Nach dem Nationalfeiertag stiegen die Covid-19-Infektionen wieder rasant an. Eine weitere Sommerwelle ist dennoch nicht zu erwarten. Denn trotz neuer Virusvarianten stehen die Zeichen gut, dass die aktuellen Corona-Maßnahmen nicht weiter verschärft werden müssen. Ein Ausblick.
Am Nationalfeiertag wirkte es, als wäre die Pandemie vorbei. Mit einer Inzidenz von 13 Infektionen pro 100.000 Einwohner, wurde am 23. Juni ein neuer Tiefstwert erreicht, der zuvor nur durch den ersten strengen Lockdown ermöglicht worden war. Eine Woche später stieg die Inzidenz auf etwa 100. Inzwischen wurden selbst die Werte der letzten Sommerwelle überschritten.
Offenbar reichte ein einziges „Superspreader“-Event aus, um die Verbreitung des Coronavirus wieder zu beschleunigen. Innerhalb von nur zwei Wochen setzte sich somit auch in Luxemburg die sogenannte Gamma-Variante (auch als brasilianische Variante bekannt), durch. Während es in der Woche vor dem Nationalfeiertag keinen einzigen Fall mit dieser Virusvariante gab, machte sie zwei Wochen später 72,4 Prozent aller Fälle aus.
Dennoch rechnet Joël Mossong damit, dass die Delta-Variante wieder die Oberhand gewinnt. „Wir nehmen an, dass Delta in zwei Wochen wieder dominant ist, wenn wir dieses Cluster unter Kontrolle behalten“, so der Epidemiologe der „Santé“ im Gespräch mit „RTL Radio“. Doch auch diese Variante gilt als sogenannte „variant of concern“.
Es sind Daten, die auf den ersten Blick beunruhigend wirken. Vor einem Jahr mussten am Höhepunkt der Sommerwelle etwa 60 Personen wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden. Damals war von Delta- oder Gammavarianten allerdings noch keine Rede. Beide sind virulenter als die ursprüngliche Variante, das heißt, durch die erhöhte Viruslast verbreiten sie sich schneller in der Bevölkerung.
Entlastung der Krankenhäuser
Drohen nun also erneute Einschränkungen? Wohl eher nicht. Der Hauptgrund dafür ist die weitaus weniger angespannte Lage des Gesundheitssystems. Zurzeit werden in Luxemburg 13 Personen in den Krankenhäusern behandelt, davon fünf auf der Intensivstation. In der Regel spiegelt sich die Inzidenz spätestens nach einer Woche in der Zahl zu behandelnden Patienten wider. Erstmals seit Beginn der Pandemie hat sich diese Faustregel nicht bewahrheitet.
Der Grund dafür ist wiederum offensichtlich: Die Impfungen zeigen Wirkung. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung haben eine erste Impfdosis erhalten, drei Viertel davon sind bereits vollständig geimpft. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs mit dem Alter. Doch in den höheren Alterskategorien ist der Impfschutz besonders hoch. Laut den letzten verfügbaren Daten sind seit Ende Juni mehr als 78 Prozent der Über-50-Jährigen komplett geimpft, wie „Radio 100,7“ rezent berichtete.
Auch wenn kein Impfstoff vollständig vor einer Infektion schützt, so sind die Impfstoffe sehr effizient gegen einen schweren Verlauf. Alle in Luxemburg zugelassenen Impfstoffe konnten in mehr als 90 Prozent der Fälle einen Krankenhausaufenthalt verhindern. Laut den Zulassungsstudien tendiert nach einer vollständigen Impfung die Gefahr, an einer Infektion zu sterben, gegen null.
Eine erneut drohende Überlastung der Krankenhäuser durch Covid-19-Patienten wird also durch eine hohe Impfquote sehr unwahrscheinlich. Dabei war die Auslastung der Krankenhäuser für die Politik stets der ausschlaggebende Grund für einschneidende Maßnahmen. Vor allem deswegen sind neue Einschränkungen unwahrscheinlich.
Der Einfluss der Delta-Variante
Das heißt jedoch noch immer nicht, dass die Pandemie überwunden wäre. Mit Blick auf England zeigt sich, wie eine neue Welle trotz einer teilimmunisierten Bevölkerung aussehen könnte. Seit einigen Wochen steht die Insel wegen der Delta-Variante in den Schlagzeilen. Sie macht inzwischen 90 Prozent aller Infektionen aus. Das Land verzeichnet eine Inzidenz von 376 Fällen pro 100.000 Einwohner. Das entspricht etwa der Situation kurz vor Weihnachten in Luxemburg.
Allerdings wurden in England auch die Krankenhausaufenthalte wieder häufiger. Am 13. Juli wurden etwa 740 Patienten in den Krankenhäusern aufgenommen – doppelt so viel wie Anfang des Monats. Trotzdem wurden alle Corona-Einschränkungen am Montag aufgehoben. 1.200 Wissenschaftler warnten allerdings eindringlich vor diesem Schritt. Denn der Impfschutz nimmt mit der ansteckenderen Delta-Variante ab, somit rückt auch das "End game" der Pandemie, die Herdenimmunität, weiter in die Ferne.
Die gute Nachricht ist aber, dass die Impfung auch bei einer Infektion mit der Delta-Variante vor schweren Verläufen schützt. Durch eine erste Dosis sei man zu 78 Prozent gegen einen schweren Verlauf mit der herkömmlichen Alpha-Variante geschützt, sagte der Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast. „Wenn es ein Delta-Varianten-Virus ist, ist er zu 75 Prozent geschützt. Also das ist praktisch dasselbe. Und wenn jemand vollständig geimpft ist, ist er zu 92 Prozent geschützt, wenn es ein Alpha-Virus ist, und ein Delta-Virus ist er zu 94 Prozent geschützt“, so der Virologe. Demnach wächst für Geimpfte lediglich die Gefahr, sich mit dem Delta-Virus zu infizieren, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs ist hingegen gleichbleibend gering.
Für nicht-geimpfte Personen sieht die Lage allerdings anders aus. Laut den Forschern des „Imperial College Covid-19 Response Team“ steigt die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthalts bei der Delta-Variante ohne Impfschutz um 85 Prozent. Angesichts der Situation in Großbritannien stellt der Leiter der Arbeitsgruppe fest, dass „der Zusammenhang zwischen Infektionen und Krankenhausaufenthalten abgeschwächt, aber nicht behoben wurde“. Vor allem bei einer hohen Inzidenz könnte dies noch zum Problem werden.
Hohe Inzidenz, hohes Risiko
Bereits Anfang des Jahres warnte Christian Drosten, dass nach der Impfung der Risikogruppen ein Öffnungsdruck entstehen könnte. Die Inzidenz könnte dann neue Höchstwerte erreichen. Das wäre nicht nur mit Blick auf „Long-Covid“ ein Problem für das Gesundheitswesen. „Wenn sich ganz viele junge Menschen infizieren, dann sind die Intensivstationen trotzdem wieder voll und es gibt trotzdem viele Tote. Nur, dass es jüngere Menschen trifft“, so die Einschätzung des Virologen.
Die meisten jungen Menschen haben erst kürzlich ein Impfangebot erhalten und sind deshalb nur zum Teil geimpft. Das Virus kann sich in dieser Gruppe deshalb auch leichter ausbreiten. Zurzeit sind genau 83,3 Prozent aller Infektionen in Luxemburg auf unter-40-Jährige zurückzuführen. Doch auch für die Risikogruppen ist eine hohe Inzidenz gefährlich. Menschen mit einer chronischen Immunschwäche oder auch kranke ältere Menschen wurden zum Beispiel in den klinischen Zulassungsstudien kaum berücksichtigt. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass der Impfschutz in diesen Gruppen nicht so hoch ist und eine Covid-19-Infektion weiterhin Lebensgefahr bedeuten könnte.

Doch mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass die Inzidenz zumindest in Luxemburg wieder fallen wird. In der letzten Sommerwelle stabilisierten sich die Infektionen bei etwa 90 Fällen pro 100.000 Einwohner, ab dem 1. August begannen sie zu fallen. Zudem könnte es auch beim Coronavirus einen saisonalen Effekt geben. Aus einem kürzlich erschienenen Vorabdruck einer Studie geht hervor, dass das Virus im Sommer um bis zu 40 Prozent weniger ansteckend sein könnte.
Zudem zeigten die letzten Schulferien stets einen Rückgang der Infektionen. Schüler etwa können das Virus nicht mehr in die Familien tragen. Schon jetzt deutet sich ein Wendepunkt in der Entwicklung an. Seit einer Woche ist die Inzidenz rückläufig und liegt zurzeit bei 116 Fällen pro 100.000 Einwohner, 40 Fälle weniger als noch vor zehn Tagen. Der Trend könnte sich aber erneut umkehren, sollte das Virus mutieren.
"Delta Plus" und andere Varianten
Bereits das Alpha-Virus (auch bekannt als britische Variante), war ansteckender als der sogenannte Wildtyp von Sars-CoV-2, der das Land im letzten Jahr in Schach hielt. Nun ist die Delta-Variante noch ansteckender als das Alpha-Virus, und bereits jetzt ist die Rede von einer Variante "Delta-Plus". Es handelt sich hierbei um eine Veränderung im Spike-Protein des Virus. Daher wird vermutet, dass die Impfung gegen diese Variante nicht mehr so gut anschlägt.
Bereits vor einigen Monaten wurde auch über die Alpha-Plus Variante berichtet, die eine ähnliche Mutation aufzeigt. Diese ist allerdings schnell in Vergessenheit geraten. „Bisher geht von der Alpha-Plus-484-Mutation auch kein großes Problem aus, sodass das im besten Fall hier genauso sein kann“, sagte die Virologin Dr. Sandra Ciesek im NDR-Podcast. Allerdings fürchten Wissenschaftler nun, dass durch das Aufheben aller Maßnahmen in Großbritannien ein neuer Nährboden für weitere Fluchtmutanten entsteht. Die hohe Inzidenz bei einer jungen Bevölkerung, die erst eine Impfdosis erhalten hat, begünstigt diese Mutationen. Der Impfschutz würde dann zusätzlich abnehmen.
Laut Christian Drosten ist die Wahrscheinlichkeit einer gefährlicheren Mutante allerdings gering. Das Coronavirus mutiere nur langsam und weniger stark. „Also eine Mutante, die auf einmal wieder eine schwere Krankheit macht bei der Mehrheit der Geimpften, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte der deutsche Virologe im Gespräch mit dem Onlinemagazin „Republik“. Neben den Antikörpern spielen nämlich auch die sogenannten T-Zellen eine wichtige Rolle in der Immunantwort. Diese können auch mutierte Viren anhand anderer Merkmale wiedererkennen und so vor einer schweren Krankheit schützen, so der Forscher.
Geringer Schutz durch Herdenimmunität
Mit der steigenden Impfquote nähert sich also das Ende der Pandemie. Das Virus wird allerdings weiter zirkulieren. Das Ziel der Regierung war es, vor Beginn der Sommerferien 70 Prozent der volljährigen Bevölkerung eine erste Dosis zu verabreichen. Am 8. Juli verkündete Paulette Lenert (LSAP) während einer Pressekonferenz, dass dieses Ziel erreicht werden konnte.
„Mittlerweile gehen die Wissenschaftler jedoch davon aus, dass dieser Wert – auch wegen der infektiöseren Virusvarianten – höher angesetzt werden muss“, sagte der Facharzt für Infektionskrankheiten Dr. Gérard Schockmel im Gespräch mit „science.lu“. Zudem schützt eine Teilimpfung nicht vollständig vor einer Infektion. Ein prominentes Beispiel dafür ist etwa Premierminister Xavier Bettel, der sich kurz vor dem Termin zur Zweitimpfung mit dem Coronavirus ansteckte.
In ein paar Jahren werden Hundert Prozent der Bevölkerung entweder geimpft oder infiziert worden sein."Christian Drosten im "Republik"-Interview
Doch auch eine höhere Impfquote kann das Virus nicht vollständig stoppen. Denn Menschen leben nicht in abgetrennten "Herden". „Wir haben Reiseverkehr und Austausch und Kontinuität, also auch ohne zu reisen, gibt es das Nachbardorf, und das hat wieder ein Nachbardorf, und so geht es weiter, einmal rund um die Welt. Und so werden sich Viren verbreiten, entsprechend ihrer grundsätzlichen Verbreitungsfähigkeit. In ein paar Jahren werden Hundert Prozent der Bevölkerung entweder geimpft oder infiziert worden sein“, sagte Christian Drosten der „Republik“.
Eine Umfrage aus den USA verdeutlicht dies. Demnach hat die Wahrscheinlichkeit, sich impfen zu lassen, etwa kaum mit den politischen Positionen der Bevölkerung zu tun, sondern ob Menschen in ihrem Umfeld sich impfen lassen oder nicht. Lässt der Freundeskreis sich nicht impfen, ist die Wahrscheinlichkeit auch gering, dass man sich selbst impfen lässt. Der indirekte Schutz, den man durch eine Herdenimmunität erreichen würde, ist dort etwa ineffizient. Oder anders formuliert: Gelangt das Virus erst einmal in diesen Freundeskreis, kann es sich schnell ausbreiten.
Hat sich allerdings erst jeder impfen lassen oder eine Infektion durchgemacht, dann wird das Virus harmlos. Es könnte dann jeden Winter zurückkehren, ohne dass wir seine Wirkung bemerken. Dann erst könnte man tatsächlich behaupten, die Pandemie sei vorbei.
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