Journalismus soll nicht nur Aufmerksamkeit erwecken, sondern im besten Fall etwas bewirken. In aller Bescheidenheit können wir sagen: Das ist uns im vergangenen Jahr mehrmals gelungen. Wir präsentieren den Rückblick auf die besten Stories, die im Januar 2020 auf Reporter.lu erschienen sind.

Manche Skandale sind so groß, dass niemand so recht den Überblick hat. Das trifft etwa auf den „Crassier“ zwischen Differdingen und Sanem zu, der sich auf 150 Hektar erstreckt. Dass dieses Gelände als Deponie für gefährliche Stoffe genutzt wird, ist in der Region ein offenes Geheimnis. Dass aber selbst die Behörden nicht genau wissen, was dort gelagert und auf welcher gesetzlichen Basis die Deponie weiter genutzt wird, fand unsere Reporterin Charlotte Wirth erst nach einer wochenlangen Recherche heraus.

Ihre Story „Der illegale Giftmüll von Differdingen“ schlug ein und machte die Öffentlichkeit auf den andauernden Umweltskandal aufmerksam. Dutzende Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehbeiträge sowie mehrere parlamentarische Anfragen griffen das Thema auf.

Eine Woche nach Veröffentlichung der Recherche bei Reporter.lu musste Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) vor dem Umweltausschuss des Parlaments Stellung beziehen. Die Folge: Die Ministerin verlangte von ArcelorMittal, sich für den Betrieb der Werksdeponie zu rechtfertigen.

Ende Januar 2020 organisierte die Umweltverwaltung dann zusammen mit den Gemeinden Sanem und Differdingen eine Ortsbegehung. Dabei stellten die Behörden belastetes Sickerwasser auf dem Gelände fest – ein Befund, den sie zuvor noch zurückgewiesen hatten. Ein „comité de suivi“ wurde gegründet, um die Lage auf dem „Crassier“ im Auge zu behalten. Seitdem ist es still um das Thema geworden. Aber: Wir bleiben dran.

Aufruhr in Anwaltskreisen

Andere Affären bleiben dagegen im Dunkeln, bis die Scheinwerfer der Medien sich plötzlich auf sie richten. Als ein gewisser „Jean-Paul Jules Mousel“ sich im November 2019 vor dem Strafgericht verantworten musste, geschah das öffentlich – aber abseits der großen medialen Aufmerksamkeit. Erst mit dem Artikel unserer Reporterin Véronique Poujol wurde klar, dass sich hinter dem Angeklagten der Staranwalt Paul Mousel verbarg. Die Richter befanden, dass er als Insolvenzverwalter Gelder veruntreut und sich der illegalen Vorteilsnahme schuldig gemacht habe.

Der Beitrag „Paul Mousel condamné pour malversation“ sorgte vor allem in Anwaltskreisen für großen Aufruhr. Denn als Mitgründer der Kanzlei Arendt&Medernach genießt Paul Mousel Ansehen und großen Einfluss am Finanzplatz und darüber hinaus. Der Rechtsanwalt ist zudem als Präsident der „Commission administrative“ des CHL, als Dozent der Universität Luxemburg sowie in Gremien der Finanzplatzaufsicht CSSF tätig.

Sprengstoff barg die Affäre ebenfalls, weil Paul Mousel sich als Anwalt zu Beginn der Prozedur den damaligen Vorsitzenden der Anwaltskammer Rosario Grasso als Rechtsbeistand nahm. Dieser informierte jedoch nicht den „Conseil de l’ordre“ der Luxemburger Anwaltskammer, der über disziplinarische Schritte entscheidet.

In zweiter Instanz argumentierten die drei Verteidiger von Paul Mousel, dass dieser sich nicht bereichert habe, da die Summen angesichts seines Stundentarifs von 450 Euro zu bescheiden seien. Sie befürchteten zudem generelle rechtliche Unsicherheit für Insolvenzverwalter. Im Juli bestätigten die Richter der „Cour d’appel“ allerdings die Verurteilung Paul Mousels wegen Veruntreuung, setzten die Strafe aber zur Bewährung aus.

Klagewelle der Polizisten

Opfer von Missständen müssen oft mit der Brechstange vorgehen, um sich Gehör zu verschaffen. So erging es auch 130 Polizisten mit Sekundarabschluss. Sie sind in ihrer Laufbahn blockiert, weil die Polizeireform von 2018 ihre Aufstiegschancen blockierte. Die Folge: Sie klagten vor dem Verwaltungsgericht.

Unsere Reporterin Véronique Poujol ging in zwei Artikeln auf die Sorgen der Polizisten ein: „Les perdants de la réforme montent au front“ und „Une réforme qui sent la poudre“. Heute, fast ein Jahr später, ist das Problem weiterhin nicht ausgeräumt.

In rechtlichen Grauzonen

Ein weiteres Problem, das bisher wenig von Politik und Medien thematisiert wurde, ist die Regulierung von sogenannten „Coworking-Spaces“. In seiner Recherche „Neuer Zufluchtsort für Briefkastenfirmen“ fand unser Reporter Laurent Schmit heraus, dass die Anbieter von geteilten Büroräumen nicht nur Startup-Firmen oder Selbstständige beherbergen. Auch Holdings und Investmentfonds tauchen als Kunden der „Coworking-Spaces“ auf.

Dabei bewegen sich die Anbieter gesetzlich in einer Grauzone, was sich etwa an zwei konkreten Geldwäsche-Verdachtsfällen zeigt. Die Finanzaufsicht CSSF überwache dieses Phänomen und weise die Anbieter auf ihre Pflichten hin. Das antworten Finanzminister Pierre Gramegna und Justizministerin Sam Tamson auf die Frage des CSV-Abgeordneten Laurent Mosar in Folge des Artikels.

Eine andere Grauzone schuf die Regierung selbst. Im März 2019 unterzeichnete Premier Xavier Bettel ein „Memorandum of Understanding“ mit der chinesischen Regierung betreffend die „neue Seidenstraße“. Trotz Nachfragen aus dem Parlament verweigerte die Regierung Einblicke in den Text – es sei ein rechtlich nicht bindender Vertrag. Reporter.lu konnte das Dokument exklusiv einsehen. Letztlich ist die Angst von Blau-Rot-Grün vor Transparenz unbegründet. Der Inhalt ist nämlich alles andere als spektakulär.

Legal oder illegal: Mit dieser Frage in der Affäre um Wahlwerbung für die Piraten wurde die Justiz betraut. Das Parlament gab im Januar den Bericht des Rechnungshofes zur Parteienfinanzierung an die Staatsanwaltschaft weiter. Es geht um eine Wahlwerbung für den Kandidaten Daniel Frères im Magazin „Wow“, die möglicherweise eine illegale Spende darstellt. Reporter.lu hatte im Mai 2019 exklusiv über die unregelmäßigen Finanzen der Piraten berichtet.


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