Nach der Pandemie droht die Wirtschaftskrise. Auch für die öffentlichen Finanzen werden die kommenden Monate zu einer großen Herausforderung. Schon heute fehlt das Geld an allen Enden, die Staatsschuld steigt und die blau-rot-grüne Steuerreform dürfte bald passé sein.
Langsam aber sicher fällt der Groschen. Bisher stellte die Regierung stets weitere Erleichterungen der Bürger im Rahmen der geplanten Steuerreform in Aussicht. Neuerdings äußern sich die Verantwortlichen jedoch etwas vorsichtiger. „Für Steuererhöhungen wäre jetzt sicher der falsche Moment. Andererseits bleibt aber auch nicht viel Spielraum für Steuererleichtungen“, sagte etwa Finanzminister Pierre Gramegna (DP) diese Woche im Interview mit RTL.
Der Grund für die neue finanzielle Bescheidenheit liegt nahe: Die Bewältigung der Corona-Krise führt zu Mehrausgaben des Staates von mindestens drei Milliarden Euro – allein für das laufende Jahr. Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen in den ersten Monaten des Jahres um mehr als 400 Millionen Euro eingebrochen. Angesichts von Rettungspaketen, Kurzarbeit und Mehrwertsteuer-Ausfällen rechnet die Regierung mit einem Haushaltsdefizit von über fünf Milliarden Euro für 2020 und einem weiteren Minus von knapp zwei Milliarden Euro für 2021.
Während die Dreierkoalition in ihrem Programm noch eine umfassende Steuerreform versprochen hatte, ändert die Pandemie komplett die finanziellen Voraussetzungen der Regierungspolitik. Das wird sich laut koalitionsinternen Berechnungen über kurz oder lang auch auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts auswirken. Laut einem rezenten Rundschreiben des Finanzministeriums an die anderen Ministerien werden jegliche staatlichen Verwaltungen bereits zur budgetären Vorsicht angehalten. Für das Budget 2021 gilt es demnach, den Haushalt um einen Milliardenbetrag zu konsolidieren.
Liquiditätsengpässe und neue Schulden
Staatliche Verwaltungen rechnen demnach bereits mit einem faktischen Ausgabenstopp für ihre Budgets des kommenden Jahres. Hinzu kommen zunehmende Sorgen um Liquiditätsengpässe beim Staat. Schon Ende April lieh sich der Staat insgesamt 2,5 Milliarden Euro an den Finanzmärkten.
Weitere Staatsanleihen in diesem Jahr seien nicht ausgeschlossen, heißt die offizielle Devise. Hinter den Kulissen verlautet jedoch, dass weitere Anleihen oder etwa kurzfristige Bankkredite unumgänglich seien. Die Liquidität braucht man schon allein, um die laufenden Kosten des Staates wie die Gehälter des Öffentlichen Dienstes fristgerecht zu bezahlen.
Das Defizit ist jetzt schon so groß, dass die Einnahmen des Staates nicht geringer werden dürfen. Jetzt Entlastungen zu beschließen, wäre schlicht nicht tragbar.“
Guy Heintz, früherer Direktor der Steuerverwaltung
Das Niveau der Verschuldung des Staates bleibt zwar seit 2015 stabil bei 21 bis 22 Prozent des BIP. Laut dem neuesten Stabilitäts- und Wachstumsprogramm, das Luxemburg Ende April nach Brüssel schickte, rechnet die Regierung mit einem rasanten Anstieg der Staatsschulden auf 28,7 Prozent des BIP (in 2020) bzw. auf 29,6 Prozent des BIP (in 2021). Damit würde Blau-Rot-Grün der magischen Grenze von 30 Prozent Staatsverschuldung, auf deren dauerhafte Einhaltung man sich im Koalitionsprogramm verpflichtet hat, sehr nahe kommen. Sollte der Staat bis dahin noch weitere Anleihen oder Kredite aufnehmen, würde sich die Perspektive freilich noch verschlechtern.
Entgegen den Beteuerungen von Koalitionspolitikern ist der finanzielle Spielraum des Luxemburger Staates also sehr begrenzt. „Während sieben Jahren hat diese Regierung immer mehr ausgegeben und es versäumt, wesentliche Reserven anzulegen“, kritisiert CSV-Parteichef Frank Engel. In der Tat sind die Ausgaben des Staates zwischen 2013 und 2020 um nahezu 50 Prozent angestiegen. „All jene, die sich in den vergangenen Jahren für eine weitsichtige Finanzpolitik ausgesprochen haben, werden heute leider bestätigt“, so der Oppositionspolitiker. An den drohenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen sei zwar nicht die Regierung schuld. Doch wegen ihrer großzügigen Finanzpolitik der vergangenen Jahre seien die Staatsfinanzen für die Krise schlechter gewappnet, so Frank Engel.
Einnahmen der Gemeinden brechen ein
Auch die Gemeinden rechnen bereits mit finanziellen Engpässen. In einem Runderlass vom 8. Mai teilt das Innenministerium den Kommunen die zu erwartenden Folgen der Covid-19-Krise für die Gemeindefinanzen mit. Die budgetären Prognosen des Gesamtstaates würden auf der Hypothese beruhen, dass die Regierung den „festen Willen“ habe, eine sehr vorsichtige Haushaltspolitik zu verfolgen, heißt es in dem Schreiben der Ministerin Taina Bofferding (LSAP). Gleichzeitig erwartet die Gemeinden ein regelrechter Einbruch bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer (-24,8 Prozent), des „Fonds de dotation globale des communes“ (-17,4 Prozent) sowie des „Fonds de l’emploi“ (-25,1 Prozent).
Das Innenministerium bringt bereits mehrere Notmaßnahmen ins Spiel. Dazu gehört laut der „Circulaire“ vom 8. Mai einerseits der Rückgriff auf kommunale Reservefonds. Zudem nennt die Ministerin in dem Schreiben ausdrücklich die Möglichkeit von kurzfristigen Darlehen und Anleihen.
Aus dem Runderlass lässt sich jedenfalls die Dringlichkeit herauslesen, dass manche Gemeinden in einen Liquiditätsengpass geraten und längerfristig auf externe finanzielle Hilfen angewiesen sein könnten. Im Interview mit RTL sagte die Innenministerin am Donnerstag auch, dass die direkten Subventionen an die Kommunen kurzfristig angehoben werden sollen.
Großes Fragezeichen hinter der Steuerreform
Die anzunehmende Entwicklung des Haushaltsdefizits und der öffentlichen Verschuldung wirkt sich natürlich unmittelbar auf das Koalitionsprogramm aus. Für die Umsetzung des ursprünglichen Plans von Blau-Rot-Grün fehlt schlicht das Geld. Das betrifft allen voran die groß angekündigte Steuerreform, die neben ökologischen und sozialen Akzenten vor allem den strukturellen Wandel zur „Individualisierung“ der Einkommensteuer vollziehen soll.
Wir sollten keine Angst vor neuen Schulden haben, wenn das Geld in sozialen und ökologischen Fortschritt investiert wird.“
Yves Cruchten, LSAP-Präsident
„Die Reform ist nicht tot, muss aber über den Sommer nochmal im Licht der sanitären, finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Situation analysiert werden“, sagt André Bauler (DP) auf Nachfrage von REPORTER. Da sich die Lage durch die Corona-Krise verändert hat, sei auch das Finanzministerium noch in einer Beratungsphase, so der Vorsitzende des Finanz- und Haushaltsausschusses im Parlament. Der Anspruch sei, „eine Reform aus einem Guss zu machen“ und nicht wieder einzelne Maßnahmen vorzuziehen, so der DP-Politiker weiter. Ob es dabei bleibt, wisse er aber nicht.
Ähnlich äußert sich auch Yves Cruchten. Man halte an der Steuerreform fest, die einzelnen Aspekte müssten aber unter den Koalitionsparteien noch einmal neu diskutiert werden, so der Parteivorsitzende der LSAP im Interview mit REPORTER. „Wir müssen hier einen neuen Überschlag machen.“ Der gleiche Ansatz gelte für das ganze Koalitionsprogramm. „Ich rate der Regierung, sich das Programm noch einmal genau anzuschauen und eventuelle Anpassungen vorzunehmen, die der aktuellen Krisenlage gerecht werden“, so Yves Cruchten.
Ursprünglicher Zeitplan nicht mehr realistisch
Einer, der sich in Steuerfragen auskennt und kein Blatt mehr vor den Mund nehmen muss, ist Guy Heintz. „Das Defizit ist jetzt schon so groß, dass die Einnahmen des Staates nicht geringer werden dürfen. Jetzt Entlastungen zu beschließen, wäre schlicht nicht tragbar“, sagt der frühere Direktor der Steuerverwaltung im Gespräch mit REPORTER. Vor allem das große Ziel aus dem Koalitionsprogramm, die individuelle Besteuerung mit Kompensationen und Entlastungen umzusetzen, sei nicht realistisch.
„Wenn sich die Wirtschaft schnell erholen sollte, könnte die gewünschte Reform vielleicht noch vor den Wahlen im Januar 2023 in Kraft treten“, so Guy Heintz weiter. Angesichts der vielen wirtschaftlichen und finanziellen Unbekannten der aktuellen Pandemie-Phase könne er sich aber kaum vorstellen, dass nächstes Jahr noch viel in diese Richtung passiert.
Anstatt sich an der ursprünglich geplanten Mammutreform zu verheben, kann sich Guy Heintz aber vorstellen, dass man kurzfristig „bestehende Ungerechtigkeiten im System abschafft“. Die Reform der Stock Options oder der spekulativen Immobilienfonds bzw. spezialisierten Investmentfonds (FIS) könnten solche pragmatischen Schritte in Richtung gerechte Besteuerung sein, so der frühere Chef der Steuerverwaltung.
Ein unfreiwilliges blau-rot-grünes Projekt
Auch für Yves Cruchten könnten sich die Prioritäten für die Steuerreform durch die Krise verändern. „Die Frage der Steuergerechtigkeit muss mehr denn je im Vordergrund stehen“, sagt er. Für den Parteichef der Sozialisten heißt das: „Geringverdiener und die Mittelschicht müssen entlastet werden. Wir müssen auch über eine stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften nachdenken.“
Dabei sieht der LSAP-Präsident auch bei der Verschuldung noch einen gewissen Gestaltungsspielraum. „Wir sollten keine Angst vor neuen Schulden haben, wenn das Geld in sozialen und ökologischen Fortschritt investiert wird“, so Yves Cruchten. Allerdings sei bei der Steuerreform der finanzielle Spielraum eben kleiner als man das noch nach den Wahlen 2018 annehmen konnte. Eine Reform, die „500 Millionen Euro oder noch mehr“ kosten würde, sei schlicht nicht mehr vorstellbar, so der LSAP-Präsident.
Für Steuererhöhungen wäre jetzt sicher der falsche Moment. Andererseits bleibt aber auch nicht viel Spielraum für Steuererleichtungen.“Pierre Gramegna, Finanzminister
„Wir werden in den kommenden Jahren eine neue Form des Regierens erleben“, ist sich Frank Engel sicher. Auch für den CSV-Parteichef sollte dabei die Gerechtigkeitsfrage und die Entlastung der „einfachen Leute“ im Fokus stehen. Der Oppositionspolitiker ermutigt die Regierung zudem dazu, dass auch nach der Corona-Krise der Klimaschutz sowie eine stärkere steuerliche Belastung des Umweltverbrauchs eine Priorität bleiben soll.
Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz als Prioritäten nach der Krise? Mehr Schulden des Staates als notwendiges Übel? Allein diese Fragen werden innerhalb der Koalition höchst unterschiedlich bewertet. Bisher konnten DP, LSAP und Déi Gréng finanzpolitisch nahezu aus dem Vollen schöpfen. In Zukunft dürfte der Bedarf an gemeinsamen Nennern größer werden als zuvor. Zumindest eines hat die blau-rot-grüne Koalition aber bereits erreicht: Mit der langfristigen Bewältigung der Corona-Krise wurde ihr zumindest jenes gemeinsame Projekt aufgezwungen, dessen Existenz im vergangenen Wahlkampf noch so manch einer in Zweifel zog.
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