Ein Facebook-Post der ADR-Politikerin Sylvie Mischel hat bei Medien und politischen Gegnern eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Die Kontroverse veranschaulicht, warum klassischer Rechtspopulismus in Luxemburg einen schweren Stand hat – zumindest bisher. Eine Analyse.
Zu sehen ist ein Foto von Jean Asselborn (LSAP) mit 26 Flüchtlingen. Auf dem Foto steht in Weiß: „Der LSAP hiert éischt Walplakat fir 2023“. Daneben ein Begleittext mit folgendem Satz: „Bei eis gëtt et och vill Misär, mee sech do drëm ze këmmeren schéngt Gambia net ze interesséieren.“ Die Autorin dieses Facebook-Post, Sylvie Mischel (ADR), ist mittlerweile von ihren Parteiämtern zurückgetreten.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Mitglied der ADR durch den Umgang mit sozialen Medien politische Konsequenzen tragen muss. Joe Thein wurde im März 2017 wegen eines „Likes“ von einem Facebook-Post, der dem Außenminister Jean Asselborn den Tod wünschte, aus der Partei ausgeschlossen. Christiane Kies, ADR-Kandidatin bei den Gemeindewahlen 2017, musste ihren Rücktritt einreichen, weil sie Muslime mit Terroristen gleichsetzte.
Einheitsfront der anderen Parteien
In allen Fällen hat sich vor allem eines gezeigt: Solche verbalen Grenzüberschreitungen werden in Luxemburg von Politik und Medien gleichermaßen scharf verurteilt. Auch nach dem Facebook-Beitrag von Sylvie Mischel hat sich prompt eine Einheitsfront aus LSAP, Déi Gréng, DP und CSV gebildet.
Die Parteivorsitzenden Djuna Bernard (Déi Gréng) und Franz Fayot (LSAP) verglichen die ADR mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Frank Engel (CSV) rief seinerseits per Facebook zum Aufstand gegen den „schlafenden Faschismus“ auf. Die Kritik der etablierten Politik könnte kaum härter ausfallen.
Die Politiker stehen in ihrer Verurteilung des Beitrags nicht allein da. Auf der Titelseite des „Tageblatt“ prangte am Mittwoch die Headline „Schwamm drüber, Hass drunter“, die „Woxx“ titelte „ADR : S’indigner ne suffit pas“. Die Radiosender „100,7“ und „RTL“ begleiteten die Affäre dagegen eher sachlich. Die Reaktionen von Politik und Medien zeigen jedoch, dass Sylvie Mischels Aussagen als Tabubruch empfunden wurden.
Medien verurteilen Tabubrüche
Die öffentliche Ächtung veranschaulicht dabei, wie schwierig es Rechtspopulisten in Luxemburg im Vergleich zum Ausland haben. Es wird ihnen keine Plattform geboten. Und wenn sie in der Berichterstattung eine Rolle spielen, werden rhetorische Auswüchse stets gebrandmarkt.
„Hier unterscheidet Luxemburg sich grundlegend von anderen Ländern, etwa den Niederlanden“, meint die Politologin Léonie de Jonge, die zum Thema Rechtspopulismus in den Benelux-Staaten an der Universität Groningen forscht. Während in den Niederlanden rechtspopulistische Politiker diverse Medien nutzen, um ihre Positionen weiterzuverbreiten, wäre dies aktuell in Luxemburg nicht möglich.
Die ADR kann nicht mit der AfD oder dem Rassemblement National verglichen werden.“Léonie de Jonge, Politologin
Hat die mediale Aufbereitung des Posts nicht dessen Reichweite künstlich erhöht? Im Gespräch mit REPORTER erläutert die Forscherin, dass es auf die Thematisierung ankommt: „Die Presse hat die Aussagen ganz klar verurteilt und die Parteispitze gebeten, Position zu beziehen.“ In ihrer Doktorarbeit beschreibt Léonie de Jonge, dass Luxemburger Medien eine starke Abneigung gegen rechtspopulistische Parteien hegen. Dadurch haben extremistische Strömungen kaum eine Chance, sich zu legitimieren oder neue Wähler zu erreichen.
Das Rechtsaußen-Problem der ADR
Dass es nun wieder die ADR ist, der vorgeworfen wird, rechtspopulistisch zu sein, ist kaum erstaunlich. Die Partei erfüllt in Luxemburg die Funktion einer Rechtsaußen-Partei. Dennoch stellt Léonie de Jonge fest: „Die ADR kann nicht mit der AfD oder dem Rassemblement National verglichen werden.“ Weder das Programm noch die Mitglieder können als eindeutig populistisch oder gar rechtsextrem angesehen werden.
Eine allgemeine Definition des Populismus-Begriffs lautet: Populisten versuchen einen Gegensatz zwischen „Volk“ und „Elite“ herzustellen und haben dabei meist den Anspruch, dass sie allein das „wahre Volk“ vertreten. Hingegen pflegt gerade der rechte Flügel der ADR unter Fernand Kartheiser eher einen elitären als einen populistischen Diskurs.
Zudem ist die Partei sich ihrer Position im politischen Parteiengefüge Luxemburgs durchaus bewusst. Das Sekretariat der Partei führt über jedes potenzielle Mitglied eine Recherche durch. Personen, die durch rechtsextreme Aussagen aufgefallen sind, würden so gar nicht erst Mitglied der Partei werden, versicherte Gast Gibéryen einst im Interview mit REPORTER. Die ADR gibt sich offensichtlich Mühe, es den politischen Gegnern nicht zu leicht zu machen, sie in die rechte Ecke zu drücken.
Kein klassisches populistisches Vorgehen
An den Reaktionen der Parteiführung lässt sich zudem ablesen, dass es sich keinesfalls um eine geschlossene Provokationsstrategie der ADR gehandelt haben kann. Bei „RTL“ und „Radio 100,7“ distanzierten sich ADR-Präsident Jean Schoos und Generalsekretär Alex Penning von den Kommentaren unter Sylvie Mischels Facebook-Beitrag. Zudem betonte Jean Schoos: „Das gehört nicht zum normalen politischen Diskurs.“ Alex Penning ging sogar so weit und drohte mit seinem eigenen Rücktritt, falls dies die neue politische Linie seiner Partei sei.
Die anschließende Kritik Fernand Kartheisers und der ADR-Frauen über den Umgang der Parteispitze mit Sylvie Mischel deuten ebenso darauf hin, dass es sich nicht um einen gezielten Tabubruch handelte. Anschließendes Zurückrudern lohnt sich eigentlich nur in extremen Fällen, etwa um bei der Mitte der Gesellschaft zu punkten. Die Reaktionen aus der ADR unterstreichen eher, dass es innerhalb der Partei unterschiedliche Strömungen gibt. Manche Mitglieder haben offenbar kein Problem mit einer offensiveren rhetorischen Gangart à la Sylvie Mischel.
Die meisten Rechtspopulisten stehen zu ihrer Aussage und berufen sich auf ihre Meinungsfreiheit. Geert Wilders würde sich zum Beispiel nicht entschuldigen.“Ofra Klein, Politologin am „European University Institute“
Ofra Klein, die am „European University Institute“ in Florenz über die Online-Mobilisierung von rechtsextremen Netzwerken forscht, bekräftigt diesen Eindruck. Rechtspopulisten würden generell keinen Grund sehen, sich überhaupt gegenüber jemandem zu rechtfertigen. „Die meisten Rechtspopulisten stehen zu ihrer Aussage und berufen sich auf ihre Meinungsfreiheit. Geert Wilders würde sich zum Beispiel nicht entschuldigen“, so die Politologin. Das vollständige Interview finden sie hier.
Rechtspartei mit ungewisser Zukunft
Nur in extremen Fällen kommt das „Perpetuum Mobile des Populismus“ ins Spiel, wie es die Linguistin Ruth Wodak nannte. Demnach werden schockierende Aussagen absichtlich und berechnend getätigt, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Dadurch lässt sich ein breiteres Publikum erreichen und bei der Empörung der Öffentlichkeit kann man sich schließlich als Opfer der politisch-medialen Elite darstellen.
Im Vergleich zur AfD oder zu Geert Wilders waren die Aussagen von Sylvie Mischel erstens nicht radikal genug, um diese Theorie zu bestätigen. Zweitens waren auch die Reaktionen der ADR zu dilettantisch. Sylvie Mischel könnte demnach höchstens Stil- oder Geschmacklosigkeit und nicht gezieltes Mausausrutschen vorgeworfen werden.
Das gehört nicht zum normalen politischen Diskurs.“Jean Schoos, Parteivorsitzender der ADR
Allerdings zeigt die Kontroverse, dass die künftige Entwicklung der ADR durchaus ungewiss ist. Die populistische Strömung innerhalb Partei ist zwar bisweilen in der Minderheit. Doch das kann sich rasch ändern. Wie schnell eine Partei zur Plattform von Rechtspopulisten werden kann, zeigt etwa der Fall der AfD. Als euroskeptisches rechtsliberales Auffangbecken gestartet, wandelte sie sich innerhalb von wenigen Jahren zu einer völkisch-nationalistischen Partei. Ihre Grenzüberschreitungen haben es – anders als in Luxemburg – längst in den politischen Mainstream geschafft.
Über der Zukunft der ADR schwebt jedoch ein großes Fragezeichen: Mit Gast Gibéryens angekündigtem Rücktritt als Abgeordneter wird noch in dieser Legislaturperiode Fred Keup in das Parlament nachrücken. Zu diesem Zeitpunkt muss die Frage, ob die ADR eine rechtspopulistische Partei ist, wohl neu gestellt werden. Auch wenn es aus heutiger Sicht nicht abzusehen ist: Vielleicht wird dann der Tabubruch doch irgendwann zur Strategie.
Politik und Medien werden vermutlich auch dann bereit stehen, um jegliche Grenzüberschreitung an den Pranger zu stellen. Fraglicher ist jedoch, wie die Basis reagieren wird, wenn die erste Reihe der Partei nicht mehr aus Personen besteht, die Ausrutscher à la Thein oder Mischel öffentlich brandmarken.
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