Die Pandemie tritt in eine neue Phase. Manche Länder heben ihre Corona-Maßnahmen komplett auf. Auch Luxemburg könnte diesem Beispiel bald folgen. Wie das Ende der Pandemie aussehen könnte und welche Zweifel dennoch bleiben. Eine Analyse.
„Wann et mam Covid fäerdeg ass…“: Rein rhetorisch läuteten der Premier und die Gesundheitsministerin Anfang des Monats eine neue Phase der Pandemie ein. Von einem möglichen „Ende der Pandemie“ war von Xavier Bettel und Paulette Lenert bisher noch nie so deutlich die Rede wie beim Pressebriefing am 4. Februar. Passend dazu kündigte die Regierung die Lockerung mehrerer Corona-Maßnahmen an. Gleichzeitig relativierte sie ihr bisheriges Bestreben zur Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht. Der Grund, laut Xavier Bettel: „Wenn es sicher ist, dass die Pandemie zu Ende ist, dann ist diese Regierung die letzte, die sagt, wir machen jetzt auf Teufel komm raus eine Impfpflicht.“
Doch wie könnte ein solches Ende der Pandemie aussehen? Reicht es, dass die Weltgesundheitsorganisation das Ende offiziell ausruft und die Regierung irgendwann das Covid-Gesetz nicht erneuert? Und woran macht die Regierung ihre hoffnungsvollen Aussagen fest? Laut Paulette Lenert ist die Situation in den Krankenhäusern entscheidend. Erst wenn dort wieder dauerhaft „Normalität“ einkehrt, könne man von einer Entspannung der Lage ausgehen. Und erst dann, so der Unterton, könnte man auf die Impfpflicht verzichten und auch an die Aufhebung von weiteren restriktiven Maßnahmen denken.
Die aktuellen Zahlen geben der Argumentation der Regierung durchaus recht. Am Wochenende befanden sich neun Patienten mit bestätigter Covid-Infektion auf einer Intensivstation, auch die Fallzahlen nehmen im Vergleich zum Januar wieder ab. Gesamtgesellschaftlich betrachtet sind die Auswirkungen einer Ansteckung mit dem Coronavirus vergleichsweise gering. Auch international – etwa in Dänemark, Großbritannien, Österreich oder Norwegen – geht der Trend hin zu einer weitgehenden Lockerung der sanitär bedingten Restriktionen aufgrund von überschaubaren Belastungsgraden der dortigen Gesundheitssysteme.
Wie die Corona-Krise bewältigbar wurde
Was die politisch Verantwortlichen dabei nur andeuten: Es kommt bei ihrer Risikobewertung längst nicht mehr auf die Infektionszahlen an. Weil die große Mehrheit der Bevölkerung durchgeimpft ist, schlagen sich hohe Inzidenzen nicht in annähernd so folgenreichen Erkrankungen nieder, wie das noch in früheren Phasen der Pandemie der Fall war. Hinzu kommen durchaus erfolgversprechende Entwicklungen in der medizinischen Behandlung von Covid-19. Oder anders ausgedrückt: Der wissenschaftliche Fortschritt führte dazu, dass diese Pandemie bewältigbar wurde.
Nach zwei Jahren Pandemie besteht definitiv kein Grund zur Panik, aber eben auch kein Anlass zur kompletten Achtlosigkeit.“
Damit ist die Pandemie aber noch nicht vorbei, sondern nur besser zu handhaben. Die aktuelle Lage erlaubt zwar Lockerungen der ohnehin schon abgeschwächten sanitären Maßnahmen. Doch sie sagt letztlich wenig darüber aus, wie sich die epidemiologische Lage längerfristig entwickeln wird. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass die Hoffnungen in der Bevölkerung nach einer endgültigen Krisenbewältigung auch schnell enttäuscht werden können. Nachdem dort im September bereits ein „Freedom Day“ ausgerufen worden war, musste die Regierung bald wieder zurückrudern. Jetzt feiert das skandinavische Land schon zum zweiten Mal das „Ende der Pandemie“.
Die von allen Gesellschaften ersehnte „Rückkehr zur Normalität“ kommt jedenfalls noch nicht ohne Restzweifel aus. Genau auf diese Nuance wird es auch bei der erwartbaren Debatte über eine komplette Aufhebung der Corona-Maßnahmen in Luxemburg ankommen. Die Pandemie wird nicht einfach so verschwinden, ihre Auswirkungen können aber noch weiter verringert werden. Für die Politik kommt es also darauf an, den richtigen Ton zu treffen. Denn wer heute einen „Freedom Day“ verspricht, um im kommenden Herbst die lauthals verkündete frohe Botschaft wieder zurückzunehmen, macht sich unglaubwürdig.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wer die Lehren aus der bisherigen Krise verinnerlicht, kann mit einer gewissen Zuversicht in die Zukunft blicken. Denn mit Prävention, Besonnenheit und politischer Anpassungsfähigkeit lässt sich eine Krankheit wie Covid-19 künftig bewältigen – auch in einer „normal“ funktionierenden, freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Nach zwei Jahren Pandemie besteht definitiv kein Grund zur Panik, aber eben auch kein Anlass zur kompletten Achtlosigkeit.
Politische Führung bleibt weiter gefragt
Bei diesem Unterfangen ist allerdings nach wie vor glaubwürdige politische Führung gefragt. Denn auch das hat die seit rund zwei Jahren andauernde globale Krise gezeigt: Nur eine Regierung, die einen Plan hat, die die Bedingungen und wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Politik klar und konsistent kommuniziert, wird auf Dauer erfolgreich sein. In Luxemburg war dies nicht immer der Fall. Und auch jetzt, in dieser neuen Phase der Pandemie, versäumt es Blau-Rot-Grün, ihren Kurswechsel auf nachvollziehbare Weise zu erklären.
Beispiel Impfpflicht-Debatte: Rund zwei Wochen bevor die Koalition die neuesten Lockerungen ankündigte, debattierte das Parlament noch über die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht. Mitte Januar inszenierte sich Xavier Bettel noch als Macher, der die obligatorische Impfung zur Prinzipienfrage erhob. Gleichzeitig versteckte Paulette Lenert nicht ihre anhaltende Skepsis in dieser Frage, so dass ein substanzieller Koalitionsdissens nicht abzustreiten war. Bei ihrem gemeinsamen Auftritt vor rund zwei Wochen sagten dann aber beide Spitzenpolitiker, dass die Frage der Impfpflicht sich vielleicht bald gar nicht mehr stelle – also vorausgesetzt, dass es „mam Covid fäerdeg ass“.

Auch jetzt lässt sich nur mutmaßen, welche Strategie die Regierung bei der Impfung verfolgt. Gleichzeitig erweckt die Exekutive den Eindruck, dass ein „Ende der Pandemie“ nur eine Frage der Zeit ist. Doch damit droht sie, wieder einmal zu unterschätzen, wie ihre Entscheidungen – und ihre Nicht-Entscheidungen – in der Bevölkerung wahrgenommen werden können. Wenn der Premier, der gestern noch ausdrücklich den Druck auf Ungeimpfte erhöhen wollte, sich heute kategorisch für eine Impfpflicht ausspricht, um dann morgen ein Ende jeglicher sanitärer Einschränkungen in Aussicht zu stellen, trägt das nicht zur Nachvollziehbarkeit der Regierungspolitik bei.
Das Problem des „Freiheit zurückgeben“
Es ist jedoch nicht so, dass die Regierung ihre Kurswechsel überhaupt nicht erläutert. „So viel Sicherheit wie nötig, so viel Freiheit wie möglich, das ist eigentlich das Grundprinzip, das uns seit Beginn der Pandemie geleitet hat“, sagte Xavier Bettel Anfang Februar vor der Presse. Doch meistens bleibt es bei dieser abstrakten Rhetorik, die mit der Zeit zu leeren Worthülsen verkommt. Dass man zu gewissen Momenten die Gesundheit der Bevölkerung schützen müsse, und zu anderen Zeitpunkten etwas „Freiheit zurückgeben“ könne, reicht als Argumentation längst nicht mehr aus.
In der aktuellen Phase der Pandemie müsste die Regierung vielmehr erklären, und so konkret wie möglich belegen, warum das Risiko einer faktischen Durchseuchungsstrategie politisch, epidemiologisch und ethisch vertretbar ist. Idealerweise müsste sie auch darlegen, was droht, wenn der Belastungsgrad des Gesundheitssystems wieder in den kritischen Bereich kommt. An diesem konkreten, nach außen kommunizierten Risikomanagement hapert es in Luxemburg seit Beginn der Pandemie. Wie es heute scheint, könnte dieser Mangel an professioneller Krisenkommunikation auch das „Ende der Pandemie“ überdauern.
Die im Diskurs der Regierung immer wiederkehrende Formulierung ‚Freiheit zurückgeben‘ ist an sich schon problematisch.“
Dabei bleibt es auch in der jetzigen Phase wichtig, alle Bürgerinnen und Bürger anzusprechen. Genau so wie der Beschluss von einschneidenden sanitären Maßnahmen wird nämlich auch deren Aufhebung höchst wahrscheinlich nicht auf einhellige Zustimmung stoßen. Die mitunter radikale Opposition gegen die Regierungspolitik wird selbst bei der vollständigen Lockerung nicht einfach so abklingen. Und für Menschen, die bisher überaus vorsichtig waren und denen die von der Politik beschlossenen Einschränkungen oft nicht weit genug gingen, wird die Rede von einem „Ende der Pandemie“ voraussichtlich zu früh kommen.
Die im Diskurs der Regierung immer wiederkehrende Formulierung „Freiheit zurückgeben“ ist dabei an sich schon problematisch. Sie war es schon immer, denn sie befördert ein Obrigkeitsdenken, das streng genommen freiheitsfeindlich ist. Die Logik, wonach die Regierung entscheidet und die Gesellschaft gefälligst zu gehorchen hat, war – wenn überhaupt – in der allgemeinen Unsicherheit der ersten Ausbreitung des Virus zweckdienlich. Seitdem hat die große schweigende Mehrheit der Bevölkerung deutlich gemacht, welchen Wert sie der persönlichen Freiheit und welchen sie der Solidarität mit schützenswerten Mitmenschen beimisst.
Eine der wenigen Konstanten der Krise
Zudem sendet die Wortwahl des „Freedom Day“ in dieser Phase der Pandemie missverständliche Signale aus. Denn für Geimpfte halten sich die Beschränkungen ihrer Autonomie ohnehin stark in Grenzen. Schon jetzt kann die überwältigende Mehrheit ins Restaurant oder ins Theater gehen, in den Urlaub fliegen, im Büro arbeiten oder Partys feiern. Ihr Freiheitsentzug beschränkt sich letztlich nur auf das gelegentliche Maskentragen und Vorzeigen eines Zertifikats. Die Logik eines „Freedom Day“ trifft also nur für jene zu, auf die die Regierung bisher politisch und sozial „Druck ausüben“ wollte – übrigens eine weitere Strategie, deren Erfolgsaussichten von Anfang an umstritten waren.
Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik – idealerweise unterstützt von Experten – das jetzt in Aussicht gestellte Szenario von einem „Ende der Pandemie“ skizziert. Das Ziel kann nämlich nicht lauten, dieses Virus auszurotten. Weder die Infektion noch die aktuell verfügbaren Impfstoffe wären dazu laut gängiger Forschungsmeinung in der Lage. Nicht auszuschließen ist zudem das Aufkommen von neuen, womöglich virulenteren Virusvarianten – eventuell bei parallel abnehmendem Impfschutz. Und auch die Langzeitfolgen einer „milden“ Ansteckung mit Sars-CoV-2 werden das Gesundheitssystem wohl noch eine Weile beschäftigen.
Solange vulnerable Bevölkerungsgruppen mehrheitlich geimpft wären, bliebe die Coronavirus-Endemie ohne das Risiko einer Überlastung der Krankenhäuser beherrschbar.“
Stand heute lässt sich aber mit gewisser Zuversicht absehen, dass dieses Virus mit der Zeit nur noch spontan zu Ausbrüchen führt, also endemisch wird. Solange vulnerable Bevölkerungsgruppen mehrheitlich geimpft wären, bliebe die Coronavirus-Endemie, ähnlich wie die saisonale Grippe, ohne das Risiko einer Überlastung der Krankenhäuser beherrschbar. Genau darum geht es und genau das bleibt das übergeordnete politische Ziel.
„Die Pandemie als bedeutende Gefahr für die öffentliche Gesundheit endet in Luxemburg, sobald das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems gebannt ist“, formulieren es die Mitglieder der Expertengruppe zur Einführung einer Impfpflicht. Wie es heute scheint, hofft die Regierung mittlerweile darauf, dass dieses Ziel auch ohne Impfpflicht erreichbar ist. Die Perspektive, und damit die einzig sinnvoll erscheinende Definition von einem „Ende der Pandemie“, bleibt aber in jedem Fall gleich.
Es ist dies eine der wenigen Konstanten in der andauernden Pandemie. Schon zu Zeiten, als die oberste Priorität im Abflachen der epidemiologischen Kurve bestand, waren Lockdowns, Abstandsregeln und strenge Hygienemaßnahmen nur ein Mittel zum Zweck – nämlich, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig ins Krankenhaus müssen. In der jetzigen Phase, in der die Infektionszahlen phasenweise dreimal so hoch liegen als zum bisherigen Höhepunkt der Pandemie im Herbst 2020, ist die Gefahr einer medizinischen Überlastung weitaus kleiner, aber eben noch nicht gebannt. Auch das gehört zu den Wahrheiten, die eine Regierung den Bürgerinnen und Bürgern zumuten können müsste.




