REPORTER-Informationen zufolge lieh sich der Staat kurz vor den Wahlen 500 Millionen Euro bei der „Spuerkeess“. Aus naheliegenden elektoralen Gründen wurde der Vorgang nicht an die große Glocke gehängt. Die Herausforderung steigender Staatsschulden wird in den kommenden Jahren jedoch nicht kleiner.

„D’Scholdenspiral ass gebrach“: Gebetsmühlenartig wiederholte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) in den vergangenen Jahren diesen Satz. Was genau eine „Schuldenspirale“ ist, und wie man diese brechen kann, sei dahingestellt. Was Gramegna damit meint: Die Regierung hat die Schuldenpolitik des Staates im Griff.

Freilich macht der luxemburgische Staat weiter Schulden. Im Zentralstaat weist das Budget seit der Finanzkrise 2008 ein Defizit aus. 2013 lag dieses bei 464 Millionen Euro, 2017 immer noch bei knapp 344 Millionen Euro. Demnach sprach der Finanzminister in seiner letzten Haushaltsrede im Oktober 2017 auch nur mehr davon, dass die Staatsschuld „stabilisiert“ werden konnte bzw. Luxemburgs Schulden „nur moderat weiter anwachsen werden“.

Das Erbe der Krisenjahre 2007-2013

Dass Luxemburg sein Budget weiter durch Schulden finanzieren muss, hat zwei Gründe. Einerseits weist der Haushalt beim Zentralstaat trotz wieder angezogener Konjunktur weiter ein Minus aus. Andererseits besteht durch die von früheren Regierungen eingegangenen Schuldenprogramme zur Finanzierung der Krisenjahre ein konstanter Druck auf der Staatskasse.

Das Minus im Staatshaushalt wird nämlich durch kurzfristige Kredite und längerfristig angelegte Staatsanleihen ausgeglichen. Die meisten dieser Verbindlichkeiten stammen aus den Jahren 2007 bis 2013. Damals lieh sich der Staat per Anleihen (sogenannte „government bonds“) an den Märkten insgesamt mehr als sechs Milliarden Euro. Die Laufzeit dieser Schuldenprogramme liegt jeweils bei fünf, zehn oder 15 Jahren. Demnach muss der Staat bei Ablauf einer Frist die gesamte geliehene Summe stemmen – und das geschieht in der Regel durch die Emission von neuen Staatsanleihen.

So geschehen im Januar 2017, als die Regierung nach einigem Zögern beschloss, sich zu günstigen Konditionen frisches Geld an den Märkten zu besorgen. Anders wären die Liquidität und somit die laufenden Ausgaben des Staates nicht mehr zu finanzieren gewesen. Auch Blau-Rot-Grün hatte nämlich keine Reserven angesammelt. Schulden mussten wie in der Vergangenheit mit neuen Schulden beglichen werden. Positiv wirkt dabei allerdings das ominöse „Triple A“-Rating, das zumindest garantiert, dass die Nachfrage für Luxemburger Staatsanleihen hoch bleibt und diese bei Anlegern als sicher gelten.

Ein Bankkredit kurz vor den Wahlen

Ein weiteres Mittel zur punktuellen Erhöhung der Liquidität, auf das der Staat regelmäßig zurückgreift, sind gewöhnliche Bankkredite. Diese werden vornehmlich bei der „Banque et Caisse d’Epargne de l’Etat“ (BCEE bzw. „Spuerkeess“) aufgenommen, die freilich zu 100 Prozent dem Staat gehört. Anders als Staatsanleihen müssen diese Operationen nicht prompt veröffentlicht werden, sondern können auch ohne großes Aufsehen in der Öffentlichkeit vollzogen werden.

So kam es denn auch kurz vor den Parlamentswahlen. Am 1. Oktober hatte Finanzminister Pierre Gramegna noch in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage seines Parteifreundes Eugène Berger betont, dass dank der vorausschauenden Haushaltspolitik dieser Regierung in diesem Jahr keine Staatsanleihen mehr emittiert werden müssten. Zitat: „aucun recours à un nouvel emprunt obligataire ne s’avère nécessaire au cours de l’année 2018.“

Was der Minister freilich nicht mit der Öffentlichkeit teilte: Einen Tag später lieh sich der Staat zwar nicht per Staatsanleihe, doch per Bankkredit bei der „Spuerkeess“ insgesamt 500 Millionen Euro. Dass es am 2. Oktober 2018, also keine zwei Wochen vor den Wahlen, zu einer neuen Kreditaufnahme bei der BCEE kam, bestätigt das Finanzministerium auf Nachfrage von REPORTER. Damit wurden zwei auslaufende Kredite aus dem Jahre 2008 getilgt, die der Staat ebenfalls bei der BCEE bei einem Zinssatz von 4,935 Prozent aufgenommen hatte. Beim neuen Kredit handelt es sich dagegen um ein zinsloses Darlehen.

Steigende Schuld, stabile Schuldenquote

Die Episode zeigt auch: Unabhängig von der politischen Rhetorik werden die Staatsschulden, die im Zuge der Bewältigung der Finanzkrise rasant in die Höhe schossen, voraussichtlich weiter ansteigen. 2013 hatte Blau-Rot-Grün einen historisch hohen Schuldenstand von etwas über elf Milliarden Euro geerbt. Bis 2017 beliefen sich die Staatsschulden in absoluten Zahlen auf fast 12,7 Milliarden Euro. Der Anstieg ist dabei nicht zuletzt auf die anhaltend defizitäre Haushaltspolitik der Regierung zurückzuführen bzw. in Teilen durch die Steuerreform und die hohe Investitionsquote bedingt.

Richtig ist aber auch, dass die Schuldenquote, also die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftskraft bzw. zum BIP, im gleichen Zeitraum zumindest stabil blieb. Vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ist die Verschuldungsquote Luxemburgs mit rund 23 Prozent (2017) relativ niedrig. Nur Estland hat innerhalb der EU eine niedrigere Quote als Luxemburg. Der Durchschnitt in der EU liegt aktuell bei fast 90 Prozent.

Allerdings sagt diese von der Regierung oft angeführte Statistik letztlich nur aus, dass die Schulden etwas langsamer ansteigen als die Wirtschaft wächst. Alles andere wäre bei einem Wachstum von bis zu vier Prozent wie in den vergangenen Jahren auch außergewöhnlich. Sollten sich jedoch die neuen, nach unten korrigierten Wachstumsprognosen verfestigen, dürfte dies auch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Schuldenquote haben.

Bedarf von fünf Milliarden Euro bis 2023

Die „Schuldenspirale“ ist also nicht wirklich gebrochen, sondern dreht sich aus historischen und rezenteren politischen Gründen weiter – wenn auch nicht so schnell wie noch vor einigen Jahren. Oder um wiederum mit Pierre Gramegna aus dem Jahre 2017 zu sprechen: Bei der finanziellen Entwicklung des Staates zeige sich, dass sich die Schuld „op engem ganz raisonnabelen Niveau“ bewegt.

Das wird sich auch so schnell nicht ändern. Doch eine wesentliche Verbesserung der Lage ist auch nicht in Sicht. Einerseits sind die derzeit über eine weitere Amtszeit verhandelnden Koalitionsparteien DP, LSAP und Déi Gréng fest entschlossen, weitere „finanzielle Spielräume“ für Steuersenkungen und Mehrausgaben zu nutzen. Ein Abbau der Staatsschulden wird damit wohl auch für die kommende Legislaturperiode keine politische Priorität darstellen.

Andererseits wird der Finanzierungsbedarf durch das Auslaufen früherer Staatsanleihen in den kommenden Jahren nicht abnehmen. Im Oktober 2019 läuft bereits die erste „Sukuk“-Anleihe bzw. „islamic bond“ in Höhe von 200 Millionen Euro aus. Am 18. Mai 2020 wird dann eine weitere große Staatsanleihe aus der Krisenzeit in Höhe von zwei Milliarden Euro fällig, im März 2022 eine weitere Milliarde und im Juli 2023 weitere zwei Milliarden. In der Amtszeit der nächsten Regierung beläuft sich der Finanzierungsbedarf des Staates also unabhängig von eventuellen neuen Schulden aus dem Staatshaushalt auf über fünf Milliarden Euro.