheit, genau das zu tun“, sagt Henk Vanhoutte von der European Safety Federation (ESF). „Die Anzahl der Fragen und Beispiele, die wir seit Mitte März erhalten, ist verrückt“, so der Generalsekretär der ESF, die Unternehmen vertritt, die europaweit mit persönlichem Schutzmaterial wie Masken handeln.

ECM setzt Menschenleben aufs Spiel.“Dorte Kardel, Beraterin für Compliance

Seit dem Beginn der Pandemie veröffentlicht die ESF eine ständig aktualisierte Liste von Firmen, die im Verdacht stehen, fragwürdige Zertifikate auszustellen oder zu benutzen. Die Vereinigung erhält laut Henk Vanhoutte bis zu 100 Anfragen am Tag und zwar aus ganz Europa. Der Generalsekretär der ESF betont aber auch, dass nicht jedes Produkt mit einem gefälschten Kennzeichen unbedingt minderwertig sei. In manchen Fällen würden seriöse Anbieter oder Händler auch unbewusst falsche Zertifikate erwerben, die eigentlich nicht notwendig wären.

Das Unternehmen, das in der Liste der European Safety Federation am häufigsten auftaucht, ist ECM. Die italienische Firma ist offiziell anerkannt für die Zulassung von diversen Waren wie Radioausstattung, Hörschutz oder vereinzelt auch medizinischen Produkten – aber nicht für Material wie Atemschutzmasken.

ECM weist Verantwortung von sich

Mit dem Ausbruch der Covid-19-Krise im März, und der parallel explodierenden Nachfrage nach spezifischem medizinischen Schutzmaterial, begann ECM seine Aktivität zu diversifizieren. Die Recherchen des OCCRP ermittelten 66 ECM-Zertifikate für Material wie Atemschutzmasken oder Schutzkleidung. Mindestens zehn dieser vermeintlichen Zulassungen fielen in Qualitätstests durch oder von ihnen wurde in Sicherheitswarnungen abgeraten.

ECM geriet bereits mehrmals ins Visier der italienischen Behörden. Im vergangenen April schrieb Accredia, eine Organisation, die Italiens anerkannte Zulassungsstellen beaufsichtigt, dass die Aktivitäten von ECM „das gesamte System von anerkannten Zertifizierungen diskreditieren“ könnten. „ECM setzt Menschenleben aufs Spiel“, sagt die dänische Compliance-Expertin Dorte Kardel.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, antwortet der CEO von ECM, Andrea Secchi: Sein Unternehmen habe die „freiwilligen“ Zertifikate nur auf Nachfrage einer Zweigstelle in Schanghai ausgestellt. Die chinesischen Kunden seien vollständig darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sie allein verantwortlich dafür seien, sich um ein eigenes CE-Kennzeichen von einer anerkannten Zulassungsstelle zu bemühen.

„We wish to draw your attention to the fact that our company is NOT responsible for any different, incorrect, improper use or manipulation of the Document, with respect to its nature“, so die Stellungnahme von Secchi im Wortlaut. „Our company is also NOT responsible for any non-conformities present on the product, since the production process, modifications, changes, shortcomings of any safety devices are not under our surveillance. ECM Italy is NOT responsible for the product, production, import, distribution, sale, advertising, technical assistance or consultancy, nor does it act as an agent of the manufacturer.“

Fälschungen und kopierte Fälschungen

ECM ist allerdings nicht der einzige Akteur in diesem grauen Markt. Ein weiterer Anbieter von fragwürdigen Zulassungsdokumenten ist „ICR Polska“, eine Firma, die ebenso wie ECM nicht als Zertifizierungsstelle von medizinischem Material und Schutzausrüstung anerkannt ist. Laut den Recherchen des OCCRP behauptet ICR Polska in mehreren Dokumenten, dass die Produkte die europäischen Qualitätsstandards erfüllen. Im Kleingedruckten liest man dann jedoch, dass das betreffende Zertifikat nicht einer CE-Kennzeichnung entspricht.

Schutzmaterial mit Zertifizierungen von ICR Polska wurde unter anderem in Finnland, Österreich und dem Vereinigten Königreich verkauft. Das Unternehmen lehnte auf Nachfrage eine Stellungnahme ab. Ende März hatte das Unternehmen allerdings schon öffentlich erklärt, dass seine „freiwilligen“ Zertifikate rechtlich nicht erforderlich und auch keine CE-Kennzeichen seien. Ebenso kündigte ICR Polska an, dass alle ihre bisher im Rahmen der Covid-19-Krise ausgestellten Zertifikate entweder zurückgezogen wurden oder unzulässig seien.

Die Verwirrung auf dem Markt wird zudem dadurch auf die Spitze getrieben, dass mittlerweile Produkte kursieren, die fälschlicherweise behaupten, dass sie von ECM und ICR Polska zertifiziert worden seien – also von zwei Firmen, die jeweils keine solchen Kennzeichnungen vornehmen dürfen. Diese Dokumente sind offensichtlich von Amateuren verfasst worden. „Wenn man schon etwas kopiert oder fälscht, dann besser etwas, was im Ursprung legal war“, sagt Henk Vanhoutte von der European Safety Federation.

Betrugsermittlungen in mehreren Ländern

Dass es sich in mehreren Fällen um gesetzeswidriges Vorgehen handelte, zeigt die Konsequenz, mit der manche Behörden vorgehen. Die niederländische Polizei verhaftete etwa einen Mann, der verdächtigt wird, 15.000 mangelhafte Masken ohne korrekte Kennzeichnung an Gesundheitspersonal verkauft zu haben.

Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) hat zudem eigene Untersuchungen in Fällen von gefälschten Zertifikaten eingeleitet. Man kooperiere in dieser Sache mit nahezu allen Polizei- und Zollbehörden Europas. Die Botschaft: Man nehme die Sache sehr ernst. „OLAF arbeitet mit den nationalen Behörden in Europa und weltweit sowie mit Europol, Interpol, der Weltzollorganisation und dem Amt der EU für geistiges Eigentum (EUIPO) zusammen, um dieses globale Problem auf globaler Ebene anzugehen“, so der OLAF-Direktor Ville Itälä.

Auch die U.S. Food and Drug Administration hat bereits vor dem Import von nicht-zertifizierten Produkten von ECM und ICR Polska gewarnt. Und auch die chinesischen Behörden sind mittlerweile auf das Problem aufmerksam geworden und haben unterschiedliche Warnungen ausgegeben.

Die Recherche des OCCRP und seiner Medienpartner hat mehrere Fälle von problematischem Schutzmaterial aufgedeckt. Doch manchmal waren es nicht nur die Dokumente an sich, die auffällig waren. In einer E-Mail, die ein Anbieter an einen skeptischen Verantwortlichen einer schwedischen Gemeinde schrieb, hieß es: „I understand your concerns, I have read about masks with substandard quality… The CE mark and the test report is of course the ultimate assurance you can get that the product fulfils the requirements. I hereby vow to [you] that this is an FPP2 which fulfils all the requirements for an FFP2 mask 😀.“


* An diesem Artikel haben ebenso mitgearbeitet: Sylke Gruhnwald, Adriana Homolova, Migle Kranceviciute, Holger Roonemaa, Aleksandra Denkovska, David Ilieski, Márton Sarkadi Nagy, Anuška Delić, Meta Gantar, Matej Zwitter, Lars Bové, Dennis Mijnheer, Rui Barros, Yanina Korniienko, Ann-Kathrin Wetter, Maximilian Zierer, Staffan Dahllof, and Laurent Schmit.


Die internationale Recherche zu diesem Artikel wurde vom „Organized Crime & Corruption Reporting Project“ (OCCRP) geführt in Zusammenarbeit mit: Bayerischer Rundfunk / ARD (Deutschland), the Danish Broadcasting Corporation (Dänemark), Sveriges Television (Schweden), IrpiMedia (Italien), Follow the Money (Niederlande), Investigative Reporting Lab (Mazedonien), De Tijd (Belgien), RISE Romania, Oštro (Slowenien), Eesti Päevaleht (Estland), Atlatszo.hu (Ungarn), Público (Portugal), Reporter.lu (Luxemburg) and Siena.lt (Litauen).