Alle Parteien versprechen im Wahlkampf zusätzliche öffentliche Investitionen. Wie realistisch die vorgeschlagenen Maßnahmen sind, ist für die Wähler jedoch schwer einschätzbar. Denn die Parteien berechnen nicht, wie viel ihre Versprechen in der Umsetzung kosten würden.
Ausbau von Autobahnen und Tramstrecken, Bau von Umgehungsstraßen, Steuersenkungen: Im Wahlkampf übertrumpfen die Parteien sich mit teilweise kostspieligen Versprechen. Gleichzeitig geben sie sich als verantwortungsbewusste Hüter der Staatsfinanzen. Dabei ist nur bedingt abschätzbar, wie verantwortungsvoll die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich sind. Die Parteien liefern nämlich nur sehr spärliche Informationen darüber, wie viel es kosten würde, ihre Forderungen umzusetzen. Detaillierte Finanzierungsmodelle Fehlanzeige.
„Verschidde Wahlprogrammer si reng Kleesercherslëschten,“ meint François Bausch (Déi Gréng) im Gespräch mit REPORTER. Der Infrastrukturminister hält vor allem die Versprechen der CSV für unrealistisch. „Die CSV will zig Umgehungsstraßen bauen, dazu sämtliche Autobahnen auf drei Spuren ausweiten, die Tram in verschiedene Richtungen verlängern, und gleichzeitig auch noch die Steuern für Unternehmen senken. Das kann finanziell nicht aufgehen, da braucht man nicht einmal nach zu rechnen,“ so Bausch.
In Luxemburg gibt es keine Tradition, Wahlprogramme komplett durchzurechnen.“Claude Tremont, LSAP-Fraktionssekretär
Auf Nachfrage nennt Bausch doch Zahlen. „Wenn man sich anschaut, wie viel der Staat zur Zeit über die Unternehmenssteuern einnimmt, dann kann man hochrechnen, was dem Staat ungefähr durch die Lappen geht, wenn man diese Steuern senkt,“ so der Infrastrukturminister. „Eine Absenkung von sechs Prozent, wie die CSV vorschlägt, würde demnach ein Verlust von etwa 600 Millionen Euro bedeuten.“ Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) schätzte den Verlust vergangene Woche auf „über 500 Millionen Euro“.
Der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar widerspricht diesen Darstellungen: „Unser Vorschlag ist kein Steuergeschenk an die Unternehmen.“ Seine Partei wolle die Unternehmenssteuern senken, weil „die Unternehmen in Zukunft weniger Steuern abschreiben können.“ Es sei also gar nicht klar, dass der Staat durch die vorgeschlagene Senkung insgesamt weniger Steuern einnehme.
Solche Diskussionen beruhen weniger auf präzisen Berechnungen, als auf der subjektiven Einschätzung von Parteien und Politikern. Detaillierte Kostenprojektionen für einzelne Wahlversprechen, oder gar für ganze Programme, sind in Luxemburg nämlich nicht üblich. Auch die LSAP und Déi Gréng haben für ihre eigenen Wahlprogramme keine globale Kostenrechnung aufgestellt, obwohl sie die teueren Versprechen der Konkurrenz deutlich kritisieren.
Die Zivilgesellschaft hält sich zurück
„Wir haben keinen Taschenrechner genommen, und genau nachgerechnet, was unsere Vorschläge insgesamt kosten würden,“ so François Bausch. Seine Partei habe aber versucht „abzuschätzen, wie die vorgeschlagenen Maßnahmen sich auf den Staatshaushalt auswirken.“ Déi Gréng hätten sich deshalb bewusst dafür entschieden, Investitionen in den öffentlichen Transport zu bevorzugen, und auf kostenspielige Steuerkürzungen zu verzichten. Konkrete Zahlen nennt Bausch hier jedoch nicht.
Keine der zehn Parteien, die am 14.Okober bei den Parlamentswahlen antreten, hat eine Kostenrechnung für ihr Wahlprogramm veröffentlicht. „In Luxemburg gibt es keine Tradition, Wahlprogramme komplett durchzurechnen,“ erklärt Claude Tremont, der Fraktionssekretär der LSAP: „Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass schon ein Mal eine Partei ein komplett kalkuliertes Programm veröffentlicht hätte.“
Luxemburg unterscheidet sich in dieser Hinsicht von einigen größeren europäischen Ländern. Die sozialdemokratische Labour-Partei etwa ging 2017 mit einem Programm in die Parlamentswahlen, das sie selbst als „komplett gegenfinanziert“ bezeichnete. Die Partei löste damit eine öffentliche Debatte aus: Die Berechnungen wurden von Medien und Denkfabriken im Wahlkampf durchleutet, und zum Teil in Frage gestellt.
Doch die fehlende Tradition beschränkt sich in Luxemburg nicht auf die Parteien. Auch Nichtregierungsorganisationen und andere Akteure der Zivilgesellschaft beteiligen sich hierzulande nicht weiter an Diskussionen über die Finanzierbarkeit von Wahlversprechen. Bisher beschränkt die Debatte sich daher größtenteils auf verbale Scharmützel zwischen Politikern.
Zu wenig Personal für Berechnungen
Dass keine genaueren Berechnungen vorgenommen werden, erklären die Parteien unter anderem mit einem Mangel an Personal. Claude Tremont leitet als LSAP-Fraktionssekretär ein Team von „fünf bis sechs“ politischen Mitarbeitern. Das reiche nicht um detaillierte Kostenrechnungen aufzustellen: „Die Parteiapparate besitzen hierzulande einfach nicht die nötige Manpower, um solche Rechnungen aufzustellen.“
Andere Parteien sehen das ähnlich. „Als kleine Partei versucht die ADR ihre beschränkten Mittel so effektiv wie möglich zu nutzen,“ sagt Roland Houtsch. Der ADR-Mitarbeiter findet es daher „nicht ganz fair, detaillierte Kostenmodelle von den Parteien zu verlangen.“ Das sei „vergeudete Energie“, so Houtsch, denn die Wähler seien sich eh bewusst, dass Wahlprogramme „nicht eins zu eins umgesetzt werden, sondern zuerst ein Kompromiss mit einem Koalitionspartner gefunden werden muss.“
Beim Wahlprogramm werden die Kosten nach Pi mal Daumen berechnet.Eugene Berger, DP-Fraktionschef
In Luxemburgs Mehrparteiensystem gibt es tatsächlich nur selten Regierungen, die aus einer einzigen Partei bestehen. Im Gespräch mit REPORTER verwiesen daher mehrere Parteivertreter darauf, dass erst in den Koalitionsverhandelungen festgelegt werde, welche Maßnahmen eine Regierung umsetzen will.
„Sobald Parteien sich zusammensetzen, um eine Regierung zu bilden wird vom ersten Tag an gerechnet. Da hier auch sehr technische Fragen geklärt werden, bekommen die Verhandlungspartner auch Unterstützung von den Experten aus den verschiedenen Verwaltungen,“ erklärt DP-Fraktionschef Eugène Berger. Zusammen mit hohen Beamten aus dem Finanzministerium würde dann auch erst im Detail abgeschätzt, wie das Regierungsprogramm sich auf den Staatshaushalt auswirkt.
Wiederholungstäter Etienne Schneider
Wahlprogramme würden dagegen eine andere Rolle erfüllen, so Berger: „Es geht vor allem darum, den Wählern eine politische Richtung zu vermitteln. Also zu zeigen, was unsere Partei von anderen unterscheidet.“ Natürlich müsse man dabei auch eine „grobe Idee“ haben, wie die vorgeschlagenen Maßnahmen zu Buche schlagen. „Beim Wahlprogramm wird das nach Pi mal Daumen berechnet,“ so der DP-Fraktionschef.
Nageln Sie mich jetzt nicht fest, ich weiß es nicht.“Etienne Schneider, LSAP-Wirtschaftsminister
Dass Kostenprojektionen im Wahlkampf keine exakte Wissenschaft sind, demonstrierte LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider kürzlich eindrucksvoll im Live-Interview mit REPORTER. Erst legte Schneider ein „mea culpa“ ab, weil er fälscherweise behauptet hatte, der Jogurt-Produzent „Fage“ habe in zwei Jahren 60 Millionen Euro Steuern in Luxemburg bezahlt, obwohl es eigentlich nur rund 450.000 Euro waren.
Kurze Zeit später attackierte der Wirtschaftsminister aber das Wahlprogramm der CSV: „Der Ausbau der Autobahnen, die zahlreichen Umgehungsstraßen: Claude Wiselers Infrastrukturprogramm kostet geschätzte zehn Milliarden Euro.“ Doch als die nächste Frage lautet, wie er auf diese Zahl komme, wiegelte Schneider ab: „Nageln Sie mich jetzt nicht fest, ich weiß es nicht.“