Multinationale Konzerne verlagern jedes Jahr 600 Milliarden US-Dollar an Gewinnen in Steuerparadiese. 47 Milliarden Dollar aus diesem Kuchen landen in Luxemburg und bescheren dem Staat einen deutlichen Anteil seiner Einnahmen.
Spätestens seit Luxleaks ist die Steuervermeidung von Konzernen ein heißes politisches Thema. Doch die Debatte leidet unter dem Mangel an objektiven Zahlen: Wie umfassend ist das Phänomen, wer profitiert am meisten, wo gehen Steuereinnahmen verloren? Darauf fehlen oft Antworten, weil das Steuergeheimnis für Unternehmen gilt. Außer ein Leak erlaubt eben einen Blick unter den Teppich.
Der französische Ökonom Gabriel Zucman und seine Kollegen Thomas Torslov und Ludvig Wier haben einen Weg gefunden, an objektive Zahlen zu kommen. Sie untersuchten makroökonomische Statistiken wie etwa Handelsbilanzen, um herauszufinden, wohin die Gewinne von Konzernen fließen und wie sie dort besteuert werden. Die zwei wichtigsten Zahlen ihrer Forschung: Jedes Jahr verlagern Konzerne 600 Milliarden Dollar in Länder, wo sie von weitgehenden Steuervorteilen profitieren. Diese Summe entspricht zwei Fünftel aller Gewinne, die große Unternehmen insgesamt machen. Grundlage sind Zahlen aus dem Jahr 2015.
Knapp eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen
In diesem Spiel gibt es zwangsweise Verlierer. In der EU reduziert die Steuervermeidung die Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung um 20 Prozent, schätzen die Forscher. Vor allem US-Konzerne nutzen alle Hintertüren des Steuerrechts.
Luxemburg ist dagegen einer der Gewinner. Laut den Berechnungen der drei Forscher landeten 47 Milliarden Dollar an verlagerten Gewinnen in Luxemburg. Irland erhielt mit über 100 Milliarden Dollar das größte Stück vom Kuchen, die Niederlande und die Schweiz mit jeweils knapp 60 Milliarden Dollar mehr als Luxemburg.
Für den Luxemburger Staat bedeutet das jährliche Steuereinnahmen von 1,2 Milliarden Dollar, umgerechnet knapp eine Milliarde Euro. Das machte 2015 über acht Prozent der Gesamteinnahmen des Staates aus.
Die Zahlen zeigen zudem, dass die Gewinne von internationalen Konzernen in Luxemburg nur sehr wenig besteuert werden. Der tatsächliche Steuersatz liegt bei 2,8 Prozent. Der gesetzliche Steuersatz liegt dagegen heute bei 26 Prozent, 2015 waren es noch 29 Prozent. Zahlreiche Steuernischen erlauben es Konzernen in Luxemburg ihre Gewinne kleinzurechnen und so extrem wenig Steuern zu zahlen. Selbst im Vergleich mit steuerlich sehr attraktiven Ländern ist Luxemburg damit „spitze“. So liegt in Irland der effektive Steuersatz bei 4,4 Prozent, in den Niederlande bei 10,5 Prozent.
Allerdings ist Luxemburg eben auch abhängig von der Steuervermeidung der Konzerne. Die Hälfte aller Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung stammt von Konzernen, die in Luxemburg vor allem aus steuerlichen Gründen sind (siehe Grafik). Das ist weniger als etwa in Irland (58 Prozent) oder in Malta (90 Prozent). Der Anteil ist aber deutlich größer als in den Niederlande oder der Schweiz, die wie Luxemburg eine sehr internationale Wirtschaftsstruktur haben.
In Luxemburg machen die Einnahmen aus den Unternehmenssteuern sieben Prozent des Bruttonationaleinkommens aus. Das ist doppelt soviel wie in Ländern, die sich nicht auf Steuersparmodelle spezialisiert haben. Damit ist Luxemburgs Abhängigkeit von diesen Einnahmen aber entsprechend größer.
Operationen ohne wirtschaftlichen Mehrwert
Die Steuersparmodelle der Konzerne und deren Größenordnung haben nicht nur steuerliche Folgen. Statistische Größen wie das Bruttoinlandsprodukt, Handelsbilanzen und Zahlen zur Kapitalbesteuerung würden durch die Steuervermeidungsstrategien verfälscht, schreiben Zucman und seine Kollegen.
Die steuerliche Intransparenz der Konzerne erschwere die Arbeit der Statistiker, heißt es auch vom Luxemburger Statec. Sie verweisen auf das Jahr 2015, als Irland ein unglaubliches Wirtschaftswachstum von 26 Prozent aufwies. Der Grund: Konzerne hatten geistiges Eigentum in Milliardenhöhe nach Irland verlegt – eine Operation ohne wirtschaftlichen Mehrwert.
Wachstum im statistischen Hohlspiegel
Zucman und seine Kollegen fanden heraus, dass die in Luxemburg verzeichneten Exporte an Dienstleistungen um die Hälfte höher lagen als in den jeweiligen Zielländern aus der Importstatistik zu entnehmen ist. Auch die Berechnung der Produktivität wird durch das Gewicht des Finanzplatzes sehr schwierig, sagen die Luxemburger Experten.
Und das bleibt nicht ohne Folgen für die gerade heiß diskutierten Wachstumszahlen. Das Statec betont, dass 2016 das Bruttonationaleinkommen (frz: revenu national brut, RNB) nur etwa zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes (frz: produit intérieur brut, PIB) ausmachte. Der Unterschied: Der PIB misst den Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in Luxemburg hergestellt werden. Das Bruttonationaleinkommen bezieht sich dagegen auf das von Inländern erwirtschaftete Einkommen. In dieser Berechnung fehlen also die Aktivitäten der ausländischen Konzerne und etwa auch die Löhne der Grenzgänger.
Damit bildet das Bruttonationaleinkommen den in Luxemburg verfügbaren Reichtum besser ab. Doch das Wirtschaftswachstum wird mit dem PIB berechnet. In den letzten zehn Jahren haben sich beide Größen jedoch immer weiter auseinander entwickelt.