Tanktourismus, Staus, Baupreise: Um Luxemburgs Probleme in den Griff zu bekommen, sind die nächsten fünf Jahre entscheidend. Davon ist Nachhaltigkeitsminister François Bausch überzeugt. Der Spitzenkandidat der Grünen weiß aber auch: Mit CSV und LSAP kann er sie einfacher angehen als mit einer DP. 

Interview: Laurent Schmit

REPORTER: Der Uno-Weltklimarat warnt in einem neuen Bericht, dass es sehr schwierig wird, die Erderwärmung auf anderthalb Grad zu begrenzen. Wie gehen Sie mit den immer dramatischeren Szenarien um?

François Bausch: Das zeigt an erster Stelle das Scheitern der Politik. Viele glauben, dass sich nur das Klima verändert. Doch das bedeutet auch ein Artensterben. Wir haben weiterhin ein Zeitfenster zum Handeln, aber es wird kleiner. In den nächsten 20 bis 25 Jahren können wir noch das Schlimmste verhindern. Manche Auswirkungen spüren wir allerdings bereits.

Hierzulande drohen die CO2-Emmissionen wieder zu steigen.

In Luxemburg ist der Verkehr das Hauptproblem. Es ist der einzige Sektor, in dem die CO2-Emissionen seit 1990 weiter deutlich anstiegen. Wir sind in der problematischen Lage, dass jeder Fortschritt in der Industrie vom Transport aufgefressen wird. Und das gilt auch für den inländischen Verkehr im Land. Wir glauben allzu oft, dass nur der Tanktourismus ein Problem ist.

Welche Folgen hat das auf die Politik der nächsten Regierung?

Der Tanktourismus wird uns in Zukunft teuer zu stehen kommen. Die entsprechende Studie liegt vor und in der kommenden Legislaturperiode müssen wir uns von der Abhängigkeit des Tanktourismus befreien. Aktuell ist ein sanfter Ausstieg noch möglich.

Die DP spielt mit der Angst, dass alle anderen Parteien den Menschen ihr zweites Grundstück wegnehmen wollten. Es ist aber klar, dass die Liberalen nur die großen Bauentwickler schützen.“

Durch den Umstieg auf Elektroautos werden die Einnahmen aus dem Tanktourismus schwinden …

Im optimistischen Szenario haben wir noch zwanzig Jahre. Nach und nach werden die Einnahmen wegbrechen. Es ist wie bei den Einnahmen aus dem Onlinehandel: Da wusste die Regierung seit 2005, dass die Steuereinkünfte ab 2015 verschwinden würden. Es wurde nichts gemacht, bis die aktuelle Koalition Hals über Kopf das Loch von einer Milliarde Euro im Staatshaushalt stopfen musste.

Warum hat die Regierung in diesem Dossier in den letzten fünf Jahren keine Entscheidung getroffen?

Wir Grünen müssen Selbstkritik üben. 2013 sind wir mit sechs Sitzen in die Regierung gekommen, also aus einer geschwächten Position heraus. Wir konzentrierten uns auf unsere Kernthemen, Tanktourismus geht aber darüber hinaus. Es fehlte außerdem am Willen in der Koalition für eine tiefgehende Steuerreform. Das hätte beinhaltet, Arbeit weniger und Ressourcenverbrauch mehr zu besteuern.

Wenn ich mir die Programme anschaue, dann muss ich ehrlich sagen, dass LSAP und CSV uns am nächsten stehen.“

Bei Ihrer Bilanzpressekonferenz Anfang September haben Sie betont, wie schwierig Ihre Arbeit im Kontext des Wachstums ist – etwa 100.000 Einwohner zusätzlich innerhalb von sieben Jahren. Doch welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Es geht darum Lösungen anzubieten. Ich thematisiere diese Zahlen bei Wahlkampfversammlungen, um die Debatte zu versachlichen. So stimmt es etwa nicht, dass das Wirtschaftswachstum gekoppelt ist mit einer Bevölkerungszunahme. Das Problem ist auch nicht, dass die Luxemburger Bevölkerung wächst. Es ist ohne weiteres möglich, bis zu einer Million Einwohner im Land zu verkraften. Schwierig ist das Tempo: Aktuell sind es 100.000 Einwohner zusätzlich alle sieben Jahre. Da ist es einfach unmöglich, die nötigen Infrastrukturen ausreichend schnell zu bauen.

François Bausch
Foto: Matic Zorman

Doch wie kann die Politik darauf einwirken?

Die Lösungen heißen, dass wir uns geordneter entwickeln und entschleunigen müssen. In der wirtschaftlichen Diversifizierung müssen wir wählerischer sein. Es gilt Bilanz zu ziehen, was einzelne Unternehmen eigentlich Luxemburg gebracht haben.

Oft wurde im Wahlkampf die geplante Joghurtfabrik von Fage erwähnt …

Das Beispiel Fage ist in der Tat bezeichnend. Ich hatte meine Zweifel von Anfang an, was die 60 Millionen Euro an Steuereinnahmen betraf. Wenn man unter dem Strich schaut, was die Joghurtfabrik bringt, dann ist man schnell fertig. Finanziell nichts, weil eine Produktionsanlage nicht unbedingt Steuern zahlt. Dabei kostet die Fabrik uns viel: Sie braucht Infrastruktur, ein Gelände und dazu kommt die Wasserproblematik. Es entstehen maximal 200 Arbeitsplätze, die wahrscheinlich größtenteils von Grenzgängern besetzt werden. Der einzige Nutzen der bleibt, sind die Sozialversicherungsbeiträge der Mitarbeiter. Das steht in keinem Verhältnis zu den 15 Hektar Grundstück, die Fage verkauft wurden. Dabei suchen viele kleine und mittlere Betriebe vergeblich nach Geländen in Aktivitätszonen. Sie würden zudem stabilere Arbeitsplätze schaffen.

Wenn ich lese, was die Parteien alles vorschlagen! Sorry, aber das ist selbst dann nicht zu finanzieren, wenn die Wirtschaftskonjunktur gut ist.“

Stichwort Grenzgänger. Am vergangenen Donnerstag gab es dramatische Szenen. 13 Kilometer Stau an der belgischen Grenze und Zugpassagiere, die in Thionville über die Gleise liefen. Wie ist dieses Chaos zu bewältigen?

Wir brauchen Grenzgänger und es werden auch weiterhin welche kommen. Es macht aber keinen Sinn, dass wir in Luxemburg Arbeitsplätze schaffen, die zu 100 Prozent von Grenzgängern besetzt werden. Konkret ist zum einen der Ausbau des Schienenverkehrs wichtig und des gesamten öffentlichen Transports. Dazu kommt die Frage der Mitfahrgelegenheiten. Wenn wir es nicht schaffen, mehr Menschen pro Auto zu transportieren, dann ist die Entwicklung hoffnungslos.

Warum?

Wir rechnen bis 2025 mit 20 Prozent zusätzlicher Nachfrage an Mobilität. Damit sich die Lage verbessert, muss aber alles umgesetzt werden, was wir im Modu 2.0 festgeschrieben haben: von sanfter Mobilität über Covoiturage bis zu den gesamten Investitionen in die Bahn. Es braucht eine effiziente Nutzung sämtlicher Infrastrukturen. Wir können in den nächsten vier bis fünf Jahren einen Sprung nach vorn machen, um die Situation zu entschärfen. Aber wenn wir die Dynamik laufen lassen, dann bekommen wir die Probleme nicht in den Griff.

An Ideen mangelt es ja nicht in den Wahlprogrammen …

Wenn ich lese, was die Parteien alles vorschlagen! Sorry, aber das ist selbst dann nicht zu finanzieren, wenn die Wirtschaftskonjunktur gut ist. Den Bürgern wird eine Illusion verkauft.

Das Nachhaltigkeitsministerium ist so mächtig wie nie zuvor. Hat sich die Zusammenarbeit der zahlreichen Verwaltungen bewährt?

Ich finde das richtig, weil wir es geschafft haben, im Nachhaltigkeitsministerium die Zusammenarbeit zwischen den großen Verwaltungen deutlich zu verbessern. Wir sind mit unseren Projekten gut vorangekommen, weil die Abstimmung mit dem Umweltministerium klappte. Bei jedem Projekt war Camille Gira als Staatssekretär in allen Besprechungen anwesend und konnte früh vor Hindernissen warnen. Die Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium könnte noch weiter verbessert werden. Im Dossier Google hat das bereits gut geklappt. Es wäre dagegen fatal, wenn dieses Ministerium in der nächsten Regierung auseinandergerissen würde.

Wie sieht es in der Landesplanung aus? Wird die nächste Regierung schnell entscheiden können?

Es gibt einen breiten Konsens gegenüber den vorliegenden Texten. Die nächste Regierung kann also schnell vorankommen. Mehrere grundsätzliche Probleme bleiben allerdings, die wir nicht lösen konnten aufgrund der Bedenken des Staatsrates. Das berührt ein grundsätzliches Problem des Landes, nämlich wie das Gemeinwohl definiert wird. Mein größtes Problem in den letzten fünf Jahren waren nicht die Prozeduren, sondern an die Grundstücke zu kommen. Wenn wir diese Frage nicht klären, dann werden wir weder die Wohnungsnot, noch das Infrastrukturproblem lösen.

Den Liberalen fehlt es an der Sensibilität für Umweltthemen.“

Wie könnte die Politik das angehen?

Ein gutes Beispiel ist die Schweiz. Einerseits steht in der Verfassung, dass Eigentum verpflichtet. In Fällen wie der „Stäreplaz“, wo ein Immobilienentwickler ein Gelände im Kern der Stadt leer stehen lässt, gäbe es in der Schweiz Möglichkeiten zum Handeln. Das wären etwa hohe Abgaben, wenn der Besitzer innerhalb einer Frist nicht baut.

Für die DP sind Enteignungen eine rote Linie für Koalitionsverhandlungen. Wie reagieren sie darauf?

Die DP spielt mit der Angst, dass alle anderen Parteien den Menschen ihr zweites Grundstück wegnehmen wollten. Es ist aber klar, dass die Liberalen nur die großen Bauentwickler schützen. Niemand sagt, dass Immobilienunternehmen keine Gewinne erwirtschaften dürfen. Aber zwischen Geld machen und die Gesellschaft veralbern, ist ein Unterschied. Als wir das Nordstadlycée bauen wollten, waren wir konfrontiert mit Preisen, die jenen im Zentrum der Hauptstadt entsprachen. Dabei waren diese Grundstücke nicht einmal im Bauperimeter.

Gibt es Parteien, die da näher an der grünen Position sind?

Wenn ich mir die Programme anschaue, dann muss ich ehrlich sagen, dass LSAP und CSV uns am nächsten stehen. Das Programm der DP ist so vage, dass man sich alles darunter vorstellen kann. Den Liberalen fehlt es an der Sensibilität für Umweltthemen, auch wenn es einzelne Personen wie Pierre Gramegna gibt, mit dem wir sehr gut zusammengearbeitet haben.

Was sind rote Linien für Déi Gréng?

Für uns ist klar, dass der Klimaschutz und die Beschlüsse von Paris Priorität haben müssen. Würde sich eine Regierung bilden, die Klimaschutz und Nachhaltigkeit nebensächlich behandelt, dann sehen wir nicht ein, warum wir ein Teil davon sein sollten. Das ist nicht nur das Rückgrat unserer Partei, sondern das Land würde eine Chance verpassen.