Dogma, Nice-to-have oder überlebenswichtig für den Finanzplatz? Das „Triple A“ und die 30-Prozent-Schuldengrenze sorgen für Streit in der Regierung. Doch worum geht es bei der Diskussion über den finanzpolitischen Spielraum wirklich? Zehn Fragen und Antworten.

Die Bedeutung des „Triple A“ wird von Politikern und Lobbyverbänden wie ein Mantra wiederholt. „Der Finanzsektor, das sind drei Buchstaben. Das ist das ‚AAA‘, das die Bonität auf den Märkten, aber auch die Glaubwürdigkeit eines Finanzplatzes bestätigt“, erklärte Premierminister Xavier Bettel (DP) etwas nebulös. Um das Triple A nicht zu gefährden, dürfe die Staatsschuld nicht über 30 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen, betonte er vor der jüngsten Tripartite.

Während der grüne Vizepremier François Bausch sich zum Ziel vorsichtiger Haushaltspolitik bekannte, stellte der LSAP-Minister Claude Haagen die 30-Prozent-Grenze offen infrage. Das Verhältnis zwischen dem Schuldenstand, dem Triple-A-Rating und der Attraktivität des Finanzplatzes ist bei der Debatte in aller Munde. Doch die konkrete Begründung, warum die Dinge so zusammenhängen, wird selten offengelegt – und sie scheint auch für Politiker nicht immer ganz klar.

Was will die Regierung?

Momentan ist dies schwer zu beantworten, denn die Regierungsparteien sind sich uneinig. Der Premier verweist auf das Koalitionsprogramm von 2018. Darin verpflichtete sich Blau-Rot-Grün, die Staatsschulden „zu jedem Moment“ unter der Marke von 30 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) zu halten. Die Regierung werde sich weiterhin bemühen, die Kreditwürdigkeit auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten, heißt es weiter im Programm von Blau-Rot-Grün. Im Jargon der Rating-Agenturen entspricht dies der Note „AAA“, dem mittlerweile berühmten Triple A.

Das dritte Versprechen wird dagegen selten erwähnt: Das von der EU vorgegebene mittelfristige Haushaltsziel solle eingehalten werden. Das ist aber für 2022 nicht der Fall, wie Finanzministerin Yuriko Backes (DP) im April einräumte. Allerdings hatte die EU aufgrund der Coronakrise diese Budgetregeln außer Kraft gesetzt. In diesem Punkt setzte sich die Koalition also bereits über ihr Programm hinweg. Das großzügige und noch nicht bezifferte Maßnahmenpaket der Tripartite lässt die finanzpolitischen Prioritäten der Regierung ebenfalls in neuem Licht erscheinen.

Woher kommt die 30-Prozent-Grenze?

Bereits im Koalitionsprogramm von 2013 hatte Blau-Rot-Grün die Begrenzung der Staatsschulden auf 30 Prozent des BIP festgelegt. Begründet wurde das nicht. Die von der EU vorgegebene Grenze liegt bei 60 Prozent des BIP. Die Verhandlungen standen damals aber in einem besonderen Kontext. In der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 sind Luxemburgs Staatsschulden explodiert.

2007 – also vor der Krise – hatte der Staat 2,5 Milliarden Euro Schulden, knapp sieben Prozent des BIP. 2013 waren es bereits knapp elf Milliarden Euro – 24 Prozent des BIP. Wesentlich belastet wurde der Staat durch die zwei Milliarden Euro, die es kostete, die ins Trudeln geratenen Luxemburger Banken zu retten. In der Amtszeit von DP, LSAP und Déi Gréng stieg die öffentliche Schuld weiter an und beträgt aktuell über 19 Milliarden Euro. Das entspricht noch immer rund 24 Prozent des BIP, weil Luxemburgs Wirtschaft parallel stark wuchs.

Letztlich geht es darum, ob ein Staat fähig ist, seine Schulden zurückzuzahlen. Es gibt keine wissenschaftlich begründete Grenze für Staatsschulden.“Patrice Pieretti, Wirtschaftswissenschaftler

Vor dem Hintergrund der Kosten der Finanzkrise warnte der damalige CSV-Finanzminister Luc Frieden 2010: „Über 30 Prozent Staatsschuld, das wäre inakzeptabel.“ Rückendeckung erhielt Luc Frieden vom damaligen Generaldirektor der Handelskammer und seinem späteren Nachfolger: Pierre Gramegna (DP). Dieser schlug vor, die Grenze von 30 Prozent gesetzlich zu verankern, wie es Deutschland ab 2009 mit der Schuldenbremse gemacht hatte.

Auch wenn es zu keiner gesetzlichen Schuldenbremse kam, setzte sich die Grenze in den Köpfen fest. Das „Comité économique et financier national“ – ein Gremium aus hohen Beamten – warnte im Rahmen der Koalitionsverhandlungen 2018, dass eine vorsichtige Budgetpolitik weiterhin geboten sei. „Le maintien d’un ratio de dette très faible, voire baissier, est crucial afin d’assurer la préservation de la notation ‚AAA‘ ainsi que pour retenir la flexibilité budgétaire nécessaire pour réagir en cas de choc économique.“ Luc Frieden geht mittlerweile sogar weiter: Es wäre besser, die Staatsschulden auf 20 oder 25 Prozent des BIP zu begrenzen, sagte er vergangene Woche dem „Lëtzebuerger Land“.

Wie wirkt die 30-Prozent-Grenze auf das Triple A?

Die Ratingagenturen erwähnen das 30-Prozent-Ziel in ihren Analysen durchaus wohlwollend. Es ist aber klar, dass dies nur ein Punkt von vielen ist, den sie berücksichtigen. Ein Überschreiten dieser Marke bedeutet nicht zwangsläufig einen Verlust der Bestnote. 2013 wies der damalige Premier Jean-Claude Juncker (CSV) darauf hin, dass andere Triple-A-Länder wie etwa die Niederlande oder Deutschland deutlich höhere Verschuldungsquoten haben. Das ist heute nicht anders.

„Letztlich geht es darum, ob ein Staat fähig ist, seine Schulden zurückzuzahlen“, erklärt Patrice Pieretti, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Luxemburg. Die 30-Prozent-Grenze ist aus seiner Sicht eine politische Entscheidung. „Es gibt keine wissenschaftlich begründete Grenze für Staatsschulden“, betont er im Interview mit Reporter.lu.

Wie begründen die Ratingagenturen ihre Bewertung?

Luxemburg hat eine starke Wirtschaft, ein höheres Wachstum als andere Länder der Eurozone und ist ein stabil regiertes Land. Das ist in der Kurzfassung die Bewertung aller Ratingagenturen. Positiv heben sie hervor, dass Luxemburg die Coronakrise vergleichsweise gut überstanden hat – nicht zuletzt aufgrund der Finanzindustrie, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen nicht wesentlich durch die Pandemiemaßnahmen eingeschränkt wurde.

DBRS Morningstar views a potential correction of housing prices in tandem with rising interest rates as a risk factor for banks’ asset quality.“
Luxemburg-Rating der Agentur DBRS Morningstar

Der Finanzplatz ist das Zugpferd, das zu über einem Viertel der Wirtschaftsleistung beiträgt. Die Agenturen heben deshalb auch hervor, dass eine Schwäche des Finanzsektors schnell zu einem erheblichen Problem für den Staat werden kann. Die globale Mindeststeuer, die die Steuervermeidung von Konzernen beenden soll, könnte Luxemburgs Einnahmen schrumpfen lassen, warnen sie.

Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts ist zudem ein wichtiger Faktor für die hohen Wohnungspreise. Die Preise verursachen wiederum eine steigende Verschuldung der privaten Haushalte. Diese Entwicklung bedeutet aufgrund der Immobilienkredite ein wachsendes Risiko für die heimischen Banken. Darauf weisen etwa „Fitch“ und „DBRS Morningstar“ hin. Als weitere Schwächen werden die hohen Pensionsforderungen und der Fachkräftemangel genannt.

Was könnte zu einem Verlust der AAA-Bewertung führen?

Kurz gesagt: ein dauerhafter wirtschaftlicher Abschwung, kombiniert mit steigenden Schulden. Tatsächlich stand Luxemburg 2012 kurz vor dem Verlust des Triple A. Die Agentur „Moody’s“ bewertete Luxemburg damals mit einem „negative outlook“.

Die düstere Aussicht bezog sich auf die Eurokrise, die eine längerfristige Wirtschaftsflaute bedeuten könnte. Die Episode von 2012 zeigt aber auch den begrenzten Spielraum Luxemburgs. Denn auch Deutschland und die Niederlande wurden damals von „Moody’s“ unter Beobachtung gestellt. Luxemburg hängt demnach zu einem großen Teil vom ökonomischen Wohlergehen der Eurozone ab, ohne darauf selbst wesentlichen Einfluss zu haben.

Was bringt die höchste Bonität Luxemburg?

Wer in Luxemburger Staatsanleihen investiert, erhält mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sein Geld auch zurück. Für dieses äußerst geringe Risiko nehmen Investoren eine kleinere Rendite in Kauf. Das heißt, der Staat muss geringere Zinsen zahlen und spart damit substanzielle Summen.

Doch nicht alle Triple-A-Länder profitieren auf die gleiche Weise von der Bestnote. Seit 2016 lag der Zinssatz Luxemburgs etwa bis zu 0,2 Prozentpunkte über jenem von Deutschland. Ein Grund ist laut Experten, dass das geringe Volumen der Luxemburger Staatsanleihen für ganz große Investoren zu klein ist und deshalb die etwas geringere Nachfrage zu etwas höheren Zinsen führt.

Das zeigt auch der Vergleich mit den Niederlanden. 2013 verlor das Land sein Triple A der Agentur „S&P“ aufgrund eines schwächeren Wirtschaftswachstums. 2015 war die Durststrecke dann vorbei. Auffällig ist aber, dass die Zinsen auf luxemburgischen und niederländischen Staatsanleihen sich in diesen zwei Jahren kaum unterschieden.

Die Luxemburger Politik legt beim Triple A aber weniger Wert auf das Zinsniveau als auf das „Nation Branding“. „Wir sind alle in der Verpflichtung, dass wir unsere soliden Staatsfinanzen behalten. Dass das Triple A erhalten bleibt, das ist für mich als Finanzministerin wichtig. Das ist wichtig für unsere Wettbewerbsfähigkeit, das ist wichtig für unsere Unternehmen und deshalb ist es auch wichtig für die Bürger des Landes“, erklärte Yuriko Backes anlässlich der Tripartite.

Was hat das Triple A mit dem Finanzplatz zu tun?

Die Verbindung zwischen der Kreditwürdigkeit des Staates und hier ansässigen Unternehmen ist indirekt. Dem Kern am nächsten kommt die von Xavier Bettel genannte Glaubwürdigkeit. Die Faktoren, die für Ratingagenturen wichtig sind – eine starke Wirtschaft, politische Stabilität und verlässliche Institutionen – sind auch für Finanzunternehmen wichtig. Das Triple A sagt dabei aus, dass ein Staat vorausschauend regiert wird und drastische Steuererhöhungen unwahrscheinlich sind.

Das Triple A ist also ein Standortfaktor, genau wie die zentrale Lage und gut ausgebildete, mehrsprachige Mitarbeiter, wie es Finanzministerin Yuriko Backes im Interview mit dem "Luxemburger Wort" erklärte. Diese Faktoren würden angesichts der globalen Mindeststeuer für Konzerne noch wichtiger, betonte die DP-Politikerin. Tatsächlich nehmen Finanzfirmen das Triple A als Begründung, warum sie ohne sonstige Verbindung zum Land in Luxemburg ansässig sind.

Wie sieht es bei der Konkurrenz aus?

Die Frage lautet: Wohin würden Banken und Investmentfonds übersiedeln, wenn Luxemburg ohne Triple A dastünde? Dabei ergibt sich ein gemischtes Bild: Konkurrenten, wie etwa die Schweiz, Singapur oder die Niederlande, haben auch ein Triple A. Andere wie Irland, Großbritannien oder Frankreich nicht. Viele Alternativen hätten Finanzunternehmen also nicht.

Das Problem ist allerdings, dass mit der vorgesehenen globalen Mindeststeuer und der geplanten EU-Richtlinie gegen Briefkastenfirmen die langjährigen Steuervorteile für Konzerne in Luxemburg wegfallen könnten. Viele Unternehmen werden ihren Standort hierzulande neu bewerten müssen. Das wird von den Ratingagenturen als Risiko genannt.

Sind Schulden etwas Schlechtes?

In der politischen Arena werde die Verschuldung oft moralisch aufgeladen, meint der Wirtschaftswissenschaftler Patrice Pieretti. „Schulden sind aber wichtig, denn sie sind eine Investition. Ohne Investition gibt es kein Wachstum“, erklärt er. Eine gute Infrastruktur sei etwa auch ein wichtiger Faktor für die Attraktivität Luxemburgs. Das Gleiche gelte für Investitionen in Bildung.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass nicht alle Schulden gut sind. Es kommt darauf an, wie das Geld von der jeweiligen Regierung eingesetzt wird. Entscheidend ist, ob das geliehene Geld längerfristig dazu beiträgt, dass der Staat seine Schulden leichter zurückzahlen kann.

Wie geht es weiter?

Im Vorfeld der Tripartite ging das Finanzministerium für dieses Jahr von einem Defizit von bis zu 1,5 Milliarden Euro aus. Darin war das neueste Maßnahmenpaket mit einem Kostenpunkt von schätzungsweise 1,1 Milliarden Euro nicht eingerechnet. Im März 2022 stand die Schuldenquote bei 24,4 Prozent des BIP, was knapp 19,2 Milliarden Euro Schulden entsprach, teilte das Finanzministerium mit. Kommt es zu einer Rezession, dann schrumpft auch das BIP als Größe. Damit würde das Überschreiten der 30-Prozent-Grenze deutlich wahrscheinlicher werden.

Letztlich ist entscheidend, welches Ziel mit Staatsschulden erreicht werden soll. Werden die Mittel so eingesetzt, dass in den nächsten Jahren wieder mit Wachstum zu rechnen ist? Werden durch die Investitionen die Risiken wie etwa die Wohnungskrise, der Fachkräftemangel oder die Abhängigkeit vom Finanzplatz reduziert? Bleibt die soziale und politische Stabilität erhalten? Auf Grundlage dieser Faktoren werden die Ratingagenturen und am Ende auch die Unternehmen ihre Schlüsse ziehen. Die eine Antwort gibt es nicht.


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