Die CSV will eine breite gesellschaftliche Debatte über die Verfassungsreform. Für Parteipräsident Frank Engel ist dabei selbst ein Referendum zum Wahlrecht für EU-Ausländer kein Tabu. Ein Gespräch über wahrhaftige Partizipation, innerparteiliche Machtkämpfe und strauchelnde Volksparteien.
Interview: Christoph Bumb
Herr Engel, was haben Sie eigentlich gegen eine neue Verfassung?
Der vorliegende Text ist eine gute Basis. Er ist stellenweise aber nicht perfekt. Das gilt sowohl für rein juristische und handwerkliche Aspekte. Dann habe ich aber auch ein grundsätzlicheres Problem mit der Reform. Wir arbeiten daran ja schon knapp ein Vierteljahrhundert. Daraus hat sich der Anspruch ergeben, dass es sich jetzt wirklich um den großen Wurf handeln muss. Das finde ich richtig. Doch dann muss man aber auch sicher sein, dass man alle großen Fragen im Vorfeld geklärt hat. Dazu gehört in meinen Augen die rezente Diskussion über das Wahlrecht. Das ist eine absolut legitime Debatte, an der wir uns als CSV gerne konstruktiv beteiligen.
Das Problem ist nur, dass eine Reform des Wahlrechts nicht ohne eine Änderung der Verfassung zu machen ist. Angefangen mit der Frage der Wahlbezirke. Wir können doch jetzt nicht im Herbst die Bürger konsultieren, dann die große Verfassungsreform verabschieden. Und ein paar Monate später müssen wir dann sagen: Ach ja, da war ja noch die Sache mit dem Wahlsystem, da wollen wir jetzt auch noch die Verfassung ändern, nachdem wir sie gerade neu geschrieben haben. Deshalb sage ich: Komm wir nehmen uns die Zeit, um gemeinsam mit den Bürgern alle großen Fragen zu klären.
Welche anderen Fragen sind das?
Das Wahlrecht ist schon ein sehr wichtiger Punkt, den wir diskutieren müssen. Das wäre auch eine Frage, die man in einem konsultativen Referendum stellen könnte. Ich denke nicht, dass es jetzt notwendig ist, zum Beispiel über die Staatsform abzustimmen. Wenn das aber eine Partei im Parlament fordert, denke ich nicht, dass wir uns dem virulent widersetzen würden …
Die CSV wäre offen für ein Referendum über die Staatsform, Monarchie oder Republik?
Ich kann mir alles vorstellen. Es darf in der Debatte über die Verfassungsreform keine Tabus geben. Wir sehen als CSV keine Notwendigkeit, die Staatsform in Frage zu stellen. Wenn jedoch andere Parteien diesen Punkt dem Volk zur Befragung vorlegen möchten, sollte man das nicht kategorisch ablehnen. Für uns sind allerdings andere Fragen viel wichtiger. Zum Beispiel jene der Vereinbarkeit von nationalen und kommunalen Mandaten. Wollen Sie, dass ein Bürgermeister gleichzeitig Abgeordneter sein kann? Ja oder Nein? Das ist eine Frage, die die Bürger entscheiden sollen.
Wir als CSV sind für die Abschaffung der Doppelmandate. Sollte sich das Volk dieser Meinung anschließen, ergeben sich daraus weitere fundamentale Fragen. Zum Beispiel eine drastische Professionalisierung des Parlaments, und auch des Bürgermeisteramtes. Das hätte wiederum weitreichende Folgen für das gesamte politische System. Deshalb bin ich auch so entschieden dafür, dass wir solche Fragen nicht an der Meinung der Bürger vorbei entscheiden können. Partizipation ist mehr als nur, den Leuten zu erklären, was wir machen wollen. Sie müssen auch wirklich an der Politik beteiligt werden.
In Luxemburg erwirtschaftet die eine Hälfte der Bevölkerung einen wesentlichen Teil von dem, was die andere Hälfte verdient. Dieser Fakt allein bewirkt, dass die Frage der Partizipationsrechte von Nicht-Luxemburgern aktuell bleibt.“
Welche Form der Beteiligung des Volkes stellen Sie sich konkret vor?
Das Volk muss die Möglichkeit haben, die Verfassungsreform mitzuschreiben. Das war bisher nicht ausreichend der Fall. Ein Weg zu mehr Partizipation ist die Veranstaltung von Volksbefragungen. 2015 gab es das schon. Aber heute zeigt sich, wie gesagt, dass es noch weitere Fragen gibt, die man den Bürgern stellen muss. Ich spreche nicht von 15 oder 20 Fragen. Aber zum Beispiel vom Wahlrecht, von den Doppelmandaten und noch einigen mehr. Das kann aber nur der erste Schritt sein.
Unabhängig von der Verfassungsreform bin ich für einen permanenten, strukturierten Bürgerdialog. Was heißt das? Mir schwebt ein ähnliches Modell vor, wie es derzeit von der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien versucht wird. Wenn die Leute sagen, sie würden gerne an der Politik beteiligt werden, und das nicht nur alle fünf Jahre, dann sollte man sie beim Wort nehmen. Man könnte etwa nach dem Rotationsprinzip regelmäßig Bürger auslosen, die sich dann versammeln und der Politik konkrete Vorschläge unterbreiten. Mit „Bürgern“ meine ich übrigens nicht nur die Luxemburger, sondern alle Einwohner. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte, bevor wir Richtungsentscheidungen vornehmen. Es geht dabei nicht nur um die neue Verfassung, sondern um die demokratische Vitalität im Land.
Apropos „nicht nur die Luxemburger“: Heißt das, dass Sie sich auch ein neues Referendum zum Ausländerwahlrecht vorstellen können?
Ich bin der Meinung, dass man alles fragen können muss. Aber auf die gleiche Frage erhält man tendenziell auch die gleiche Antwort. Ich bin auch dagegen, die Bürger so lange über eine Frage abstimmen zu lassen, bis dabei ein anderes Resultat herauskommt …
Man könnte die Frage ja auch anders stellen?
Genau diese Frage müsste man auch anders stellen. Ich persönlich hätte 2015 anders gestimmt, wenn die Frage anders formuliert gewesen wäre. Wenn man mich zum Beispiel fragen würde, ob Bürger der Europäischen Union das Wahlrecht bei Parlamentswahlen erhalten sollen, wäre das für mich eine ganz andere Sache. Ein Russe, ein Chinese oder ein Argentinier ist viel weiter weg von dem, was hier entschieden wird, als die große Mehrheit von den Ausländern in unserem Land, die einen europäischen Pass haben. Diese Frage, ob wir Unionsbürgern neben dem Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen auch das Recht geben, bei Parlamentswahlen abzustimmen, wurde noch nicht gestellt. Richtig bleibt auch, dass wir jene Bürger, die über kein Wahlrecht verfügen, in den Prozess der Verfassungsreform einbeziehen müssen.
Sie glauben also weiter daran, das Demokratiedefizit beheben zu können?
Wir Politiker müssen es zumindest versuchen. Ich könnte mich ja auch auf Dauer in meinem Büro einsperren, aber das hilft ja auch nicht weiter. In Luxemburg erwirtschaftet die eine Hälfte der Bevölkerung einen wesentlichen Teil von dem, was die andere Hälfte verdient. Dieser Fakt allein bewirkt, dass die Frage der Partizipationsrechte von Nicht-Luxemburgern aktuell bleibt. Ich bin davon überzeugt, dass die Meinung vieler Luxemburger Wähler, wonach an diese Rechte außer ihnen niemand heran dürfen soll, eher ein Reflex ist als eine definitive Haltung. Man muss darüber sprechen. Man muss sich austauschen, um zu wissen: Wie gehen wir damit um? Was können wir tun? Wie weit können wir gehen? Wenn wir diesen Dialog ernsthaft führen, dann führt das meiner Meinung nach zu ganz anderen Erkenntnissen als bisher.

Wie kam es eigentlich zu dem jüngsten Kurswechsel Ihrer Partei bei der Verfassungsreform?
So komplett neu ist unsere Position ja nicht. In unserem Wahlprogramm von 2018 steht etwa, dass wir weiterhin offen für Vorschläge sind, die aus der Konsultation der Bürger resultieren können und, dass diese dann auch in den Reformtext einfließen können. Herr Bodry sagt dagegen, dass sich an dem aktuellen Text nichts mehr ändern soll. Dazu kommt, dass viele innerhalb der CSV schon länger skeptisch sind, dass ein einziges Referendum am Ende des Prozesses der richtige Weg ist. Was bringt es, wenn wir den Bürgern 120 Artikel vollendetes Verfassungsrecht vorlegen? Wenn jeder, der vielleicht nur in einem ganz präzisen Punkt dagegen ist, am Ende gegen den ganzen Text stimmen muss? Der Ansatz von inhaltlichen Referenden im Vorfeld des ersten Votums im Parlament ist da schon viel sinnvoller. Wir als CSV verpflichten uns auch heute schon, das Ergebnis solcher Volksbefragungen politisch zu respektieren.
Heißt das jetzt konkret, dass das verpflichtende Referendum zur Verabschiedung der ganzen Verfassungsreform für Sie dann nicht mehr nötig wäre?
In meinen Augen nicht. Wir verweigern uns dem aber auch nicht. Wenn jetzt genügend Abgeordnete, an der Zahl 16 von 60, oder mindestens 25.000 Bürger, für ein solches Referendum sind, dann soll es so sein. Mein Problem ist weniger das zweite Referendum. Viel wichtiger ist, dass es jetzt zu einer wahrhaftigen politischen Partizipation des Volkes kommt.
Nur weil ihr zu mehr und in der Regierung seid, heißt das nicht, dass wir automatisch klein beigeben müssen. Das hier ist unsere Position und bei der bleiben wir auch.“
Die Förderung der Partizipation in allen Ehren – man könnte auch auf die Idee kommen, dass der Kurswechsel auch rein parteipolitische Gründe hat. Dass die CSV in Sachen Verfassung, wo eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig ist, ihr einzig verbliebenes Druckmittel ausübt …
Das sehe ich nicht so. Denn wir hätten ja, und solche Stimmen gibt es in der Partei auch, hingehen können und den ganzen Prozess der Verfassungsreform ablehnen können. Wir könnten auch die ganze Sache blockieren. Das ist aber nicht meine Attitüde und auch nicht jene der Abgeordneten unserer Fraktion …
Letztlich kann Ihre Position ja aber genau das bedeuten. Für den Fall, dass es nicht so geht, wie Sie wollen, haben Sie damit gedroht, gegen die Reform zu stimmen …
Manchmal muss man ja Fragen der Journalisten antizipieren (schmunzelt).
Es ist ja aber doch eine Drohkulisse, die Sie da aufbauen …
Nein. Wir sagen lediglich, wie wir die Sache heute sehen. Die CSV hat sich stets für eine neue Verfassung eingesetzt und ist in dieser Frage von der Notwendigkeit eines überparteilichen Konsenses überzeugt. Aber wir sagen auch: Nur weil ihr zu mehr und in der Regierung seid, heißt das nicht, dass wir automatisch klein beigeben müssen. Das hier ist unsere Position und bei der bleiben wir auch. Wenn die Koalitionsparteien jetzt nicht auf uns zukommen, dann heißt das in der Tat, dass aus dieser Übung so nichts wird.
Verpflichtet Ihre Position Sie nicht auch dazu, ab jetzt noch konstruktiver daran zu arbeiten, diese Verfassung zum Erfolg zu führen?
Absolut. Damit die Reform zu einem wirklichen Erfolg wird, braucht es allerdings mehr als nur ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen von Parteien. Die Bürger müssen auch das Wort haben. Eine Verfassung des 21. Jahrhunderts kann es sich nicht leisten, ohne breiten Rückhalt in der Bevölkerung verabschiedet zu werden. Wenn es zu dem von uns bevorzugten Prozess der Konsultation und Partizipation kommt, wird sich die CSV wie in der Vergangenheit aus Überzeugung für die neue Verfassung engagieren.
Vor allem im urbanen Raum sind wir oft nur noch die zweit- oder drittstärkste Kraft. Als Partei, die nach wie vor den Anspruch hat, Volkspartei zu sein, muss uns das beschäftigen.“
Apropos „Aufeinanderzugehen“: Sprechen Sie eigentlich noch mit Serge Wilmes?
In letzter Zeit nicht. Also: Nein.
Haben Sie sich nach dem Kongress, bei dem Sie gegen Wilmes zum Parteichef gewählt wurden, nicht einmal ausgesprochen?
Ich wollte Serge Wilmes nach der Abstimmung erst einmal in Ruhe lassen. Ich habe in meiner Rede vor den Parteimitgliedern gesagt, dass ich mit allen zusammenarbeiten will, auch mit Serge Wilmes. Danach sind viele Dinge geschehen. Ich habe jetzt ehrlich gesagt keine Lust, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich davon abhalten, mich um meine Partei zu kümmern.
Müsste es nicht zum Wohl der Partei zu einem solchen Gespräch kommen? Serge Wilmes hat ja durchaus eine wichtige Rolle in der Partei …
Absolut. Wenn jemand auf die Idee kommt, dass wir miteinander sprechen sollen, dann werde ich das gerne tun.
Sprechen Sie dann noch mit Viviane Reding?
Sie sprechen wohl ein Interview an, das ich selbst noch nicht ganz gehört habe. (lacht)
Viviane Reding hat in einem Interview mit „Radio 100,7“ behauptet, Sie hätten sich bei der Aufstellung der Liste für die Europawahl „verpokert“ …
Ja, ich habe das mittlerweile mitbekommen.
Haben Sie sich verpokert?
Nein.

Es war also eine ganz bewusste Entscheidung, mit einem jungen, vergleichsweise unbekannten Team in die Wahl zu ziehen? Haben Sie damit nicht das letztliche Resultat in Kauf genommen?
Was heißt, in Kauf genommen? Zur Wahrheit gehört auch, dass die CSV vor den Wahlen in manchen Medien permanent als zutiefst zerstritten dargestellt wurde. Dieser Eindruck hat sicher nicht dazu beigetragen, dass uns die Wähler in Scharen zugelaufen sind …
Wegen den Medien oder wegen dem Streit in der Partei?
Nein, wegen den vielen Diskussionen und dem Eindruck, dass wir in der Partei nichts anderes zu tun hätten, als uns andauernd zu streiten. Das ist aber natürlich nur ein Grund. Es hat auch mit dem Erfolg anderer Parteien zu tun, allen voran den Grünen. Und ja, ein Grund ist wohl auch, dass wir keinen Charles Goerens auf unserer Liste hatten, der allein rund 40 Prozent aller Stimmen seiner Partei zu verantworten hat. Ich behaupte jetzt einmal, dass niemand in der CSV zu so einem Ergebnis fähig gewesen wäre. Niemand.
Viviane Reding hätte als erfahrene Europapolitikerin ja aber wohl ein gutes Resultat eingefahren, oder? Haben Sie sie nicht gefragt?
Ich habe natürlich mit Viviane Reding vor den Wahlen darüber gesprochen. Und wir waren uns sehr einig über die von mir bevorzugte Ausrichtung der Wahlliste. Deshalb bin ich auch etwas überrascht über gewisse Aussagen, die jetzt gemacht werden. Es ist auch nicht so, dass das ein Parteichef allein entscheidet. Wir haben Parteigremien dafür. Wir haben auch Abgeordnete, von denen natürlich einige gefragt wurden, aber von denen keiner wollte. So kam es zur kompletten Runderneuerung, zu der ich auch heute noch stehe. Unsere Kandidaten haben gute Ergebnisse erzielt, auf denen die Partei aufbauen kann.
Blau und Grün kommen nicht nur modern, nett und dynamisch daher. Sie scheinen die Lebenswirklichkeiten vieler Bürger besser zu kennen und zu erkennen als wir.“
Gibt es nicht auch strukturellere Gründe für die wiederholte Wahlniederlage der CSV?
Natürlich. Es zeigt sich, dass vor allem Déi Gréng im Aufwind sind. Der positive Trend aus Deutschland scheint auch zu uns herüber zu schwappen. Dass die DP zu einem Ergebnis um die 20 Prozent fähig ist, ist in Betrachtung der jüngeren Geschichte auch kein allzu großes Wunder. Ein Überraschungssieger waren sicherlich die Piraten. Das ist ein Weckruf an alle Parteien. Denn die Piraten sind immer mehr die Partei der kleinen Leute. Gleichzeitig verfolgen sie aber eine Agenda, die immer klarer nach Rechts zeigt. Sie sprechen bis zu einem gewissen Grad jene Leute an, die den Glauben an die etablierten Parteien verloren haben …
Die Frage betraf eigentlich das Abschneiden der CSV …
Dazu wollte ich noch kommen. Wir müssen feststellen, dass wir mitten in der Gesellschaft an Boden verloren haben. Davon profitieren vor allem DP und Déi Gréng. Blau und Grün kommen nicht nur modern, nett und dynamisch daher. Sie scheinen die Lebenswirklichkeiten vieler Bürger besser zu kennen und zu erkennen als wir. Vor allem im urbanen Raum sind wir oft nur noch die zweit- oder drittstärkste Kraft. Als Partei, die nach wie vor den Anspruch hat, Volkspartei zu sein, muss uns das beschäftigen. Die Realität zeigt, dass sich viele Bürger bei Liberalen und Grünen besser aufgehoben fühlen. Das ist ja eigentlich paradox, denn die einen wollen alles erlauben und die anderen alles verbieten. Aber gut.
Wenn man so will, übernehmen die Grünen gerade die alte Rolle der CSV als Ordner der Gesellschaft. Das ist eine Rolle die wir als Partei schon lange nicht mehr wahrnehmen.“
Woher kommt eigentlich die Idee, dass die Grünen eine Verbotspartei seien? In Luxemburg werden Déi Gréng doch eher dafür kritisiert, dass sie nicht grün genug seien, um ihren Ansprüchen gerecht zu werden?
Das ist in der Tat eine lustige Situation. Für mich geht es vor allem darum, dass die Grünen uns gerne und permanent sagen, was gut und richtig ist. Und damit eigentlich schon eine Politik vertreten, in der Kompromisse nicht zulässig sind. Ich denke, dass es viele Menschen gibt, denen diese Haltung nicht unsympathisch ist. Wenn man so will, übernehmen die Grünen gerade die alte Rolle der CSV als Ordner der Gesellschaft. Das ist eine Rolle die wir als Partei schon lange nicht mehr wahrnehmen. Seit dem Abgang von Jean-Claude Juncker gibt es eigentlich niemanden mehr bei uns, der das von sich behaupten könnte. Und die Grünen kommen jetzt daher und sagen: Wir zeigen euch den sicheren Weg durch die Unwägbarkeiten des Lebens. Das kommt letztlich besser an als Inhalte, die sich bei unseren Grünen dann doch sehr in Grenzen halten. Die CSV muss die richtigen Lehren daraus ziehen. Und diese lauten nicht, dass wir jetzt grüner als die Grünen werden sollten.
Und doch führen Sie das geflügelte Wort der „Verbotspartei“. Was haben die Grünen denn konkret in Luxemburg verboten?
Ja, nicht viel. Außer, dass sie ein paar Radaranlagen aufgestellt haben. Und selbst da hat sich die Aufregung in der Bevölkerung ja auch schnell gelegt. Richtiger ist durchaus, dass die Grünen sich nicht ansatzweise daran halten, was sie jahrzehntelang gepredigt haben. Da hören und lesen wir immer wieder, wie Luxemburg den Klimawandel aktiv verhindern soll. Und dann ist das Ergebnis, dass sich die Grünen an der Regierung dafür einsetzen, dass das Benzin ein bis zwei Cent teurer wird. In der Opposition haben die Grünen ständig eine ökologische Steuerreform gefordert. Jetzt sind sie bald sechs Jahre an der Macht und nichts ist davon zu sehen. Der Zuspruch der Grünen liegt also nicht daran, dass die Leute gerne grüne Politik hätten, denn dazu kam es in den vergangenen Jahren nicht einmal ansatzweise.
Also doch keine „Verbotspartei“?
In der praktischen Umsetzung nicht.
Wir sollten eine Standortpolitik verfolgen, die Kriterien definiert, mit denen auch noch die Generationen nach uns leben können. Sonst haben wir bald ein Problem, das sich politisch nicht mehr so leicht lösen lässt.“
Wenn man Ihnen zuhört, lässt sich aber eine gewisse Sympathie für grüne Politik erkennen. Liegt das allein daran, dass Sie als junger Mann auch schon Mitglied jener Partei waren, die der CSV heute Konkurrenz macht?
Es stimmt, ich hatte und habe bis heute eine gewisse Sympathie für die grüne Reformprogrammatik. Ich war immer schon dafür, die Herausforderung des Klimawandels anzunehmen und gegen unnachhaltiges Wirtschaften anzukämpfen. Beides gehört nämlich unbedingt zusammen. Neben den anderen Punkten, die ich bereits erwähnt habe, ist dies auch ein Grund, warum ich immer für eine schwarz-grüne Koalition war. 2004 war diese vor allem gescheitert, weil die Mehrheit mit 31 von 60 Sitzen als zu eng angesehen wurde. Heute sind wir da weitaus schlauer.
Eine Gemeinsamkeit von Schwarz und Grün ist die sogenannte Wachstumskritik. Wie will die CSV das grenzenlose Wachstum bremsen, das sie selbst immer gepredigt hat?
Es bleibt uns letztlich nichts anderes übrig. Wir müssen irgendwann fähig sein, eine ehrliche Debatte zu führen. Wir müssen den Leuten sagen, dass wir auf Dauer nicht so weiter machen können. Unser Land wird diese Dynamik ohne radikale Reformen infrastrukturell, sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht ewig verkraften. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir nicht jeden Betrieb, der sich hier ansiedeln will, willkommen heißen können. Die Joghurtfabrik in Bettemburg ist das beste Beispiel. Das bringt nun wirklich gar nichts. Ich wage auch zu bezweifeln, dass wir von einem Google-Datenzentrum in Bissen wesentlich mehr haben werden. Neben allen anderen bekannten Problemen, was die Umwelt und die Infrastrukturen betrifft, kommt hier noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Wasser ist in Luxemburg eine rare Ressource. Da sollte die Frage erlaubt sein: Ist es wirklich eine gute Idee, gerade solche Unternehmen ins Land zu ziehen, die so viel Wasser verbrauchen wie eine mittelgroße Stadt? Wir sollten eine Standortpolitik verfolgen, die Kriterien definiert, mit denen auch noch die Generationen nach uns leben können. Sonst haben wir bald ein Problem, das sich politisch nicht mehr so leicht lösen lässt.
Um eine solche Politik zu machen, müsste man ja aber die Gesetze ändern …
Da werden wir in der Tat nicht drum herum kommen.
Also wird die CSV jetzt zur besseren Verbotspartei?
Nein. Aber vielleicht wieder zur Orientierungspartei.
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