Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln und die Konjunkturaussichten waren auch schon einmal schlechter. Im Wahljahr dürfte es so den Parteien schwer fallen, keine vollmundigen Versprechen zu machen. Eine Analyse.

Lang, lang ist es her: Man erinnere sich an einen DP-Spitzenkandidaten und kommenden Premier, der bei jeder Gelegenheit betonte, dass der Staat sparen und an die kommenden Generationen denken müsse. „Entweder wir machen weiter so wie bisher oder wir gehen die Probleme des Landes an und treffen auch die unangenehmen Entscheidungen“, so Xavier Bettel (DP) wenige Tage vor der Vereidigung des blau-rot-grünen Kabinetts Ende 2013. Mit dem recht dramatischen Zusatz: „Wenn wir jetzt nicht beherzt handeln, ist es vielleicht zu spät.“

Viereinhalb Jahre, ein „Zukunftspak“ und eine Steuerreform später hört sich der Diskurs fundamental anders an. Man habe gehandelt, die unangenehmen Entscheidungen getroffen und sich so den finanziellen Spielraum für die Steuerreform (und noch mehr) verdient, lautet die Devise. Das Sparen, die vorausschauende Finanzpolitik und die Generationengerechtigkeit sind aus dem Vokabular der Koalitionsparteien weitgehend verschwunden. Stattdessen hat der Wettbewerb um neue Versprechen im Wahlkampf bereits begonnen.

Weitere Steuersenkungen in Sicht

Den Anfang machte Finanzminister Pierre Gramegna (DP), indem er auf dem Bezirkskongress seiner Partei im Süden pünktlich zum Wahlkampfauftakt weitere Steuersenkungen in Aussicht stellte. Keine neuen Steuern, keine Beitragserhöhungen bei den Renten und weiterer Spielraum zur Entlastung von Privatpersonen und Betrieben: Gramegna umriss bei dieser Gelegenheit das offiziell noch nicht ausformulierte Programm der Liberalen schon ziemlich klar.

Ebenso wiederholt der Finanzminister in seinen öffentlichen Reden wie ein Mantra, dass die Situation heute eine andere ist als noch zu Beginn seiner Amtszeit. So ist denn der Wandel des politischen Diskurses auch für den Laien zu verstehen: Die DP von damals wollte das Land sanieren und zukunftsfähig machen, die DP von heute will Wahlen gewinnen.

Bei den Koalitionspartnern der Liberalen ist der Meinungsumschwung nicht ganz so auffällig. Sozialisten und Grüne waren schon zu Beginn der Legislaturperiode nicht allzu überzeugt vom harten Konsolidierungsdiskurs von Bettel, Gramegna und Co. – und auch heute sehen die Partner am Kabinettstisch keinen Grund zur haushaltspolitischen Vorsicht.

Ganz im Gegenteil kritisieren sie bei jeder Gelegenheit die „Schwarzmalerei“ der Oppositionsparteien CSV und ADR, die vor allem in Person von CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler bisher eher die rhetorische Schiene einer rigiden Haushaltspolitik fahren. Doch auch die Haltung der CSV könnte sich bis zu den Wahlen noch entwickeln bzw. offenbart schon heute gewisse Widersprüche. Aber der Reihe nach.

4,6 Prozent Wachstum im Wahljahr

Freilich haben sich in den viereinhalb Jahren nicht nur die Rhetorik von Premier- und Finanzminister, sondern auch die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen gewandelt. Die Ausgangsposition für den Wahlkampf ist eine andere als noch 2013. Führten Politiker der heutigen Regierung damals noch latente Untergangsszenarien an, ist die finanzielle und konjunkturelle Situation heute scheinbar komfortabler. Scheinbar deshalb, weil sich der alarmierende Pessimismus des Jahres 2013 im Rückblick durchaus als Mythos entlarvt.

Dennoch könnten die Aussichten schlechter sein. In seinen jüngsten mittelfristigen Prognosen rechnet das Statec jedenfalls mit einem soliden Wirtschaftswachstum von jeweils 4,6 Prozent für das laufende und das kommende Jahr (siehe Grafik). Ab 2020 soll sich das Niveau der Zunahme des BIP dann wieder leicht senken, um 2022 bei 2,9 Prozent zu landen. Ein Wachstum von durchschnittlich 4,6 Prozent für 2018 und 2019: Das sind keine Zahlen, die Politiker im Wahlkampf zur finanzpolitischen Vorsicht auffordern.

Das gilt auch für die CSV. Intern dürfte auch bei der Oppositionspartei der Druck steigen, den nüchternen Verantwortungdiskurs ihres Spitzenmannes im Rahmen der Ausarbeitung des Wahlprogramms noch mit der einen oder anderen positiven Botschaft an die Wähler anzureichern. Spricht man mit christsozialen Politikern, erhält man jedenfalls unterschiedliche Einschätzungen.

Im Raum stehen bis auf Weiteres die Vorschläge des finanzpolitischen Sprechers, Gilles Roth, wonach die CSV den Mindestlohn komplett von der Einkommensteuer befreien und alle mittleren Einkommenstufen entlasten will. Auch die stetige weitere Senkung der Betriebsbesteuerung wurde von Roth und Wiseler mehrmals zum Ziel erklärt. Die Glaubwürdigkeit jener Partei, die gegen die blau-rot-grüne Steuerreform gestimmt hat und ansonsten den harten Sanierer gibt, steht angesichts dieser Forderungen zwar auf dem Spiel. Die aktuellen Wachstumsprognosen würden eine solche Politik aber durchaus erlauben – zumindest kurzfristig.

Ende der finanziellen Zurückhaltung

Die Leitlinie der finanziellen Zurückhaltung ist ohnehin aus der Mode gekommen. Mit dem „Zukunftspak“ ließ die Regierung ihren anfänglichen Worten zwar Taten folgen. Die Konsolidierungseffekte des Maßnahmenpakets aus dem Jahr 2015 wurden im Laufe der Legislaturperiode jedoch schon wesentlich abgeschwächt, wie es der Rechnungshof seitdem jedes Jahr in seinen Berichten festhält. Zudem machten die Steuererhöhungen (TVA, „0,5-Prozent“-Steuer) den Bärenanteil der „Sparpolitik“ aus.

Mit den jährlich rund 500 Millionen Euro an Mindereinnahmen durch die pro-zyklische Steuerreform, die im Koalitionsprogramm noch ausdrücklich ausgeschlossene, dann aber umgesetzte Gehaltserhöhung für den Öffentlichen Dienst, die Erhöhung des Mindestlohns und Anpassungen bei den Studienbeihilfen wurde dann endgültig die Wende in der Haushaltspolitik vollzogen.

Oder um es mit Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) aus dem Jahr 2016 zu sagen: „Strategisch haben wir aber alles richtig gemacht: Alle Maßnahmen, die weh tun, aber unbedingt notwendig sind, machen wir gleich am Anfang. Hier ist die Mission erfüllt, das ist durch. Damit haben wir uns aber erst den finanziellen Spielraum verschafft, um jetzt auch im wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Bereich Akzente zu setzen. Bis diese Maßnahmen (…) greifen, dauert es aber noch.“

Die DP von damals wollte das Land sanieren und zukunftsfähig machen, die DP von heute will Wahlen gewinnen.“

Genau an diesem Punkt ist die Politik heute angelangt. Die Maßnahmen beginnen in der Tat zu greifen und die Rechnung geht haushaltspolitisch kurzfristig auch auf. Die Regierung scheint sich bis zu den Wahlen zurück zu lehnen und hofft letztlich darauf, dass die Wähler die Resultate ihrer „Strategie“ am Ende anerkennen. Dass es sich dabei aber überhaupt um eine Strategie im Sinn einer bewussten Entscheidung handelte – das gab so offenherzig bisher nur der meinungsfreudige Vizepremier zu.

Flexible Programme, neue Wahlversprechen

Mit welcher finanzpolitischen Strategie die LSAP in die Wahlen zieht, ist dabei längst nicht ausgemacht. Klar ist nur, was mit den Sozialisten nicht zu machen ist, nämlich eine Rentenreform oder sonstiger „Sozialabbau“. Klar ist damit auch, dass die Partei im wahlkämpferisch bewährten Schulterschluss mit der Gewerkschaft OGBL und relativ unabhängig von der finanziellen Situation für einen weiteren Ausbau des Sozialstaats eintritt. Die Forderung von Arbeitsminister Nicolas Schmit nach einer Anhebung des Netto-Mindestlohns um 100 Euro lässt sich in dieser Hinsicht als Vorgeschmack verstehen. Und auch der Versuchsballon von Vizepremier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider zur Reform der Arbeitszeiten dürfte sich als Wahlkampfbotschaft eignen.

Steuerpolitisch haben Schneider, Schmit und Co. jedoch eine gemischte Bilanz vorzuweisen. Zwar drückte man der Steuerreform in manchen Aspekten durchaus einen „roten“ Stempel auf. Die im letzten Wahlprogramm versprochene „Reichensteuer“ von 45 Prozent fiel letztlich jedoch wesentlich niedriger aus. Andere klassische sozialistische Forderungen wurden dagegen gar nicht umgesetzt und dürften demnach auch dieses Jahr wieder im Programm stehen: Stärkere Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Kapitalerträgen, Reform der Grundsteuer, Wiedereinführung der Vermögensteuer, Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten für Reiche und Betriebe…

Das Motto „Méi mat manner“ klingt zwar gut. Mit „Méi mat méi“ sind die Chancen auf eine Wiederwahl allerdings höher.“

Ähnlich verhält es sich bei Déi Gréng: Die ökologische Komponente der Steuerreform beschränkte sich bei Blau-Rot-Grün auf die fiskalische Begünstigung von emissionsarmen Dienstwagen bzw. Elektro- und Hybridfahrzeugen. Eine weitergehende „ökologische Steuerreform“, die generell den Ressourcenverbrauch steuerlich stärker belasten und den Tanktourismus in Frage stellen sollte, wird auch nach der ersten Regierungsbeteiligung der Grünen nicht Realität. In anderen Punkten, wie der konsequenten Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Immobilienverkäufen und dem „Stoppen“ der Tendenz zur weiteren Absenkung der Körperschaftssteuer, lief die Realpolitik gar dem grünen Wahlprogramm ganz konkret zuwider.

Im Vergleich zur LSAP halten sich die Grünen mit konkreten Vorschlägen jedoch noch zurück. Wie schon 2013 wird sich die Partei programmatisch eher flexibel aufstellen. Generell darf aber schon bezweifelt werden, dass die Grünen in einer Koalition mit der CSV mehr von ihrem finanzpolitischen Programm umsetzen könnten als in den vergangenen fünf Jahren.

Von „Méi mat manner“ zu „Méi mat méi“

Im Rückblick konnte sich die DP in der Haushalts- und Steuerpolitik am deutlichsten durchsetzen. Das liegt einerseits an der Umsetzung von klassischen Forderungen wie der Streckung der Steuertabelle, der gezielten Förderung der privaten Altersvorsorge, der Entlastung der Unternehmen und der zumindest rhetorischen Verteidigung des Finanzplatzes.

Ansonsten ist die Programmatik des Bettel-Gramegna-Cahen-Liberalismus aber eher abstrakt, also konsequent „sozialliberal“. Nur so konnte die Premier- und Finanzminister-Partei letztlich die besondere Mischung aus Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen, späteren Steuersenkungen und Mehrausgaben als konsistente Haushaltspolitik verkaufen. Aus Erfahrung weiß die DP: Das Motto „Méi mat manner“ klingt zwar gut. Mit „Méi mat méi“ sind die Chancen auf eine Wiederwahl allerdings wesentlich höher.

Hinzu kommt, dass der DP mit der besagten strategischen Planung der Legislaturperiode ihr Alleinstellungsmerkmal abhanden gekommen ist. Wer für eine „Politik mat der Strenz“ ist, hat im luxemburgischen Parteienangebot letztlich die Qual der Wahl. Für eine Politik, die die Kaufkraft der Menschen stärkt, muss man nicht unbedingt die DP wählen. Wer jedoch wie die traditionelle wirtschaftsliberale DP-Klientel für eine strenge, vorausschauende Finanzpolitik eintritt, muss sich bei den kommenden Wahlen erst einmal umschauen. Zumindest erteilten Bettel, Cahen und Co. den LSAP-Forderungen beim Mindestlohn und bei den Arbeitszeiten aber aus urliberalem Reflex eine Absage.

Ob der schwammige Kurs des Sozialliberalismus die DP am Ende zum Ziel führt, bleibt abzuwarten. Und doch: Wenn Finanzminister Pierre Gramegna sagt, dass man sich die Steuerreform leisten konnte, hat er Recht – zumindest kurzfristig. Ob das Land sich jedoch die von ihm angekündigten weiteren Steuererleichterungen leisten kann, steht trotz positiven Konjunkturaussichten in den Sternen. Nicht ausgeschlossen ist demnach, dass eine nächste Regierung sich eine ganz neue Strategie zur Planung der Legislaturperiode überlegen muss.