Die Piraten werfen der Regierung Wortbruch vor. Energieminister Claude Turmes lasse entgegen anderslautender Versprechen zu, dass bedürftigen Menschen trotz Energiekrise der Strom abgestellt wird, so die Polemik. Ist die Kritik berechtigt? Ein Faktencheck.

„Haalt op, de Leit ouni Geld de Stroum ze spären. Halt Äert Wuert, nondidjö.“ Mit diesen markigen Worten forderte Sven Clement (Piraten) die Regierung Anfang Oktober zum Handeln auf. Konkret verwies er auf deren „Versprechen“, dass Personen mit niedrigem Einkommen der Strom oder das Gas nicht abgestellt werde, wenn sie ihre Rechnung nicht bezahlen könnten. Der Tenor: Die Regierung lasse die Menschen mit ihren Problemen im Stich. Mehr noch: Es sei die Regierung, die den Leuten den Strom abschalte.

Der Vorwurf basierte auf einem Beispiel von Sven Clements Parteikollegen Marc Goergen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schilderte der Abgeordnete den Fall einer Mutter von drei Kindern, der von ihrem Energieversorger der Strom abgestellt wurde. Der Verantwortliche für das Schicksal der Frau ist für Goergen auch schnell ausgemacht: „Souvill zum Claude Turmes sengem Verspriechen.“ Auch „RTL“ berichtete über den Fall, ohne die Hintergründe zu überprüfen.

Das Versprechen, auf das Marc Goergen sich bezieht, machte der Energieminister unter anderem Ende September in der „RTL“-Sendung „Kloertext“. Dort lautete die Position von Claude Turmes (Déi Gréng): „Wir stellen niemandem den Strom oder das Gas ab, wenn wir wissen, dass die Betroffenen berechtigte Probleme haben. Wir versuchen eine Lösung in der Schnittstelle zwischen Energielieferanten und Sozialämtern zu finden.“

Entsprechen die Anschuldigungen der Piraten also der Wahrheit? Trägt die Regierung wirklich die Verantwortung dafür, dass Menschen der Strom abgestellt wird? Unser Faktencheck zeigt: Die Sache ist nicht so eindeutig, wie sie in der Debatte dargestellt wird. Manche Vorwürfe der Piraten sind falsch, andere zumindest irreführend. Doch auch die Regierung argumentierte in der Angelegenheit mit unvollständigen Informationen.

Wird Bürgern Strom oder Gas abgestellt?

Richtig ist, dass auch in der Krise noch Personen das Gas oder der Strom abgestellt wird. Auf Nachfrage von Reporter.lu betont etwa der Energieversorger „Enovos“, dass es monatlich im Schnitt zu 50 bis 60 Strom- oder Gasabschaltungen komme. Bis September sei dabei keine Fluktuation zu den Vorjahren erkennbar und die Zahlen seien stabil, so ein Sprecher weiter. Zudem verzichte der Versorger auf Abstellungen erst, wenn die Temperaturen unter null Grad fallen sowie an einem Freitag, auch wenn das gesetzlich so nicht vorgesehen sei.

Wie vielen Menschen im Jahr insgesamt Strom- oder Gas abgedreht wird, darüber geben die Jahresberichte des „Institut luxembourgeois de régulation“ (ILR) Auskunft. Die letzten Zahlen der Regulierungsbehörde liegen für das Pandemiejahr 2020 vor. In jenem Jahr wurde insgesamt bei 771 Stromkunden und 77 Gaskunden die Versorgung eingestellt.

Allerdings muss man die Zahlen ins Verhältnis zu jenen Fällen setzen, in denen das Sozialamt über eine drohende Abstellung informiert worden war. Denn 2020 wurden die Ämter 7.937 Mal von den Versorgern darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Strom bei einem Kunden abgedreht werden soll. Beim Gas waren es 1.331 Fälle. Das heißt: In der überwiegenden Mehrheit der Fälle konnte das Sozialamt eine Abstellung verhindern.

Wir wollen keine Trittbrettfahrer ermutigen, ihre Rechnungen nicht mehr zu bezahlen, wenn sie es sich eigentlich leisten könnten.“Energieministerium

Wann Strom und Gas abgestellt werden dürfen, ist gesetzlich klar geregelt. Die rechtliche Grundlage bilden die jeweiligen Gesetze zum Strom- und zum Gasmarkt aus dem Jahr 2007. Grundsätzlich gilt: Ist die Rechnung nach 15 Tagen nicht bezahlt, müssen die Versorger eine erste Mahnung schicken. Eine zweite muss nach 15 Tagen folgen, allerdings muss dabei auch das Sozialamt in Kenntnis gesetzt werden. Nach 30 weiteren Tagen hat das Energieunternehmen das Recht, die Versorgung einzustellen.

Für Menschen, die sich in einer solchen Situation befinden, heißt das: Erster Ansprechpartner ist das Sozialamt der Gemeinde und natürlich der eigene Versorger. Ob das Sozialamt hilft, ist wiederum durch ein weiteres Gesetz geregelt, jenes zur Sozialhilfe aus dem Jahr 2009. Dieses legt in Artikel 30 fest, dass das Sozialamt Gas- und Stromrechnungen übernehmen kann. Allerdings nur, wenn Betroffene ein Recht auf Sozialhilfe haben und beim Sozialamt eingeschrieben sind. Die pauschale Aussage, dass niemandem der Strom abgedreht werde, stimmt demnach nicht. Denn am Ende entscheidet der Verwaltungsrat des Sozialamts, ob eine Hilfe gewährt und die Person somit weiter beliefert wird.

Ist die Regierung dafür verantwortlich?

An der Gesetzlage hat sich auch mit der Aussage von Claude Turmes nichts geändert. Auf Nachfrage von Reporter.lu betont das Energieministerium, dass Gespräche zwischen dem Minister und den Energieunternehmen stattgefunden haben. Dabei habe sich der Minister auch nach der Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Sozialämtern erkundigt und die Beteiligten an den gesetzlichen Rahmen erinnert, so ein Sprecher.

Generell sei es nicht so, dass es überhaupt nicht mehr zu Abschaltungen komme. Ein Moratorium auf Strom- und Gasabschaltungen gibt es demnach nicht. „Wir wollen keine Trittbrettfahrer ermutigen, ihre Rechnungen nicht mehr zu bezahlen, wenn sie es sich eigentlich leisten könnten“, so die Begründung aus dem Energieministerium. So sei auch das Versprechen des Ministers aus dem „RTL-Kloertext“ zu verstehen: „Wir stellen niemandem den Strom oder das Gas ab“ – mit dem Zusatz: „wenn wir wissen, dass die Betroffenen berechtigte Probleme haben.“

Die Leute müssen zum Sozialamt kommen, das ist ihre Verantwortung. Wir können nur helfen, wenn sie zu uns kommen.“Mike Braun, Sozialamt Petingen

Was der Minister und andere Vertreter der Regierung nicht sagen: In der Praxis kann das zu Härtefällen führen. Denn das System erfordert auch eine gewisse Eigenverantwortung. Wer seine Rechnung nicht mehr bezahlen kann, muss nämlich selbst handeln.

Das bestätigt Mike Braun, zuständig für das Sozialamt in Petingen: „Die Energieversorger schicken uns eine Liste mit Personen, denen eine Abschaltung droht. Darunter auch jene, die nicht beim Sozialamt eingeschrieben sind. Doch es gibt auch Versorger, die es versäumen, uns die Liste zukommen zu lassen.“ Und was passiert dann? Die Antwort von Mike Braun ist eindeutig: „Wir machen mit der Liste überhaupt nichts. Die Leute müssen zum Sozialamt kommen, das ist ihre Verantwortung. Wir können nur helfen, wenn sie zu uns kommen.“

Die Frage der Verantwortung ist demnach nicht so einseitig zu beantworten. Fest steht: Die Regierung kann in dieser Krise nicht unmittelbar darauf einwirken, wer den Strom oder das Gas abgestellt bekommt. In diesem Sinn fußt die Kampagne der Piraten auf irreführenden Aussagen. Allerdings hat Energieminister Claude Turmes mit seinen öffentlichen Äußerungen auch Raum für Missverständnisse gelassen.

Welche Rolle spielen die Energieanbieter?

Den spezifischen Fall, auf den sich die Piraten berufen, will der Energieversoger Enovos nicht kommentieren. Generell betont der größte Strom- und Gasanbieter des Landes jedoch, sich nicht nur strikt an die gesetzlichen Vorschriften zu halten, sondern in der Praxis darüber hinaus zu gehen. So sei es bei Enevos etwa gängige Praxis, erst bei der vierten Mahnung das Sozialamt in Kenntnis zu setzen und eine Abschaltung binnen 30 Tagen anzukündigen, so der Versorger in einer schriftlichen Stellungnahme an Reporter.lu. Zudem würden die Betroffenen in diesem Schreiben explizit auf das für sie zuständige Sozialamt hingewiesen.

Darüber hinaus versuche Enovos immer auch eine direkte Lösung mit den Kunden zu finden. Wer etwa seine Rechnung nicht vollständig bezahlen könne, dem schlage man eine Ratenzahlung vor, so der Energieversorger. Zudem arbeite man eng mit den Sozialämtern zusammen. Die Botschaft: Bis der Strom in einem Haushalt tatsächlich abgeschaltet wird, muss schon viel passieren.

Auch andere Energieversorger unterstreichen die enge Zusammenarbeit mit den Sozialämtern. Alain Fürpass, Direktor von „SüdEnergie“, erklärte Ende September in der „RTL“-Sendung „Kloertext“: „Wir sind in den letzten Wochen aktiv an die Sozialämter herangetreten, um auszuloten, wie wir unsere Zusammenarbeit optimieren können, und wie wir betroffene Kunden sofort an sie überweisen.“ Auch sein Unternehmen versuche zunächst eine Lösung direkt mit den Kunden zu finden, so Alain Fürpass. Eine Abschaltung stehe immer erst am äußersten Ende der Prozedur.

Könnte die Regierung mehr tun als bisher?

Dennoch ist durch die Kampagne der Piraten in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, als ob Claude Turmes persönlich für die Missstände verantwortlich wäre. Das stimmt so aber nicht. Auch wenn der Energieminister sich öffentlich dazu geäußert hat, sieht die Rechtslage, wie oben skizziert, anders aus. Das Energieministerium hat zwar innerhalb der „Klima-Agence“ zwei neue Posten geschaffen, die sich mit der Frage der Energiearmut beschäftigen sollen. Doch für die Auszahlung und die Finanzierung der Hilfen ist eigentlich ein anderes Ministerium zuständig: das Familienministerium.

Die Auszahlung der Teuerungszulage sowie der Energiehilfe läuft etwa über den „Fonds national de solidarité“, der direkt dem Familienministerium untersteht. Die Finanzierung der Sozialämter fällt ebenfalls unter die Zuständigkeit des Ministeriums von Corinne Cahen (DP). Allerdings tragen auch die Gemeinden etwa die Hälfte des Haushalts der Sozialämter mit. Dabei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen den Gemeinden. So gab die Gemeinde Petingen 2021 rund 20 Euro pro Bürger für das Sozialamt aus, Hesperingen hingegen nur 99 Cent, wie Reporter.lu jüngst berichtete.

Insgesamt hatten die Sozialämter 2021 ein Budget von rund 24 Millionen Euro. Davon gaben sie 2021 lediglich 388.000 Euro für Notanträge bei Gas- und Stromrechnungen aus. Für alle Nothilfen, darunter jene für Lebensmittel, war es etwa eine Million Euro. Für dieses Jahr geht die Familienministerin jedoch von einer deutlichen Steigerung aus. Anlässlich einer Fragestunde im Parlament erklärte Corinne Cahen, dass dieses Jahr bereits 900 Anträge für eine Nothilfe bei den Sozialämtern eingereicht wurden und damit nun schon mehr als 2021.

Fazit: Falsche bis irreführende Aussagen

Die Behauptungen der Piraten stimmen also nur in einem Punkt: Ja, es gab Fälle, in denen Menschen in der aktuellen Krise der Strom oder das Gas abgestellt wird. Und es wird wohl auch weiterhin solche Fälle geben. Irreführend ist die Darstellung der Oppositionspartei aber, weil sie den Eindruck vermittelt, dass die Regierung an diesen Fällen allein schuld sei. Mit den Worten von Sven Clement: „Haalt op, de Leit ouni Geld de Stroum ze spären.“ Diese polemische Unterstellung ist faktisch falsch. Die Regierung stellt niemandem den Strom oder das Gas ab. Dafür sind die Energieversorger zuständig.

Allerdings trägt die Regierung natürlich die politische Verantwortung für die aktuelle Praxis, bei der es zu den besagten Härtefällen kommt. Die Koalition könnte mittelfristig sicher mehr tun, um die Lage zu verbessern. Zum Beispiel könnte das Familienministerium ein Moratorium für Gas- und Stromsperren für Personen beschließen, die bei einem Sozialamt eingeschrieben sind. So wären zumindest sie vor den schlimmsten Auswirkungen der aktuellen Energiekrise geschützt. Zudem müssen Personen, denen Unterstützung zusteht, das auch wissen. Der Staat könnte also in der anhaltenden Krise die betroffenen Bürgerinnen und Bürger besser aufklären.


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