Der Staat besorgt sich frisches Geld an den Märkten. Nach 2,5 Milliarden im April wurden nun Kredite von 350 Millionen Euro aufgenommen, um die laufenden Kosten des Staates zu decken. Doch das Geld könnte bald schon wieder knapp werden – und das nicht nur wegen der Corona-Krise.
Die Aussichten sind durchaus düster: Allein für das laufende Jahr rechnet die Regierung mit einem Haushaltsloch von fünf Milliarden Euro. Angesichts einer wahrscheinlichen Rezession dürfte sich dieser Negativtrend noch mindestens in das kommende Jahr verlängern. Fest steht schon jetzt: Die Bewältigung der Corona-Krise bremst nicht nur das Wachstum und führt zu steigender Arbeitslosigkeit. Auch finanziell bekommt der Staat die Folgen der Pandemie bereits zu spüren.
Der Politik bleibt dabei kurzfristig nichts anderes übrig, als sich weiter zu verschulden. Bereits Ende April lieh sich die Regierung zu attraktiven Konditionen insgesamt 2,5 Milliarden Euro an den Finanzmärkten. Keine zwei Monate später waren die 2,5 Milliarden Euro aber offenbar schon wieder aufgebraucht. Am 15. Juni nahm der Staat einen Kredit von 50 Millionen Euro auf, am 30. Juni lieh er sich weitere 300 Millionen Euro.
Der nahe liegende Grund: Ohne frisches Geld von den Märkten wäre die Regierungsverwaltung früher oder später in Zahlungsverzug geraten, etwa bei den Gehältern der Staatsbeamten, die in Höhe von rund 400 Millionen Euro netto zu jedem Monatsende gleichzeitig fällig werden. Besorgniserregend ist die Situation auf den ersten Blick aber nicht. Erstens kamen solche Liquiditätsengpässe auch schon in der Vergangenheit vor. Zweitens kann sich der Staat aktuell zu günstigen (Negativ-)Zinsen Geld von Märkten leihen.
Die Lage der Staatsfinanzen ist dennoch angespannt: Durch die Corona-Krise sind die Steuereinnahmen eingebrochen. Gleichzeitig sind die Ausgaben des Staates zur Finanzierung diverser Hilfen für Unternehmen und besonders der Kurzarbeit („Chômage partiel“) rasant angestiegen.
Verschuldung des Staates auf Rekordniveau
Die Staatsschulden sind indes bereits vor der Corona-Krise angewachsen. Lag die konsolidierte Verschuldung des Staates 2018 noch bei knapp 12,6 Milliarden und 2019 bei 14,0 Milliarden bzw. 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), beträgt die Luxemburger Staatsschuld aktuell – also inklusive der jüngsten Kreditaufnahmen – knapp 15 Milliarden Euro. Laut aktueller Wachstumsprognosen würde das für 2020 rund 25 Prozent des BIP entsprechen.
Zudem rechnet die Regierung schon damit, dass zusätzliche Schulden in diesem und nächstem Jahr unausweichlich sind. Im neuesten Stabilitäts- und Wachstumsprogramm von Ende April sieht das Finanzministerium eine Neuverschuldung von knapp zwei Milliarden in 2020 bzw. mehr als vier Milliarden in 2021 vor. Im kommenden Jahr würde der Schuldenstand des Staates damit bei 19,224 Milliarden Euro bzw. 29,6 Prozent des BIP liegen.
Damit würde Luxemburg im europäischen Vergleich zwar immer noch zu den am wenigsten verschuldeten Staaten zählen. Schon jetzt sind die Staatsschulden in der Regierungszeit von Blau-Rot-Grün aber um rund 36 Prozent angestiegen. Mit 19 Milliarden an Schulden in 2021 würde der Anstieg im Vergleich zu 2013 bei knapp 75 Prozent liegen. Mehr noch: In Relation zur Wirtschaftskraft würde die Regierung damit der magischen Grenze von 30 Prozent Staatsverschuldung, auf deren dauerhafte Einhaltung man sich im Koalitionsprogramm verpflichtet hat, sehr nahe kommen.
Staat diversifiziert sein „Cash management“
Auffällig ist dabei, dass das Finanzministerium im Juni auf ein anderes Instrument zurückgriff als übliche Staatsanleihen. Die insgesamt 350 Millionen Euro lieh sich der Staat in Form von sogenannten „certificats de trésorerie“, eine hybride Form der Neuverschuldung, die im Budgetgesetz von 1999 vorgesehen, aber bis jetzt noch nie praktiziert wurde. Diese Zertifikate, die von der Staatsbank BCEE abgewickelt werden, haben eine wesentlich kürzere Laufzeit als reguläre Staatsanleihen (sogenannte „government bonds“). Während die beiden Staatsanleihen aus dem April auf eine Dauer von fünf bis zehn Jahren angelegt waren, haben die rezenten Kredite nur eine Laufzeit von jeweils sechs Monaten.
Die Regierung muss jetzt endlich die Karten auf den Tisch legen und der Öffentlichkeit erklären, wie man die rasant ansteigenden Staatsschulden eines Tages wieder zurückzahlen will.“Gilles Roth, finanzpolitischer Sprecher der CSV
Doch es gibt einen weiteren Unterschied: Die Zertifikate mit einer Laufzeit von maximal einem Jahr kann der Finanzminister per „Arrêté ministeriel“, aber sonst ohne große offizielle Ankündigung oder Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament beschließen. Laut dem finanzpolitischen Sprecher der CSV, Gilles Roth, wurde das Parlament bisher nicht über die neue Schuldenaufnahme informiert.
Die Konditionen für die „certificats de trésorerie“ sind mit einem Negativzins von 0,28 Prozent zwar ähnlich attraktiv wie bei den letzten Staatsanleihen. Doch all den Anleihen ist unabhängig vom Zinssatz eines gemein: Es handelt sich um neue Schulden, die der Luxemburger Staat bei Fristablauf zurückzahlen, also in der Regel mit neuen Anleihen refinanzieren muss. Konkret heißt das: Die insgesamt 350 Millionen Euro, die sich der Staat im Juni an den Märkten lieh, werden am Ende des Jahres schon wieder fällig.
„Green bonds“ noch für dieses Jahr geplant
Wie es aus Kreisen des Finanzministeriums heißt, sind neue Anleihen oder Kredite in den kommenden Monaten bereits in Planung. Seit geraumer Zeit erwägt das Ministerium von Pierre Gramegna das Emittieren von sogenannten „green bonds“ bzw. „sustainable bonds“. Diese „grünen“ Anleihen sind formal an die Finanzierung von nachhaltigen Klima- oder Umweltschutz-Programmen gekoppelt und können laut dem Budget 2020 eine Milliarde Euro betragen.
Ob eine solche Anleihe jedoch ausreicht, um die absehbaren Defizite zu stemmen, ist höchst fraglich. Die Regierung rechnet aktuell mit fünf Milliarden Defizit allein im laufenden Jahr und weiteren zwei Milliarden in 2021. Das genaue Ausmaß der Neuverschuldung ist jedoch noch nicht zu beziffern, weil das Ende der Pandemie und damit die Höhe der Kosten zur Krisenbewältigung, bis heute nicht absehbar sind.

Die letztlich zu refinanzierende Summe wird noch weitaus höher liegen, meint Gilles Roth. „Die Regierung muss jetzt endlich die Karten auf den Tisch legen und der Öffentlichkeit erklären, wie man die rasant ansteigenden Staatsschulden eines Tages wieder zurückzahlen will“, fordert der CSV-Abgeordnete und frühere hohe Beamte des Finanzministeriums.
Bisher hätte man in der Rechnung für das Budget 2020 nämlich nicht alle Kosten der Corona-Krisenbewältigung berücksichtigt, kritisiert der CSV-Politiker. Zu den Kosten der Kurzarbeit, des „Congé pour raisons familiales“ und der direkten Beihilfen für Unternehmen würden sich noch die vom Staat bereitgestellten Kredite und Aufschübe von Steuer- und Abgabenzahlungen addieren. Auf insgesamt 8,8 Milliarden Euro bezifferten Finanzminister Pierre Gramegna (DP) und Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) Ende März den „Rettungsschirm“ der Regierung.
Schulden von gestern, heute und morgen
Bisher wurde Luxemburgs Liquidität stets mit langfristigen Staatsanleihen garantiert, deren Ursprung in der letzten Finanzkrise liegen. Zur Bankenrettung und Finanzierung der Konjunkturprogramme nach dem Crash von 2007/2008 legte die damalige Regierung mehrere Anleihenprogramme auf, die stets mit neuen Staatsanleihen refinanziert werden mussten. Wurde das Geld am Ende eines Monats dennoch knapp, griff man in der Regel auf die Kreditlinie des Staates bei der hauseigenen Spuerkeess (BCEE) zurück. Auch die aktuelle Koalition überbrückte vor den vergangenen Wahlen über diesen Weg einen Liquiditätsengpass.
Der Großteil der heutigen Staatsschulden stammt noch aus der Zeit der Finanzkrise. Vor 2008 lagen Luxemburgs Schulden bei etwas mehr als 500 Millionen Euro, 2008 schon bei über drei Milliarden und 2013 bei rund zehn Milliarden Euro. Nach einer kurzen Stabilisierung stiegen aber auch in der Amtszeit von Blau-Rot-Grün die Staatsschulden wieder an. Heute (Stand: Ende Juni 2020) liegt die Schuld des Luxemburger Staates bei rund 15 Milliarden Euro bzw. 25 Prozent des BIP. Damit wurde schon jetzt, auch in Relation zur Wirtschaftskraft, ein Rekordniveau erreicht. Denn der bisherige Höhepunkt der Verschuldung lag 2013 bei 23,7 Prozent des BIP.
Die Certificats de trésorerie komplettieren die Toolbox des Cash-Managements des Staates und erlauben damit eine dynamischere und vorausschauende Finanz- und Liquiditätspolitik.“Stellungnahme des Finanzministeriums
In der aktuellen Krise zeigt sich denn auch das, was die Opposition und Experten wie der „Conseil national des finances publiques“ in den vergangenen Jahren immer wieder bemängelt haben: Die Dreierkoalition hat in ihrer bisherigen Amtszeit nur wenige Reserven angelegt. Im Gegenteil wurde die blau-rot-grüne Politik, etwa die Steuerreform von 2016, letztlich durch neue Schulden des Staates finanziert.
Hinzu kommt die suboptimale Perspektive: Bis 2023 muss der Luxemburger Staat, unabhängig von den zusätzlichen Kosten der aktuellen Krise, ganze 3,7 Milliarden Euro an auslaufenden Staatsanleihen und Krediten refinanzieren. Angesichts der ohnehin nicht allzu rosigen Aussichten der Staatsfinanzen werden die Jahre bis zu den kommenden Wahlen also eine Herausforderung für die Finanz- und Liquiditätsverwaltung des Staates.
Eine neue Strategie in der Schuldenpolitik
Die durch die Corona-Krise unausweichliche Neuverschuldung des Staates passiert übrigens in einer Zeit, in der die Regierung eigentlich einen neuen Ansatz im Schuldenmanagement umsetzen wollte. Die rezenten Anleihen reihen sich laut dem Finanzministerium in die allgemeine Strategie ein, wonach die Verwaltung der Staatsverschuldung und der Liquiditäten „dynamisiert“ werden soll, wie es im blau-rot-grünen Koalitionsprogramm heißt. „Die Certificats de trésorerie komplettieren lediglich die Toolbox des Cash-Managements des Staates und erlauben damit eine dynamischere und vorausschauende Finanz- und Liquiditätspolitik“, so Gramegnas Ministerium auf Nachfrage.
Konkret heißt das: Die Beamten im Finanzministerium nutzen die aktuelle Flexibilität aus, sich Geld zu leihen, ohne sich jedes Mal einen hohen Betrag in Form einer Staatsanleihe von den Märkten zu beschaffen. „Cash management“ bedeutet dabei nichts anderes als die kurzfristige Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Das Finanzministerium betont jedoch, dass die Liquiditäten des Staates das ganze Jahr über im positiven Bereich gelegen hätten. Wie hoch dieser Bereich und damit der finanzielle Spielraum des Cash-Management jeden Monat ist, wird freilich nicht kommuniziert.
Ein solcher Paradigmenwechsel sollte transparent vollzogen und nach außen entsprechend kommuniziert werden.“Georges Heinrich, früherer „Directeur du Trésor“
Der Strategiewechsel im Schuldenmanagement ergebe durchaus Sinn, sagt der frühere Direktor des Schatzamtes im Finanzministerium, Georges Heinrich. Allerdings sei die kurzfristige Finanzierung langfristiger Verbindlichkeiten auch mit Risiken verbunden. Das zeige die Erfahrung der Bankenkrise von 2008 und der späteren Schuldenkrise innerhalb des Euroraums. „Gleichzeitig verabschiedet sich die Regierung offenbar vom Ziel eines ausgeglichenen Haushalts. Das ist angesichts der aktuellen Krise wohl unvermeidlich. Ein solcher Paradigmenwechsel sollte aber transparent vollzogen und nach außen entsprechend kommuniziert werden“, so der ehemalige „Directeur du Trésor“.
Ein rekordverdächtiger Finanzminister
In seiner Budget-Rede des vergangenen Jahres brachte der Finanzminister die Herausforderung der Schuldenpolitik des Staates aus damaliger Sicht auf den Punkt: Er habe seinen Beamten geraten, „vom aktuell günstigen Umfeld auf den Märkten zu profitieren“ und „neue Anleihen möglichst billig aufzunehmen und bestehende Anleihen zu möglichst günstigen Zinsen zu refinanzieren“, so Pierre Gramegna im vergangenen Oktober im Parlament.
Auch heute sind die Zinsen weltweit noch günstig. Ähnlich wie nach der Finanzkrise hat sich jedoch die politische Ausgangslage grundlegend verändert. Der Luxemburger Staat wird in Zukunft nicht mehr nur alte Schulden mit neuen Schulden refinanzieren müssen. Die Regierung wird auch vermehrt neue Schulden machen, um die laufenden Kosten des Staates infolge der Corona-Krise überhaupt stemmen zu können.
Und Pierre Gramegna? Der Kassenhüter, der sich eigentlich als weitsichtiger Revolutionär der Staatsfinanzen verewigen wollte, wird wie seine Vorgänger unweigerlich als jener Finanzminister in die Geschichte eingehen, der die Staatsschulden auf ein Rekordniveau brachte.
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