Der neue Waringo-Bericht belastet die Regierung, stellt aber niemanden wirklich zufrieden. Die Frage, ob alles getan wurde, um das Leben der Bewohner von Alters- und Pflegeheimen zu schützen, wird nicht beantwortet. Trotzdem werden Fehler beim Testen und Impfen deutlich.

Acht Wochen gab das Parlament der Expertengruppe um Jeannot Waringo, um die Gründe für Cluster in Alters- und Pflegeheimen zu klären. Am Ende dauerte es zehn Wochen, den Bericht auszuarbeiten. In der Debatte seit der Vorstellung am Montag wurde klar, dass sowohl die Opposition als auch die Regierung sich mehr Zeit gewünscht hätten. Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) beklagte, dass ihr Ministerium keine Möglichkeit gehabt habe, um im Vorfeld der Präsentation des Berichts auf die Kritik zu reagieren und manches „richtigzustellen“.

Auch die Autoren des Berichts bedauern den engen Zeitplan, der ihnen auferlegt wurde. Die vorgegebenen zwei Wochen zur Sammlung von Informationen hätten lediglich gereicht, um elf Heime zu besuchen. Aus Zeitgründen sei es zudem nicht möglich gewesen, neben den Direktionen auch mit den Bewohnern zu sprechen, heißt es im Bericht. Doch sowohl die Gesundheitsministerin als auch der Präsident der Gesundheitskommission, Mars di Bartolomeo (LSAP), betonten, dass es keine Anfrage des Koordinators Jeannot Waringo gegeben habe, die Frist zu verlängern.

Anfangs sei er sich der Komplexität des Auftrags nicht bewusst gewesen, anschließend verzichtete er allerdings bewusst auf eine Fristverlängerung. „Das Gesundheitspersonal der Heime fühlte sich negativ behandelt, obwohl sie nach bestem Gewissen gehandelt haben. Ich glaube nicht, dass es dann angebracht ist, bis ins letzte Detail zu gehen“, erläutert Jeannot Waringo die Vorgehensweise im Gespräch mit Reporter.lu.

Eine lückenhafte Strategie

Es ist ein Eingeständnis, welches das Grundproblem des knappen Zeitplans verdeutlicht. Dem Auftrag der Expertengruppe lag dabei die Frage zugrunde, wie das Virus in die Heime gelangen konnte, wenn diese doch alle Hygienemaßnahmen befolgten.

Die Schlussfolgerungen des Berichts sind durchaus differenziert und abwägend. Doch eines lässt sich auch nach der hitzigen Debatte im Parlament samt Rücktrittsforderung an Familienministerin Corinne Cahen (DP) nicht wegdiskutieren: Die Strategie der Regierung zur Verhinderung und zur Eindämmung der Cluster in Alters- und Pflegeheimen hatte mehrere Lücken.

Eine Testpflicht für Besucher wurde etwa erst mit Verspätung eingeführt. Erst am 9. Dezember 2020 empfahl das Familienministerium den Betreibern der Heime, Gäste vor Betreten der Zimmer zu testen. Am gleichen Tag antwortete die Gesundheitsministerin auf eine parlamentarische Anfrage von Martine Hansen und Claude Wiseler (beide CSV), dass die Tests auch für den „dépistage systématique à intervalles réguliers chez des personnes qui visitent des communautés à haut risque de transmission“, eingesetzt werden sollten. Als Beispiel nennt das Ministerium Gäste von Bewohnern in Alters- und Pflegeheimen. Die ersten Schnelltests seien erst ab November verfügbar gewesen, betonte Paulette Lenert am Dienstag.

Wie viele Strukturen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, geht aus dem Bericht jedoch nicht hervor. Bereits im März räumte die Gesundheitsministerin ein, die Nachfrage für Schnelltests sei nicht so groß gewesen, wie man sich erhoffte. Der Grund: Die gelieferten Schnelltests konnten nur von qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Allerdings konnten nur wenige Pflegeheime für diese Arbeit Pflegepersonal freistellen.

Keine komplette Datenlage

Weder die Gesundheitsministerin noch die Familienministerin konnten erklären, in welchem Maße die Schnelltests zwischen Dezember 2020 und April 2021 zum Einsatz kamen. Corinne Cahen verwies auf die Gutscheine für das „Large scale testing“, die die Heime in großer Zahl an Besucher verteilt hätten. Konkrete Zahlen gab es aber auch hier nicht. Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt Jeannot Waringo, dass der Arbeitsgruppe keine Daten dazu vorlagen, wie viele Heime diese vor der Einführung einer Testpflicht im April tatsächlich systematisch eingesetzt haben.

Fehler, Versäumnisse und die Frage der politischen Verantwortung: Der Expertenbericht zu den Clustern in Alters- und Pflegeheimen kommt zum Schluss, dass die Regierungsstrategie wesentliche Lücken aufwies. (Foto: Chambre des députés)

Auch bei den mobilen Teams, die im Rahmen des „Large Scale Testing“ in den Alters- und Pflegeheimen zum Einsatz kamen, offenbart der Bericht Versäumnisse. Die Beteiligung an den PCR-Tests war nicht hoch: Nur knapp über die Hälfte der Bewohner und lediglich 41 Prozent des Personals nahmen daran teil. Dazu kam, dass die mobilen Teams das Personal erst ab Februar 2021 systematisch testeten.

Die Gründe für diese Nachlässigkeit bleiben offen. Die Arbeitsgruppe drückte ihr „Unverständnis“ aus, warum die Regierung lange Zeit zögerte, eine Test- oder Impfplicht für Menschen einzuführen, die im Kontakt mit Heimbewohnern stehen. Es ist eine der wenigen deutlichen Schuldzuweisungen im Bericht.

Fragwürdige Impfreihenfolge

Scharfe Kritik üben die Experten auch an der Impfstrategie der Regierung: Die Priorisierung der Impfungen in den Strukturen sei falsch gewesen. Verwaltungspersonal der Strukturen sei geimpft worden, Personen im direkten Kontakt mit den gefährdeten Menschen hingegen nicht. Dazu zählen etwa Putzkräfte, Kantinenmitarbeiter und Frisöre. Der Pflegeverband Copas habe dies bereits im Dezember 2020 kritisiert, so die Autoren des Berichts. Das Argument der Impfstoffknappheit zähle bei dieser fragwürdigen Priorisierung nicht.

Gesundheitsministerin Paulette Lenert wies diese Kritik auf Nachfrage von Reporter.lu deutlich zurück. „Unsere Richtlinie war immer, dass das Gesundheitspersonal im Kontakt mit den Bewohnern geimpft werden sollte. Es war nicht gedacht für Personen, die reine Verwaltungsarbeit leisten. Es gab solche Fälle, aber das ist dann schief gelaufen“, betonte sie. Das Ministerium habe schließlich Listen bei den Strukturen angefragt, weil man selbst nicht über die Daten verfügt habe.

Das Virus war schon vorher im Haus, also auch vor dem besagten Impftag, dieser kann die Verbreitung begünstigt haben. Das kann gut sein.“Gesundheitsministerin Paulette Lenert

Doch erst ab dem 16. April 2021 konnten externe Dienstleister der Altersheime sich impfen lassen, wie Paulette Lenert im Parlament bestätigte. Das Gesundheitspersonal wurde hingegen bereits ab Januar geimpft. Dies steht in klarem Widerspruch zur Stellungnahme der Ethikkommission, wonach alle Mitarbeiter in Kontakt mit gefährdeten Personen vorrangig geimpft werden sollten – unabhängig von ihrem Statut oder ihrer Tätigkeit. Die Frage, warum die Regierung entschied, sich über die Ethikkommission und die Copas hinwegzusetzen und drei Monate zu warten, bleibt ebenfalls ungeklärt.

Bis heute verfügt die Regierung über keine genauen Zahlen, wie hoch die Impfquote beim Personal der Heime ist. In Luxemburg ließen sich rund 60 Prozent der Mitarbeiter impfen. Da es unter ihnen allerdings viele Grenzgänger gibt, ließ sich ein Teil vermutlich an ihrem Wohnort impfen. Auch diese Frage übergeht der Bericht.

Ein Cluster überschattet die anderen

Inwieweit die fehlenden Tests und die lückenhafte Impfkampagne zu den Clustern beitrugen, konnten die Experten nicht abschließend klären. Es gibt aber Zahlen dazu, wie die Kettenreaktionen entstanden: Zwei Drittel der Erstinfektionen sollen auf einen Bewohner zurückzuführen sein, die restlichen entfallen auf das Personal. In der besonders tödlichen Winterwelle hat sich das Verhältnis leicht geändert. Zu dem Zeitpunkt sei fast die Hälfte der Infektionen auf das Personal zurückzuführen.

„Während der Präsentation wurde allerdings klar betont, dass das nicht zwingend bedeute, dass das Personal das Virus im Haus weiterverbreitet hat“, sagt Anne-Marie Hanff im Gespräch mit Reporter.lu. In der öffentlichen Debatte scheine es so, als könne das Virus nur vom Gesundheitspersonal übertragen werden, kritisiert die Präsidentin der „Association Nationale des Infirmières et Infirmiers du Luxembourg“ (ANIL).

Die Übertragungsketten analysieren die Forscher in einem weiteren Teil des Berichts. Für das CIPA „Um Lauterbann“ zeigte die epidemiologische Untersuchung, dass bereits mehrere Varianten im Altersheim vorhanden waren, bevor sich ein Cluster bildete. Für die Einrichtung in Niederkorn nennt die Arbeitsgruppe mehrere Gründe, die eine schnelle Ausbreitung des Virus begünstigten. Fast die Hälfte der Zimmer habe etwa kein eigenes Badezimmer, die Bewohner konnten in ihren Räumlichkeiten also nicht vollständig isoliert werden.

Auch die Impfkampagne stand im Verdacht, das Virus weiter im Haus verbreitet zu haben. Reporter.lu hatte das Chaos bei der Impfung im staatlichen Altersheim aufgedeckt. „Das Virus war schon vorher im Haus, also auch vor dem besagten Impftag, dieser kann die Verbreitung begünstigt haben. Das kann gut sein“, räumte Paulette Lenert am Dienstag vor dem Parlament ein.

Es bleibt allerdings das einzige Haus, das untersucht wurde. Dies, obwohl es weitere Altersheime gibt, in denen das Virus im Verhältnis zur Größe der Struktur mehr Todesfälle verursachte. Laut Claude Muller wäre eine umfangreichere Analyse durchaus möglich gewesen. „Das ist elementare Molekularepidemiologie“, sagte der pensionierte Virologe des LIH dem „Tageblatt“. „Es gibt keine internationale Studie, die tiefgründiger ist, als das, was wir gemacht haben“, entgegnet Jeannot Waringo auf diesen Vorwurf.

Die fehlenden Masken

Der neue Waringo-Bericht klärt also nicht abschließend, wie das Personal in vielen Fällen Bewohner infizieren konnte. Vor allem fehlt eine Einschätzung, wie effektiv deren Schutzkleidung war. Das Thema Atemschutzmasken erwähnt die Expertengruppe in ihrem Abschlussbericht mit keinem Satz.

Dabei könnte auch in diesem Punkt eine Nachlässigkeit seitens der politischen Verantwortlichen vorliegen. In mehreren deutschen Bundesländern muss man seit Mitte Januar in öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen eine sogenannte FFP2-Maske tragen. In Luxemburg gab und gibt es keine generelle Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken in Altersheimen. Nur bei einem Verdacht und einer bestätigten Covid-19-Infektion eines Bewohners muss das Pflegepersonal komplette Schutzkleidung tragen. Ansonsten empfahl das Ministerium das Tragen von chirurgischen Masken. Dabei haben die FFP2-Masken den Vorteil, Viren zu 94 Prozent zu filtern. Sie schützen sowohl den Träger vor einer Infektion als auch davor, dass dieser andere ansteckt.

Teststrategie, Impfchaos und andere Schutzmaßnahmen: Die Situation im CIPA „Um Lauterbann“ in Niederkorn war einer der Auslöser für die Untersuchung durch die Expertengruppe und die politische Debatte über die Lage in den Alters- und Pflegeheimen. (Foto: Christian Peckels)

Zudem sind die Vorgaben des Gesundheitsministeriums bis heute verwirrend. Ein Poster des Ministeriums für die Pflegeheime von Mai 2020 sieht für den Umgang mit nicht-infizierten Bewohnern eine chirurgische Maske und Desinfektionsmittel vor. Diese Vorgabe ist weiterhin auf der Webseite der „Santé“ verfügbar und wurde nicht ersetzt. Im begleitenden Text heißt es: „Le port d’un masque chirurgical est recommandé pour tous les membres du personnel dès leur arrivée sur leur lieu de travail.“

Darauf angesprochen widerspricht die Gesundheitsministerin: Es gebe durchaus neue Vorgaben. Im Januar 2021 gab ihr Ministerium eine allgemeine Richtlinie zur Maskennutzung heraus. Darin steht: „Das Tragen von FFP2-Masken kann sinnvoll sein, um Infektionen bei vulnerablen Personen zu vermeiden.“ Doch diese abgeschwächte Empfehlung wurde in den Altersheimen, anders als von der Gesundheitsministerin am Dienstag vor der Presse behauptet, nicht umgesetzt. Dabei fehlte es auch auf internationaler Ebene an klaren Richtlinien. „Meines Wissens gab es auch seitens der Weltgesundheitsorganisation keine Empfehlung, eine FFP2-Maske zu tragen“, sagt Anne-Marie Hanff.

Politisches Hickhack

Trotz der nachweisbaren Versäumnisse besteht wenig Aussicht darauf, dass die Politik die Probleme in den Alters- und Pflegeheimen weiter aufarbeiten wird. Weitere Studien seien nicht geplant, sagte Paulette Lenert am Dienstag. Auch Jeannot Waringo sieht dazu keinen Bedarf: Er sehe nicht unbedingt den Sinn einer tiefgründigeren Analyse. „Auch der internationale Vergleich zeigt: Wenn das Virus erst in einem Heim ist, breitet es sich mit rasanter Geschwindigkeit aus“, so der Sonderbeauftragte. Wie es in das Heim gelange, könne nicht vollends kontrolliert werden. Die einen Heime hätten Glück gehabt, andere nicht. „Ich weiß nicht, ob es eine Glückssache ist, denn das würde bedeuten, man hätte nichts dagegen tun können“, sagt Anne-Marie Hanff.

Waringos fatalistische Einschätzung teilten einige Politiker der Mehrheitsparteien. „Die Alters- und Pflegeheime wurden nicht allein gelassen. Es war die richtige Entscheidung, auf die Erfahrung des Personals in den Heimen zu setzen“, sagte etwa Gilles Baum (DP) während der Debatte.

Die Opposition interpretierte dieses Zurückweisen jeglicher politischer Verantwortung als Scheitern des Familienministeriums. „Die Familienministerin hat von Juni 2020 bis Februar 2021 keine Empfehlung ausgesprochen. Das Gesundheitsministerium musste wohl oder übel die Verantwortung übernehmen“, sagte Michel Wolter (CSV) während der Debatte am Dienstag. Die Opposition forderte anschließend geschlossen den Rücktritt von Corinne Cahen.

Keine Anklageschrift

Dass es zu so großen Interpretationsdifferenzen zwischen Oppositions- und Regierungspolitikern kommen konnte, ist allerdings auch dem Bericht selbst geschuldet. Jeannot Waringo versuchte einen differenzierten Bericht vorzulegen, der nicht politisch ausgeschlachtet werden kann. „Für mich war von Anfang an klar, dass niemand angeklagt wird“, sagt der Sonderbeauftragte im Gespräch mit Reporter.lu.

Ich bereue es, dass ich die politische Debatte nicht kommen sah. Letztlich ging es kaum noch um den Bericht selbst.“Jeannot Waringo

Damit konnte die Expertengruppe jedoch auch die Frage der Verantwortung für die Infektionswelle in den Heimen nicht klären. Auch lässt die Wahl der Gesprächspartner aufhorchen. Vor allem Leiter von Alters- und Pflegeheimen wurden befragt. „Das Erleben der Heimleitungen entspricht nicht immer den Rückmeldungen unserer Mitglieder. Ebenfalls stehen sie in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Familienministerium“, kritisiert Anne-Marie Hanff die einseitige Ausgangslage der Untersuchung.

Dabei bemühte sich Jeannot Waringo, den Vorwurf der Befangenheit von vornherein zu entkräften. Der Auftrag, einen unabhängigen Bericht zu verfassen, hätte es etwa nicht erlaubt, auch die beiden zuständigen Ministerien zu befragen, so der Leiter der Expertengruppe. Dies hielt die Abgeordneten allerdings nicht davon ab, den zurückhaltenden Bericht für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren. „Ich bereue es, dass ich die politische Debatte nicht kommen sah. Letztlich ging es kaum noch um den Bericht selbst“, so Jeannot Waringo.

Auch mit dem heutigen Wissen hätte er den Auftrag allerdings angenommen. „Es war wichtig, das Bild über die geleistete Arbeit des Personals der Heime richtigzustellen“, so der Sonderbeauftragte. Auch wenn ihm dies gelungen sein dürfte, bleiben jedoch viele Fragen über die Ausbreitung des Virus offen – von der Frage der Verantwortung ganz zu schweigen.


Anmerkung der Redaktion: Ein Zitat von Anne-Marie Hanff bezüglich dem Gebrauch von FFP2-Masken wurde angepasst. 


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