Die ADR wähnte sich als großer Gewinner der diesjährigen Wahlen. Doch die von der Partei selbst erwartete Sensation blieb aus. Zur Fraktionsstärke reicht es nicht. Schuld sind laut Gast Gibéryen und Co. vor allem die CSV, die Medien und das Wahlsystem.

Es ist Viertel vor Zehn als Gast Gibéryen vor die Kameras tritt. Inzwischen haben sich die ersten Parteimitglieder schon auf den Heimweg gemacht. Schnell werden die Anwesenden dazu aufgerufen, sich hinter den ADR-Spitzenkandidaten im Süden zu stellen. Man will den Eindruck erwecken, der Saal sei voll und die Stimmung gut. Das ist sie aber nur bedingt.

Eigentlich hätte die ADR Grund zu feiern. Die alternativ-demokratische Reformpartei hat bei diesen Wahlen ein besseres Resultat erzielt als noch vor fünf Jahren. Insgesamt kam sie auf 8,28 Prozent der Stimmen. Das sind rund 1,6 Prozentpunkte mehr als noch 2013. Im Norden hat sie einen Sitz zu Lasten der LSAP dazugewonnen. Jeff Engelen, der im Winkringer Gemeinderat sitzt, zieht in die Abgeordnetenkammer ein.

Doch im Osten ist die ADR knapp an einem Sitz vorbeigeschlittert – und damit auch am gesetzten Ziel der Fraktionsstärke. Die großen Wahlgewinner unter den kleinen Parteien sind nicht die ADR, sondern die Piraten.

Das Problem der ADR war allerdings nicht das Resultat, sondern die eigene Erwartungshaltung. Die Partei sah sich ebenso wie der Kooperationspartner „Wee 2050“ selbst als das exklusive Sprachrohr jener „80 Prozent“ der Luxemburger, die sich beim Referendum 2015 gegen das Ausländerwahlrecht ausgesprochen hatten. Ein Trugschluss, wie sich spätestens am Wahltag herausstellen sollte.

Das vermeintliche CSV-Argument

Auf der ADR Wahlparty überwiegt die Schadenfreude über die CSV-Verluste. Nicht die Euphorie über das eigene Wahlergebnis. Der Schuldige ist schnell gefunden. „D’CSV wollt net mat eis an d’Majoritéit. Lo musse se mat eis an d’Oppositioun.“, so Gast Gibéryen. Es ist ein Satz, den der wiedergewählte Abgeordnete an diesem Abend immer wieder wiederholen wird.

 In der Abgeordnetenkammer bevorzugt die Mehrheit einen Schulterschluss mit der ADRGast Gibéryen

Ohne die ADR habe sich die CSV nicht als glaubwürdige Oppositionspartei und Alternative zu „Gambia“ positionieren können. Dadurch hätten sie viele Wähler verloren, betont Gibéryen im Gespräch mit REPORTER.

Fernand Kartheiser sieht die ADR sogar als „neue CSV.“ Denn: „Bei deenen ass jo keen ‚C’ méi“, argumentiert der wiedergewählte Abgeordnete im Süden. Die ADR müsse nun diese Rolle übernehmen und die Werte verteidigen, die die CSV aufgegeben hat.

Keine Alternative für CSV-Wähler

Dabei glaubten die ADR-Spitze bis zuletzt, dass die CSV eine Koalition nach den Wahlen nicht so kategorisch ausschließen würde, wie es deren Spitzenkandidat Claude Wiseler wiederholt glauben machen wollte. Noch Ende August war Gast Gibéryen überzeugt, dass eine Zusammenarbeit mit der CSV nicht nur möglich, sondern geradezu logisch sei.

Das wiederholte Gibéryen auch am Wahlabend. „In dieser Frage ist die CSV gespalten. Viele CSV Mitglieder sind pro-ADR. In der Abgeordnetenkammer bevorzugt die Mehrheit einen Schulterschluss mit der ADR und nicht mit Gambia.“ Vor einigen Wochen sprach Gibéryen noch von „einigen“ CSV-Mitgliedern. Jetzt ist es schon eine Mehrheit.

Bei nur 21 Sitzen für die CSV und vier für die ADR war dieses Szenario aber spätestens am Wahlabend vom Tisch. Vor diesem Hintergrund haben die Erklärungsversuche der ADR einige Schwächen. Damit Gibéryens Rechnung hätte aufgehen können, hätten all jene Wähler die die CSV abgewählt haben, folglich für die ADR stimmen müssen. Dem war aber nicht so.

Ich bin Drittgewählter, da ist es logisch dass ich jetzt gute Oppositionsarbeit leiste.“Fred Keup

Gründe für dieses Paradoxon sind schnell gefunden. Der neugewählte Abgeordnete Jeff Engelen kritisiert das „ungerechte“ Wahlystem: Der ADR hätte ein Sitz im Osten zugestanden. Für den ehemaligen RTL-Journalisten Dan Hardy sind die Medien schuld. Sie hätten die ADR zu sehr in die Rechte Ecke gedrängt. Eine Aussage, die am Abend öfter fällt. „Ohne die Presse hätten wir noch viel mehr dazugewonnen“, ist sich auch Fernand Kartheiser sicher. Laut Roy Reding haben die Bürger die großen Themen des Wahlkampfs – Sprache, Wachstum, Erziehung – nicht genug mit der ADR in Verbindung gebracht.

Doch indem die ADR-Spitzen solch simplistischen Erklärungen wie das CSV-Argument für das moderate Wahlresultat vorbringen, besänftigen sie lediglich die Parteimitglieder. Eine fundierte Auseinandersetzung mit den Gründen für den ausgebliebenen Erfolg kann es so nicht geben. Und damit auch keine inhaltliche Hinterfragung von Wahlproramm, Aufstellung und Wahlkampagne.

„Wee 2050“ enttäuscht als Zugpferd

Das Resultat jedenfalls deckt sich nicht mit den Prognosen. Vielerorts wurde im Vorfeld gebangt, dass die Rechten insbesondere durch den Zusammenschluss mit der von Fred Keup dominierten Bewegung „Wee 2050“ als deutliche Gewinner dieser Wahlen hervorgehen würden. Parteiintern scheint klar: die ADR hat dieses Jahr die Themen angestoßen, die die Wahlen dominieren sollten.

Doch der Zusammenschluss mit dem „Wee 2050“ zahlte sich nur bedingt aus. Obwohl Fred Keup mit seinen Thesen zu Wachstum und Sprache polarisierte, reichte es mit 8.865 Stimmen nicht für den Einzug in die Abgeordnetenkammer. Der Präsident der Bewegung Tom Weidig erreichte lediglich 6.641 Stimmen. Die Sensation blieb aus.

Für die ADR blieb man bei den Wahlen am Sonntag zwar hinter den eigenen Erwartungen zurück. Für Selbstkritik sehen die meisten in der Partei jedoch keinen Grund (Foto: Matic Zorman)

Öffentlich bereut keiner der Beteiligten die Zusammenarbeit mit dem „Wee 2050“. Sie erlaubte es der ADR sich nach den vielen parteiinternen Querelen im Vorfeld der Kammerwahlen 2013 neu aufzustellen. Dennoch scheint Fernand Fehlen Recht zu haben mit seiner Prognose, dass die Bewegung nach den Wahlen verschwinden würde. Es zeichnet sich bestenfalls eine Symbiose der beiden Partner ab.

Wenn einer von ihnen zu radikal wird, dann muss er mit internen Konsequenzen rechnen.“Fernand Kartheiser

Sprach Fred Keup zu Beginn des Abends noch davon, dass der „Wee 2050“ und die ADR weiterhin als Partner fungieren wollen, so kündigte er später an, in die Partei einzutreten. „Ich bin Drittgewählter, da ist es logisch dass ich jetzt gute Oppositionsarbeit leiste“, so der Gründer der „Wee 2050“-Bewegung. Im Mai seien schließlich Europawahlen.

ADR als „Wahrer der Demokratie“

Dabei fällt auf, dass die ADR die Wee-Mitglieder keineswegs umgarnt. Tom Weidig wird auf der Wahlparty von den Parteispitzen kaum Beachtung geschenkt. Auch Fred Keup tritt nicht wie der Kopf einer gleichgestellten Bewegung auf. Die ADR und „Wee 2050“ wirkten nicht wie ein geschlossenes Team.

Nüchtern betont Parteipräsident Jean Schoos gegenüber REPORTER, die neuen Anwärter seien willkommen, sofern sie durch das Nationalkomitee bestätigt würden. Ab dann müssen sich die Kandidaten an die Regeln der Partei halten. Alleingänge oder (zu) radikale Aussagen, wie etwa Tom Weidigs Verharmlosungen des Nationalsozialismus auf Facebook wären in dem Fall Tabu. „Wenn einer von ihnen zu radikal wird, dann muss er mit internen Konsequenzen rechnen“, betont auch Fernand Kartheiser.

Denn wenn der Islam kommt und Forderungen stellt, können wir dem nichts mehr entgegen setzen.“Fernand Kartheiser

Tatsächlich sieht Kartheiser die ADR als „Wahrer der Demokratie“, die Sorge dafür trägt dass sich keine rechtsradikalen Parteien in Luxemburg etablieren können. Eine Wahlversammlung in Esch, wenige Tage vor dem 14.Oktober zeigte jedoch, dass das Potential zur Radikalität durchaus vorhanden ist.

Gab sich die ADR am Sonntagabend moderat und traditionsorientiert, ging es in Esch um die Islamisierung Luxemburgs und die ‚Überfremdung‘ des Landes. Es bräuchte eine Rückbesinnung zu traditionellen Werten. „Denn wenn der Islam kommt und Forderungen stellt, können wir dem nichts mehr entgegen setzen“, betonte dort Fernand Kartheiser.

Angesichts dessen stellt sich die Frage, auf welche Themen die ADR in Zukunft setzen wird. Will sie eine glaubwürdige Alternative für die CSV sein? Dann jedenfalls müsste sie sich fundierter mit ihrem Wahlausgang auseinandersetzen. Oder sind ‚Überfremdung’ und gar ‚Islamisierung’ zukünftige Themen? Die Versammlung in Esch jedenfalls zeigt: Der Grat zwischen der Wahrung konservativer Werte und rechtsradikalen Ideen ist schmal.