Ein einfacheres und gerechteres Steuersystem will eigentlich jeder. Doch die Parteien haben zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit. Vom Ziel klassischer sozialer Umverteilung hat sich selbst die Linke verabschiedet. Eine Analyse.

„Steuerpolitik muss gerecht sein“ (CSV), „das Steuersystem gerechter gestalten“ (DP), „für eine gerechtere Besteuerung von Arbeit und Kapital“ (LSAP), „unser Steuersystem muss transparenter und gerechter werden“ (Déi Gréng), „Steuereinnahmen erhöhen und das Steuersystem gerechter gestalten“ (Déi Lénk): Es gibt nur wenige politische Ziele, bei denen sich Luxemburgs Parteien so einig sind wie bei der Steuergerechtigkeit. Und doch hielten sich die Gerechtigkeitseffekte bei den vergangenen Steuerreformen stets in Grenzen.

Dabei ist die Steuergerechtigkeit ein Klassiker der politischen Debatte. An den Forderungen in der Steuerpolitik ließ sich lange ablesen, ob eine Partei eher rechts oder links, eher auf wirtschaftliche Freiheit oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet war. Heute ist die Lage etwas unübersichtlicher. Dank des Wohlstands, des kontinuierlichen Wachstums und folglich der konstanten finanziellen Verteilungsmasse können es sich mittlerweile alle luxemburgische Parteien leisten, für Steuersenkungen einzutreten. Und dennoch gibt es wesentliche Unterschiede.

Zunahme der Ungleichheiten – auch in Luxemburg

Auffallend ist, dass die klassischen Forderungen der Linken nach einer höheren Besteuerung von Betrieben, Reichen und Kapitalerträgen in diesem Wahlkampf kein großes Thema sind. Dabei deuten diverse Statistiken darauf hin, dass auch in Luxemburg die berühmte Schere zwischen Arm und Reich auseinander geht.

„La croissance était donc pro-riche“, schreibt etwa Statec-Direktor Serge Allegrezza in einer rezenten Analyse. In den vergangenen zwölf Jahren habe das Wirtschaftswachstum generell vor allem wohlhabende Schichten begünstigt. Sowohl die Entwicklung des Armutsrisikos als auch alle Indikatoren zu den Ungleichheiten bei den Einkommen belegen diese globale Einschätzung.

Inwiefern die Steuerpolitik dieser Entwicklung entgegenwirken kann, ist unter den Parteien freilich umstritten. Déi Lénk, LSAP und Déi Gréng wollen laut ihrem Programm mehr oder weniger große Sprünge in Sachen Steuergerechtigkeit vollziehen. CSV und DP werben dagegen für wirtschaftsliberale Reformen, inklusive Steuersenkungen für Betriebe, ausdrückliche Bewahrung von bestimmten Besitzständen und punktuelle Anpassungen für Privatpersonen. Andere Parteien haben im Vergleich dazu kein vollständiges Steuerkonzept vorgelegt.

CSV und DP wollen Unternehmen weiter entlasten

Die CSV will die Betriebsbesteuerung (Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, Beiträge zum „Fonds pour l’emploi“) von aktuell rund 26 Prozent in Etappen auf 20 Prozent senken. Dafür sieht sie im Programm keine besondere Gegenfinanzierung vor. In diesem Punkt liegt die CSV aber durchaus im Trend, oder vielmehr in der Tradition von Luxemburgs Parteien.

Die Argumentation der CSV lautet unabhängig davon: Weil für Unternehmen zunehmend die Abschreibungsmöglichkeiten wegfallen, könne man nur noch über den Steuersatz Anreize geben. Durch eine breitere Bemessungsgrundlage erhoffe man sich, dass selbst bei der Senkung des Steuersatzes mehr Steuern eingenommen werden können, betonte Claude Wiseler noch jüngst im Interview mit REPORTER.

Mehr Einnahmen trotz Steuersenkung: In der Tat zeigt die vorläufige Bilanz der vergangenen Steuerreform, dass diese klassische „neoliberale“ Theorie in der Praxis aufgehen kann. Blau-Rot-Grün senkte den Körperschaftssteuersatz schrittweise von 21 auf 18 Prozent, für kleine Unternehmen sogar von 20 auf 15 Prozent. Gleichzeitig stiegen die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer (IRC) seit 2015 aber leicht an.

Kein Wunder also, dass die gleiche Argumentation von der DP geteilt wird. Auch die Premier- und Finanzminister-Partei will die Steuern für Unternehmen senken bzw. „an die Durchschnittsätze in Europa und in den OECD-Ländern heranführen“, was letztlich der Forderung der CSV nach einem „Taux d’affichage“ von 20 Prozent sehr nahe kommt. Zusätzlich wollen die Liberalen die Steuersätze für kleine und mittlere Unternehmen weiter abbauen.

Auf europäischer Ebene spricht sich die DP gegen eine Finanztransaktionssteuer aus. Bei der Ablehnung einer europäischen „Digitalsteuer“ hat die liberale Realpolitik das DP-Programm allerdings schon überholt.

Linke Kritik und die Frage der Glaubwürdigkeit

Die anderen Parteien verfolgen in ihren Programmen eine gänzlich andere Politik. So kritisieren die Sozialisten, dass sich „der Anteil der Steuereinnahmen, die von Privathaushalten stammen im Vergleich zur anteilsmäßigen Steuerlast der Unternehmen kontinuierlich erhöht“ habe. „Multinationale Konzerne haben mit staatlicher Hilfe die Möglichkeit zur Steueroptimierung dank günstiger Steuerruling-Vereinbarungen voll ausgeschöpft“, heißt es weiter. Die LSAP werde sich „in diesem Sinne für eine Neujustierung der Steuerpolitik einsetzen und der ungleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital entgegenwirken“.

Was freilich nicht im Programm steht: Die LSAP war in den vergangenen vier Jahrzehnten mit der Ausnahme von 1979-1984 und 1999-2004 immer an der Regierung beteiligt. Die „staatliche Hilfe“ zur Steueroptimierung fand demnach nicht ganz ohne sozialistische Verantwortung statt. In der vergangenen Legislaturperiode haben die Sozialisten zudem jener Senkung der Steuerlast für Unternehmen zugestimmt, die die LSAP regelmäßig ablehnt und mit der sich die DP rühmt.

Gleiches gilt im Prinzip für Déi Gréng, die das Thema Betriebsbesteuerung im Programm generell meiden, sich aber auch dafür aussprechen, „die Steuervermeidungspraxis international agierender Betriebe zu unterbinden“. Im Gegensatz zur LSAP erstreckt sich das Glaubwürdigkeitsproblem der Grünen denn auch nur auf die vergangenen fünf Jahre.

Déi Lénk wollen schließlich „die Unternehmen stärker besteuern durch eine Erhöhung der Steuersätze und eine Erweiterung der Bemessungsgrundlage“. Im Gegensatz zu LSAP und Grünen nennt die Oppositionspartei auch konkrete Beispiele, wie sie Steuerschlupflöcher schließen will. So will sie unter anderem die „Steuerbefreiung für FIS-Investmentfonds (fonds d’investissements spécialisés) aufheben“ oder „die Steuerbefreiung von 80% der Einkommen und Mehrwertzuwächse aus geistigem Eigentum (Patente, Lizenzen, usw) abschaffen“, auch „Patentbox“ genannt.

Punktuelle Steuersenkungen für private Einkommen

Während Steuersenkungen für Unternehmen finanzierbar seien, stellt die CSV eine vergleichbare Steuerreform für Privatpersonen unter den Vorbehalt des finanziellen Spielraums. Den ominösen „Mittelstandsbuckel“ werde man nur dann durch die Anpassung des Steuerkredits anpassen, wenn sich dies nach einer „Analyse der zukünftigen Kosten der letzten Steuerreform“ als machbar herausstellt. Ebenso wolle man „das Regime der Steuerkategorie 1A einer Prüfung unterziehen“ und die Grundsteuer reformieren. Bei all diesen Punkten fehlt es jedoch an Details.

Konkreter wird die CSV dagegen beim Ziel einer zusätzlichen Entlastung von Niedriglohnempfängern. Dies soll über den Weg „eines degressiven Steuerkredits für Mindestlohnbezieher“ und die „Erhöhung des Grundfreibetrages in der Steuertabelle von 11.265 auf 12.000 Euro“ geschehen. Vor allem an dieser Stelle greift denn auch ansatzweise der klassische steuerpolitische Gerechtigkeitsdiskurs der Christsozialen.

Kernpunkt des DP-Programms ist die Ankündigung einer weiteren Steuerreform, im Zuge derer „Mittelschichten und Familien“ mit weiteren Entlastungen rechnen dürfen. Dabei stellt die DP im Detail die Bevorteilung der „Alleinverdienerehe“ in Frage. Das durch das aktuelle Steuersystem privilegierte „traditionelle Ehebild“ solle nicht weiter gefördert werden. Steuervorteile sollten nicht länger an einem „Trau- oder Pacsschein“, sondern am „Vorhandensein von Kindern“ festgemacht werden – die individuelle Besteuerung solle schrittweise zur Regel werden.

Individualisierung als mögliches blau-rot-grünes „Projekt“

Die Liberalen definieren die Steuergerechtigkeit demnach im Sinn ihrer übergeordneten Familien- und Gesellschaftspolitik. Die konkrete Umsetzung einer Individualisierung der Einkommensteuer dürfte aber schwierig werden, denn wie es heißt, gibt es innerhalb der Partei im Detail noch kein mit dem hehren Ziel vergleichbares Konzept. Andererseits könnte die „Revolution“ im Steuersystem durchaus als neues Projekt einer blau-rot-grünen Koalition herhalten, wenn die drei Parteien denn nach den Wahlen noch eine Mehrheit hätten. Denn auch LSAP und Grüne (und Déi Lénk) teilen in diesem Punkt die Analyse der Liberalen.

Déi Gréng wiederholen in ihrem Programm indes ihre bereits 2013 formulierte Forderung nach einer „ökologischen Steuerreform“. Dazu gehören eine Reform der Kilometerpauschale, die Überprüfung von Abschreibungsmöglichkeiten nach sozial- und umweltpolitischen Kriterien sowie die Reduzierung der finanziellen Abhängigkeit des Staates vom Tank- und Tabaktourismus. Dass die Grünen in dieser Hinsicht im Rückblick Grund zur „Selbstkritik“ haben, steht so zwar nicht im Programm, wurde aber von Nachhaltigkeitsminister François Bausch im Interview mit REPORTER bereits eingeräumt.

Mindestlohn und „Mammerent“ komplett von der Einkommensteuer befreien, Alleinstehende mit kleinen oder mittleren Einkommen entlasten, Mehrwertsteuer für gemeinnützige Dienstleistungen und Güter des täglichen Bedarfs senken: Das sind dagegen die Kernpunkte des LSAP-Wahlprogramms. Im Gegensatz zur Arbeitszeitreduzierung dürften die zaghaften steuerpolitischen Forderungen der Sozialisten mit möglichen Koalitionspartnern durchaus umsetzbar sein.

Eine weitere „Reichensteuer“ fordert die LSAP dagegen erst gar nicht mehr. 2013 wollte man noch einen Steuersatz von 45 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro umsetzen. Die blau-rot-grüne Steuerreform hielt dann 41 bzw. 42 Prozent ab 150.000 bzw. 200.000 Euro fest. Damit scheinen sich die Sozialisten dieses Mal auch zufrieden zu geben.

Der künftige Umgang mit den „Stock options“

Wenn es um Gerechtigkeit geht, spielt sicher auch der Umgang mit den sogenannten „Stock options“ eine Rolle. Die mittlerweile leicht abgeschwächte begünstigte Besteuerung von Aktienpaketen von Managern sorgte in der laufenden Legislaturperiode mehrmals für Kritik. Wie das Finanzministerium kürzlich vorrechnete, kostete das Regime den Staat allein im vergangenen Jahr 135 Millionen Euro. Allein die Summe ist vielen Parteien Grund genug, sich mit dem Thema im Wahlprogramm zu beschäftigen.

Die CSV will das Regime „abschaffen“ bzw. neu regeln und begrenzen: „Wir wollen eine gesetzliche Regelung. Wir streben eine steuerliche Begünstigung für längerfristige Beteiligungen am eigenen Unternehmen, vor allem im Bereich der Start-ups an.“ Die LSAP will es „nach einer Übergangsfrist ersatzlos streichen“, Déi Gréng „progressiv zurückführen“ und Déi Lénk ohne weitere Missverständnisse „aufheben“..

Bei der DP kommt der Begriff „stock options“ im Wahlprogramm übrigens nicht vor. Wie es Premier Xavier Bettel bei „REPORTER Live“ ausdrückte, sieht seine Partei in diesem Punkt auch keinen weiteren Handlungsbedarf.

Vermögens-, Erbschaftssteuer und andere Klassiker

Ähnlich bemerkenswert sind jene Punkte aus den Programmen, bei denen die Parteien den Status quo betonen. So etwa die CSV beim Thema Vermögens- und Erbschaftssteuer. „Wir sagen Nein zur Einführung der Vermögenssteuer für Privatpersonen“, heißt es. Und: „Eine Erbschaftssteuer in direkter Linie ist für die CSV kein Thema.“ Letzteres wird von den Liberalen geteilt. LSAP und Grüne erachten es nicht für nötig, die Punkte zu erwähnen.

Selbst Déi Lénk wollen lediglich „eine Debatte“ über die „Einführung einer Erbschaftssteuer in direkter Linie führen“, und auch nur „für Beträge über 1,5 Millionen Euro“. Das Mantra linker Ökonomen wie Thomas Piketty, wonach die Ungleichheit in der Gesellschaft besonders wegen der geringfügigen Besteuerung von Erbschaften steige, fand jedenfalls keinen Einzug in das Programm der Linken. Dafür sprechen sich Déi Lénk für eine Vermögensbesteuerung für Privatpersonen von 0,5% aus – „ausgenommen auf Bankguthaben unter 200 000 Euro und dem Hauptwohnsitz“.

Als wahrer Klassiker der Wahlprogramme erweist sich zudem die Grundsteuer. Alle Parteien wollen eine Reform, aber was diese genau beinhalten solle, sagt keiner. Der Stand der Forderungen passt indes zu den fehlenden Fortschritten der in der laufenden Legislaturperiode eingesetzten Arbeitsgruppe zur Grundsteuerreform.

Besteuerung von Kapitalerträgen kein Thema

Ein klassisches linkes Gerechtigkeitsthema spielt dagegen bei den großen Parteien überhaupt keine Rolle: die Besteuerung von Kapitalerträgen. Manche, wie die LSAP, setzen sich zwar für eine „gerechtere Besteuerung von Arbeit und Kapital“ ein, verstehen dies aber ausschließlich als Gegensatz zur Besteuerung von Unternehmen.

Doch auch im Fall von natürlichen Personen besteht eine unterschiedliche Behandlung zwischen Einkommen aus Lohnarbeit und aus Kapitalerträgen, also Dividenden, Veräußerungs- und Immobiliengewinnen oder Zinserträgen. Die Quellensteuer auf Zinserträge, die prinzipiell auch nicht allzu Vermögende Sparer treffen kann, wurde mit der Steuerreform 2016 zwar von zehn auf 20 Prozent (bei einem Freibetrag von 250 Euro an Jahreszinsen pro Person und Zahlstelle) verdoppelt. Doch an alle anderen Einkommensquellen trauen sich die vier großen Parteien nicht heran.

Dabei wäre eine pauschale Besteuerung aller Einkommen laut manchen Ökonomen die wirksamste Methode, um soziale Gerechtigkeit herstellen und nebenbei auch die Einnahmen des Staates dauerhaft zu erhöhen. Lohnarbeiter haben in der Regel nämlich keine Möglichkeit der progressiven Besteuerung laut Steuertabelle zu entkommen. Durch Aktien- oder Immobiliengeschäfte können sich dagegen Besserverdiener dem Greifen der Einkommensteuer einfach entziehen. Anders als bei der „Reichensteuer“, die sich allein auf das Einkommen aus Arbeit bezieht, könnte der Staat so zumindest weitere Vermögenswerte besteuern. Das gängige Argument der Kritiker einer solchen Maßnahme, wonach ein solcher Schritt zur „Kapitalflucht“ führen würde, wurde durch den automatischen Informationsaustausch zumindest entkräftet.

Nur Déi Lénk teilen jedoch das Ziel einer einheitlichen Besteuerung von Arbeit und Kapital. So wollen sie die Besteuerung auf Kapitaleinkommen und Einkommen aus Immobilienbesitz „schrittweise angleichen an die Besteuerung der Arbeitseinkommen“. Die „erste Maßnahme“ von Déi Lénk bestehe darin, „die Steuerbefreiung von Dividenden in Höhe von 50% abzuschaffen“. Doch angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse wird es nach den Wahlen wohl noch nicht einmal zu dieser „ersten“, geschweige denn zu weiteren Maßnahmen aus dem entsprechenden Kapitel der Linken kommen.