Mit seinem Rücktritt als Differdinger Bürgermeister reagierte Roberto Traversini auf Ermittlungen der Justiz gegen ihn. Aus einem anfänglichen Interessenkonflikt wurde über den Sommer eine lange Liste an möglichen Gesetzesverstößen. Die Geschichte eines Scheiterns.

#Gaardenhaischen: Ein „député-maire“ steht im hohen Gras vor seiner Gartenlaube, umkreist von Mikros, Kameras und Journalisten. Es ist der Moment, an dem Roberto Traversini die Affäre um sein Haus im Grünen hinter sich lassen will. Zwei Mea culpa und die Ankündigung, kürzertreten zu wollen, sollen reichen. Doch der politische Schaden, der am Vormittag im Gemeinderat deutlich wurde, ließ sich nicht mehr kitten. Zu zahlreich waren die Widersprüche, zu zahlreich die möglicherweise strafrechtlichen Verstöße.

„Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass ich mit Wirkung am Montag von meinem Amt als Bürgermeister der Stadt Differdingen zurücktrete“, sagte Roberto Traversini auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz zwei Tage später. „Es war keine einfache Entscheidung“, betonte er mit brechender Stimme. Aber Politiker müssten eine Vorbildfunktion ausüben und er ziehe damit die politische Konsequenz aus den Vorwürfen, die seine Amtsführung betreffen würden. „Mit diesem Schritt will ich dazu beitragen, dass wieder Ruhe in die Gemeinde kommt“, betonte er.

Es ist ein tiefer Fall für einen Politiker, der noch 2017 einen Triumph in seiner Gemeinde feierte. Déi Gréng verdoppelten fast ihre Mandate und distanzierten die anderen Parteien um Längen. Es war ein Erdrutschsieg, der Höhepunkt seiner Karriere.

Verschleierung als erste Taktik

Eine andere Wahl als der Rücktritt blieb Roberto Traversini allerdings nicht. Der Koalitionspartner CSV äußerte Unmut. Und am Mittwoch begann die Staatsanwaltschaft Luxemburg mit Ermittlungen wegen Veruntreuung, illegaler Vorteilnahme und Verstoß gegen das Landesplanungsgesetz. Hausdurchsuchungen wurden am Freitag im Gemeindehaus sowie bei der Beschäftigungsinitiative Cigl durchgeführt, teilte die Justiz am Freitag mit. Der Untersuchungsrichter ermittle „à charge et à décharge“, heißt es in der Pressemitteilung.

Am Freitag war der Höhepunkt eines Skandals, der in Differdingen seit Wochen schwelte. Der Ursprung des politischen Sturms lässt sich genau datieren. Am 17. Juli konfrontiert Rat Gary Diderich (Déi Lénk) den Bürgermeister mit mehreren Fragen zu dessen Haus an 15a, route de Pétange. Es ging um Arbeiten an dieser Adresse und die geplante Umwidmung des Gebäudes durch den neuen allgemeinen Bebauungsplan (PAG). Obwohl sie dieses wichtige Planungsdokument in der vorigen Sitzung genehmigt hatte, wusste die Mehrheit der Gemeinderäte nicht, dass Roberto Traversini dieses Grundstück in Niederkorn Anfang 2019 geerbt hatte. Das bestätigten sowohl François Meisch (DP) und Aly Ruckert (KPL).

Wer alles selbst in der Hand halten will und das Gefühl hat, über den Dingen zu stehen, der macht Fehler.“LSAP-Rat Serge Goffinet

Doch anstatt transparent auf die sachlichen Fragen einzugehen, beschloss Roberto Traversini eigenmächtig, dass die Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit weitergehen solle. Zum einen verstieß dieses Vorgehen gegen das Gemeindegesetz. Zum anderen beschimpfte der Bürgermeister dann laut anwesenden Gemeinderäten den Fragesteller Gary Diderich. Und schließlich behauptete er im Besitz aller Genehmigungen zu sein. Das sagte er auch später dem „Tageblatt“. Das stimmte aber nachweislich nicht.

Das Argument der Ignoranz

Der Opposition in Differdingen stieß dieses Verhalten des Bürgermeisters bitter auf. Es wurde offensichtlich, dass der Schöffenrat es an Transparenz fehlen ließ. REPORTER berichtete am 25. Juli als erstes Medium über das „Haus im Grünen“ von Roberto Traversini, das im Zentrum des ganzen Skandals steht. Der grüne „député-maire“ spielte damals seinen Interessenkonflikt herunter, er habe die Umklassierung nicht gewollt. Die Opposition habe es auf ihn persönlich abgesehen.

Doch am vergangenen Mittwoch kündigte er dann an, dass die gesamte PAG-Prozedur neu aufgerollt werden müsse. Es drohe ansonsten ein langwieriger Gerichtsprozess. Doch das hat ernste Folgen: Es wird mindestens drei Monate länger dauern, bis Differdingen einen neuen Bebauungsplan bekommt. Alle Bürger, die Beschwerden eingereicht haben, müssen dies voraussichtlich nochmals tun.

In den Sommermonaten sammelten Déi Lénk und DP zusätzliche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten rund um Traversinis Haus in Niederkorn. Schnell rückte ein weiterer Aspekt in den Vordergrund. Der Bürgermeister hatte Arbeiten am Haus und der zugehörigen Gartenlaube durchführen lassen – ohne jegliche Genehmigung, weder von der Gemeinde noch vom Umweltministerium. Das Innenministerium hat diesen möglicherweise strafrechtlichen Verstoß inzwischen an die Staatsanwaltschaft gemeldet, berichtet „Radio 100,7“. Der Schöffe und mögliche Nachfolger von Traversini als Bürgermeister, Georges Liesch, sagte dagegen am Mittwoch das Gegenteil: Es hätte keine kommunale Genehmigung gebraucht.

Er habe nicht gewusst, dass das Gartenhaus in einer Naturschutzzone liege und er deshalb eine Bewilligung des Umweltministeriums brauche, verteidigte sich Roberto Traversini noch am Mittwoch vor der Presse. Es gehe um wenige Meter, so das Argument des grünen Bürgermeisters. Dieser Fehler tue ihm leid, betonte er. Als Erklärung nannte er die Überlastung durch das politische Doppelmandat sowie durch zahlreiche Posten in Syndikaten und Vereinen.

Dieses Nichtwissen um die Genehmigungspflicht ist kaum nachvollziehbar. Denn der PAG-Entwurf zeigt eindeutig, dass sich auf dem Grundstück in Niederkorn mehrere Naturschutzzonen überschneiden. Das Haus liegt in einer Kleingartenzone. Dazu kommt, dass bei der ersten Abstimmung über den PAG im Juni, der Schöffenrat betonte, dass mehrere Häuser aus dieser Zone in die normale Bebauungszone eingegliedert werden sollen. Das Argument: Dann bräuchten sie nicht bei kleinsten Arbeiten eine Genehmigung des Umweltministeriums. Roberto Traversini kannte also die Sachlage.

Die Vorwürfe der Vorteilnahme

Sobald die Vertreter von DP und Déi Lénk am Lack kratzten, tauchten weitere unschöne Vorkommnisse auf. Bei einer Pressekonferenz am 11. September äußerten sie zusammen mit der LSAP weitere Vorwürfe. Es geht um Arbeiten der Beschäftigungsinitiative Cigl am Haus Traversinis sowie den Anschluss des Grundstücks an Strom und Wasser.

Diese Woche gab Roberto Traversini zu, dass drei Arbeiter des Cigl vier Stunden auf seinem Grundstück gearbeitet haben, ohne Kenntnis des Verwaltungsrates, entgegen den Regeln der Initiative und ohne dass eine Rechnung ausgestellt wurde. Er nutzte also seine Position als Cigl-Präsident zu seinem eigenen Vorteil. Arbeiten am Gartenhaus seien dagegen eine Weiterbildungsmaßnahme gewesen, schrieb der Verwaltungsrat in einer Stellungnahme am Mittwoch. Diese Vorgänge sind Teil der laufenden Ermittlungen des Staatsanwaltes.

Die Justiz untersucht einen weiteren Vorfall, den DP-Gemeinderat François Meisch am Mittwoch dem Bürgermeister vorwarf: Er habe Pläne von zwei seiner Häuser durch einen Praktikanten der Gemeinde anfertigen lassen. Traversini räumte beides inzwischen ein und entschuldigte sich.

Bisher standen die Arbeiten im Nebenweg der Route de Pétange, der zu Traversinis „Haus im Grünen“ führt, noch nicht im Vordergrund. Doch laut Parteikreisen sind sie Gegenstand ernster Konflikte zwischen den Koalitionspartnern in Differdingen. Der CSV-Schöffe Tom Ulveling erklärte den Vorgang von Anfang 2018 in der Gemeinderatssitzung am Mittwoch. Aufhorchen lässt allerdings die Budgetüberschreitung von über 30 Prozent (von 98.000 auf 127.000 Euro). Der Hintergrund: Das Haus, das Roberto Traversini ein Jahr später erbte, war weder an das Stromnetz noch an die Kanalisation angeschlossen.

Das Ende des Systems Traversini

Doch wie kam es überhaupt zu dieser Fülle an Unregelmäßigkeiten oder gar Straftaten? Roberto Traversini selbst schiebt seine Fehler auf übermäßige Posten und Aufgaben: Die Belastung als Bürgermeister der drittgrößten Gemeinde des Landes, als Abgeordneter und u.a. Präsident des Gemeindesyndikats Prosud.

In den Reaktionen auf seinen Rücktritt betonten viele, wie viel Traversini für Differdingen erreicht habe. Doch andere sprechen von einem Bürgermeister, der sich für alles zuständig fühlte und oft allzu pragmatisch handelt. „Wer alles selbst in der Hand halten will und das Gefühl hat, über den Dingen zu stehen, der macht Fehler“, fasste der LSAP-Rat Serge Goffinet den Eindruck der Opposition zusammen. Und gleichzeitig machte sich der grüne Politiker unzählige Feinde – die nur auf einen Fehler warteten. In diesem Sinne enttäuschte er sie nicht.

Es bleibt die Frage nach seinem Mandat als Abgeordneter. Es sei nicht infrage gestellt, sagte die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché dem „Luxemburger Wort“.  Politisch dürfte es für den einstigen grünen Hoffnungsträger trotzdem nach seinem Rücktritt als Bürgermeister eng werden. Das gilt umso mehr, falls sich die Staatsanwaltschaft für eine Anklage entscheidet.

Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version stand, dass das Parlament die Immunität Roberto Traversinis vor einer Anklage aufheben müsste. Dem ist nicht so. Die Bezeichnung „poursuivi“ gilt nur im Fall einer Verhaftung, erklärt der LSAP-Fraktionschef Alex Bodry.


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