Luxemburg gilt politisch als äußerst stabil. Radikale Strömungen sind im Vergleich zum Ausland Randphänomene. Auch hierzulande findet der Populismus aber immer mehr Nachahmer. Doch es gibt Wege, um deren Aufstieg zu verhindern. Eine Analyse.

„Populisten, wohin das Auge reicht“: So beginnt der Politologe Jan-Werner Müller seinen Essay „Was ist Populismus?“. Das 2016 erschienene Buch gilt als Standardwerk der Populismusforschung. Neben der Analyse der Erfolge von Politikern wie Donald Trump, Viktor Orban oder Marine Le Pen geht es dem Autor aber um Grundsätzlicheres: eine Theorie des modernen Populismus – und wie Demokraten mit ihm umgehen sollten.

Denn die Frage, was Populismus eigentlich bedeutet, ist nicht so leicht zu beantworten. Der Begriff wird heute durchweg als pejoratives Schlagwort gebraucht. Demnach sind Populisten unverantwortlich handelnde Stimmenfänger, die „dem einfachen Volk“ nach dem Munde reden und einfache Lösungen propagieren. Mit ihren polemischen, oft demagogischen Parolen stellen sie eine Gefahr für die Demokratie dar, so die geläufige Bedeutung.

Die politische Wissenschaft geht jedoch noch weiter. Populismus sei „eine Ideologie, die die Gesellschaft in zwei Gruppen unterteilt, das ‚wahre Volk‘ und die ‚korrupte Elite‘“, schreibt etwa der niederländische Extremismusforscher Cas Mudde in „The Populist Zeitgeist“. Populisten würden in vielen Facetten auftreten, ergänzt wiederum Jan-Werner Müller. Doch sie hätten eine „innere Logik“ gemeinsam, weil sie der Meinung seien: „Sie und nur sie repräsentieren das wahre Volk.“

Die rechtspopulistische Avantgarde

In Luxemburg fährt vor allem die ADR seit geraumer Zeit die klassische (rechts-)populistische Schiene. Manche ihrer Protagonisten behaupten etwa, dass sie als Partei die „80 Prozent“ vertreten, die sich beim Referendum 2015 gegen das Ausländerwahlrecht aussprachen. So als ob die knapp 170.000 Wähler, die damals mit Nein stimmten, allesamt Anhänger der ADR seien. Die Vereinnahmung der Mehrheit des Volkes für die eigenen politischen Zwecke ist eine allzu bekannte populistische Methode.

Seit der Fusion mit der Bewegung „Wee 2050/Nee 2015“ um Fred Keup ist der populistische Charakter der ADR zudem ausgeprägter als zuvor. Ihre Kritik ist radikaler, ihr Diskurs ätzender und aggressiver. Das zeigt sich vor allem, aber nicht nur, bei ihren Kernthemen der Asyl- und Integrationspolitik. Die Regierenden (im Grunde aber alle anderen Parteien) würden die wahren Interessen der Luxemburger missachten, lautet der Unterton. Dabei setzt die Partei auch immer wieder auf gezielte rhetorische Grenzüberschreitungen – auch das ist ein klassisches Merkmal populistischer Politik.

Anders als die ADR setzen die Piraten weniger auf bewussten Populismus als auf eine konfuse, demagogisch angehauchte Stimmungsmache gegen die Herrschenden.“

Die „innere Logik“ des Populismus hat die ADR längst verinnerlicht. Die Luxemburger Politologin Léonie de Jonge, die über Rechtspopulismus im Benelux-Raum forscht, nannte es einmal den „Wir-Gegen-Sie“-Diskurs, der in der Parteienlandschaft, wenn auch nicht ausschließlich, so doch am stärksten bei der ADR erkennbar sei. Dass manche ihrer Abgeordneten selbst zur Elite gehören, spricht dabei nicht unbedingt gegen die Populismus-These. Denn auch andere bekannte Rechtspopulisten – allen voran Donald Trump – inszenieren sich gerne als Vertreter des „einfachen Volkes“, obwohl sie selbst nicht in diese Kategorie fallen.

Apropos Trump: Die Rhetorik der ADR mag im internationalen Populismus-Vergleich noch gemäßigt anmuten. Weder bezeichnet sie die Regierung als korrupt, noch spricht sie ihren politischen Konkurrenten die Legitimität ab oder bestreitet die Rechtmäßigkeit von Wahlen. Doch allzu weit sind Fred Keup, Fernand Kartheiser und Co. von diesem radikaleren Populismus nicht mehr entfernt. Die Hemmungen fallen zusehends. Ein Beispiel dafür ist das Vorgehen des ADR-Abgeordneten Roy Reding während der Corona-Pandemie. Auch ihre Forderungen sind längst unversöhnlicher mit dem politischen „Mainstream“ als das noch vor einigen Jahren der Fall war.

Piraten auf populistischen Pfaden

Doch die ADR ist nicht die einzige Partei in Luxemburg, die populistische Züge aufweist. Auch die Piraten fischen zunehmend im gleichen Protestwählerbecken. So lautet zumindest die Einschätzung der Politologin Léonie de Jonge. Der Wahlerfolg der Piraten in 2018 könne als „erstes Symptom des Vorstoßes des Populismus“ in Luxemburg gewertet werden, so die Forscherin in „The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries“. Damit sei auch für den Aufstieg weiterer „Anti-System-Parteien“ der Weg geebnet.

Legt man jedoch den politikwissenschaftlichen Maßstab an, so trifft der Populismus-Vorwurf auf die Piraten nur bedingt zu. Denn der Diskurs von Sven Clement, Marc Goergen und Co. zielt nicht vorrangig auf den Gegensatz zwischen dem Volk und der Elite ab. Vielmehr verfolgen die Piraten eine radikale Oppositionspolitik, die der Regierung – mit Vorliebe den Grünen – die Schuld an quasi allem Übel der Welt zuzuschieben versucht. Anders als die ADR setzen die Piraten weniger auf bewussten Populismus als auf eine konfuse, demagogisch angehauchte Stimmungsmache gegen die Herrschenden.

Die Piratenpartei als „erstes Symptom des Vorstoßes des Populismus“ in Luxemburg? Die Abgeordneten Sven Clement und Marc Goergen bei einer Debatte im Parlament. (Foto: Mike Zenari)

Das macht die Sache aber nicht unbedingt besser. Denn auch die Piraten überschreiten bewusst Grenzen und zielen wie Populisten auf die niederen Instinkte der Menschen ab. Man erinnere sich etwa an die „Mufflon“-Kampagne, mit der die Piraten Ex-Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) persönlich die „Schuld“ am Erschießen von Wildschafen gaben. Hasskommentare und sogar ausdrückliche Morddrohungen gegen die Ministerin ließen die Piraten tagelang auf ihrer Facebook-Seite stehen und distanzierten sich auch später nur halbherzig davon. Kritische Medienberichte diffamiert die Partei gerne mal in bester Trump-Manier als „Fake News“. Und zumindest Marc Goergen sah sich in der Vergangenheit auch schon „ze onbequem fir eng politesch Elite hei am Land“.

Ein weiteres Beispiel ist die rezente Unterstellung der Piraten, wonach die Regierung sozial schwachen Menschen in der Energiekrise wissentlich den Strom oder das Gas abschalte. Der zugespitzte Vorwurf hält einem Faktencheck nicht stand. Doch darum geht es den Piraten offensichtlich auch nicht. Konfrontiert man die Verantwortlichen der Partei mit ihrer Agitation, geben sie ziemlich hemmungslos zu, dass es sich bei ihrer Oppositionspolitik um – in ihren Augen – zulässige Polemik handelt. Dass ihr Handeln den Hass gegen andere Politiker anstachelt und das politische Klima nachhaltig vergiftet, nehmen sie offenbar in bewährter Populisten-Manier in Kauf.

Ein bisschen Populismus ist doch immer

Dieser Politikansatz verdeutlicht zudem, dass Populismus nicht unbedingt immer von Rechts kommen muss. Auch linker Populismus oder ideologische Mischformen haben eine lange Tradition. Die Annahme, dass alle andere Parteien nur die Reichen vertreten, und nur man selbst das „wahre“, arbeitende Volk, fußt jedenfalls auf der klassischen populistischen Prämisse. Ein ähnlicher Diskurs ist auch bei Déi Lénk, und in Wahlkämpfen mitunter auch bei der LSAP, erkennbar.

In gewisser Weise unterliegen aber alle Politiker der populistischen Versuchung. Denn das Bemühen, den Wählern die Illusion zu verkaufen, dass nur ein Politiker oder nur eine Partei die Interessen des Volkes vertritt, ist durchaus verlockend. Von sich zu behaupten, im Interesse des Volkes zu handeln, ist für Politiker auch ein naheliegender Gedanke. Der große Unterschied zum tatsächlichen Populismus besteht jedoch darin, dass die meisten Politiker dadurch nicht den legitimen Meinungs- und Parteienpluralismus infrage stellen. Sie wollen sich als beste Vertreter des Volkes inszenieren, akzeptieren aber, dass auch ihre Konkurrenten das Gleiche von sich behaupten können.

In der Mischung aus moralischem Alleinvertretungsanspruch und einer nationalistisch-identitären, gewaltbereiten Ideologie wird der Populismus in der Tat demokratiegefährdend.“

Genau das ist das ultimative Unterscheidungsmerkmal zwischen hin und wieder populistisch agierenden Politikern und ausgesprochenen Populisten: Die einen reizen im demokratischen Wettbewerb die Grenzen des politischen Marketings aus, die anderen setzen bewusst auf eine Strategie der Spaltung, der Empörung und des Krawalls. Für die einen ist es ein Wahlspruch, die anderen meinen es ernst, wenn sie sagen: „Wir – und nur wir – repräsentieren das wahre Volk.“

Populisten haben aber ein ebenso einfaches wie falsches Verständnis einer Demokratie: Sie gehen davon aus, dass es einen einzigen, einheitlichen Willen des Volkes gäbe, den man nur richtig umsetzen muss. Doch das ist nachweislich ein Irrglaube. Es gibt keinen einheitlichen Volkswillen, genauso übrigens wie es nicht den einzigen „Wählerwillen“ gibt, auf den sich CSV-Politiker nach ihrer Wahlniederlage von 2013 beriefen – und manche bis heute berufen. Ein Volk weist immer viele, unterschiedliche Interessen auf. Parteien geht es freilich darum, diese Interessen zwecks Stimmenmaximierung zu bündeln. Doch in einer Demokratie gibt es immer auch Minderheiten, die nicht oder kaum repräsentiert sind. In der Welt der Populisten bleiben diese Gruppen komplett außen vor oder dienen nur als Feindbild des „wahren Volkes“.

Was die Populisten gefährlich macht

Was die Populisten so gefährlich macht, ist ihr „moralisch-politischer Alleinvertretungsanspruch“, schreibt der Politologe Jan-Werner Müller in „Was ist Populismus?“. Denkt man ihn nämlich zu Ende, ist dieser Anspruch nicht mit einer freiheitlichen und pluralistischen Demokratie vereinbar. Dass Populisten eigentlich nur das politische System aufmischen und nicht regieren wollen, ist dabei ein geläufiger Irrtum ihrer Gegner. Natürlich wollen Populisten an die Macht, aber nur gemäß ihrem Verständnis einer Politik, die nur ihnen selbst die Legitimation des „wahren Volkes“ verleiht. Alle anderen Parteien sind demnach latent korrupte Volksverräter, mit denen sich kein (populistischer) Staat machen lässt.

Ein Blick ins Ausland genügt, um zu wissen, dass all diese Merkmale nicht nur pure Theorie sind. Die US-Republikaner unter Donald Trump, die Brexit-Kampagne, die österreichische FPÖ, die Fidesz-Partei in Ungarn, die „Wahren Finnen“, die „Schwedendemokraten“ (die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen), zeigen, wie Populisten ein politisches System verändern können. Zudem belegen sie, dass der radikale Populismus doch am häufigsten am rechten bis rechtsextremen Rand des politischen Spektrums zu finden ist. In der Mischung aus moralischem Alleinvertretungsanspruch und einer nationalistisch-identitären, gewaltbereiten Ideologie wird der Populismus in der Tat demokratiegefährdend.

„I alone can fix it“: Der ehemalige US-Präsident Donald Trump gab populistischen Bewegungen weltweit neuen Auftrieb – und regt offenbar auch in Luxemburg zur Nachahmung an. (Foto: Gage Skidmore)

All diese Beispiele deuten jedoch auch auf eine längere Geschichte der Fehler und Versäumnisse der politischen Klassen in den jeweiligen Ländern hin. Populismus kann nämlich nur dort gedeihen, wo der Nährboden dafür besteht. So kann – in der Tat – ein politisches Establishment, das sich von den Interessen breiter Bevölkerungsschichten entfernt, zum Aufstieg radikaler Kräfte beitragen. Auch eine bürgerferne oder kurzsichtige Politik, ein schwacher Rechtsstaat, unkritische oder allzu staatsnahe Medien sowie sozioökonomische Gegebenheiten zählen manche Politikwissenschaftler zu den Faktoren, die Populismus fördern können.

Ausschlaggebend ist zudem, wie die politische Klasse, aber auch die Medien, auf die populistische Herausforderung reagieren. Lassen sie es zu, dass die Forderungen der Populisten salonfähig werden, ja übernehmen etablierte Parteien sogar Teile ihres Diskurses, kann dies als Einfallstor für den weiteren Aufstieg dieser Bewegungen dienen. Alle Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass Populisten zu einem bestimmten Zeitpunkt von Teilen des Establishments toleriert oder gefördert wurden. Donald Trump wäre etwa nie Präsident der USA geworden, wenn die Republikaner – oder auch die sympathisierenden rechten Massenmedien – ihn nicht mehrheitlich unterstützt und seinen radikalen Populismus vervielfältigt hätten.

Wie man mit Populisten umgehen kann

Im Umkehrschluss heißt das aber: Die etablierten Parteien können auch anders handeln und damit den Aufstieg von Populisten zumindest erschweren. Genau das ist jedenfalls die These der Politologin Léonie de Jonge, die argumentiert, dass nicht zuletzt wegen eines rigiden „Cordon sanitaire“ der politischen Klasse rechtsextreme Strömungen in Luxemburg vergleichsweise schwach sind. Im Großherzogtum – ähnlich wie in Wallonien, wo es radikale Parteien auch schwer haben – bestehe ein breiter demokratischer und „kosmopolitischer Konsens“, über den die meisten Parteien und Akteure der Zivilgesellschaft wachen würden. Damit hätten es populistische Kampagnen notgedrungen schwerer, in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

Doch eine solche Strategie der Ausgrenzung kann auch problematisch sein. Denn sie bedient sich im Grunde der gleichen Methode wie die Populisten und könnte am Ende ihrer Propaganda zusätzliches Futter liefern. „Statt moralisch zu diskreditieren, sollten liberale Demokraten (…) erst einmal diskutieren“, meint deshalb Jan-Werner Müller. Wenn Populisten Volksverhetzung betreiben oder zur Gewalt aufrufen, greife ohnehin das Strafrecht. In allen anderen Fällen könnten die Zielscheiben der populistischen Kampagnen diese Kritik nicht einfach ignorieren.

Der Politikstil der ADR und der Piraten ist die Vorstufe eines radikaleren Populismus, vor dem auch ein bisher so stabiles und konsensorientiertes politisches System wie in Luxemburg nicht gefeit ist.“

Dabei kommt es aber auf die Art und Weise an. Eine frontale Diskussion mit Populisten kann manchmal sinnvoll sein, um deren Methoden unmittelbar zu brandmarken. Sie kann aber auch die Agitatoren aufwerten und zur Verbreitung ihrer Parolen beitragen. Noch sinnvoller scheint deshalb, dass man die hinter dem Populismus steckenden „Sorgen der Bürger“ selbst thematisiert. Oft verbirgt sich dahinter zwar reine Stimmungsmache, die sich so aber besser enthüllen lässt als im Zwiegespräch mit den Demagogen. Manchmal, wenn auch nur manchmal, beziehen sich die Populisten in ihren Reden aber auch auf tatsächlich existierende Probleme. Diese gilt es von der Polemik zu trennen, aber dennoch politisch ernst zu nehmen.

Letztlich könnte man es sich aus Luxemburger Sicht ja aber ganz leicht machen: Im Vergleich mit den meisten anderen Staaten hält sich die populistische Gefahr hierzulande noch in Grenzen. Gleichzeitig ist der Politikstil der ADR und der Piraten die Vorstufe eines radikaleren Populismus, vor dem auch ein bisher so stabiles und konsensorientiertes politisches System wie in Luxemburg nicht gefeit ist. Dabei haben die hiesigen Populismuslehrlinge den Einführungskurs längst bestanden und könnten die kommenden Wahlen als Meisterprüfung auffassen.


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