Journalismus ist kein Selbstzweck, sondern soll im besten Fall etwas bewirken. Den Finger in die Wunde legen, Missstände aufdecken, Veränderungen herbeiführen: Im vergangenen Jahr haben wir diesen Anspruch zumindest in manchen Fällen erfüllt. Ein Rückblick.

Wie misst man die Wirkung von Journalismus? Im digitalen Zeitalter werden viele Medien dazu verleitet, diese Frage mit Klicks und Reichweite zu beantworten. Bis zu einem gewissen Grad stimmt dieser Ansatz auch: Was bringt einem der beste Artikel, wenn er von keinem oder nur wenigen Lesern überhaupt beachtet wird?

Doch ein Klick kann nur der Anfang, die Voraussetzung für etwas Bedeutenderes sein. Im Idealfall soll ein journalistischer Beitrag mehr als nur wahrgenommen werden. Eine Story soll auffallen, einen Unterschied machen, ja vielleicht sogar positiven Wandel in der Gesellschaft bewirken. Das ist nicht nur der insgeheime Wunsch jedes ambitionierten Journalisten und Medienmachers. Es ist auch die Erwartung vieler Leser.

So geht es uns jedenfalls immer wieder, wenn wir mit unseren Abonnenten ins Gespräch kommen. Viele fragen dann: Was bewirkt eure Arbeit denn konkret? Deshalb haben wir uns Gedanken gemacht, wie man diese Wirkung – Medienforscher nennen es den „journalism impact“ – messen kann.

Zitate, Reaktionen, parlamentarische Anfragen

Ein erster Anhaltspunkt ist die Häufigkeit, mit der unsere Recherchen von anderen Medien zitiert und übernommen wurden. Allein im Jahr 2019 wurde Reporter.lu über 100 Mal in anderen Presseorganen mit seinen Stories zitiert. Dass eine Story eine Wirkung entfacht, die über die reine Berichterstattung hinausgeht, zeigen oft auch Reaktionen aus dem politischen Betrieb. Seit dem Launch von Reporter.lu im März 2018 bewirkten unsere Recherchen mehr als zwei Dutzend parlamentarische Anfragen sowie Debattenanstöße auf nationaler und kommunaler Ebene.

Journalismus braucht Zeit und Beharrlichkeit, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir wollen uns diesen Freiraum nehmen.“REPORTER-Manifest

Bei der folgenden Auflistung geht es denn auch weniger um Selbstlob als um die Frage: Warum machen wir das alles eigentlich? Im Rückblick können wir ohne Übertreibung sagen: Einige Stories von REPORTER haben durchaus etwas bewegt.

Der Beginn einer wahrhaftigen Affäre

Angefangen mit der sogenannten „Affäre Roberto Traversini“. Was sich zu einer dauerhaften politischen Kontroverse auf kommunaler und nationaler Ebene entwickelte, nahm seinen Anfang mit kritischen Fragen der Oppositionspartei Déi Lénk im Gemeinderat von Differdingen – und einem Artikel von REPORTER. Bereits Mitte Juli machte sich unser Journalist Laurent Schmit auf den Weg in die Südgemeinde, um einer Spur nachzugehen, die auf handfeste Interessenkonflikte des damaligen Bürgermeisters Roberto Traversini hindeutete.

In seinem Beitrag „Der Bürgermeister und sein Haus im Grünen“ erzählt Laurent Schmit die Geschichte von einem Grundstück, das Traversini von einem Balancierkünstler erbte und dann im neuen allgemeinen Bebauungsplan umklassieren lassen wollte. Bereits damals gab es Hinweise auf Verfahrensfehler, gesetzliche Grauzonen und andere Unregelmäßigkeiten in der Amtsführung des früheren Député-maire der drittgrößten luxemburgischen Stadt.

Bereits im Juli 2019 berichtete REPORTER erstmals über Roberto Traversini und „sein Haus im Grünen“. (Foto: Eric Engel)

Erst in den kommenden Wochen sollten andere Medien und die Politik sich der Problematik widmen und neue Aspekte der Story hervorbringen. Die Presse förderte immer mehr Unregelmäßigkeiten zutage, die Roberto Traversini zum Rücktritt von all seinen Ämtern veranlassten und schließlich auch Umweltministerin Carole Dieschbourg in Bedrängnis brachten.

Frank Engel zieht persönliche Konsequenzen

Ein weiteres Beispiel ist die Kontroverse um einen Aufsichtsratsposten von Frank Engel. Ende Januar 2019, kurz nach dem Parteitag zur Wahl des neuen Vorsitzenden der CSV, berichtete REPORTER über Engels Verbindungen zum globalen Militär- und Sicherheitsunternehmen „Global Strategies“. Diese waren bis dahin kaum thematisiert worden.

Der Beitrag „Frank Engel: Brisanter Nebenjob bei einem Militärunternehmen“ wurde prompt von Medien und Parteien aufgegriffen. Dabei stand vor allem die Frage im Vordergrund, ob ein politisches Mandat wie das des CSV-Präsidenten vereinbar ist mit der Tätigkeit für eine Firma, die mit Privat-Armeen in Afghanistan und im Irak Millionen verdiente.

Nach der REPORTER-Enthüllung über seine Verbindungen zur Firma „Global Strategies“ trat Frank Engel von seinem Posten im Aufsichtsrat des Militärunternehmens zurück. (Foto: Europäisches Parlament)

Frank Engel, der fast 14 Jahre lang im Aufsichtsrat der „Global Strategies“-Holding in Luxemburg saß, wehrte sich zunächst gegen jegliche Kritik. In einer ersten Reaktion bezeichnete er REPORTER als „sogenanntes Presseorgan“, das ihm nur persönlich schaden wolle und drohte ebenso, jeglichen Kontakt zu unseren Journalisten abzubrechen.

Schließlich übernahm der ehemalige Abgeordnete im Europäischen Parlament jedoch persönlich die Verantwortung und beendete sein Engagement im besagten Aufsichtsrat. Sein Verhältnis mit REPORTER hat sich auch wieder normalisiert. Man spricht sogar wieder ganz offiziell miteinander.

Kontroverse Bauprojekte in Diekirch

Ähnlich wie bei der Traversini-Affäre war es auch im Fall der Kontroverse um Bauprojekte in Diekirch: REPORTER berichtete im September als erstes Medium über die Diskussionen um eine geplante private Seniorenresidenz und die Umwandlung eines altehrwürdigen Gebäudes in eine Maison Relais.

In Wie ein Großbauprojekt für Unmut sorgt“ beschreiben unsere Journalistinnen Laurence Bervard und Michèle Zahlen den Ausgangspunkt der Kontroverse: die Frage, ob die in Diekirch von einem privaten Bauträger geplante Residenz für Senioren einen gemeinnützigen Zweck hat – und damit die Zulässigkeit der von der Gemeinde erteilten Baugenehmigung.

In einem weiteren Artikel geht es um ein zweites Bauprojekt: Das denkmalgeschützte „Pensionat Notre-Dame de Lourdes“ soll in eine Kindertagesstätte umgewandelt werden – der Zuschlag erhielt derselbe Immobilienmakler wie jener, der die Seniorenresidenz gleich nebenan baut. Warum die Gemeinde hier nach der öffentlichen Ausschreibung in der Kritik steht, wird im Artikel „Der Millionen-Deal um eine Maison Relaiserklärt.

Zwei Großprojekte, mehrere Unstimmigkeiten: REPORTER berichtete im September 2019 exklusiv über die Kontroverse um eine neue Seniorenresidenz und eine Maison Relais in Diekirch. (Foto: Matic Zorman)

Durch die Recherchen von REPORTER wurden die Bauprojekte im Gemeinderat von Diekirch neu thematisiert. Heute zeigt sich, dass bei den Ausschreibungen Formfehler begangen wurden. Mehr noch: Wegen Missachtung von Umwelt- und Denkmalschutz-Regeln schalteten sich die zuständigen Behörden ein. Beide Bauprojekte stehen mittlerweile auf der Kippe.

Luxemburger Staat um Steuern betrogen

Wussten Sie, dass der Luxemburger Staat durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte um mindestens zehn Millionen Euro betrogen wurde? Dass die Spuren des Cum-Ex-Skandals auch nach Luxemburg führen, geht auf eine exklusive Recherche von REPORTER von Anfang des Jahres zurück. In seinem ausführlichen Hintergrundbericht „Verdacht auf Steuerbetrug in Millionenhöhe“ erklärt Laurent Schmit, warum und über welche Wege einer der Drahtzieher der dubiosen Aktiendeals Luxemburger Firmen einspannte.

Ein europaweiter Skandal, dessen Spuren auch ins Großherzogtum führen: REPORTER recherchierte während mehreren Wochen über den Cum-Ex-Skandal in Luxemburg. (Foto: Eric Engel)

Erst durch diese Rechercheergebnisse befasste sich Luxemburgs Politik verstärkt mit den Auswüchsen des Skandals. Auch wenn der Luxemburger Staat in diesem Fall mutmaßlich das Opfer von Steuerbetrug war, bleibt die Frage offen, ob die Steuerverwaltung gewisse Deals vorab per „Rulings“ genehmigt hatte. Ebenso waren die Firmen des Drahtziehers Sanjay Shah nicht die einzigen Spuren zu Cum-Ex-Geschäften, die über Luxemburg liefen, wie REPORTER herausfand.

Der Schaden von Cum-Ex-Deals beläuft sich europaweit auf geschätzte 55 Milliarden Euro. Durch die Geschäfte mit dem sogenannten „Dividendenstripping“ lassen sich im großen Stil Quellensteuern von Steuerbehörden erstatten, die eigentlich nie gezahlt wurden (Was Cum-Ex-Geschäfte sind, erfahren Sie hier in unseren Fragen und Antworten zum Cum-Ex-Skandal).

Das Finanzgebaren der Piratenpartei

Ein Problemkandidat und auffällige Parteifinanzen“, lautete im vergangenen Mai ein Artikel auf Reporter.lu, der politisch hohe Wellen schlug. Der Grund dafür, waren nicht nur die parteiischen Reaktionen, die sich gleichzeitig auf einen Hintergrundbericht über die „Kehrseite des Erfolges der Piraten“ bezogen. Die politische Relevanz der exklusiven REPORTER-Recherche zeigte sich letztlich erst einige Monate später.

Die REPORTER-Recherche zu den Interna der Piraten sorgte nicht nur für viele parteipolitische Diskussionen, sondern rief auch den Gesetzgeber auf den Plan. (Foto: Matic Zorman)

Das Parlament nahm die Unregelmäßigkeiten in den Parteifinanzen der Piraten nämlich zum Anlass, um bestimmte Grauzonen der aktuellen Gesetzgebung neu zu regeln. Dass die eigenwillige Interpretation von persönlichen Werbekampagnen und Parteispenden der Piratenpartei dafür ein Auslöser waren, bestätigten mehrere Abgeordnete im Laufe der Diskussionen über die rezente Reform.

Debatte um staatliche Filmförderung

Das Audit beim „Film Fund Luxembourg“ sorgte Ende dieses Jahres für eine weitere kleine Kontroverse im politischen Betrieb. In mehreren Beiträgen beschäftigte sich RTL Télé ausführlich mit den zum Teil belegten Missständen im System der staatlichen Filmförderung. Bereits ein Jahr zuvor hatte REPORTER erstmals über die Ergebnisse des Audits beim „Film Fund“ berichtet.

Viele Monate vor dem Audit und der kritischen Betrachtung der staatlichen Filmförderung in anderen Medien hatte sich REPORTER bereits ausführlich mit dem „Finanzgebaren des Film Fund“ beschäftigt. (Foto: Eric Engel)

Noch früher, genauer gesagt im September 2018, hatte REPORTER bereits im Detail die Zahlen und Geschäftsmodelle der Luxemburger Filmbranche analysiert. In der umfangreichen Recherche  „Das Finanzgebaren des Film Fund“ hatten wir bereits viele problematische Punkte angesprochen, mit denen sich die Politik erst mit über einem Jahr Verspätung im Parlament beschäftigte. Diese kritische Debatte dürfte indes noch nicht vorüber sein.

Teil einer europaweiten Recherche

Neben den bisher genannten Recherchen, die aus dem journalistischen Alltag herausragen, hatten wir in diesem Jahr zudem die Möglichkeit an einer noch größeren Recherche teilzunehmen. Erstmals war mit REPORTER bei „Grand Theft Europe“ ein luxemburgisches Medium an einer systematischen internationalen Kooperation von Journalisten beteiligt. Das deutsche Recherchezentrum Correctiv leitete das Projekt.

An „Grand Theft Europe“ arbeiteten insgesamt 63 Journalisten aus 30 Ländern mit – darunter Laurent Schmit für REPORTER. Es ging dabei um den größten Steuerraub Europas, der von kriminellen Netzwerken mithilfe von sogenannten Mehrwertsteuer-Karussellen betrieben wird.

„Grand Theft Europe“ und die Sache mit dem „Karussell-Betrug“: Im Jahr 2019 war REPORTER erstmals bei einer internationalen journalistischen Recherche mit von der Partie. (Foto: Correctiv.org)

In Luxemburg äußerte sich dieser Betrug im ganz großen Stil unter anderem im Handel mit CO2-Zertifikaten und im Strommarkt, wie Laurent Schmit in seiner Recherche zu „Kriminelle Energie aufzeigte. Alle Facetten dieser Zusammenarbeit finden Sie zudem in unserem Dossier zu „Grand Theft Europe“.

Etienne Schneider: vom Wahlkampf zum Rücktritt

Ein sehr rezentes Beispiel, das die Wirkung unserer journalistischen Arbeit verdeutlicht, ist der angekündigte Rücktritt von Vizepremier Etienne Schneider. Dass Schneider sich bald aus der Regierung zurückziehen will, war im politischen und medialen Betrieb schon lange ein offenes Geheimnis. Darüber hatte unter anderem das „Lëtzebuerger Land“ schon im vergangenen Oktober berichtet.

Danach blieb es jedoch wochenlang bei der abstrakten Ankündigung des Vizepremiers, den manche Medien schon als „lame duck“ bezeichneten. Erst infolge eines Berichts auf Reporter.lu beschleunigte sich die Sache. Partei- und regierungsintern wurde Etienne Schneider zu einer raschen Entscheidung gedrängt.

Fünf Tage später kündigte Schneider auf einer Pressekonferenz seinen definitiven Abgang aus der Politik an und bestätigte den Kern des REPORTER-Berichts, wonach er an einem Wechsel in den Verwaltungsrat von ArcelorMittal interessiert sei.

Ein Abschied auf Raten: REPORTER berichtete Ende Dezember über die Karrierepläne des scheidenden Vizepremiers Etienne Schneider. (Foto: Europäische Union)

Schon zuvor war Etienne Schneider mehrmals wichtiger Protagonist in unseren Stories. Im Wahlkampf 2018 hatte REPORTER etwa exklusiv über Schneiders Falschinformation im Zusammenhang mit angeblichen Steuerzahlungen des Molkereikonzerns „Fage“ berichtet. Ebenso hatte REPORTER zuerst die später bestätigte Information über eine Fehlinvestition bei Schneiders „Space Resources“-Programm gemeldet.


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