Seit Wochen bestimmt die Corona-Krise jegliche politische Debatte. Blau-Rot-Grün beweist sich dabei erstmals als Krisenmanager. Doch die wirkliche Bewährungsprobe für die Koalition, ihr Programm und ihre politische Erfolgsmethode könnte erst noch anstehen. Eine Analyse.

„Lëtzebuerg geet et gutt, wann et de Mënschen zu Lëtzebuerg gutt geet“: Das Motto von Xavier Bettel (DP) aus dem vergangenen Wahlkampf klingt heute wie ein Satz aus einer anderen Epoche. Eigentlich wollte die Dreierkoalition in den kommenden Jahren eine ehrgeizige Reformagenda umsetzen und ihre Macht bis zu den kommenden Wahlen festigen. Heute sieht die Perspektive freilich ganz anders aus. Wegen der Coronavirus-Pandemie stehen alle Ankündigungen, die aus der Zeit vor März 2020 stammen, unter Vorbehalt.

Im Regierungsprogramm vom Dezember 2018 hatte die Koalition aus DP, LSAP und Déi Gréng den Bürgern noch das Blaue vom Himmel versprochen. Unter dem Motto „Ambitioniert, gerecht und nachhaltig“ enthält das blau-rot-grüne Programm einige strukturelle und kostspielige Reformen, an deren Umsetzung auch schon vor dem Ausbruch der Pandemie Zweifel aufkommen konnten. Allen voran die Steuerreform, die laut der Koalition sowohl den Paradigmenwechsel zur Individualisierung der Einkommensteuer als auch wegweisende Akzente zur Wohnungsbau- und Klimapolitik vollziehen soll.

Doch seit Mitte März denkt kaum ein Regierungsanhänger noch an die großen Versprechen aus dem eigenen Programm. Die Corona-Krise hat nicht nur den Alltag der Menschen auf den Kopf gestellt. Sie wird auch die Politik der kommenden Jahre gründlich verändern und dauerhaft beeinflussen.

Koalitionsprogramm wird zur Makulatur

Spricht man mit Koalitionspolitikern oder hochrangigen Beamten, spielt der Koalitionsvertrag als einstige Bibel der Regierungspolitik schon kaum eine Rolle mehr. Der Grund ist offensichtlich: Der Staat setzt bis auf Weiteres alles daran, dass Luxemburg die sanitäre Krise und die sich immer konkreter anbahnenden wirtschaftlichen Verwerfungen möglichst unbeschadet übersteht. Diesem Ziel wird nahezu alles untergeordnet. Und an dieser Prioritätensetzung wird sich so schnell auch nichts ändern.

Es lauern Konflikte, die nicht allein mit mehr Geld zu lösen sind. Blau-Rot-Grün könnte, nach bald sieben Jahren im Amt, erstmals dazu verdammt werden, Politik zu machen.“

Das liegt vor allem daran, dass das Geld, mit dem man die ambitionierte, gerechte und nachhaltige Politik betreiben wollte, bald knapp werden könnte. In den ersten vier Monaten des Jahres sind die Einnahmen des Staates um mehr als 400 Millionen Euro eingebrochen. Gleichzeitig sind die Ausgaben zwecks Rettungsprogrammen (ca. drei Milliarden Euro) und Kurzarbeit (566 Millionen Euro bis Ende April) rasant angestiegen. Ein verschärftes Defizit des Staatshaushaltes zum Ende des Jahres 2020 ist damit unausweichlich.

Dieses Defizit wird zwangsläufig mit (neuen) Schulden zu begleichen sein. Auch wenn die Verschuldungsquote im europäischen Vergleich nicht besorgniserregend erscheint und Luxemburg sich noch zu günstigen Konditionen Liquiditäten vom Finanzmarkt beschaffen kann, ist auch hier der finanzielle Spielraum nicht grenzenlos. Die Sanierung des Staatshaushalts war eine Priorität der ersten Auflage von Blau-Rot-Grün. Bald könnte die Politik der Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen ein Comeback feiern.

Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit und auch die große, ungelöste soziale Frage der luxemburgischen Politik – die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum – wird sich nach der Corona-Krise nicht plötzlich in Luft auflösen. Hinzu kommt die Herausforderung des Klimaschutzes, die in den vergangenen Wochen vielleicht an Sichtbarkeit, aber nicht an Dringlichkeit verloren hat. Allein diese Perspektiven zeigen, dass das ambitionierte blau-rot-grüne Programm eigentlich Makulatur ist. Anstatt daran festzuhalten, drängt sich heute eine ganz neue Programmatik der Regierungspolitik auf.

Blau-rot-grüne Methode stößt an Grenzen

Welche Reformen lassen sich realistisch noch durchführen? Wer wird die Rechnung der aktuellen Krise begleichen müssen? Wie will die Regierung das Defizit im Staatshaushalt begrenzen, ohne die Bürger übermäßig zu belasten und damit die wirtschaftliche Attraktivität des Landes, den sozialen Zusammenhalt und die Klimaziele zu gefährden? So lässt sich die baldige Bewährungsprobe für Blau-Rot-Grün zusammenfassen.

Dabei kann die Koalition nicht auf eigene Erfahrungswerte zurückgreifen. Seit ihrem Amtsantritt 2013 regierte sie krisenfrei. Mit der Ausnahme der kurzen Konsolidierungsphase („Zukunftspak“) zu Beginn der Amtszeit konnte Blau-Rot-Grün finanzpolitisch stets aus dem Vollen schöpfen. Mit einer wohlwollenden Konjunktur im Rücken ließen sich so eventuelle Konflikte zwischen den Koalitionspartnern bisher immer ohne politischen Streit lösen.

Sozial? Liberal? Ökologisch? Bisher musste sich die Dreierkoalition dank voller Kassen und brummender Konjunktur nie wirklich zwischen diesen politischen Zielen entscheiden oder substanzielle Verteilungskonflikte austragen.“

Ein Paradebeispiel für den bisherigen blau-rot-grünen Politikmodus war die vergangene Steuerreform: Die DP setzte die Senkung der Betriebssteuern und Anreize für Wohlhabende wie beim Wohnungsbau oder bei der privaten Altersvorsorge durch. Die LSAP drückte der Reform mit Steuerkrediten und einer zaghaften „Reichensteuer“ den roten Stempel auf. Und die Grünen konnten mit der steuerlichen Begünstigung von emissionsarmen Dienstwagen sowie von Elektro- und Hybridautos punkten.

Sozial? Liberal? Ökologisch? Bisher musste sich die Dreierkoalition dank voller Kassen und brummender Konjunktur nie wirklich zwischen diesen politischen Zielen entscheiden oder substanzielle Verteilungskonflikte austragen. Die ihr zugrunde liegenden ideologischen Grundsatzfragen musste die Koalition nie beantworten, weil genügend Geld da war, um sie erst gar nicht zu stellen. Diese Logik der ideologisch austarierten Ausgabenpolitik könnte in den kommenden Jahren aber an ihre Grenzen stoßen.

Neue politische Konflikte kündigen sich an

Mit dieser ganz neuen Perspektive steht allerdings das ganze Erfolgsmodell von Blau-Rot-Grün vor einer Bewährungsprobe. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Dreierkoalition wird man Entscheidungen unter massivem finanziellen und politischen Druck treffen müssen. Zwar werden die Regierungsparteien mögliche Einschnitte wohl mit der großen nationalen Solidarität in der Krisenzeit begründen. Doch spätestens jetzt wird das Motto dieser Regierung, wonach es bei den geplanten Reformen „keine Verlierer“ geben dürfe, nicht mehr haltbar sein.

Die kommenden Wochen werden auch zeigen, ob sich die Koalitionspartner bei der Bewältigung der Folgen der Pandemie immer noch so einig sind wie in wirtschaftlich unverfänglichen Zeiten.“

Unabhängig davon, ob die düsteren wirtschaftlichen Aussichten wirklich eintreten, wird die ganze Dramaturgie der Legislaturperiode eine andere sein. Und nach knapp drei Monaten „Waffenstillstand“ werden sich auch die Opposition und die Sozialpartner bald nicht mehr mit Kritik bzw. Forderungen an die Exekutive zurückhalten.

Mit anderen Worten: Es lauern Konflikte, die nicht allein mit mehr Geld zu lösen sind. Blau-Rot-Grün könnte, nach bald sieben Jahren im Amt, erstmals dazu verdammt werden, Politik zu machen. Also nicht Politik à la luxembourgeoise, als großzügige Verwaltung eines überdurchschnittlich angehäuften Wohlstandes. Sondern Politik im traditionellen Sinn einer möglichst einvernehmlichen Regelung von dauerhaften finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Konflikten.

Diese Konflikte könnten schon bald im Parlament und im Kabinett von den Parteien ausgetragen werden: Ist ein ansatzweise ausgeglichener Staatshaushalt nach der Krise noch ein vernünftiges Ziel? Sollen die finanziellen Lasten der Krisenbewältigung sozial gerecht verteilt werden? Bleibt der Klimaschutz angesichts schrumpfender Wirtschaft und steigender Arbeitslosigkeit noch eine politische Priorität? In diesen Fragen gibt es innerhalb und zwischen DP, LSAP und Déi Gréng sehr unterschiedliche Ansichten, die sich in den kommenden Monaten deutlicher äußern dürften als zuvor.

Zwischen Bewährung und neuer Dynamik

In den kommenden Jahren könnten die Regierenden jedenfalls in eine Situation geraten, in der sie die Kehrseite ihrer bisherigen Schönwetterpolitik erklären müssen. In den zurückliegenden Jahren hat die Koalition wie ihre Vorgänger keinerlei Reserven angelegt. Die Konsequenz daraus bedeutet nicht nur eine Bewährungsprobe für das politische und soziale Luxemburger Modell. Die kommenden Wochen werden auch zeigen, ob sich die Koalitionspartner bei der Bewältigung der Folgen der Pandemie immer noch so einig sind wie in wirtschaftlich unverfänglichen Zeiten.

Das Versprechen, dass diese Regierung alles dafür tun wird, damit der Wohlstand des Landes immer weiter ansteigt, wird womöglich nicht mehr einzuhalten sein.“

Eine Parallele, die der politischen Klasse noch in Erinnerung sein dürfte, ist die politische Entwicklung nach der jüngsten Finanzkrise. Mitten in der Krise wurde die damalige schwarz-rote Koalition 2009 zwar wiedergewählt; Krisenmanager-in-chief Jean-Claude Juncker fuhr mit dem „sëchere Wee“ für die CSV einen historischen Wahlerfolg ein. Doch schon bald artete die „große Koalition“ in offenen Streit aus, was nicht zuletzt im offen ausgetragenen Konflikt über die Richtung der budgetären Konsolidierungspolitik begründet war.

Auch wenn sich die Geschichte nur selten wiederholt, könnte zumindest die Ausgangsposition der Dreierkoalition bald eine ähnliche sein. Das Versprechen, dass diese Regierung alles dafür tun wird, damit der Wohlstand des Landes immer weiter ansteigt, wird womöglich nicht mehr einzuhalten sein. Zumindest kurzfristig wird sich diese Koalition neu erfinden müssen, um die Bewährungsprobe der Post-Pandemie zu meistern. Und sei es nur, um dann mit etwas konjunkturellem Glück noch rechtzeitig vor den kommenden Wahlen im Oktober 2023 wieder in den altbewährten Regierungsmodus des Luxemburger Modells zu schalten.


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