Forscher haben massive Diskrepanzen in den Handelsstatistiken der EU-Länder aufgedeckt. Vor allem Luxemburg gibt deutlich höhere Exporte von Gütern und Dienstleistungen an als die jeweiligen Importländer. Die Gründe haben mit Steuern zu tun – aber nicht nur.

2018 tauschten Luxemburg und Großbritannien Dienstleistungen in Höhe von 27 Milliarden Euro aus – sagt Luxemburg. Doch in den britischen Statistiken tauchen nur acht Milliarden auf – also weniger als ein Drittel. Es ist eines der krassesten Beispiele aus einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

Die Forscher Gabriel Felbermayr und Martin Braml kommen zum Ergebnis, dass die EU 2018 mit sich selbst einen Handelsbilanzüberschuss von 307 Milliarden Euro hatte – was aller Logik entbehrt. Importe und Exporte müssten sich innerhalb der EU ausgleichen. Messfehler alleine könnten die Diskrepanzen in den Zahlen nicht erklären, sind sich die Wirtschaftswissenschaftler sicher.

Dahinter könnte sich ein gigantischer Mehrwertsteuer-Betrug von bis zu 64 Milliarden Euro verstecken – in einem Jahr. Eine Zahl, die die europaweite Recherche „Grand Theft Europe“ bestätigt (hier geht es zum REPORTER-Dossier).

Finanzsektor und offene Wirtschaft als Ursachen

Für Luxemburg stellten die Forscher fest, dass die hiesigen Exporte bei Gütern im Schnitt um 41 Prozent und bei Dienstleistungen um 63 Prozent von den Zahlen der Handelspartner abweichen. Luxemburg gehört damit zu den Ländern, in denen die Statistiken am unzuverlässigsten sind.

Dieses Ergebnis und die Verbindung zum Steuerbetrug riefen den CSV-Abgeordneten Laurent Mosar auf den Plan. Ob der Finanzminister diese Zahlen bestätigen könne und ob solche Studien nicht dem Ruf Luxemburg schaden würden, möchte der Oppositionspolitiker in einer parlamentarischen Anfrage wissen. Die Antwort steht noch aus.

Doch einer der beiden Autoren der Studie gibt Entwarnung: Messfehler seien im Falle Luxemburg ein wichtigerer Grund als Steuerbetrug, erklärte Professor Felbermayr im Gespräch mit REPORTER.

Gerade bei komplexen Finanzprodukten ist es schwierig, dieser Dienstleistung eine Nationalität zuzuweisen.“Gabriel Felbermayr, Wirtschaftswissenschaftler

Tatsächlich tauchen die Fehler vor allem in den Handelsbilanzen zwischen Nachbarländern auf. Aufgrund seiner geografischen Lage ist Luxemburg dieser Problematik stärker ausgesetzt als andere Staaten der EU. Kauft ein Luxemburger einen Sessel in einem deutschen Möbelhaus und nimmt das gute Stück mit über die Grenze: Ist das ein Import oder nicht? Solche statistischen Fehlerquellen schlagen bei kleinen Ländern stärker durch, erklärt Gabriel Felbermayr.

Ähnlich schwierig sind Statistiken bei Finanzdienstleistungen, die nun einmal einen Großteil der Wirtschaftsaktivität in Luxemburg ausmachen. „Gerade bei komplexen Finanzprodukten ist es schwierig, dieser Dienstleistung eine Nationalität zuzuweisen“, sagt Gabriel Felbermayr. Ist ein Finanzprodukt nun Luxemburger Ursprungs? Wurde es nach Großbritannien „exportiert“? Diskrepanzen sind dabei unvermeidbar. Andere Länder mit großem Finanzsektor wie Irland, Zypern, die Niederlande oder Großbritannien weisen ebenfalls hohe Fehlermargen auf, wie die Studie betont.

Steuernischen ausnahmsweise nicht das Problem

Die Zahlen zum Außenhandel sind nicht die einzigen Statistiken, die in Luxemburg Probleme bereiten. Das Bruttoinlandsprodukt ist hierzulande als Indikator mit Vorsicht zu genießen, wie das Statec selbst warnt. Die Ursache in diesem Fall sind Konzerne, die ihre Steuervermeidungsmodelle umstellen und damit erhebliche Anpassungen am BIP nötig machen.

Diese Ursache schließt Professor Felbermayr aber im Falle der Außenhandelszahlen aus. Wenn Tochtergesellschaften eines Konzerns untereinander Güter oder Dienstleistungen tauschen, dann tun sie das manchmal zu überhöhten Preisen, um Gewinne zu verlagern. „Diese sogenannten Transferpreise würden sowohl bei der Import- als auch der Exportstatistik auftauchen“, erklärt der Wissenschaftler. Es sollte also keine Diskrepanz entstehen, wenn alles richtig verbucht wird.

Betrug bleibt nicht ausgeschlossen

Um die Unterschiede zu erklären, braucht es entweder Messfehler oder Unternehmen, die ihre Zahlen fälschen. Das ist die Hypothese der Studie: Mehrwertsteuer-Betrug erkläre am besten, warum die Statistiken nicht stimmen, betonen die Autoren. Beim „Karussellbetrug“ nutzen Kriminelle das Prinzip, dass beim grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU keine Mehrwertsteuer fällig wird. Das System besteht seit 1993. Auffällig ist, dass sich seitdem die Diskrepanzen in den Handelszahlen der EU häufen, betonen die Autoren der Studie.

Die Transaktionen der Betrüger finden aber teils nur auf dem Papier statt, um sich die „TVA“ vom Staat erstatten zu lassen. Sie haben Interesse daran, Exporte anzugeben, die allerdings nie stattfinden.

Finanzminister Pierre Gramegna (DP) betont immer wieder, dass der sogenannte „Karussellbetrug“ kein großes Problem in Luxemburg darstellt. Trotzdem gehen Schätzungen von einem Schaden von zwischen 38 und 100 Millionen Euro pro Jahr aus. Experten warnen zudem, dass im Finanzsektor ein hohes Risiko für Mehrwertsteuer-Betrug besteht.


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