In ihrem neuen Buch geht die Politologin Léonie de Jonge der Frage nach, warum rechtspopulistische Parteien in manchen Staaten mehr Erfolg haben als in anderen. Ihre Kernthese zum Beispiel Luxemburg ist durchaus kontrovers. Doch der wahre Mehrwert des Werkes liegt woanders.
Warum erlebten die Niederlande und Flandern einen Aufstieg von rechtspopulistischen Parteien, während vergleichbare Bewegungen in Luxemburg und Wallonien bisher scheiterten? Das ist die Kernfrage von „The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries“. Die Antwort der Autorin fällt differenziert aus und taugt zur kontroversen Diskussion. Denn laut der Politologin Léonie de Jonge spielen die etablierten Parteien der Mitte und die Medien eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung des Erfolgs der Rechtspopulisten. So auch in Luxemburg.
Dabei ist allein die Perspektive des Werkes schon originell. Denn laut de Jonge beschäftigten sich die allermeisten Analysen bisher mit den „populist success stories“. Ihr Forschungsgegenstand ist jedoch auch die Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass Rechtspopulisten bei demokratischen Wahlen eine politische Randerscheinung bleiben. Damit will sie bewusst dem durch die übliche wissenschaftliche Perspektive erweckten Anschein entgegenwirken, wonach der Erfolg von Rechtspopulisten unausweichlich sei.
Rechtspopulismus in Luxemburg
Luxemburg dient neben Wallonien als Paradebeispiel für die Gegenthese. Dabei behauptet die Autorin nicht, dass es hierzulande keinen Populismus, Rechtsextremismus oder Rassismus gebe. Doch anders als in den meisten europäischen Staaten existiere in Luxemburg bisher keine politische Partei, die diese Bewegungen erfolgreich verkörpern konnte. „While xenophobic sentiments and right-wing populist movements have surfaced occasionally, they have never been able to gain ground electorally“, so die Hypothese.
Dabei geht de Jonge einerseits auf die Geschichte nationalistisch-identitärer Gruppen ein – von der „Actioun Lëtzebuergesch“ über die „Gréng National Bewegung“ oder die „Éislecker Fräiheetsbewegung“ bis hin zur „National-Bewegong“. Andererseits situiert sie die heutige „Alternativ Demokratesch Reformpartei“ (ADR) „am rechten Ende“ des politischen Spektrums in Luxemburg, grenzt sie jedoch durchgehend von rechtspopulistischen Parteien (etwa dem flämischen „Vlaams Belang“ oder der niederländischen „Partij voor de Vrijheid“) ab.

Was ist überhaupt rechter Populismus? De Jonge definiert ihren Kernbegriff einerseits als „rightist“, „nativist, exclusionist and radical“, mit starkem Hang zu Autoritarismus und fremdenfeindlichem Nationalismus. Rechtspopulisten würden zudem manche Merkmale der liberalen Demokratie ablehnen, ohne unbedingt „antidemokratisch“ zu sein. Sie propagierten einen nationalistischen, identitären, ausgrenzenden Diskurs, der sich rezent vornehmlich in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zeige. Vor allem seien jene Parteien aber im Kern „populistisch“, indem sie das „wahre Volk“ ansprechen und als Gegenpol zur vermeintlichen „bösen Elite“ inszenieren wollen.
In diesem Sinn werde die ADR in der Politikwissenschaft oft als „soft version of right-wing populism“ bezeichnet, schreibt die Autorin. Ihre eigene Einschätzung ist noch differenzierter. Die ADR sei zwar „eindeutig nationalistisch“, aber im Vergleich mit anderen Rechtsparteien „nicht offen ausländerfeindlich“. Die ADR sei somit auch nicht kategorisch gegen Einwanderung. Und schließlich sei die Partei bisher, in der Logik der gängigen Populismusdefinition, auch nicht sonderlich durch „anti-elitäres“ Denken geprägt.
Rechtspopulismus im Vergleich
Über die Beantwortung der Leitfrage hinaus liefert die Autorin mit ihrem Buch durchaus ein politikwissenschaftliches Standardwerk. Wie sie mehrmals bemerkt, sei die „populistische radikale Rechte“ zwar im Vergleich die bei weitem am besten erforschte Parteienfamilie. Allerdings gilt das nicht wirklich für Luxemburg. Wie in so vielen anderen Bereichen steckt auch die systematische Parteienforschung – und insbesondere jene von Parteien im rechten Spektrum – im Großherzogtum noch in den Kinderschuhen.
Das Buch, das aus der Doktorarbeit der Politologin an der University of Cambridge hervorging, setzt denn auch bei den historischen und begrifflichen Grundrissen an. An den Beispielen der Benelux-Staaten schildert sie die Entwicklung rechtspopulistischer Parteien im jeweiligen institutionellen und politisch-kulturellen Kontext. Doch ihr analytischer Rahmen eignet sich zum Verständnis des Phänomens des (rechten) Populismus insgesamt.
Dabei erkennt sie natürlich, dass es viele Faktoren gibt, die den Erfolg und Misserfolg von Rechtspopulisten bestimmen. Sozioökonomische und kulturelle Gegebenheiten gehören dazu, die unterschiedliche Tradition von Einwanderung und Weltoffenheit ebenso wie das Wahlsystem oder die Bedeutung von charismatischen Führungspersonen in den jeweiligen Parteien. Doch diese Faktoren würden zur Erklärung des unterschiedlichen Abschneidens von rechtspopulistischen Parteien allein nicht ausreichen, betont die Autorin.
While xenophobic sentiments and right-wing populist movements have surfaced occasionally, they have never been able to gain ground electorally.“Léonie de Jonge über das Beispiel Luxemburg
Hinzu komme in jedem Fall die Rolle von etablierten Parteien der Mitte („mainstream parties“) und den Medien. Ihr Verhalten sei ausschlaggebend dafür, ob die Agitationen der populistischen Rechten gefördert oder behindert werden, so ihre These. Noch konkreter: Akzeptieren und übernehmen andere Parteien und die Medien die Prämissen des populistischen Diskurses, fördern sie damit letztlich die Etablierung populistischer Parteien. Doch die Parteien erhalten damit nicht nur ein „Einfallstor“ in den öffentlichen Raum; ihre Ideen und Methoden werden allmählich selbst zum „Mainstream“ und zum Teil von der politischen Konkurrenz übernommen.
Genau dies sei in den vergangenen Jahrzehnten in den Niederlanden und Flandern geschehen, argumentiert de Jonge anhand von mehreren Beispielen. So sei dort etwa ein kritischer Diskurs in der Einwanderungs- und Integrationspolitik mittlerweile die Regel. Entsprechend haben sich die Rechtspopulisten im jeweiligen Parteiensystem verfestigt. Die als islamkritische Bewegung gestartete „Partij voor de Vrijheid“ liegt in den Niederlanden seit 2010 bei Parlamentswahlen relativ konstant bei 10 bis 15 Prozent. Der rechtsextrem-separatistische „Vlaams Belang“ erhielt bei den vergangenen flämischen Regionalwahlen gar 18,5 Prozent und landesweit ebenso über zehn Prozent der Wählerstimmen.
„Cordon sanitaire“ gegen Rechts
Dagegen hätten rechtsextreme Tendenzen in Wallonien und Luxemburg bisher keinen vergleichbaren Erfolg gehabt. Die Gründe seien zwar vielfältig, doch auffällig sei die Tradition eines rigiden politischen „cordon sanitaire“, schreibt de Jonge. In Luxemburg äußere sich dieser einerseits in einem breiten demokratischen und „kosmopolitischen Konsens“ aller größeren Parteien. Ähnlich wie Wallonien sei das Großherzogtum ein traditionelles Einwanderungsland – eine Gepflogenheit, die sich bis heute im politischen Diskurs widerspiegele. Zudem würden politisch Verantwortliche das Ausscheren aus dem parteiübergreifenden Konsens, der auch andere Themen betreffe, konsequent brandmarken.

Andererseits seien auch die Medien hier viel sensibler gegenüber einer Radikalisierung der politischen Rhetorik, schreibt de Jonge. In Wallonien gibt es gar eine formelle Vereinbarung in Form eines „cordon sanitaire médiatique“, in der sich Medienmacher dazu verpflichten, „freiheitsfeindlichen“ Parteien oder Bewegungen keine Plattform zu geben. In Luxemburg ist dieser mediale „cordon sanitaire“ eher informeller Natur. De Jonge untermauert dies unter anderem mit einer Vielzahl von Interviews, die sie mit Verantwortlichen der hiesigen Presse im Rahmen ihrer Doktorarbeit führte.
Gerade an dieser Stelle offenbaren sich jedoch Angriffsflächen in der Argumentation der Autorin, wie auch Bernard Thomas in seiner Analyse zum Buch im „Land“ bemerkte. So führt de Jonge aus, dass die staatliche Pressehilfe dazu beitrage, dass Luxemburgs Medien sich den Luxus leisten könnten, sich nicht nach der Nachfrage von mitunter populären oder kontroversen Meinungen zu richten. Sie schreibt gar von einem „uncommercial character of the Luxembourgish media landscape“. In Wirklichkeit grassiert auch in Luxemburg eine Krise der Printmedien, die etwa beim traditionsreichen Verlagshaus „Saint-Paul“ rezent wieder zu Massenentlassungen führte.
Die ADR und die Aussichten
Auch an anderen Stellen ließe sich die Grundthese des Buches kritisieren. So könnte man die Frage aufwerfen, ob die strukturelle Schwäche von extremistischen Parteien in den besagten Ländern einen rigiden „cordon sanitaire“ überhaupt erst möglich macht – und nicht umgekehrt. Dass sich also für andere Parteien und die Medien die Frage der Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten überhaupt erst dann stellt, wenn letztere dauerhaft im politischen Spiel mitmischen. Die Autorin ist sich dieses eventuellen Widerspruchs zwar bewusst, doch sie räumt ihn auf den 224 Seiten ihres Werkes nicht völlig aus der Welt.
Fraglich ist zudem, ob der „Cordon sanitaire“ nicht auch in Luxemburg längst zu bröckeln begonnen hat. De Jonge spricht zwar den Wandel der politischen Debatte infolge des Referendums von 2015 an und konstatiert eine „Politisierung der nationalen Identität“. Ebenso reduziert sie das Populismusphänomen nicht auf die ADR (und nicht auf Rechts), denn auch den Wahlerfolg der Piraten 2018 könnte man laut der Autorin als „erstes Symptom des Vorstoßes des Populismus“ im Großherzogtum interpretieren.
Doch die Entwicklung seitdem, also die parteipolitische Integration des „Nee 2015/Wee 2050“ und der damit längst eingesetzte Wandel der ADR-Programmatik kommt im Buch etwas zu kurz. Somit könnten selbst die überzeugendsten Argumente der Autorin, ja die ganze Grundthese des Buches, eine kurze Halbwertszeit haben.
Due to the party’s marginal stance as well as its comparatively moderate official rhetoric, it seems fair to say that right-wing populist parties have not been very successful in the Grand Duchy.“Léonie de Jonge über die ADR
Dennoch stellt „The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries“ einen wahren Mehrwert dar – für die wissenschaftliche Debatte ohnehin, aber auch darüber hinaus. Die wahre Stärke des Buches ist, dass es überhaupt geschrieben wurde. Also, dass es fortan überhaupt eine systematische Bestandsaufnahme der politischen Rechten und ihrer jüngeren Entwicklung in Luxemburg gibt. Indem sich Léonie de Jonge konsequent an der gängigen Populismusdefinition, der weitläufigen Forschung zu rechtsextremen Parteien im Benelux-Raum und nicht zuletzt an der Gültigkeit der eigenen Argumente abarbeitet, liefert sie einen bedeutenden Beitrag zum Politik- und Demokratieverständnis.
Eine doppelte Frage im Ausblick, die kontrovers diskutiert werden dürfte, lautet dabei: Wie rechts und populistisch ist eigentlich die ADR, die 2004 mit 9,95 Prozent ihr bestes Wahlresultat einfuhr? Und wie rechts und populistisch wird sie in den kommenden Jahren sein? Die Antwort auf den ersten Teil der Frage lautet wohl: Relativ. Denn Politikwissenschaftler pflegen gerne den Vergleich zwischen Staaten und ähnlichen Kontexten. Und natürlich lässt auch Léonie de Jonge den hypothetischen Teil der Frage offen.
Doch laut der Theorie ihres Buches ist die Frage, ob die ADR nach der Ära Gibéryen weiter nach rechts driftet, ohnehin nur ein Aspekt. Denn selbst wenn die ADR nach streng wissenschaftlichen Kriterien eines Tages als regelrechte rechtspopulistische Partei bezeichnet werden kann, fehlt ihr immer noch das unabdingbare Populismus-Feature des nachhaltigen „success“ in der breiten Bevölkerung.
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