Eine Baugenehmigung und ein Vertrag mit der Gemeinde könnten für Immobilienmakler in Diekirch Gewinne von mehreren Millionen Euro bedeuten. Das Projekt rund um eine von der Gemeinde angemietete Kindertagesstätte lässt in mehreren Punkten aufhorchen.
Offiziell begann alles mit einer öffentlichen Ausschreibung der Gemeinde Diekirch. Gesucht wurde ein Immobilienprojekt für den Bau einer Maison Relais. Die Bedingungen: Die Einrichtung muss rund 300 Kinder aufnehmen können, sich in der Nähe der Grundschule an der Place des Ecoles befinden und der Projektleiter muss selbst Besitzer des Grundstücks sein.
Das war am 2. Juli 2018. Interessierte hatten knapp drei Wochen Zeit, um ein Dossier einzureichen. Eingegangen ist nur ein Angebot. Seit September baut die Immobilienfirma „MR Diekirch SARL“ das 100-jährige „Pensionnat Notre-Dame de Lourdes“ in der Rue de l’Hôpital in eine Kindertagesstätte um.
Wie es aus Kreisen der Opposition in Diekirch verlautet, soll die Ausschreibung der Gemeinde auf dieses konkrete Projekt zugeschnitten worden sein. Für diesen Verdacht gibt es mehrere Hinweise. Fest steht: Die Entscheidung wird für die Gemeinde sehr teuer – für die Immobilienmakler erweist sie sich als äußerst lukrativ.

Mietkosten von 1,35 Millionen Euro pro Jahr
Die Kataster-Pläne von Diekirch zeigen: Eine Maison Relais einer solchen Größenordnung nahe der Schule, passt in Diekirch nur an einen Ort – in die Rue de l’Hôpital. Sie kommt nun in das Internat, das einst von der Doctrine Chrétienne bewohnt wurde. Doch der Bürgermeister Claude Haagen (LSAP) überlegte bereits zu einem früheren Zeitpunkt, das alte Internat in eine Kinderbetreuungsstätte umzugestalten. Bereits sechs Monate vor der Ausschreibung reichte er eine Anfrage für eine mögliche Maison Relais im „Pensionnat Notre-Dame de Lourdes“ beim Bildungsministerium ein. Die Pläne wurden am 8. Januar 2018 vom Ministerium gut geheißen.
Es hat wohl einen Deal gegeben.“Ein Gemeinderatsmitglied aus Diekirch
Davon will der Député-Maire heute allerdings nichts mehr wissen. „Dass auf den Standort des Pensionats eine Maison Relais hinkommt, wusste ich erst, als der Vorschlag auf unsere Ausschreibung eingegangen ist“, so Claude Haagen auf Nachfrage von REPORTER. Diese Aussage stimmt allerdings nicht mit den Daten überein: Am 11. Dezember 2017 hat er seinen Antrag beim Bildungsministerium eingereicht. Erst knapp sieben Monate später gab es dann die offizielle Ausschreibung.
Zwei Projekte, eine enge Verflechtung
Für die Maison Relais legt die Gemeinde Diekirch ordentlich Geld auf den Tisch. Ein Vertrag zwischen der Gemeinde und „MR Diekirch“ hält seit dem 6. Juni 2019 fest, dass die Gemeinde die Maison Relais während 25 Jahren mieten kann. Laut Vertrag, der REPORTER vorliegt, ist ein jährlicher Mietpreis von rund 1.345.000 Euro festgehalten. Das sind mehr als 110.000 Euro im Monat. Im Vertrag gibt es ebenfalls eine Kaufoption. Dafür soll der Wert des Gebäudes nach Fertigstellung der Renovierung gelten. Die Kosten werden gegenwärtig auf 15,9 Millionen geschätzt.
Auffällig ist neben dem stattlichen Mietpreis auch die Tatsache, dass dieses Projekt bereits einen Monat vor der öffentlichen Ausschreibung in einer kommunalen Arbeitsgruppe besprochen wurde. Auf der Tagesordnung des 15. Mai 2018 standen damals „Logements encadrés et construction d’une maison relais dans la rue de l’Hôpital“ – also von einer Seniorenresidenz und einer Kindertagesstätte.

Einen offensichtlichen Grund, warum gleich zwei Projekte in der Rue de l’Hôpital zusammen vorgestellt wurden, gibt es auf Anhieb nicht. Es sei denn, man bedenkt, dass die beiden Grundstücke der Rue de l’Hôpital damals den gleichen Besitzer hatten. Beide sollten in Kürze verkauft werden – die Finanztransaktion war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Für den Kauf der beiden Parzellen war damals eine einzige Firma im Gespräch.
Bei großen Bauprojekten ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass sich der Bauträger die Zustimmung des Bürgermeisters durch eine Baugenehmigung zusichern lässt, bevor er den Kauf der Grundstücke abschließt. Unüblich ist in diesem Fall die Tatsache, dass beide Bauprojekte den Gemeinderäten vorgestellt wurden, zumal die lokale Verwaltung im Vorfeld nur in den Bau der Maison Relais und nicht in den einer Seniorenresidenz impliziert war. Bei letzterem handelt es sich um ein privates Immobilienprojekt.
Dass die Bauprojekte den Gemeinderäten damals zusammen vorgestellt wurden, ist einem befragten Gemeinderat zufolge kein Zufall. „Es hat wohl einen Deal gegeben“, sagt das Gemeinderatsmitglied aus Diekirch, das namentlich nicht genannt werden will. „Die Gemeinde hat dem Bau der Seniorenresidenz stattgegeben, unter der Bedingung, dass die Firma nebenan eine Maison Relais baut.“ Dieser Auffassung ist auch ein weiterer Oppositionspolitiker. Auch er spricht nur unter der Voraussetzung der Anonymität und verzichtet somit darauf, den Bürgermeister offen zu kritisieren. Diese Vorsicht erklärt sich dadurch, dass auch die Oppositionsmitglieder den Bau der Kindertagesstätte im Gemeinderat gutgeheißen hatten.
Kurze Fristen und große Margen
Auch José Lopes Goncalves der Diekircher DP hat am Arbeitstreffen teilgenommen. Dass die „Appel d’Offre“ der Gemeinde zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht wurde, hat seiner Meinung nach einen einfachen Grund. „Die Gemeinde wollte das Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge einhalten und nicht in Schwierigkeiten geraten“, sagt der Oppositionspolitiker. Deshalb habe es pro forma eine offizielle Ausschreibung gegeben – mit einer Meldefrist, die er als „lächerlich“ bezeichnet.
Heute enstehen in der Rue de l’Hôpital an den Nummern 20 und 22 tatsächlich gleich nebeneinander eine Maison Relais und eine „Seniorenresidenz“, die von den beiden Firmen „MR Diekirch SARL“ und „Seniorenresidenz Diekirch SARL“ in Auftrag gegeben wurden. Beide gehören zu 50 Prozent dem Geschäftsführer der Immobilière Pierre Weydert. Die Flächen von rund 48 Ar und 39 Ar wurden für 4,5 Millionen und 3,6 Millionen Euro verkauft. Der notarielle Akt liegt REPORTER vor.

In Diekirch belief sich der durchschnittliche Quadratmeterpreis eines Grundstücks im Bauperimeter 2017 im Schnitt zwischen 60.000 und 80.000 Euro pro Ar. In diesem Fall kostete jedes Ar rund 94.000 Euro. Für die Immobilienfirmen war der Grundstückspreis also keineswegs günstig. Dennoch erhofften sie sich natürlich einen Gewinn.
Die Gewinnmarge soll dem Vernehmen nach unter anderem auf dem Grundstück nebenan, sprich der „Seniorenresidenz Nordstad“ erzielt werden. Die „Seniorenresidenz Nordstad“ soll aus 37 privaten Wohnungen bestehen, die laut einer Immobilienanzeige für zwischen 638.626 und 938.822 Euro pro Wohnung verkauft werden. Hier liegen die Preise zum Teil deutlich über dem durchschnittlichen Verkaufspreis pro Quadratmeter.
Beide Bauvorhaben in der „Zone de bâtiments et d’équipements publics“ (BEP) wurden quasi zeitgleich genehmigt: Neben einer ersten Baugenehmigung vom 27. November 2018 für die „Seniorenresidenz Nordstad“, erteilte die Gemeinde am 11. Dezember 2018 auch die Baugenehmigung für eine Umgestaltung des Internats in eine Maison Relais.
Ein Deal mit Netz und doppeltem Boden
Die beiden Kaufverträge für die Seniorenresidenz und für das Internat wurden von den Schwestern der Doctrine Chrétienne und dem Geschäftsführer der „Seniorenresidenz Diekirch“ und „MR Diekirch“, Pierre Weydert, am 8. August unterschrieben – und am 10. September 2019 notariell beglaubigt . Also nach der Konvention und dem Mietvertrag mit Kaufoption. Zur Erinnerung: Im „Appel d’Offre“ war ausdrücklich die Rede davon, dass die Firma im Besitz des Grundstücks für die Maison Relais sein müsste. Weder Pierre Weydert noch die Administratrice-Déléguée der Doctrine Chrétienne waren bereit, Stellung zum Sachverhalt zu beziehen.

Zur Konvention zwischen der Gemeinde und dem Bauträger befragt, meint José Lopes Goncalves, dass diese eher als symbolischer Akt zu deuten sei, der juristisch wenig Bedeutung habe. „Es ist eher ein symbolisches Papier der Gemeinde“, sagt er. Die Gemeinde könne keinen Mietvertrag für etwas abschließen, was noch gar nicht gebaut sei. Eine aufmerksame Lektüre der Konvention widerlegt aber diese These. Dort steht zum Beispiel „Le locataire renonce expressément au droit de résilier unanimement le contrat avant l’arrivée du terme.“ Für diesen Fall sind im Vertrag gar Bußgelder von 33,6 Millionen Euro vorgesehen.

Das Projekt scheint also schon lange zu stehen. Denn wie José Lopes Goncalves sagt, habe die Immobilière Weydert bereits vor dem Erhalten der Baugenehmigung Plakate ihres Bauvorhabens in Diekirch aufgehängt. Wie REPORTER bereits berichtete, ist auch die Genehmigung für die Seniorenresidenz in mehreren Punkten fragwürdig. Im Familienministerium ist der betreffende Immobilienmakler dafür bekannt, bereits in anderen Gemeinden Seniorenwohnungen unter dem Deckmantel des „Logement encadré“ verkauft zu haben – ohne die dafür nötige Zulassung des Ministeriums zu haben. Bereits im Juli hatte REPORTER darüber berichtet, wie Immobilienmakler Senioren auf diese Art und Weise täuschen können.
Den öffentlichen Nutzen der „Seniorenresidenz Nordstad“ stellen bereits mehrere Bewohner infrage. Tatsächlich hatte die Immobilienagentur mehrfach mit folgendem Satz geworben: „Auch Kapitalanleger sind herzlichst eingeladen, sich dieses zukunftsorientierte Projekt präsentieren zu lassen, welches eine gute Rendite verspricht.“
Im Lichte der beiden Bauprojekte wirft die Opposition in Diekirch die Frage auf, ob der Bürgermeister möglicherweise bewusst im Interesse des Immobilienmaklers gehandelt hat. Im „Registre des bénéficiaires effectifs“ werden der Immobilienmakler Pierre Weydert und der Buchhalter Tom Welter als wirtschaftliche Eigentümer der beiden Firmen genannt. Beide wollten sich auf Nachfrage von REPORTER nicht in der Sache zum Thema äußern.

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