Es ist ein handfester Umweltskandal: Der „Crassier“ Differdingen dient nach wie vor der Entsorgung von gefährlichen Industrieabfällen. Eine Deponie verstößt gegen das Gesetz, die Behörden sind seit Jahren überfordert. Die Folgen für Umwelt und Gesundheit sind kaum absehbar.

„Mir sinn d’Poubelle vum ganzen Land“. Es ist ein Satz, den man in Differdingen immer wieder hört. Seit über einem Jahrhundert ist die „Cité du fer“ durch die Stahlindustrie geprägt, die bis heute vor Ort Hunderte Arbeitsplätze sichert. Gleichzeitig hat die Produktion von ArcelorMittal (und früher der Arbed) enorme Mengen an Industrieabfall zur Folge, der zum großen Teil in unmittelbarer Nähe gelagert wird.

Als „Poubelle“ dient vor allem der „Crassier“, eine Ansammlung von mehreren Deponien. Auf die riesige Halde, die sich auf 150 Hektar von Differdingen bis nach Sanem zieht, wurde über Jahrzehnte unterschiedlichster Industriemüll geschüttet. Auf dem Gelände häufen sich Bauschutt und Schrott, aber auch umweltschädliche Filterstäube, Schlämme und Schlacken aus der Stahlproduktion und der Abfallbehandlung.

Eine illegale Deponie

Lange war der „Crassier“ ein rechtsfreier Raum, der von allen möglichen Industriebetrieben genutzt wurde. Bis heute verläuft die Lagerung der zum Teil giftigen und umweltbelastenden Stoffe weitgehend ungeregelt und ohne staatliche Kontrolle. Eines der dringendsten Probleme ist die Werksdeponie von ArcelorMittal, die im Westen der Halde liegt. Was nur Insider wissen: Dieser Deponie fehlt bis heute eine klare Rechtsgrundlage.

Oder wie es ein Beamter aus dem Umweltministerium ausdrückt: „Diese Deponie wurde nie von einem Umweltminister genehmigt. Demnach ist sie als illegal anzusehen, solange das nachträgliche Verfahren zur Regulierung nicht abgeschlossen ist.“ Im Klartext: Die Nutzung der Deponie verstößt gegen geltendes Recht.

Wir haben bis heute keinen Gesamtüberblick über das Gelände.“Georges Engel, Bürgermeister von Sanem

Den Behörden fehlt auch jeglicher Überblick über das, was auf diesem Teil der Schlackenhalde lagert. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um einen Verstoß gegen das Abfallgesetz von 2012. Dort heißt es: „Les producteurs de déchets dangereux sont tenus d’assurer la traçabilité de ces déchets depuis le stade de la production jusqu’à la destination finale ainsi que leur contrôle.“ Der Konzern ArcelorMittal informierte die Umweltverwaltung nie angemessen über seine hier gelagerten gefährlichen Abfälle. Im Gegenzug drückten die staatlichen Stellen bei der Kontrolle mindestens ein Auge zu – bis heute.

Das verdeutlicht die Tatsache, dass die letzte Studie über das gesamte Grundstück aus dem Jahre 1997 stammt. Bereits damals bedauerten die Autoren einen Mangel an Unterlagen sowie eine ungenügende Überwachung der ansässigen Firmen. Aus dem Dokument wird ersichtlich: Um zu wissen, welche Schadstoffe genau auf der Halde lagern, und wie gefährlich diese sind, sind weitere Untersuchungen nötig. Entsprechende Bohrungen und Sondierungen sind aber nie erfolgt.

Gemeinden ohne Durchblick

Auch den betroffenen Gemeinden fehlt der Überblick. Sie fordern seit Jahren eine Bestandsaufnahme und ein Sanierungskonzept für den „Crassier“ – bisher vergeblich. Im Dezember 2018 wandten sich Differdingen und Sanem in einem Brief an das Wirtschaftsministerium, dem das Gelände der „Gadderscheier“ westlich des „Crassier“ gehört. Ähnliche Briefe erhielt in der Vergangenheit auch das Umweltministerium. Passiert ist nichts.

„Wir fordern eine komplette Inventur und eine umfassende Untersuchung darüber, was auf diesem Standort überhaupt alles lagert“, sagt die neue Bürgermeisterin von Differdingen, Christiane Brassel-Rausch (Déi Gréng). „Wir haben bis heute keinen Gesamtüberblick über das Gelände“, bedauert auch der Abgeordnete und Bürgermeister von Sanem, Georges Engel (LSAP), im Gespräch mit REPORTER.

Was die Verantwortlichen auch sagen: Die Gemeinden haben letztlich keine Handhabe, um das Problem ansatzweise zu lösen. Die betroffenen Grundstücke gehören ArcelorMittal und dem Staat. Für jegliche Genehmigungen und Kontrollen ist die Umweltverwaltung zuständig. Selbst wenn sie es wollten, könnten die kommunalen Verantwortlichen im Alleingang also wenig bewirken.

Die Problemdeponien in Differdingen in Kürze

    • Der Stahlkonzern ArcelorMittal betreibt auf dem „Crassier“ Differdingen bis heute eine Werksdeponie für gefährliche Abfallstoffe, die nie genehmigt wurde.
    • Auf dem Areal des „Crassier“ befindet sich außerdem die sogenannte „décharge historique“. Dort wurden jahrzehntelang gefährliche Reststoffe aus der Stahlproduktion entsorgt. Seit 2013 läuft die Stilllegung und Sanierung der Deponie.
    • Trotz Sanierung nutzen staatliche und private Bauträger die Altdeponie weiter, um die teurere Entsorgung im Ausland zu umgehen. Die Materialien stammen aus der Instandsetzung alter Arbed-Standorte. Auch die Gemeinde Differdingen griff auf diese Deponie zurück.
    • Aus einer dritten Deponie auf dem „Crassier“ läuft giftiges Sickerwasser in den Bach Korn. Die Behörden sehen darin kein akutes Umweltrisiko, obwohl Analysen Schwermetalle nachgewiesen haben.

Mehrere Deponien in einer

Nähert man sich dem „Crassier“, erhält man einen Eindruck von den Ausmaßen des Problems. Geschützt vor den Blicken neugieriger Passanten tut sich eine Landschaft aus schwarzen und grauen Bergen auf. Es riecht nach faulem Holz. Im Hintergrund ziehen Rauchschwaden vom Gelände des Holzwerkstoffbetriebs „Kronospan“ in den Himmel.

In der Vergangenheit wurden hier unter anderem schadstoffbelastete Industrieabfälle gelagert. „Jahrelang wurde alles Mögliche dorthin geschüttet“, sagt Gemeinderatsmitglied Gary Diderich (Déi Lénk). Ähnlich äußern sich im Gespräch mit REPORTER auch Gemeindemitarbeiter und andere Lokalpolitiker jeglicher Couleur. Größtenteils stammt der Giftmüll vom Stahlgiganten ArcelorMittal. Auf der Halde lagern aber auch Abfallprodukte des Chemiekonzerns „Dupont de Nemours“ oder des Abfallbetriebs „SIDOR“.

Der „Crassier“ teilt sich in mehrere Deponien auf. Im Westen liegt das Differdinger Werk von ArcelorMittal. Daran grenzen östlich die interne Werksdeponie des Stahlkonzerns, die das Ministerium als illegal bezeichnet, sowie darunter die sogenannte „Décharge historique“, die aktuell saniert wird, an.

 

Wie problematisch die Lage ist, wird anhand eines Deponieprojektes ersichtlich, das 2017 für Unruhe sorgte. Parallel zur geplanten Ansiedlung des Steinwollproduzenten „Knauf“ auf der „Gadderscheier“ planten ArcelorMittal und der Partnerbetrieb „Cloos“ auf der angrenzenden Halde zwei neue Deponien: Einerseits eine Bauschuttdeponie, die man in Luxemburg händeringend sucht. Andererseits eine „Byproduct-Deponie“ für gefährliche Abfälle, die bei der Stahlproduktion anfallen. Für letztere gibt es in Luxemburg derzeit keine reguläre Lagerstätte.

Die Gemeinden Sanem und Differdingen wehrten sich lautstark gegen das Projekt und forderten ein Sanierungskonzept für den gesamten „Crassier“. „Die Gesundheit der Menschen steht auf dem Spiel“, sagte der damalige Differdinger Bürgermeister Roberto Traversini (Déi Gréng) 2018 im Interview mit „L’Essentiel“.

REPORTER liegt die Rahmenuntersuchung (Scoping-Studie) des Projektes vor, die die Träger 2017 bei Gemeinden und Ministerium einreichten. Darin beschreiben die Autoren den dringenden Bedarf eines Ortes zur Lagerung von problematischen Industrieabfällen. Aufgelistet sind etwa bestimmte Schlackentypen und weitere Stahlabfälle, die laut dem europäischen Abfallregister als „gefährlich“ gelten.

ArcelorMittal in der Verantwortung

„Die neue Byproduct-Deponie wird künftig die einzige Reststoffdeponie sein, die den Luxemburger Werken von ArcelorMittal verbleibt“, steht im Dokument. Will heißen: Solange das Projekt nicht umgesetzt wird, gibt es hierzulande keinen Ort, an dem der Stahlkonzern seine Problemabfälle lagern kann.

Das offensichtliche Problem: Die aufgelisteten Nebenprodukte fallen auch jetzt an und ArcelorMittal entsorgt sie auf dem „Crassier“ in seiner eigenen Werksdeponie. Hier lagern Klärschlämme, Schlämme aus der Konvertergasreinigung und sogar Stäube der Rauchgasreinigung des SIDOR, wie einer Karte der Überblicksstudie zur Halde von 1997 zu entnehmen ist. Die zum Teil umwelt- und gesundheitsgefährdenden Stoffe lagern also genau dort, wo die zukünftige Byproduct-Industriedeponie hinkommen soll.

Für die zukünftige Nutzung stellen diese Deponien ein signifikantes Problem und ein sehr hohes Risiko dar.“
Studie zum „Crassier“ Differdange von 1997

In der Branche und in den Gemeinden ist dieses Problem ein offenes Geheimnis. Laut mehreren mit dem Dossier vertrauten Quellen nutzt ArcelorMittal das Areal auch heute noch für die Lagerung ihrer problematischen Industrieabfälle – auch ohne Erlaubnis der Behörden.

Gescheiterte Versuche zur Regulierung

2007 gab es letztmals ein Projekt zur „Regulierung und Erweiterung“ der Werksdeponie. Dieses sah die Sanierung sowie den Ausbau des bereits „bestehenden Teils der Reststoffdeponie“ vor. Doch das Vorhaben wurde nicht weiterverfolgt. Seitdem pocht das Ministerium trotz Widerständen aus den Gemeinden darauf, dass ArcelorMittal das Projekt der „Byproduct-Deponie“ umsetzt. Solange dieses Projekt nicht Realität ist, gibt es vom Umweltministerium auch in Zukunft keine Genehmigung und die Nutzung der aktuellen Deponie bleibt illegal.

Untätig will das Ministerium jedoch nicht bleiben. Die Behörden warten aktuell auf eine Umweltimpaktstudie für das Projekt. In diesem Rahmen würde dann auch eine Überblicksstudie über den gesamten Standort des „Crassier“ anfallen, so das Umweltministerium auf Nachfrage.

ArcelorMittal lässt über einen Sprecher mitteilen, dass man an einer globalen Lösung für den Umgang mit den Nebenerzeugnissen der Stahlindustrie arbeite. Ansonsten wolle man jedoch weder die Existenz noch die Nutzung der Deponie kommentieren.

Von Sanem bis Differdingen, eingebettet zwischen dem ArcelorMittal-Werk, dem Industrieareal „Gadderscheier“ und dem „Woiwerbësch“, erstreckt sich die riesige Müllhalde – im Volksmund nur „Crassier“ genannt. (Foto: Claude Piscitelli)

Die interne ArcelorMittal-Halde ist jedoch nicht die einzige Ablagerung auf dem „Crassier“, deren rechtlicher Status Fragen aufwirft. Südlich dieses Areals liegt die sogenannte „décharge historique“, die ebenfalls jahrzehntelang zur Beseitigung von Industrieabfall diente – auch lange ohne ausreichende Genehmigung.

Wie aus einem Antrag von ArcelorMittal von November 2018 hervorgeht, der REPORTER vorliegt, lagern hier seit den 1970er Jahren Restabfälle aus der Stahlproduktion. Von rund 800.000 Kubikmetern ist die Rede. Darunter sind Schlämme und Reststoffe aus der Stahlproduktion.

Das Problem der „décharge historique“

Erst 2013 bekam die „Deponie“ über Umwege eine rechtliche Grundlage. Damals genehmigte die Umweltverwaltung nämlich die „Sanierung und Stilllegung“ der Halde. Seitdem wird unter anderem belasteter Bauschutt aus ehemaligen Arbed-Grundstücken mit Stahlofenschlacken gemischt und zur Stabilisierung in die Halde eingebracht. Die Umweltverwaltung gestattete ArcelorMittal erst kürzlich die Verlängerung dieser Sanierungsarbeiten bis 2023.

Während die Sanierung der Giftmüllhalde rechtlich abgesichert ist, war es die jahrzehntelange Nutzung des Areals als Deponie jedoch nicht. In der bereits erwähnten Projektbeschreibung von Cloos wird diese Halde denn auch als „keine Deponie im rechtlichen Sinne, sondern eine industrielle Altablagerung“ beschrieben. Ihre Sanierung kommt demnach einer rückwirkenden Legalisierung gleich.

Am geplanten Standort herrschen seit Jahrzehnten keine naturähnlichen oder naturnahen Verhältnisse mehr.“Studie zum „Crassier“ Differdange von 1997

Das Projekt hätte in dieser Form nie umgesetzt werden dürfen, heißt es von Gemeindeverantwortlichen hinter vorgehaltener Hand. Einige Elemente seien zwar genehmigt, doch was unter all dem sanierten Abfall verborgen liegt, wurde nie von irgendjemandem genehmigt. Zudem wird es durch die genehmigte Sanierung und Vermischung der Abfälle immer schwieriger herauszufinden, was auf diesem Teil des „Crassier“ alles gelagert wurde.

Unter jenen Abfällen, die jetzt eingebaut werden dürfen, sind vor allem Bodenaushübe, Schlacken und Stahlabfälle, die bei der Sanierung ehemaliger Arbed-Grundstücke angefallen sind. Das Material stammt unter anderem vom „Crassier Ehlerange“, dem Escher „Domaine Schlassgoart“, aber auch von den Differdinger Sanierungsprojekten „Hadir“, „Lycée Funiculaire“ oder „Rocade“ oder der Revitalisierung der Industriebrache in Esch-Schifflingen.

Sanierung als Vorwand für weitere Nutzung

Während die gesamte Deponie nicht als solche genehmigt ist, erlaubt das Umweltministerium bei der Sanierung mittels Verordnungen regelmäßig neue Müllentsorgungen. Dabei werden mitunter Materialien eingesetzt, die laut europäischem Abfallverzeichnis als „gefährliche Stoffe“ gelten. Diese müssten eigentlich auf einer spezifischen Deponie für problematische Abfälle gelagert werden – jener Deponie also, die es in Luxemburg gar nicht gibt.

Allein der Begriff der „Sanierung“ ist jedoch fragwürdig. Die Deponie wird bei dieser Aktion nämlich mit neuem belasteten Material stabilisiert und abgedeckt. Das problematische Material der „décharge historique“ darunter wird nicht beseitigt.

Der Blick auf einen Teil der „décharge historique“, die seit 2013 per Bauschutt und unterschiedlichen Abfällen saniert werden soll. (Foto: Reporter.lu)

Niemand bestreitet indes, dass im Rahmen dieser Sanierung weitere Industrieabfälle auf jener Halde abgeladen werden, die nie genehmigt wurde. Dies bestätigt etwa Yves Biwer, der Direktor der Entwicklungsgesellschaft Agora, die jeweils zur Hälfte ArcelorMittal und dem Staat gehört. Bei der Revitalisierung der Industriebrache in Esch-Schifflingen sei „mit Schwermetall belastetes Material“ auf die „décharge historique“ gebracht worden, sagt er. Schließlich sei die Halde ja „dafür autorisiert“.

Zwischen Zeit- und Kostendruck

Auch die Gemeinde macht weiter Gebrauch vom „Crassier“, füllt also die „Poubelle vum Land“ selbst weiter auf. So etwa im Fall der Entsorgung von verseuchtem Boden unter dem früheren Differdinger Recyclingpark. Dass man die dabei angefallenen Massen auf die „décharge historique“ verbrachte, bestätigt der damalige Schöffe Erny Müller (LSAP) im Gespräch mit REPORTER. Man habe sich dabei an ArcelorMittal orientiert, das bei der Sanierung eines angrenzenden Grundstücks genauso verfahren war.

Indem die Gemeinde die ungeregelte Deponie selbst zur Entsorgung nutzt, macht sie sich natürlich angreifbar.“Gary Diderich, Gemeinderatsmitglied

Der eigentliche Grund war jedoch die Kostenfrage, heißt es aus gut informierten Kreisen in der Gemeinde. Eine Beseitigung im Ausland sei nämlich äußerst teuer. Rund eine halbe Million Euro wären dadurch zusätzlich angefallen. Dennoch kritisierten Gemeindemitarbeiter laut Informationen von REPORTER in einem Brief an den Schöffenrat die Praxis, den Abfall einfach auf den „Crassier“ zu bringen.

Dass auch die Gemeinde weiter problematischen Abfall auf der Halde entsorgt, führte im Gemeinderat schon zu mancher Kontroverse. „Indem die Gemeinde die ungeregelte Deponie selbst zur Entsorgung nutzt, macht sie sich natürlich angreifbar“, kritisiert etwa Oppositionspolitiker Gary Diderich (Déi Lénk).

Kaum abschätzbare Umweltbelastungen

Doch auch wenn nun ein Teil des Geländes saniert wird, ist damit das Grundproblem des Gesamtareals des „Crassier“ noch lange nicht gelöst. Abgesehen von der Frage nach der Legalität der Deponien hat die jahrzehntelange Lagerung belasteter Stoffe auf diesem Gebiet verheerende Folgen für die Umwelt.

Bereits in der Überblicksstudie über das gesamte Grundstück von 1997 sprachen die Autoren von vielfältigen Risiken der Kontamination für den Standort und betonten: „Für die zukünftige Nutzung stellen diese Deponien ein signifikantes Problem und ein sehr hohes Risiko dar.“ In der Studie steht auch: „Am geplanten Standort herrschen seit Jahrzehnten keine naturähnlichen oder naturnahen Verhältnisse mehr.“

In einer Stellungnahme zu dieser Studie erwähnen die Gemeinden Differdingen und Sanem, dass sich die Anwohner südlich des Deponie-Areals regelmäßig über „hohe Staubbelastungen“ beklagen.

Das alles wurde dahin geschüttet, aber ein Teil des Reichtums des Landes kommt auch daher.“Christiane Brassel-Rausch, Bürgermeisterin von Differdingen

Es gebe keine festinstallierten Kontrolleinrichtungen für umweltrelevante Faktoren, bedauern die Autoren der Studie von 1997 weiter. Gemeint sind etwa Grundwassermessstellen oder Sickerwasserkontrollen. Bis heute werden keine regelmäßigen, systematischen Messungen durchgeführt, um den Zustand von Luft, Boden und Wasser am Standort zu ermitteln und zu überwachen.

Die Überblicksstudie von 2017 zum Standort der internen ArcelorMittal-Werksdeponie geht etwa davon aus, dass mit Schwermetall belastetes Sickerwasser in die Umwelt und durchgesickerte Reststoffe in die hier entlang fließende Korn gelangen. Kontrollen über den Austritt von belastetem Sickerwasser etwa gibt es nicht, sagt der Direktor der Wasserverwaltung Jean-Paul Lickes im Gespräch mit REPORTER.

Die Phantomdeponie von Sanem

Wie gefährlich die Stoffe sind, die seit den 1970er Jahren auf das Gelände gebracht werden, zeigt das Beispiel einer weiteren Deponie des Areals. Sie liegt inmitten des „Woiwerbësch“, unweit des Kronospan-Geländes und der RN32 von Sanem nach Differdingen. Die ehemalige Industrieablagerung, die Insider als „Décharge Lamesch“ bezeichnen, lässt sich heute kaum noch lokalisieren, wurde sie doch vor rund 20 Jahren stillgelegt.

Über Unterlagen zur Deponie verfügen weder das Umweltministerium noch die Gemeinde Sanem. Ebenso ist nicht klar, woher die Bezeichnung „Décharge Lamesch“ kommt. Auf Nachfrage von REPORTER konnte das in der Abfallwirtschaft tätige Unternehmen Lamesch weder bestätigen noch dementieren, dass es auf dem besagten Gelände eine Deponie betrieb.

Das Ministerium lässt jedoch verlauten, dass man anhand von Luftbildern wisse, dass die Deponie hier bis 1994 betrieben wurde. Ebenso wie bei den Deponien des „Crassier“ Differdingen ist jedoch unklar, was genau auf dieser Halde gelagert wurde.

Aus der ehemaligen Deponie fließt eine kaffeähnliche, dunkelbraune Flüssigkeit. Das Wasser schlägt ein Loch in den Wald und läuft in die Sanemer Kanalisation. Dort, wo die Flüssigkeit abfließt, gedeiht weder Fauna noch Flora. Bei trockenem Wetter ist das Sickerwasser von weißem Puder umgeben.

Giftiges Sickerwasser in der Korn

Das Problem ist den Behörden bekannt. REPORTER liegen Untersuchungen dieser Gewässer vor, die von 2007 stammen. Aus den Analysen des „Laboratoire national“ geht hervor, dass das Wasser stark durch Schwermetalle belastet ist: Unter anderem etwa mit den für Menschen gefährlichen Stoffen Chrom und Kobalt. Unterschrieben wurde das Dokument vom Direktor des Wasserwirtschaftsamtes Jean-Paul Lickes. Dieser beschwichtigt auf Nachfrage: „Aus dem ganzen Crassier läuft nicht mehr viel heraus.“

Es sei bekannt, dass belastetes Sickerwasser unbehandelt in die Korn gelangt, schrieben die Gemeinden Sanem und Differdingen 2017 an das Umweltministerium. (Fotos: Reporter.lu)

Die Gemeindeverantwortlichen sehen das anders. 2017 schrieben die Vertreter von Differdingen und Sanem in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Projekt der „Byproduct-Deponie“, die auch das Umweltministerium erhielt: Die Sanierung der „Lamesch-Deponie“ müsse als Priorität behandelt werden. Es sei nämlich bekannt, dass hier „belastetes Sickerwasser über den Kaléckerbaach unbehandelt in die Korn“ gelange.

Laut dem Umweltministerium ist noch für diesen Januar eine Ortsbesichtigung vorgesehen. Die von der Wasserwirtschaftsverwaltung im Jahr 2007, also vor bald 13 Jahren, durchgeführten Analysen würden Belastungswerte aufzeigen, die für alte Schlackenhalden typisch sind. Laut dem Ministerium handelt es sich beim Austritt des Sickerwassers in der Tat um eine Umweltverschmutzung. Diese gehe jedoch nicht mit einem für die menschliche Gesundheit akuten Umweltrisiko einher.

Umweltschutz vs. Wirtschaft

Warum ist bei all den seit Jahrzehnten bekannten Problemen nicht mehr passiert? Im Umweltministerium verweist man auf Nachfrage darauf, dass die Aufarbeitung einer solchen typischen Altlast „zeit- und personalintensiv“ sei. Im Kontext eines starken wirtschaftlichen Wachstums würden die Behörden mit einer steigenden Anzahl von neuen Projekten befasst, die durch die verschiedenen gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren zu schleusen seien. Jeder vergleichbare Industriestandort habe mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen.

Zudem finden die Diskussionen im ständigen Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen statt. Was ist wichtiger? Konsequenter Umweltschutz oder das noch vorhandene ökonomische Potenzial der kriselnden Luxemburger Stahlindustrie? Ähnlich wie im Falle des Joghurtproduzenten „Fage“ oder des Steinwollproduzenten „Knauf“ ist sich Blau-Rot-Grün bei dieser Grundsatzfrage offensichtlich nicht einig. Und bei politischer Uneinigkeit läuft im Zweifel alles weiter wie bisher.

Was die Beamten und andere am Dossier beteiligte Personen nur andeuten: Nicht nur die Gemeinden, sondern auch Luxemburgs Regierung scheut wohl die offene Konfrontation mit dem mächtigen Stahlriesen ArcelorMittal. Differdingen gehört zu den wenigen Standorten der Region, bei denen in den vergangenen Jahren nicht Arbeitsplätze abgebaut, sondern die Produktion weiter intensiviert wurde.

Die Bürgermeisterin von Differdingen Christiane Brassel-Rausch bringt es ihrerseits auf den Punkt: Man sei sich des Problems der Umweltbelastung natürlich bewusst und wolle hier endlich weiterkommen. Gleichzeitig dürfe man nicht vergessen: „Das alles wurde dahin geschüttet, aber ein Teil des Reichtums des Landes kommt auch daher.“