Die Steuerbetrüger spielen Katz und Maus mit den Behörden, auch in Luxemburg. Erst waren sie im CO2-Handel tätig, dann im Strommarkt. So erbeuteten sie Millionen Euro. Fehlende Kontrollen, Briefkastenfirmen und leichtgläubige Banken – darunter die BIL – machten es möglich.
Montag, 8. Juni 2009: Die Pariser Börse Bluenext schließt unerwartet. Der Grund sickert nur langsam durch: Die CO2-Zertifikate, die an der Börse gehandelt wurden, dienten einem Mehrwertsteuerbetrug in gigantischem Ausmaß. Die französische Regierung schaffte kurzerhand die „TVA“ auf den Emissionsrechten ab, am 10. Juni öffnete Bluenext wieder und es passierte … nichts.
Der Handel mit CO2-Zertifikaten stand quasi still. Der Grund: Für einen Großteil der Beteiligten war Sinn und Zweck des Handels der sogenannte „Karussellbetrug“. Ohne Mehrwertsteuer ist ein solcher Betrug nicht möglich. Experten gehen davon aus, dass in der Hochphase 80 Prozent der Transaktionen einen verbrecherischen Hintergrund hatten.
Das Prinzip: Eine organisierte Gruppe gründet in mehreren Ländern Unternehmen, die in einer Kette miteinander handeln. Eine der Scheinfirmen gibt zwar die Mehrwertsteuer auf ihrer Rechnung an, zahlt sie aber nicht an den Staat und verschwindet nach wenigen Monaten. Eine weitere fordert die vorgeblich gezahlte Steuer vom Staat zurück – das ist die Beute der Betrüger. Jahr für Jahr stehlen sie mit dieser Masche den EU-Ländern mindestens 50 Milliarden Euro.
Der CO2-Betrug kostete bis zu zehn Milliarden Euro
Grand Theft Europe ist eine europäische Recherche, koordiniert durch das Recherchezentrum CORRECTIV. Bisher nicht öffentliche Dokumente und die Zusammenarbeit von 63 Journalisten machen die Rolle Luxemburgs in Netzwerken deutlich, die Europa umspannen. Es ist die Geschichte, wie Menschen mit krimineller Energie Briefkastenfirmen und staatliche Registrierungsstellen hierzulande nutzten, um andere Länder um Hunderte Millionen Euro zu bringen.
Wie der größte Steuerraub Europas zustande kam, zeigt sich in Luxemburg anhand vom Betrug mit CO2-Zertifikaten. Das Interesse der Kriminellen am französischen Emissionshandel schwand von einem Tag auf den anderen. Die Betrüger zogen weiter und bauten außerhalb Frankreichs neue Karusselle auf – auch in Luxemburg. Am Ende stand ein europaweiter Schaden, den Europol auf fünf Milliarden Euro schätzte, laut Experten aber eher acht bis zehn Milliarden erreichte.
Die neuen Köpfe der Hydra
Doch der Karussellbetrug ist wie eine Hydra: Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei andere nach. Die Produkte wandelten sich: Nachdem die Regierungen die CO2-Karusselle stoppten, wiederholten mehrere kriminelle Vereinigungen den gleichen Betrug auf dem Strommarkt. Laut Informationen von CORRECTIV und ZDF überwacht Europol seit Kurzem den Handel mit Ökostromzertifikaten.
An den Adressen waren nur Briefkästen und ans Telefon ging nie jemand.“Ein Luxemburger Trader
Luxemburg wurde zum Tummelplatz einer besonderen Art von Wirtschaftskriminellen. Im Juni 2009 wurde öffentlich, dass auch CO2-Emissionsrechte für Karussellbetrug genutzt wurden. Die Niederlande und Großbritannien brachten sich schnell in Sicherheit und änderten noch im Sommer 2009 wie Frankreich die Besteuerung von CO2-Zertifikaten. Doch erst im März 2010 einigten sich die EU-Finanzminister auf eine gemeinsame Lösung. Deutschland und Luxemburg brauchten bis Juli, bevor die nationalen Gesetze in Kraft traten, die den Betrug unterbanden. Organisierte Banden nutzten diese Verzögerung gnadenlos aus.
Das Wichtigste zu Luxemburgs Rolle im „Karussellbetrug“
- Seit rund 25 Jahren nutzen Kriminelle die europäischen Steuersysteme aus, um sich zu bereichern. Durch den sogenannten „Karussellbetrug“ werden Steuerbehörden im großen Stil ausgetrickst. Diese erstatten den Betrügern Mehrwertsteuer-Beträge, die nie gezahlt wurden.
- In Luxemburg zeigt sich das Schema zum Beispiel anhand des Handels mit CO2-Zertifikaten. Erst mit Verzögerung setzte die luxemburgische Regierung 2010 eine Reform der Besteuerung von CO2-Emissionsrechten um.
- Mehrere luxemburgische Scheinfirmen tauchen im Geflecht des „Karussellbetrugs“ auf. Ebenso bestehen mehrere Verbindungen von Drahtziehern des massiven Steuerraubs in der EU in das Großherzogtum.
- In einem Fall war laut Recherchen von REPORTER die „Banque internationale à Luxembourg“ (ehemals Dexia-BIL) der Endabnehmer einer solchen Lieferkette mit dem Zweck des TVA-Betrugs. Andere Banken wie die Deutsche Bank spielten eine zentrale Rolle im Handel zwischen dubiosen Firmen.
- Als die Gesetzeslücken für den Handel mit CO2-Zertifikaten geschlossen wurden, verlagerten sich die Karussell-Strukturen auf den Strommarkt, jüngst insbesondere auf den Handel mit Herkunftsnachweisen für erneuerbare Energien. Die Steuerbetrüger gehen hier – zum Teil bis heute – nach dem gleichen Muster vor.
Finanzministerium: „Ein einziger Fall“
In Luxemburg wurden die kriminellen Machenschaften bisher kaum thematisiert. Im damaligen Gesetzesprojekt findet sich im Nebensatz die Aussage, dass die Regierung beschlossen habe, die Besteuerung zu ändern, nachdem es „einen Betrugsfall“ gegeben habe. Das Parlament beschloss das Gesetz ohne Debatte.
Erst im März 2014 nahm Finanzminister Pierre Gramegna Stellung zu den Vorkommnissen aus der Amtszeit seines Vorgängers Luc Frieden. Anlass war ein kritischer Bericht des Rechnungshofs, der die CSV zum Nachfragen anregte. Es habe einen einzigen Fall gegeben, antwortete Gramegna. Doch aufgrund des raschen Eingreifens der Anti-Betrugs-Abteilung des „Enregistrement“ sei kein Schaden für den Luxemburger Staat entstanden.
Die Luxemburger Aufarbeitung des Problems war wie üblich: Weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Was in Gramegnas Version fehlte, waren die zahlreichen Nachlässigkeiten von staatlichen Stellen, Finanzdienstleistern und selbst einer gutgläubigen Bank. Die Betrüger hatten in Luxemburg leichtes Spiel.
Betrüger bauen Firmenkette auf
Im Sommer 2009 tauchten die zwielichtigen CO2-Händler in Luxemburg auf. Ein hiesiger Trader stellte fest, dass die neuen Akteure jedoch physisch abwesend waren. „An den Adressen waren nur Briefkästen und ans Telefon ging nie jemand“, erzählt er REPORTER von seinen Versuchen, neue Geschäftspartner zu finden.
Auf dem Papier gab es eine rege Aktivität. Ende August wird der Pakistaner Sikander Imran Geschäftsführer von „Pro Consul SA“. Für die Firma eröffnete er ein Konto im dänischen Emissionsregister. Dort taucht er mit zwei weiteren Konten auf: für eine niederländische und eine deutsche Gesellschaft, beide mit dem Namen „Wind Waves“.
„Pro Consul“ handelte den Gesellschaftsstatuten zufolge mit Antiquitäten, doch im Oktober 2009 sind es in großem Stil CO2-Zertifikate. Zulieferer war die ungarische Firma „Clean Power Solutions“, die ein ehemaliger Boxer (Kampfname „Psycho“) leitete. Die wiederum kaufte die Emissionsrechte bei der französischen Firma „Planet Business SAS“ sowie der schweizerischen „Jetivia“. Alle drei waren laut den Ermittlungen der deutschen Justiz Teil von betrügerischen Steuerkarussellen.
Innerhalb einer Woche kaufte und verkaufte „Pro Consul“ knapp 190.000 CO2-Zertifikate. Von den ersten Gliedern der Ketten bis zur Luxemburger Gesellschaft wechselten die Emissionsrechte den Besitzer im Minutentakt.
Die BIL als leichtgläubiger Käufer
Die Lieferkette fand einen erstaunlichen Endabnehmer: die „Banque internationale à Luxembourg“, damals unter dem Namen Dexia-BIL. Die Bank kaufte die Emissionsrechte von einer Briefkastenfirma, Ento Sàrl. „Clean Power Solutions“ und „Pro Consul“ waren die einzigen Zulieferer von Ento.
Die BIL war dagegen alleinige Abnehmerin der Firma, die bis dahin absolut keine Erfahrung mit solchen Geschäfte hatte. Die Bank kaufte innerhalb einer Woche knapp 240.000 CO2-Zertifikate bei Ento, zeigen die öffentlichen Daten des EU-Registers. Die Zertifikate wanderten den gleichen Weg von Scheinfirma zu Scheinfirma bis sie innerhalb nur einer Stunde bei der BIL landeten (siehe Animation).
Zum Vergleich: Diese Menge entspricht den Emissionen, die bei der Produktion von über 100.000 Tonnen Stahl entsteht. 2009 hatte der Kauf der BIL einen Marktwert zwischen 2,4 und 3,6 Millionen Euro. Die Bank verkaufte die Rechte weiter an den damals belgischen Teil der Dexia-Gruppe, heute Belfius.
Eine Briefkastenfirma ohne Erfahrung
Die BIL führte demnach ein millionenschweres Geschäft mit einem Unternehmen durch, dessen britischer Geschäftsführer und britischer Teilhaber keine Erfahrung im Emissionshandel hatten. Die Bank ließ im Oktober keine Vorsicht walten, obwohl seit Juni 2009 bekannt war, dass Betrüger in dieser Branche allgegenwärtig waren. Selbst offensichtliche Warnsignale wurden ignoriert: Das „objet social“ von Ento sàrl, das im Handelsregister hinterlegt ist, verwies erst im März 2010 auf den Handel mit Energiezertifikaten – vier Monate nach den Transaktionen mit der BIL.
Auf Nachfrage von REPORTER schweigt die BIL zu diesen Geschäften. Die Bank könne öffentlich keine Informationen über Personen oder Firmen verbreiten, ob sie nun Kunden seien oder nicht oder möglicherweise gewesen seien, antwortete ein Sprecher schriftlich. Man halte sich an strenge Auflagen. Ein klares Nein gibt es auf eine weitere Frage: Die Rückstellung von knapp drei Millionen Euro wegen Steuerstreitfällen, die im Jahresbericht 2009 der BIL vermerkt ist, habe nichts mit dem genannten Fall zu tun.
Warum die BIL am Emissionshandel interessiert war und diesen im April 2010 abrupt einstellte, bleibt unklar. Es habe sich nie um eine strategische Aktivität gehandelt, so der Sprecher der Bank.

Die Banken als zentraler Spieler
Die BIL befindet sich allerdings in guter Gesellschaft: Die Deutsche Bank ist weiterhin Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt, meldete „Der Spiegel“. Die Großbank musste über 300 Millionen Euro abschreiben, weil sie mit dubiosen Firmen handelte. Die belgische BNP Paribas Fortis kostete der Kauf von CO2-Zertifikaten aus einer Betrugskette über 70 Millionen Euro, berichtete „De Tijd“.
Der Deutschen Bank ging es laut den Ermittlern um höhere Margen. Die Steuerbetrüger verkauften die Emissionsrechte leicht unter Marktpreis – ihre Beute holten sie aus der Staatskasse. Die Bank konnte dagegen die Zertifikate mit einer hohen Gewinnspanne weiter verkaufen. Mehrere Manager der Deutschen Bank mussten sich bereits vor Gericht verantworten.
Kenne deinen Kunden – oder auch nicht
Manche Banken schauten nicht so genau hin, mit wem sie eigentlich handelten. Dabei sind KYC-Prozesse („know your customer“ – kenne deinen Kunden) in der Branche Standard – gerade beim Handel mit Finanzprodukten. Die Deutsche Bank machte den Karussellbetrug in Deutschland möglich, weil sie sich als Abnehmer zur Verfügung stellte.
Es waren aber auch die nationalen Emissionshandelsstellen, die viele dubiose Firmen überhaupt erst zum Betrug befähigten. Um überhaupt CO2-Zertifikaten kaufen und verkaufen zu können, bedarf es einer Eintragung in zumindest ein nationales Register. Das war teils verblüffend einfach: Um ein Konto im dänischen Register zu erhalten, brauchte es nur eine E-Mail-Adresse. Es war ein Eldorado für Kriminelle. Als die dänische Regierung im Dezember 2009 aufräumte, blieben von 1.200 Konten nur noch 240 übrig.
In Luxemburg sah es nicht viel besser aus. 2010 habe es eine Welle von verdächtigen Anfragen gegeben, um ein Konto im nationalen Emissionshandelsregister zu eröffnen, erklärte die Umweltverwaltung damals in ihrem Jahresbericht. Die Aufnahme neuer Mitglieder wurde im Mai 2010 kurzfristig suspendiert. Da waren allerdings längst Betrüger durch das Netz gefallen.
Der Drahtzieher aus Dubai
Nachdem die Party in Frankreich endete, ging es auch in Luxemburg sehr schnell – besonders bei jenen Netzwerken, die bereits hierzulande präsent waren. Ein Beispiel sind die türkischstämmigen Yilmaz-Brüder, die zeitweise in Luxemburg wohnten.
2004 gründen sie die Holding „ABL“, das Kapital stammt von drei Gesellschaften auf den Britischen Jungferninseln. Mit dieser Firma gründeten die drei Brüder das Unternehmen „Innovative Energy France“ (IEF). Die Firma mit Sitz in Metz startete furios: Zwischen März und Juni 2009 handelte sie mit CO2-Zertifikaten in Höhe von über zwölf Millionen Euro und erwirtschaftete verdächtig hohe Margen.

Besonders interessant ist aber der zweite Teilhaber, der neben ABL 51 Prozent der IEF hielt: die Innovative Energy Group. Geleitet wird dieser Konzern von dem in Dubai ansässigen Geschäftsmann Muhammed Rafique. Zu dieser Zeit gab er sich auf Fachmessen gerne als Kenner des Emissionshandels aus. Und in einem besonderen Sinne stimmte das: Laut Ermittlungsakten der deutschen Justiz war Rafique der Drahtzieher mehrer CO2-Karusselle in Deutschland und der Schweiz. Er kontrollierte Jetivia und Planet, die in die Kette vor der bereits erwähnten „Pro Consul“ geschaltet waren. Auch „Pro Consul“ kann seinem Dunstkreis zugerechnet werden.
Eine offene Tür in Luxemburg
Im Juli 2009 begannen die Gebrüder Yilmaz eine weiter Luxemburger Firma in die Lieferketten einzubringen. Sie änderten den Unternehmensgegenstand von „Plus 352 SA“. Und ihre Firma eröffnete ein Konto im Luxemburger Emissionshandelsregister, das allerdings nie aktiv war.
Auch der Belgier Cédric G., der den deutschen Staat mit einem CO2-Karussell um elf Millionen Euro brachte, hatte ein Konto im Luxemburger Register. Er befand sich in Gesellschaft mit einem „Missing Trader“ aus Belgien, einer slowakischen Firma, die in Betrugsketten eingebunden war, sowie einem deutschen Unternehmen mit der gleichen Adresse wie ein Händler, der wegen Teilnahme an einem Karussell mit mehreren Jahren Haft bestraft wurde.
Die Ermittler des Luxemburger „Service Anti-Fraude“ schauten sich bereits 2009 die hierzulande registrierten Händler an. „Ich hatte die Beamten sehr früh 2009 in meinem Büro stehen“, erzählt ein früherer Trader im Gespräch mit REPORTER. Es war dieses schnelle Eingreifen des für Mehrwertsteuer zuständigen „Enregistrement“, das Schlimmeres in Luxemburg verhinderte.
Das gleiche Spiel, diesmal mit Strom
Europaweit unterbanden die Behörden nach und nach den Steuerbetrug mit CO2-Zertifikaten. Doch die „Masterminds“ hatten längst ein neues Betätigungsfeld gefunden: den Strom- und Gasmarkt. Bereits im Dezember 2010 warnte Europol, dass kriminelle Organisationen versuchten, diese Branchen zu infiltrieren.
Doch aus dem milliardenschweren Betrug mit CO2-Zertifikaten wurde wenig gelernt – etwa was den Marktzugang betrifft. Zwielichtige Firmen erhielten im Handumdrehen den für den Handel notwendigen „Energy Identification Code“, kurz EIC. Eine solche Kennung ist im gesamten europäischen Strommarkt gültig, egal in welchen Land der Code beantragt wurde. Kriminelle Vereinigungen nutzten dies aus und registrierten sich dort, wo es am einfachsten war – unter anderem in Luxemburg.
Firmen aus dem CO2-Schwindel werden wiederverwertet
Die Betrüger machten sich nicht einmal die Mühe, neue Firmen zu gründen. In der Liste der in Luxemburg registrierten Stromhändler – Stand November 2011 – finden sich mehrere Namen, die später in italienischen Ermittlungsakten auftauchten.
„La Fontanella“ mit Adresse in Rom hatte ein Konto im Emissionshandelsregister Liechtensteins, wie mehrere betrügerische Firmen. Das Unternehmen war über dieses Konto in ein CO2-Karussell in Italien verwickelt.
Zwei weitere Firmen standen in Verbindung mit dem Franzosen Claude Bauduin. Dieser wurde Ende 2011 in Frankfurt zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er an einem Steuerbetrug mit Emissionsrechten beteiligt war, der den deutschen Staat knapp zehn Millionen Euro kostete. Doch auch in Italien ermittelten die Behörden gegen ihn. Er soll dort ebenfalls ein Karussell aufgebaut haben. Das dabei erbeutete Geld floss über die Bankkonten der Firmen „FDM Corporation“ in Zypern und „Greville UK“ in Großbritannien. Beide erhielten in Luxemburg einen EIC-Code für den Stromhandel, obwohl es ganz offensichtlich Briefkastenfirmen waren.
Im Dunstkreis des Drahtziehers Yannick Dacheville
Diese Firmen haben eine Verbindung zu einem anderen bedeutenden Zweig der organisierten Kriminalität, dem Drogenhandel. Claude Bauduin agierte in Deutschland und in Italien als Strohmann von Yannick Dacheville. Auch in Belgien und Spanien soll er mit CO2 das Karussell gedreht haben, schreibt die Journalistin Aline Robert in ihrem Buch „Carbone Connexion“. Der Drahtzieher ist damals Mitte Dreißig, war aber bereits in Frankreich wegen der Beteiligung an Drogenhandel verurteilt worden.
In der alphabetisch geordneten Luxemburger EIC-Liste stehen FDM und Greville zwischen den Firmen „Eurocorp Trading“, Getrol Belgien und Getrol Rumänien. Doch sie haben eines gemeinsam: Sie alle waren im Einflussbereich des französischen „Mastermind“ Yannick Dacheville.

Dass Dacheville in die Betrugsfälle in Deutschland verwickelt war, gab sein Anwalt gegenüber dem „Journal du Dimanche“ zu. Gesucht wird Dacheville von der französischen Justiz jedoch wegen des Fundes von 111 Kilogramm Kokain in der Wohnung einer saudischen Prinzessin in einem Vorort von Paris. Ein Gericht verurteilte ihn 2016 in Abwesenheit zu 12 Jahren Haft. Er soll auch den Polizeikommissar Michel Neyret über Mittelsmänner korrumpiert haben. Beides stritt er im Interview mit „Le Nouvel Observateur“ im Dezember ab.
Doch die Verbrechen hängen zusammen, schreibt Aline Robert: Ohne das Geld aus dem Kokainhandel hätte Dachville den Betrug mit CO2-Zertifikaten nicht finanzieren können. Ohne die Millionen aus dem Steuerbetrug, hätte er sich wohl nicht in den Import von über 100 Kilo Drogen gestürzt, so die Journalistin.
„Always on the run“
Die Recherche „Grand Theft Europe“ hat ergeben, dass Dacheville unter dem Decknamen Guillaume Pernot 2010 einen Karrusselbetrug im Stromhandel orchestrierte. Er nutzte dazu die Pariser Firma Eurocorp Trading und die beiden Getrol-Gesellschaften, die der Belgier Guy H. kontrollierte.
Dass sich Dacheville gerade Luxemburg aussuchte, um Zugang zum Strommarkt zu erhalten, ist wenig überraschend, wenn man sich seine engsten Vertrauten anschaut. Zusammen mit Dacheville war es der deutsche Geschäftsmann Rainer Matthias F., der den Strohmann Claude Bauduin dirigierte und sicherstellte, dass das Karussell in Deutschland drehte. F. erscheint ebenfalls neben Dacheville als Manager der „Fundacion EGL“ – einer der zahlreichen Offshoregesellschaften des Franzosen.
F. wohnte zeitweise hierzulande und verwaltet seine Immobilien mit einer Luxemburger Gesellschaft. Allerdings konnte die deutsche Justiz seiner nie habhaft werden. Nicht ohne Ironie nennt er auf Twitter als Aufenthaltsort: „always on the run“. Dacheville sitzt in Dubai fest, außer Reichweite der französischen Justiz.
Klaffende Regulierungslücken
Doch wie kam es, dass eine organisierte Gruppe von Betrügern Strom mit der Luxemburger Kennung handelte? Wie konnte es passieren, dass die dafür zuständige Creos EIC-Codes an Briefkastenfirmen ohne Erfahrung im Strommarkt vergab?
„Es war anfangs nicht an alles gedacht worden“, lautet die simple Antwort von Richard Johanns, Head of Grid Data Management bei Creos. Die für den Strommarkt verantwortliche Regulierungsbehörde ILR wird zwar über die bestehenden EIC-Codes informiert, doch kontrolliert sie nicht. Dafür sei man nicht zuständig, heißt es auf Nachfrage.

Erst nach Betrugsfällen vor etwa fünf Jahren wurde der ganze Prozess europaweit überdacht, wie Firmen Zugang zum Strommarkt erhalten. Heute sind die Kontrollen deutlich strenger. Doch das System hat weiterhin Schwächen. Creos organisiert als Netzbetreiber die Stromlieferungen in Luxemburg, ist aber ein privates Unternehmen. Zwar habe man die EIC-Liste nach den Betrugsfällen „aufgeräumt“, so Johanns. Doch er sei nicht befugt, ein Unternehmen aus der Liste zu löschen, betont der Creos-Manager.
Das ist ein Problem. Denn in der aktuellen, offiziellen Liste steht die Schweizer Firma „Energy Trading & Commodities“ mit Luxemburger Kennung. Der Clou: Ab 2014 war Yann B. Manager dieser Firma. Er leitete im Auftrag von Dacheville das Alltagsgeschäft von Eurocorp Trading im Strom-Karussell. Vor der Finanzkrise verdiente er Millionen mit seinem Hedgefonds, den er über eine Holding in Luxemburg verwaltete. Doch nachdem die US-Immobilienblase platzte, verlor B. sein Vermögen und wurde zum Helfer im Karussellbetrug.
Zombie-Firmen im Strommarkt
Ein weiterer Clou der aktuellen Luxemburger EIC-Liste: „Energy Trading & Commodities“ wurde im Oktober 2017 aus dem Schweizer Handelsregister gestrichen. Auch „Global Energy Trading“ hat für ihre Schweizer Filiale einen EIC-Code aus Luxemburg. Obwohl die Luxemburger Gesellschaft bereits 2011 aufgelöst wurde.
In der ganzen EU wird der Schaden der ersten sechs Monaten auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt, was besser ist als erwartet.“Ein Sprecher der belgischen Steuerbehörde
Luxemburg ist bei den EIC-Codes kein Einzelfall. Recherchen des Projekts „Grand Theft Europe“ zeigen, dass europaweit Tausende Firmen weiterhin zum Strom- und Gasmarkt zugelassen sind, obwohl sie keine gültige Mehrwertsteuernummer haben. Ehrlichen Firmen wird es damit sehr schwer gemacht, zu erkennen, ob ihre Geschäftspartner möglicherweise Teil einer Betrugskette sind.
Heiß begehrt: Ökostrom-Zertifikate
Die Profis unter den Karussellbetrügern sind längst weitergezogen. Ihr aktuelles Ziel: der Handel mit Herkunftsnachweisen von erneuerbarem Strom (sogenannte „guarantees of origin“ – GOO). Wie CO2-Zertifikate lassen sie sich zum Mehrwertsteuerbetrug nutzen. Und dass Kriminelle dies gerade versuchen, ist der Verdacht der Behörden. Mehrere Länder haben deshalb zusammen mit Europol eine Taskforce gegründet, erfuhren Correctiv und ZDF.
Seit Beginn des Jahres erhalten Energieunternehmen, die mit Ökostrom-Zertifikaten handeln, seltsame Anfragen, bestätigt der Direktor des Ökostromverbands RECS International, Adam White, REPORTER. Ungefragt werden sie von Firmen kontaktiert, die sich gerade in den Handel mit Ökostrom lancieren.
Laut einem Luxemburger Ermittler ist die Masche mit den GOO gerade in einer heißen Phase. Genau wie beim CO2 oder Strom braucht es zum Handel mit Herkunftsnachweisen ebenfalls eine Eintragung in ein Register. In Norwegen gab es innerhalb von Monaten 30 Anfragen dubioser Unternehmen, um Mitglied im dortigen Register zu werden, meldete „Aftenposten“.
Die Hydra ist nicht besiegt
Die luxemburgische Liste enthält bisher Unternehmen wie Enovos und Co, aber keine Briefkastenfirmen. Bevor eine Firma ins Register aufgenommen wird, stehen nun strenge Kontrollen. In Luxemburg ist in diesem Fall das ILR zuständig. Die Prozeduren seien robust, glaubt Adam White. Das scheint sich auszuzahlen: Die Betrüger müssen vorest draußen bleiben.
Auffällig wurde hierzulande noch niemand, da sind sich die zuständigen Behörden einig. Doch die Zeichen mehren sich, dass es manche anderswo geschafft haben. In Belgien gibt es zwar einen Betrugsfall, doch es geht nur um etwas mehr als 20.000 Euro, sagt die Steuerbehörde des Nachbarlandes. „In der ganzen EU wird der Schaden der ersten sechs Monaten auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt, was besser ist als erwartet“, so der Sprecher der Behörde. Tatsächlich ist die Summe bescheiden angesichts des jährlichen Schadens von 50 Milliarden Euro durch den europaweiten Mehrwertsteuerbetrug.
„Die Sache läuft nicht so, wie es die Kriminellen sich vorstellten“, meint einer der involvierten Ermittler. Doch auch wenn dieser Kopf der Hydra nicht so recht wachsen will, die kriminelle Energie bleibt.
Das Projekt Grand Theft Europe
Für das Rechercheprojekt Grand Theft Europe hat sich REPORTER mit 35 vom Recherchezentrum CORRECTIV koordinierten Medienpartnern aus ganz Europa vernetzt. Gemeinsam hat das Netzwerk Umsatzsteuerkarusselle durchleuchtet, den größten laufenden Steuerbetrug in der EU. Die Recherche hat zu zahlreichen Artikeln, einem Podcast und mehreren TV-Dokumentationen geführt. Beteiligt waren unter anderem ZDF und CORRECTIV aus Deutschland, „Libération“ aus Frankreich, „De Tijd“ aus Belgien und „Republik“ aus der Schweiz.
Das ZDF zeigt die Dokumentation „Der große Betrug: Wie Kriminelle und Terroristen Europa plündern“ am Dienstag, 7. Mai 2019 um 21 Uhr.
Mehr zum Projekt: www.grand-theft-europe.com
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