Die Tripartite sollte Antworten auf die akute Energiekrise liefern. Doch das Abkommen legt auch die Widersprüche einer Regierung schonungslos offen, die den vielfältigen politischen Herausforderungen des Landes nicht gewachsen zu sein scheint. Eine Analyse.
Die Verhandlungen begannen mit großen Versprechen. Er wolle eine Einigung mit „spürbaren Hilfen für die Menschen bis in die Mittelschicht hinein“, die „langfristig unseren Wohlstand garantiert“ und die „uns sicher durch den Winter und darüber hinaus führen“ soll, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) vor Beginn der Tripartite. Mit ähnlich erhabenen Worten beglückwünschte sich die Regierung dann selbst zur Einigung, die sie vergangene Woche mit den Sozialpartnern erreichte und die am heutigen Mittwoch unterzeichnet werden soll. Es sei ein „historisches Abkommen“, das „den sozialen Frieden“ sichert, heißt es von den Koalitionsparteien.
Ob historisch oder nicht: Die Energiepreisbremse könnte in der Tat das Instrument sein, das Luxemburg „sicher durch den Winter“ bringt. Doch bei den anderen Maßstäben, die der Premier nannte, gibt es weniger Erfolgsaussichten. Schon heute bringen die hohen Energiepreise und die anhaltende Inflation viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten. Ob sie der Behauptung zustimmen, dass mit den beschlossenen Maßnahmen ihr Wohlstand gesichert werden kann, darf demnach bezweifelt werden.
Soziale Politik à la luxembourgeoise
Nicht sozial ausgeglichen, keine Anreize zum Energiesparen: Das sind die beiden Hauptkritikpunkte, die bisher am Tripartite-Abkommen formuliert wurden. Indem die Regierung die Preise von Gas, Strom und Heizöl pauschal deckelt, werden letztlich alle Haushalte finanziell unterstützt. Wer jedoch mehr Energie verbraucht, profitiert auch mehr von der Preisbremse – und das nicht nur „bis in die Mittelschicht hinein“, sondern bis zur äußersten Oberschicht. Für viele Menschen mit vergleichsweise niedrigen Einkommen könnte die Maßnahme jedoch nicht ausreichen. Hinzu kommt, dass der Preisdeckel auch die Anstrengungen zum Energiesparen ausbremst – zumindest bei jenen Menschen, die es sich finanziell leisten können.
Wenn Geld da ist, regiert es sich ganz ungeniert. Wenn die Kassen leerer werden und die Folgen des politischen Handelns umstrittener, werden handfeste Konflikte jedoch unvermeidbar.“
Das Herzstück der Tripartite-Einigung reiht sich in eine lange Tradition ein. Luxemburger Krisenpolitik ist nämlich selten sozial selektiv, sondern funktioniert meistens nach dem Gießkannenprinzip. Anstatt jenen Menschen gezielt zu helfen, die staatliche Hilfen am dringendsten benötigen, kommt jeder in den Genuss der Maßnahme. „Sozial ist, was Arbeit schafft“, hieß es einst von der deutschen liberalen FDP. Luxemburgs Politik handelt im Zweifel nach dem Motto: „Sozial ist, wenn jeder etwas abbekommt.“
Dabei schlug die Koalition bei der Tripartite Anfang des Jahres einen anderen Weg ein. Um die verschobene Indextranche auszugleichen, brachte sie damals einen – in der Tat sozial selektiven – Steuerkredit auf den Weg. Das heißt: Wer weniger verdient, erhält verhältnismäßig mehr Unterstützung vom Staat. Eine ähnliche Begleitmaßnahme hätte man auch dieses Mal beschließen können – etwa durch ein nach Einkommen gestaffeltes Energiegeld.
Doch zu allzu gezielten Maßnahmen konnte sich die Regierung nicht durchringen, was im Rückblick auch erklärbar ist. Denn wenn man die in Politik und staatlicher Verwaltung heilige Sommerpause nicht zur angemessenen Vorbereitung der sich längst aufdrängenden Anti-Krisen-Maßnahmen nutzt, wird am Ende die Zeit knapp. Und wenn man dann über eine Milliarde Euro für pauschale Hilfen verteilt, fehlt zwangsläufig das Geld, um an anderer Stelle die soziale Selektivität angemessen nachzuholen.
Liberale finanzpolitische Hypokrisie
Stichwort: fehlendes Geld. Auch bei der finanziellen Machbarkeit ist die Argumentation der Regierung problematisch. Vor allem die DP pocht darauf, dass man das Ziel gesunder Staatsfinanzen nicht aus den Augen verlieren dürfe. Die selbst gesteckte Schuldengrenze der maximal 30 Prozent des BIP müsse unbedingt eingehalten werden. Allein deshalb seien verschiedene, mitunter als sinnvoll erachtete Maßnahmen zur Linderung der Energiekrise mit den Liberalen nicht zu machen.

Was die Premierpartei dabei konsequent verschweigt: Eben ihrer prozyklischen Politik der vergangenen acht Jahre ist es zu verdanken, dass die Staatsschulden stetig anstiegen – und das auch schon vor Pandemie und Ukrainekrieg. Spätestens jetzt bewahrheitet sich, was Teile der Opposition und Experten wie der „Conseil national des finances publiques“ in der ersten Legislaturperiode der Dreierkoalition immer wieder kritisierten: Die Regierung hat es verpasst, in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur vorsichtig zu haushalten. Statt damals substanzielle Reserven für kommende Krisen anzulegen, wurden die blau-rot-grünen Reformen durch neue Schulden finanziert.
Ein anschauliches Beispiel: Die 2016 beschlossene Steuerreform, durch die Bürger und Betriebe maßgeblich entlastet wurden, bedeutete für den Staatshaushalt laut offiziellen Angaben seit 2018 jährliche Mindereinnahmen in Höhe von über 500 Millionen Euro. Auch damals hielt sich übrigens die soziale Selektivität der steuerpolitischen Maßnahmen in Grenzen. Durch die blau-rot-grüne Reform wurden selbst noch Einkommen in Höhe von über 200.000 Euro im Jahr entlastet. Im Rückblick lässt sich feststellen: Der begrenzte finanzielle Spielraum, auf den sich die DP heute beruft, ist zu einem nicht unwesentlichen Teil hausgemacht.
Auch nach ihrer Wiederwahl im Oktober 2018 machte die Koalition keine Anstrengungen zum Sparen, im Gegenteil. Dank anhaltendem Wirtschaftswachstum war das haushaltspolitisch auch nicht unbedingt nötig. Selbst die Kosten der Pandemiebekämpfung konnten durch solide Wachstumsraten bisher weitgehend kompensiert werden. Und dennoch: Hätte die Regierung zwischen 2013 und 2020 etwas vorausschauender gehaushaltet, wäre der finanzielle Spielraum zur spürbaren Entlastung der Bürger in der aktuellen Krise definitiv größer.
Wichtige Debatten bleiben im Ungefähren
Ein weiteres Problem: Wie groß der tatsächliche Spielraum im Staatsbudget ist, wurde bisher nicht im Detail thematisiert. Die Debatte über die Staatsfinanzen findet im Ungefähren statt. Das liegt zum einen an der unsicheren weltwirtschaftlichen Entwicklung. Andererseits trägt die Regierung aber selbst zur Unsicherheit bei, indem sie die selbst beschlossenen Maßnahmen der Tripartite nicht angemessen beziffert. Selbst bei ihrem Auftritt vor dem zuständigen parlamentarischen Ausschuss wollte Finanzministerin Yuriko Backes (DP) Anfang dieser Woche keine weiteren Details geben. Eine „Bilanz“ könne sie erst vorstellen, „sobald alle Daten verfügbar sind“, so die Ministerin vor den Abgeordneten.
Auch in dieser Krise zeigt sich, dass diese Koalition seit mittlerweile mehr als acht Jahren vermeidet, sich mit den wahren Herausforderungen des Landes auseinanderzusetzen.“
Auffallend ist dabei nicht nur der Widerspruch der DP, die auf verantwortliche Finanzpolitik pocht und gleichzeitig bei der Tripartite einen Blankoscheck ausstellt. Auch hinter den Kulissen wurde man nicht viel deutlicher. In einem Bericht zur Situation der Staatsfinanzen, der in den bilateralen Vorgesprächen präsentiert wurde, wird für Ende August 2022 ein Budgetüberschuss beim Zentralstaat von knapp einer Milliarde Euro konstatiert. Gleichzeitig warnt das Ministerium aber vor einer „bedeutenden Verschlechterung“ der Haushaltsbilanz bis zum Ende des Jahres. Die Botschaft: Eigentlich ist Spielraum vorhanden, aber man will ihn nicht unbedingt nutzen.
Öffentlich diskutieren will man diese Fragen auch lieber nicht. Vielmehr verweigern sich die Liberalen einer Debatte über mögliche Gegenfinanzierungen der kostspieligen Krisenpolitik. Während die Koalitionspartner LSAP und Déi Gréng Steuererhöhungen für Besserverdiener und übermäßig profitable Unternehmen fordern, schaltet die DP auf stur. Auf Twitter sprach sich etwa DP-Fraktionschef Gilles Baum in einer Replik auf die LSAP-Forderung gegen „eine Steuerreform auf Pump“ aus. Die Aussage bringt auch das intellektuelle Niveau der Debatte auf den Punkt: Nicht alle Liberale haben anscheinend verstanden, dass Steuererhöhungen dem Staat definitionsgemäß mehr Geld einbringen.
Tripartite betont bekannte Widersprüche
Während die DP sich in ideologischen Widersprüchen verheddert, haben die anderen Koalitionspartner andere, wenn auch ebenso vertraute Probleme. Die LSAP hat sich zwar, wie schon in früheren blau-rot-grünen Verhandlungen, als zaghaftes soziales Korrektiv bewährt. Dafür sprechen jene Maßnahmen, die in der Debatte über das Tripartite-Abkommen etwas untergingen. Neben der Energiepreisbremse einigten sich die Sozialpartner nämlich auf eine Mindestlohn-Erhöhung um 3,3 Prozent, eine Verlängerung der erhöhten Teuerungszulage sowie – bis auf Weiteres – auf eine Beibehaltung des Index-Systems. Das sind alles Forderungen, die die Sozialisten auf ihrem Konto verbuchen können.
Gleichzeitig offenbart der seit der Einigung öffentlich gewordene Koalitionsstreit abermals: Die LSAP kann zwar Akzente setzen, doch wenn es wie in der Steuerpolitik hart auf hart kommt, hat die Premierpartei die Richtlinienkompetenz. Die Sozialisten tragen so erneut ein Abkommen mit, bei dem die soziale Selektivität nur in nachträglich hinzugefügten Nuancen in Erscheinung tritt. Strukturelle, dauerhafte Entlastungen unterer Einkommensbezieher sind das nicht. Hinzu kommt: Die „Luxemburger Sozialistische Arbeiterpartei“ erachtete es nach der Tripartite noch nicht einmal für nötig, sich die besagten Begleitmaßnahmen wie die Mindestlohn-Erhöhung öffentlichkeitswirksam auf die Fahnen zu schreiben.

Die Grünen gehen dagegen, wie schon bei der Tripartite im Frühjahr oder bei der Steuerreform in der vergangenen Legislaturperiode, als klare Verlierer aus dem koalitionsinternen Tauziehen hervor. Die Parteispitze wurde nicht nur wegen ihrer sachlichen Vorstöße im Vorfeld der Tripartite öffentlich von den Koalitionspartnern gemaßregelt; die Grünen konnten sich letztlich mit keiner ihrer Kernforderungen durchsetzen. Nach dem von dieser Koalition beschlossenen Tankrabatt, den Vizepremier François Bausch (Déi Gréng) einst im Interview mit Reporter.lu als „sinnlos“ bezeichnet hatte, fehlt auch dem neuen Maßnahmenpaket eine lesbare grüne, ökologische oder klimapolitische Handschrift.
Wie die finanzpolitische Hypokrisie der DP und die sozialpolitische Schüchternheit der LSAP hat auch das klimapolitische Versagen der Grünen mittlerweile eine gewisse Tradition. Das geht mittlerweile so weit, dass der grüne Vizepremier François Bausch im Interview mit „RTL“ den denkwürdigen Satz formulierte: „Wir retten ja nicht das Klima in den nächsten fünf Monaten. So blöd sind wir ja nicht als Grüne.“ Eine Partei, die seit bald neun Jahren regiert, Subventionen fossiler Energien mitträgt, die sie selbst als „sinnlos“ bezeichnet, und beim Klimaschutz auf die Bremse tritt: Mittlerweile dürfte sich bei manchen Wählern die Frage aufdrängen, warum man eine grüne Partei überhaupt noch wählen soll, die selbst zugibt, keine grüne Politik zu machen.
Ohne Projekt, Kraft oder Inspiration
Nach dem „historischen Abkommen“ sind die Widersprüche in der Koalition, aber auch innerhalb der sie tragenden Parteien, unübersehbar geworden. Dabei geht es nicht um eine konstruktive Streitkultur, die der Regierungspolitik sogar guttun könnte. Der Dissens von Blau-Rot-Grün ist vielmehr die Folge einer nachlässigen und uninspirierten Regierungspolitik. Auch in dieser Krise zeigt sich, dass es DP, LSAP und Déi Gréng seit mittlerweile mehr als acht Jahren vermeiden, sich mit den wahren Herausforderungen des Landes auseinanderzusetzen.
Je näher das Superwahljahr 2023 rückt, desto klarer wird, dass diese Koalition, wie jede andere auch, ein Zweckbündnis ist. 2013 ging es darum, die lange Herrschaft der Konservativen inklusive CSV-Staat zu überwinden, danach um die Umsetzung gesellschaftspolitischer Reformen als Kern des blau-rot-grünen Projekts. Schon bei den Wahlen 2018 mehrten sich die Anzeichen, dass dieses gemeinsame Projekt allmählich abhanden gekommen war, wie es der frühere LSAP-Fraktionschef Alex Bodry einst ausdrückte. Die Pandemie zwang die Koalition dann dazu, zusammenzuhalten und die Krise zu managen. Gleiches gilt für die aktuelle Krisensituation infolge des Ukrainekriegs.
Eine Politik ist gefragt, die gezielt vorgeht, sich nicht von partikularen Interessen leiten lässt und die sich der Tragweite der Probleme überhaupt bewusst wird.“
Die Krisen zeigen auch, dass der bewährte Politikmodus der Dreierkoalition nicht mehr funktioniert. Bisher verfuhr man bei Uneinigkeit einfach nach dem Prinzip, das Politik in Luxemburg in normalen Zeiten immer zu leiten scheint: Jeder kann ein paar eigene Forderungen umsetzen, die Finanzierung spielt ja – zumindest kurzfristig – keine Rolle. Wenn Geld da ist, regiert es sich ganz ungeniert. Wenn die Kassen leerer werden und die Folgen des politischen Handelns umstrittener, werden handfeste Konflikte jedoch unvermeidbar.
Trotz des öffentlich ausgetragenen Streits werden die Koalitionäre diesen Winter wohl politisch überstehen. Doch spätestens ab dem nächsten Frühjahr wird die Regierung die aufgekommenen Konflikte austragen müssen. Die drei Parteien dürften insgeheim hoffen, dass das Problem der Finanzierbarkeit ihrer Politik sich wie in der Vergangenheit wieder einmal von selbst, also durch eine wieder anziehende Konjunktur lösen wird. Doch selbst dann bleiben noch jene Krisen, die hausgemacht sind, und deren Verantwortung sich die Regierung in ihrer bisherigen Amtszeit weitgehend entzog.
Das Problem bleibt im Prinzip das gleiche. Ob hohe Wohnungspreise, die dadurch steigende private Verschuldung oder die weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich: Diese Luxemburger Krisen sind keine Probleme, die sich mit der bewährten Gießkannenpolitik lösen lassen. Auch hier ist eine Politik gefragt, die gezielt vorgeht, sich nicht von partikularen Interessen leiten lässt und die sich der Tragweite der Probleme überhaupt bewusst wird. Spätestens nach der jüngsten Tripartite-Einigung darf bezweifelt werden, dass diese Regierung vor den anstehenden Wahlen noch die dafür nötige Kraft und Inspiration aufbringen kann.