Alex Bodry gilt als parlamentarischer Dreh- und Angelpunkt der blau-rot-grünen Koalition. Gleichzeitig schreckt der Fraktionschef der LSAP nicht davor zurück, den Finger in die Wunde zu legen. Im Interview mit REPORTER spricht er über fehlende Gemeinsamkeiten mit der DP und erklärt, warum eine gemeinsame „Bewegung“ zwischen Sozialisten und Grünen sinnvoll wäre.

Interview: Christoph Bumb

REPORTER: Herr Bodry, in rund vier Monaten wird gewählt. Was bleibt von dieser Koalition?

Alex Bodry: Es bleibt ein beachtliches Reformpaket, das fast vollständig so umgesetzt wurde, wie es vor bald fünf Jahren angekündigt worden war. Es bleiben die Neuorientierung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und eine Reihe von gesellschaftspolitischen Reformen. Die Parallele mit der sozialliberalen Koalition von 1974 bis 1979 ist für mich hier offensichtlich. Auch damals lagen die entscheidenden Impulse in der Gesellschaftspolitik. Hinzu kommt, dass wir das Land auch in anderen Bereichen reformiert haben, und zwar ohne den sozialen Zusammenhalt zu gefährden. Im Gegenteil ermöglichen wir den Bürgern mit der Steuerreform mehr Kaufkraft, besonders in den unteren Einkommensschichten. Gleichzeitig haben wir es geschafft, die Staatsfinanzen dauerhaft zu stabilisieren und die Arbeitslosigkeit zu senken, was nach den Krisenjahren auch nicht selbstverständlich war. All das sollte man dieser Koalition anrechnen.

Darf man aus Ihrer Antwort schließen, dass in allen anderen Bereichen eher Kontinuität zu den Vorgängerregierungen herrscht?

Ich denke schon. Das ist aber auch normal, weil mit uns Sozialisten ja zumindest eine Partei auch schon vorher am Ruder war. Die neue Koalition war zu Beginn vielleicht etwas zu forsch. Man tat so, als ob man alles verändern könne und wollte mehrere Bäume gleichzeitig ausreißen, ohne immer zu wissen, was man danach neues pflanzen will. Später bog die Regierungspolitik dann doch eher in den Weg der Kontinuität ab. In manchen Punkten, wie beim Wohnungsbau, gab es wenig Fortschritte. Das darf und sollte man auch kritisieren. Aber in vielen Punkten können die drei Parteien objektiv eine bessere Bilanz vorweisen als noch 2013.

Die DP ist uns programmatisch prinzipiell nicht näher als die CSV.“

Jetzt geht es im Wahlkampf ja aber nicht nur um den Blick zurück, sondern auch um die Perspektiven. Was bleibt denn noch übrig von dem blau-rot-grünen Projekt, das 2013 begonnen wurde?

Ich sage das ganz deutlich: Es gibt kein blau-rot-grünes Projekt mehr. Das wird vor allem in dieser Phase deutlich, wo sich die drei Parteien jeweils wieder auf ihr Kerngeschäft und ihre eigenen Programme besinnen. Die DP erinnert sich an ihre wirtschaftsliberale Programmatik und tritt mehr und mehr als Interessenvertreter der Unternehmen auf. Die Grünen werden gewissermaßen wieder dunkelgrüner. Auch die LSAP zieht wie vor allen Wahlen wieder mehr nach links und sucht den Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Alle Parteien versuchen, ihre Stammwählerschaft zu erreichen. Unter diesen Umständen ist ein gemeinsames Projekt nur sehr schwer auszumachen. Im Gegenteil, im beginnenden Wahlkampf werden die Unterschiede der drei Parteien immer deutlicher. Das klingt banal, aber man kann es dennoch aussprechen.

Was heißt das konkret? Gibt es keine Präferenz der LSAP für eine Fortführung der Dreierkoalition?

Die Ausgangslage ist dieses Mal doch eine ganz andere. Die besondere Situation vor den letzten Wahlen ist so nicht mehr gegeben. Sie kann auch nicht neu erfunden werden. Die aktuelle Mehrheit fand sich letztlich durch die Schlüsse der Untersuchungskommission zum Geheimdienst. Sie wurde durch das Verhalten mancher in der CSV unumgänglich. Das sehe ich dieses Mal so nicht mehr. Auch wurde der gesellschaftspolitische Reformstau, der eine weitere Voraussetzung dieser Koalition war, mittlerweile behoben. Für mich ist auch klar, und das habe ich auch schon früher gesagt, dass sich meine Partei in einer gesunden Äquidistanz sowohl zur DP als auch zum Mainstream in der CSV befindet. Das ist zumindest meine Meinung. Die DP ist uns programmatisch prinzipiell nicht näher als die CSV. Mit der Ausnahme der Gesellschaftspolitik, aber dieser Teil wurde in den vergangenen Jahren wie gesagt fast vollständig umgesetzt.

Unabhängig von den jüngsten Diskussionen über die Standortpolitik gibt es zwischen uns sehr viele Gemeinsamkeiten. Rot und Grün werden sich schnell einig.“

Manche Ihrer Parteikollegen sehen das sicher anders. Vizepremier Etienne Schneider würde am liebsten als gemeinsame linksliberale „En Marche“-Bewegung in den Wahlkampf ziehen …

Ganz konkret: Was könnte ein blau-rot-grünes Projekt beim Mindestlohn sein oder bei der Besteuerung von Unternehmen oder Kapitalerträgen. Bei solchen Themen ist es schon schwer genug, sich in Koalitionsverhandlungen einig zu werden. Vor den Wahlen wäre es meiner Meinung nach nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Wenn man sich auf ein politisches Projekt einigen würde, das über die nächsten Wahlen hinausgeht, dann müsste jede Partei ja jetzt schon Kompromisse eingehen. Und dann wären wir in der Tat in der Logik von „En Marche“, einer Bewegung, die übrigens die Antwort auf eine ganz spezifische innenpolitische Entwicklung in Frankreich war. In so einer Sammelbewegung würde ich mich, wie wohl viele meiner Parteifreunde, nicht wiederfinden.

Was sich aber über die Jahre und Jahrzehnte zeigt, ist eine doch sehr große Nähe zwischen der Programmatik von der LSAP und Déi Gréng. Unabhängig von den jüngsten Diskussionen über die Standortpolitik gibt es zwischen uns sehr viele Gemeinsamkeiten. Rot und Grün werden sich schnell einig. Ich bin deshalb der Meinung, dass eine gemeinsame Bewegung oder zumindest eine engere Abstimmung zwischen unseren beiden Parteien durchaus Sinn machen würde. Da wären wir nämlich nicht mehr in der Logik einer losen Sammlungsbewegung, sondern bei einer möglichen dauerhaften Kooperation zwischen zwei Parteien, die in den allermeisten Politikfeldern die gleichen Ziele haben. Im Hinblick auf die Liberalen sehe ich das jedoch ganz anders. Da trennt uns auf Dauer schon einiges. Da treffen längerfristig insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Teil fundamental unterschiedliche Sichtweisen aufeinander.

Alex Bodry, Jahrgang 1958, Ex-Minister, Ex-Parteichef, Ex-Bürgermeister von Düdelingen, ist seit Dezember 2013 Fraktionsvorsitzender der LSAP. (Foto: Matic Zorman)

Welche Sichtweisen meinen Sie genau?

Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wir sehen als LSAP die Steuerpolitik als Mittel zur Umverteilung und zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit. Die DP sieht das anders. Wir sind zum Beispiel der Meinung, dass Geringverdiener komplett von der Einkommensteuer befreit werden sollen. Die DP sieht das anders. Da gab es im Vorfeld der Steuerreform durchaus schwierige Verhandlungen. Im Laufe der Gespräche war ich mir auch nicht immer sicher, wo das Ganze hinführt. Wir haben uns dann zwar nicht in allen Punkten durchgesetzt. Und doch finde ich, dass sich das Ergebnis sehen lassen kann und die Reform insgesamt eine sozialistische Handschrift trägt.

Und doch haben Sie einer Senkung der Körperschaftssteuer zugestimmt, wie es die DP wollte …

Wer sagt denn, dass das die ursprüngliche Forderung der DP war? Manche wollten in diesem Punkt noch weiter gehen, und wir eben nicht. Politik ist nun einmal das Ergebnis von Kompromissen.

An einer LSAP mit 13 oder mehr Sitzen kann man bei der Koalitionsbildung nur schwer vorbeikommen.“

Warum sollten solche Kompromisse zwischen den drei Parteien nicht auch nach den nächsten Wahlen möglich sein?

Das ist eine ganz andere Frage als die nach einem gemeinsamen Projekt. In Koalitionsverhandlungen sind solche Kompromisse immer möglich und auch notwendig. Wenn denn der Wille dazu vorhanden ist und die beteiligten Personen fair und vertrauensvoll verhandeln. Beim letzten Mal war das eindeutig der Fall. Das heißt aber nicht, dass das jedes Mal so laufen wird, geschweige denn, dass es eine gemeinsame Philosophie der drei Parteien gibt, die man nur noch nach den Wahlen in Form gießen muss.

Wenn es nicht zu einer Neuauflage von Blau-Rot-Grün kommen sollte, bleibt für Ihre Partei im Grunde nur die Machtoption einer Koalition mit der CSV. Wenn man mit LSAP-Mitgliedern spricht, hält sich die Begeisterung für diese Alternative aber in Grenzen …

Das Ziel der LSAP ist es, aus diesen Wahlen gestärkt hervor zu gehen. Dabei sehe ich weder bei den Mandatsträgern noch an der Basis den Willen, unbedingt an einer nächsten Regierung beteiligt zu sein. Wenn wir zu den Wahlgewinnern gehören, also mindestens unsere aktuelle Sitzzahl verteidigen, dann ist eine Regierungsbeteiligung wahrscheinlich. An einer LSAP mit 13 oder mehr Sitzen kann man bei der Koalitionsbildung nur schwer vorbeikommen. Falls wir diese Wahlen verlieren sollten, also elf oder weniger Mandate erzielen, wird in der Partei sicher der Wunsch sehr stark sein, in die Opposition zu gehen. Ich persönlich würde das meiner Partei jedenfalls dann raten.

Wahlverlierer ist man also erst beim Verlust von zwei Sitzen?

Es kommt natürlich immer darauf an, wie die anderen Parteien abschneiden. Zwölf Sitze wären für mich jedoch ein Grenzfall. Die Frage ist ja nicht nur, ob sich Parteien finden, die ein gemeinsames Projekt entwickeln können. Auch innerhalb der Partei und im Parlament muss man stark genug sein, um sein Programm durchzusetzen. Wenn Déi Gréng sich zutrauen, mit sechs oder sieben Sitzen mit einer gestärkten CSV eine Koalition einzugehen… Schön. (lacht) Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass das Kräfteverhältnis in einer Zweierkoalition auch mit mehr Sitzen nicht unproblematisch ist.

Ich denke nicht, dass bei einem schlechten Resultat sich irgendjemand in der Partei an Ministerämter klammern wird.“

Also hätte ein Gegengewicht zur CSV im Sinn einer Sammelbewegung vielleicht doch etwas für sich?

Ja, theoretisch schon. Dass wir es im luxemburgischen Parteiensystem stets mit einer dominanten Partei zu tun haben, ist demokratiepolitisch schon ein Problem. Der Aufbau eines Gegenblocks im Sinn einer liberal-sozialdemokratisch-grünen Einheitspartei ist aber keine realistische Perspektive. Dafür sind die Gemeinsamkeiten dieser drei Parteien wie gesagt zu gering.

Dann also lieber ohne die Liberalen?

Ich denke, dass das einfacher zu verwirklichen wäre. Es geht ja nicht nur um die Machtfrage, sondern eher darum, ein politisch und gesellschaftlich kohärentes Gegenprogramm zu entwickeln, das am Schluss auch noch von Personen getragen und gefördert werden muss. Ich wäre für eine solche Bewegung, die auf starken sozialdemokratischen und ökologischen Wurzeln aufbauen kann, in Zukunft jedenfalls offen.

Nicht unbedingt Blau-Rot-Grün, nicht unbedingt in die Regierung – sehen das Ihre Parteifreunde wie Etienne Schneider oder Dan Kersch auch so?

Ich spreche nur für mich. Aber, wie gesagt: Ich denke nicht, dass bei einem schlechten Resultat sich irgendjemand in der Partei an Ministerämter klammern wird. Im Fall des Falles gehe ich da von einer sehr geschlossenen Haltung aus. Ich will aber nochmals betonen, dass das natürlich nicht unser Wahlziel ist. (lacht)