Gegen den Briten Sanjay Shah wird in Luxemburg wegen Steuerbetrug ermittelt. Der Clou: Laut seiner Aussage soll die Steuerverwaltung Geschäfte vorab genehmigt haben, die den Staat über zehn Millionen Euro kosteten. Und es gibt Hinweise, dass es weitere Fälle gibt.
Mit dem Luxleaks-Skandal wurde öffentlich, dass die Steuerverwaltung jedes Jahr Hunderte Steuerrulings („décisions anticipées“) ausstellte. 2014 ging es um die Steuervermeidung internationaler Konzerne und der oft extremen Kulanz, die das Büro „Sociétés 6“ gegenüber Unternehmen und deren Anwälten an den Tag legte. Doch im Zuge der Cum-Ex-Affäre kommen nun weitere Auswüchse der Ruling-Praxis ans Licht.
Um was geht es? Der britische Fondsmanager Sanjay Shah führte mit drei Luxemburger Briefkastengesellschaften ab 2012 dubiose Aktiendeals durch. Laut eigenen Aussagen Shahs und bestätigt durch Dokumente des Handelsregisters zahlte die Steuerverwaltung seinen Firmen über zehn Millionen Euro aus. Konkret geht es um die Rückzahlung der Quellensteuer auf Aktiengeschäften. Dieser Handel wurde durch die Londoner Niederlassung der australischen Bank Macquarie finanziert, wie der „Sydney Morning Herald“ berichtete.
Ein Ruling als Alibi
Da Sanjay Shah verdächtigt wird, mehrere europäische Länder mit Cum-Ex-Geschäften um insgesamt 1,5 Milliarden Euro gebracht zu haben, werfen die Luxemburger Geschäfte Fragen auf. Seit Sommer 2018 ermittelt die Luxemburger Staatsanwaltschaft wegen Steuerbetrug.
Im Raum steht die Möglichkeit, dass die Steuerverwaltung mit einem solchen Dokument den Griff in die Luxemburger Staatskasse legitimierte und überhaupt erst ermöglichte.“
Die australische Bank ist sich jedoch sicher, dass alles legal war – genau wie Shah. Der Grund: Shah habe eine Vorabbestätigung der Luxemburger Steuerverwaltung erhalten, dass die „vorgeschlagene Strukturierung legitim war“, zitiert der „Sydney Morning Herald“ die Sprecher von Macquarie. Eine Anfrage von REPORTER zu diesem Vorgang ließ die Bank bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Über seinen Sprecher Jack Irvine bestätigte Sanjay Shah auf Nachfrage hin die Existenz von Rulings. „Das ist völlig normal“, so die schriftliche Stellungnahme. Die entsprechenden Dokumente der Steuerverwaltung wollte Shah jedoch nicht vorlegen.
Zur Erinnerung: Mit einem Ruling bestätigt die Verwaltung gegenüber einem Unternehmen die Anwendung und Interpretation des geltenden Steuerrechts in einem spezifischen Fall. Diese Einschätzung ist bindend für die spätere Besteuerung, wenn sich der Steuerzahler an das hält, was er im Antrag angab.
Finanzministerium und Steuerverwaltung schweigen
REPORTER konfrontierte sowohl das Finanzministerium als auch die Steuerverwaltung Ende November 2018 mit der mutmaßlichen Existenz dieses Ruling. Im Raum steht die Möglichkeit, dass die Steuerverwaltung mit einem solchen Dokument den Griff in die Luxemburger Staatskasse legitimierte und überhaupt erst ermöglichte.
Doch konkrete Antworten blieben aus. Die Frage, ob es ein solches Ruling gab, ließ die Steuerverwaltung bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Das Finanzministerium schrieb, man kommentiere aufgrund des Steuergeheimnisses keine Einzelfälle.
Allerdings fehlt auch die Gesamtsicht: In zwei Antworten auf parlamentarische Anfragen schreibt das Finanzministerium, es könne nicht einschätzen, „ob und wieviel Steuergelder dem luxemburgischen Fiskus durch solche Praktiken verloren gingen“.
Zur Frage, ob es Rulings im Falle von Cum-Ex-Deals oder ähnlichen Geschäften überhaupt gab, heißt es aus dem Ministerium: Man habe keine Kenntnis, welche Vorabentscheidungen beantragt würden. Diese Aussage erstaunt, weil die Steuerverwaltung seit 2015 in ihrem Jahresbericht eine Liste mit in Rulings beantworteten Rechtsfragen veröffentlicht. Es scheint unwahrscheinlich, dass solche Auflistungen für den Zeitraum vor 2015 nicht existieren.
Ende 2014 reformierte die Regierung die Vergabe von Rulings. Seitdem bearbeitet eine Kommission Anfragen für Rulings, während zuvor einzelne Beamte dafür zuständig waren. Die umstrittenen Vorabentscheide für Amazon oder Fiat, die die Europäische Kommission beanstandet, stammen aus der Zeit vor dieser Änderung.
Genehmigungen von Aktiendeals durchaus möglich
Experten geben eine nuancierte Einschätzung der Möglichkeit von „Cum-Ex-Rulings“ ab. Klar scheint, dass sogenanntes „dividend stripping“ durchaus Gegenstand von Rulings war. Das sind generell Aktiendeals, die Steuern auf Dividenden vermeiden sollen oder sich gar Geld rückerstatten lassen, das nie gezahlt wurde.
Bei diesen Deals leihen sich Geschäftspartner gegenseitig Aktien, um damit zu verschleiern, wer Anrecht auf eine Erstattung der Quellensteuer hat. Die Frage, wer, zu welchem Zeitpunkt als „wirtschaftlicher Eigentümer“ der Aktie gilt, ist deshalb entscheidend. Laut eines Insiders war die Steuerverwaltung immer wieder mit diesem Problem befasst.

Da das Luxemburger Steuerrecht keine klare Position zu Cum-Ex-Geschäften beinhalte, könne eine Strukturierung je nach Fall auch als legal eingestuft werden, meint ein Experte im Steuerrecht. Da sei es normal, dass Unternehmen eine Vorabentscheidung beantragen.
Allerdings hat die Steuerverwaltung in der Vergangenheit immer Rulings verweigert, die in Richtung von Cum-Ex-Geschäften gingen, heißt es aus Behördenkreisen gegenüber REPORTER. Solche Aktiendeals seien grundsätzlich als Steuerhinterziehung eingestuft worden und nicht als legales Vermeiden von Steuern. Ein Steueranwalt hält es für unwahrscheinlich, dass die Steuerverwaltung solche Rulings ausstellen würde.
Tatsächlich stoppte die Steuerverwaltung die Rückzahlung von Quellensteuern an Shahs Firmen nach Ende 2014. Der Grund dafür ist nicht bekannt.
Äußerst komplexe Fälle
Bei Shahs Geschäften kommt hinzu, dass deren genaue Abläufe nicht bekannt sind. Auf Nachfrage von REPORTER stellte er klar, dass es sich nicht um Cum-Ex-Geschäfte handelte – ohne weitere Erklärung. Die Journalisten im Bericht des „Herald“ vermuten, es könne sich bei den Deals auch um sogenannte Cum-Cum-Geschäfte handeln. Das ist eine Variante der Cum-Ex-Geschäfte, die zwar Steuern vermeidet, aber in manchen Fällen legal ist. Allerdings gibt es Hinweise, dass Shahs Aktiendeals insgesamt rein fiktiv waren, also nie stattfanden. Die Steuerverwaltung wäre demnach getäuscht worden.
Die genaue Bewertung wird Aufgabe der Justiz sein. Von der Staatsanwaltschaft ist zu hören, dass es sich um äußerst komplexe Ermittlungen handele. Auch in anderen Ländern stoßen die Behörden offenbar auf Schwierigkeiten, denn Anklagen und Prozesse stehen noch aus.
Die Cum-Ex-Affäre beschäftige die Presse erst seit Kurzem, die Luxemburger Behörden seien jedoch seit längerem dran, heißt es von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) auf eine parlamentarische Frage hin. Nur Antworten hat das Ministerium keine.
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