Der Ukrainekrieg muss auch in Luxemburg zu einem Umdenken führen, sagt Vizepremier François Bausch. Ein Gespräch über geopolitische Fehleinschätzungen, sanfte Politikwechsel und warum man als Regierungspartei mitunter sinnlose Maßnahmen mitträgt.

Interview: Christoph Bumb

Herr Bausch, der Krieg in der Ukraine hat die Welt verändert, zumindest die westliche Welt. Inwiefern gilt das auch für Luxemburg?

Dieser Krieg hat auch Luxemburg gründlich durchgerüttelt. Er hat vor allem deutlich gemacht, dass wir unsere Politik und unser Wirtschaftsmodell überdenken müssen. Wir im Westen glaubten nach 1989, dass die globale Entwicklung automatisch hin zu Demokratie, Offenheit und Rechtsstaatlichkeit gehen würde. Das war eine Illusion. Wir haben auch in Luxemburg daran geglaubt, dass Handel zu einem gewissen Wandel führen kann. Wir waren wohl zu gutgläubig. Heute müssen wir uns fragen, wie wir mit dieser Welt umgehen. Das betrifft heute vor allem Russland, kann aber auch morgen China oder andere betreffen. Wir müssen ehrlicher und strenger mit uns selbst sein, wenn es um die Beziehungen mit Staaten geht, die unsere Werte nicht teilen.

Im Fall Russlands drängt sich aber die Frage auf, ob diese Entwicklung wirklich so neu ist. Der Krieg in der Ukraine begann im Grunde schon 2014 mit der Annexion der Krim. Hat man diesen Konflikt nicht von Anfang an völlig falsch eingeschätzt?

Ich persönlich war schon länger skeptisch, wenn es um die Beziehungen zu Russland geht. Es war für mich schon vor Jahren klar, dass dort im Grunde mafiöse Strukturen am Werk sind. Wir haben es schon länger mit einer russischen Führung zu tun, die keinen Sinn mehr für Staatsräson oder das Interesse des eigenen Volkes hat.

Und doch pflegte man noch bis zuletzt gute Beziehungen zu Moskau. 2019 wurde der damalige russische Premier Dmitri Medwedew in Luxemburg von vielen Regierungsmitgliedern hofiert. Damals deutete nichts auf eine allzu skeptische Haltung hin, eher im Gegenteil …

Ja, da gab es aber, wie gesagt, noch die Hoffnung, dass die russische Regierung ein Interesse an einer Verständigung haben könnte. Im Rückblick muss man natürlich sagen, dass das falsch war. Schon 2014 wurde die europäische Nachkriegsordnung nachhaltig verletzt. Bei allen Konflikten gab es zuvor immer einen Konsens, wonach keine Grenzen souveräner Staaten mit Gewalt verschoben werden dürfen. Russland hat diesen Konsens gebrochen und damit war damals schon klar, dass wir in einer neuen Ära angekommen sind.

Wir waren als grüne Partei nicht für den Tankrabatt, weil ich einfach der Meinung bin, dass das nichts bringt.“

Die falschen Hoffnungen scheinen heute definitiv passé. Kann es mit diesem Russland noch einmal „business as usual“ geben?

Nein. Hier wurden so viele Grenzen überschritten, dass eine Rückkehr zu normalen Beziehungen ausgeschlossen ist. Die russische Führung ist so weit abgedriftet und lässt keinerlei Interesse an einer diplomatischen Lösung erkennen. Für Luxemburg heißt das, dass wir uns auf die neue Situation einstellen müssen. Dazu gehört auch, dass wir die Ukrainer in die Lage versetzen müssen, dass sie sich gegen die Aggression wehren und am Ende den Krieg auch im Interesse von ganz Europa gewinnen können. Auch wir beteiligen uns daran. Wir liefern weiter Waffen und Material, und ich stehe dabei weiter in engem Kontakt mit meinem ukrainischen Amtskollegen. Dennoch ist die Perspektive, dass dieser elende Konflikt noch lange dauern kann, aber leider real. Deshalb ist klar: Eine Rückkehr zur Normalität, wie es sie vorher mit Russland gab, wird so nicht mehr möglich sein.

François Bausch, Jahrgang 1956, ist Minister der Verteidigung, für Mobilität und öffentliche Arbeiten sowie Vizepremier im blau-rot-grünen Kabinett. (Foto: Mike Zenari)

Auf EU-Ebene wird über ein mögliches Öl- und Gas-Embargo gegen Russland diskutiert. Luxemburg hat sich bisher in dieser Frage zurückgehalten, in den Osterferien schien die gesamte politische Klasse abgetaucht zu sein. Welche Position vertritt hier die Regierung?

Wenn sich nichts grundlegend ändert, wird meiner Ansicht nach kein Weg daran vorbeiführen. Ich stelle auch fest, dass sich für viele Staaten die fundamentale Frage stellt, wie sie aus der gefährlichen Abhängigkeit von fossilen Energien herauskommen. Wenn man überhaupt einem Krieg etwas Positives abgewinnen kann, dann ist es die doch rasante Entwicklung hin zur energetischen Transition. Unabhängig von der Dauer des Krieges heißt es: Wir müssen wegkommen von russischem Gas und Öl …

Sie sprechen von der längerfristigen Transition. Die Frage war aber: Wie lautet Luxemburgs Position jetzt, ganz konkret zur Frage von einem Embargo gegen Öl- und Gaslieferungen aus Russland?

Unsere Position lautet: Wenn es dazu eine europäische Linie gibt, und nur eine solche würde Sinn ergeben, dann sehe ich nicht, wie wir uns dem widersetzen könnten.

Das klingt nicht nach einer dezidierten Haltung …

Nein, denn ich bin mir natürlich auch der kurzfristigen Folgen für Luxemburg und für die ganze europäische Wirtschaft bewusst. Wir stehen hier mit dem Rücken zur Wand, das muss man ganz realistisch so sehen. Wir sind als Land zwar weniger abhängig von russischem Gas und Öl als andere Staaten der EU. Doch wir hängen mit drin, vor allem auch an Deutschland. Wenn Deutschlands Wirtschaft kränkelt, dann spüren wir das auch. Deshalb ist eine gesamteuropäische Position in dieser Frage auch alternativlos. Wir lösen diese Situation nur gemeinsam.

Was wir in den vergangenen neun Jahren auf den Weg gebracht haben, ist eine wahre Mobilitätsrevolution.“

Apropos gemeinsame Lösungen. Wie kam es eigentlich dazu, dass eine grüne Partei, die sich für eine ambitionierte Klimapolitik einsetzt, einen Tankrabatt auf Benzin und Diesel beschloss?

Also… Wenn die Klimapolitik davon abhängt, dass wir während vier Monaten einen solchen Rabatt einführen, dann ist diese Klimapolitik so oder so ein ziemliches Desaster. Wir waren als grüne Partei nicht für den Tankrabatt, weil ich einfach der Meinung bin, dass das nichts bringt. Das ist eine symbolische Geste, gewissermaßen aus Empathie für die spürbaren Sorgen vieler Leute. Davon werden allerdings jene Menschen mehr profitieren, die dicke Autos fahren und sich den Sprit dafür immer noch problemlos leisten können. Diese Maßnahme hilft Personen mit niedrigem Einkommen sehr wenig. Deshalb haben wir als Déi Gréng auch in den Tripartite-Verhandlungen gefordert, dass wir stattdessen über den Steuerkredit noch gezielter Niedrigverdiener entlasten sollen. Wir können aber auch mit dieser Maßnahme leben. Es ist ein Kompromiss, der für uns vertretbar ist.

Sie sagen aber, die Maßnahme sei sinnlos …

Ja, sinnlos.

Ein Teil der Regierungspolitik, der viele Millionen Euro kostet, ist also sinnlos?

Regierungspolitik ist immer ein Kompromiss. Bei einer Tripartite sitzen viele Verhandlungspartner am Tisch und am Ende kam ein Paket heraus, das für uns akzeptabel ist. Wäre es nur nach uns gegangen, hätten wir andere Akzente gesetzt.

„Ein Kompromiss, der für uns vertretbar ist“: François Bausch macht keinen Hehl daraus, dass er sich beim „Solidaritéitspak“ andere Akzente gewünscht hätte. (Foto: Mike Zenari)

Der Tankrabatt ist ja aber auch symbolisch für eine Politik, die sich nicht vorrangig am Klimaschutz orientiert. Ausgerechnet eine grüne Partei beschließt eine Subvention von fossilen Energien, von denen Sie ja eigentlich ganz wegkommen wollen, oder nicht?

Ja, das stimmt. Das kann man auch nicht wegdiskutieren. Ich kann aber, wie gesagt, ganz gut damit leben, weil die Maßnahme auf vier Monate begrenzt ist und auch weil wir an anderer Stelle des Abkommens sehr wohl massive Anreize für eine Energiewende umsetzen werden. Der Tankrabatt ist das eine. Mir geht es aber um eine langfristige Strategie, mit der wir bei der Förderung von erneuerbaren Energien Vollgas geben. Das ist eine nicht so sichtbare, aber doch fundamentale Lehre dieser Krise. Wir kommen nicht am grundlegenden Wandel unserer Energiepolitik vorbei und das sehen selbst jene Staaten ein, die bisher auf der Bremse standen. Die Energiewende drängt sich nicht mehr nur aus klimapolitischen, sondern auch aus strategischen und geopolitischen Gründen auf.

Wir schrecken in Luxemburg oft davor zurück, die demokratische Debatte offen und korrekt zu führen.“

Die Episode könnte auch als Beispiel dafür dienen, dass Ihre Partei sich in der Koalition regelmäßig nicht durchsetzen kann. Man könnte sich auch fragen: Warum braucht man eigentlich eine grüne Partei, wenn sie sich in der Kernfrage eines wirksamen Klimaschutzes auf solche Kompromisse einlässt?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Wende in der Klimapolitik nicht vorrangig beim CO2- oder Energiepreis ansetzen soll. Manche Grüne oder Sympathisanten unserer Partei sehen das vielleicht anders. Mir geht es aber darum, zuerst realistische Alternativen zu schaffen. Deshalb haben wir im Bereich der Mobilität über die Jahre so viel umgesetzt. Was wir in den vergangenen neun Jahren auf den Weg gebracht haben, ist eine wahre Mobilitätsrevolution. Das Ziel einer Regierung, und auch einer grünen Partei, darf hingegen nicht sein, die Leute zu quälen oder immer mit dem moralischen Zeigefinger zu belehren. Ich will, dass die Menschen ihre Gewohnheiten verändern. Und sie sind dazu bereit, wenn die Alternativen dazu bestehen. Das ist der Fokus unserer Politik.

Sie sind also nicht nur ein Anhänger der sanften Mobilität, sondern auch des sanften Politikwechsels?

Nein, aber ich bin ein Anhänger von positiven Visionen. Das Umdenken zu fördern und praktisch möglich zu machen, ist der erfolgsversprechende Weg. Wenn wir attraktive und hochwertige Infrastruktur für alternative Mobilität anbieten, dann steigen die Leute auch um. Moralische Appelle bringen uns nicht weiter. Es kann auch nicht nur darum gehen, den CO2-Preis immer teurer zu machen. Im Gegenteil würden mit einer solchen Politik die Widerstände und sozialen Probleme riesige Ausmaße annehmen, die wir nicht mehr bewältigt bekommen. Da bin ich radikal dagegen. Frankreich und die Bewegung der „Gilets jaunes“ sind da ein warnendes Beispiel. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die CO2-Steuer ist richtig und ein wichtiger, psychologischer Nebeneffekt. Viel wichtiger ist aber, wie gesagt, dass wir das Geld in die Hand nehmen und die Alternativen zu fossilen Energien aktiv fördern. Und das machen wir.

François Bausch ist seit 1986 Mitglied von Déi Gréng. Nach den kommenden Wahlen will der 65-Jährige nicht mehr für ein Ministeramt zur Verfügung stehen. (Foto: Mike Zenari)

Und doch bleibt der Eindruck, dass die Grünen sich in dieser Koalition weniger profilieren können als andere Parteien. Verstehen Sie, warum der Eindruck entsteht oder ist das für Sie völlig abwegig?

Ich kann alles nachvollziehen, ich bin aber anderer Meinung. Man muss die Regierungspolitik doch immer als Ganzes sehen. Wir setzen uns nie zu 100 Prozent durch, das ist normal und das sieht man auch am Resultat der Tripartite. Aber wir setzen immer wieder wichtige Akzente, die sich sehen lassen können. Ich kommuniziere das vielleicht nicht immer so nach außen, aber darum geht es auch nicht. Von einer guten Kommunikation allein kann man sich in der Politik auch nichts kaufen.

Das ist ja aber ein weiterer Vorwurf, der oft an Sie herangetragen wird. Kritik aus den Reihen der Koalitionsparteien wird quasi nie öffentlich geäußert. Ist das nicht auf Dauer ein Problem, das der demokratischen Debatte im Land schadet?

Das ist richtig. Ich bin aber auch sehr dagegen, dass Regierungspolitiker die Debatte anheizen, indem sie sich auf Kosten anderer profilieren. Das hatten wir ja jetzt auch nach der Tripartite, als man von verschiedener Seite in den sozialen Medien lesen konnte, dass ein Einzelner für eine bestimmte Maßnahme ganz allein verantwortlich sei. Das ist ja auch keine fruchtbare Debatte. In der Tat sehe ich es aber auch so, dass es an einer ehrlichen öffentlichen Auseinandersetzung in der Substanz mangelt. Wir schrecken in Luxemburg oft davor zurück, die demokratische Debatte offen und korrekt zu führen. Das ist eine politische Kultur, die uns fehlt. Das stimmt. Ich bin auch der Meinung, dass der Hang zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien die Lage nicht unbedingt verbessert.

Die allermeisten Menschen im Land suchen und wollen einen Konsens, davon bin ich überzeugt.“

Inwiefern trifft die Diagnose auch auf Ihre Partei zu? Auf Parteitagen halten sich die kritischen Stimmen bei Déi Gréng doch mittlerweile sehr in Grenzen. Das war schon mal anders …

Parteien müssten es generell besser hinkriegen, kontroverse Debatten zu führen und auszuhalten. Ich bin da auch manchmal über meine eigene Partei frustriert. Wir haben etwa eine eigene Stiftung, die eigentlich genau diese Rolle einer Denkfabrik übernehmen soll. Gerade in Krisenzeiten wird aber fast alles vom Alltagsgeschäft überschattet. Das gilt sowohl für die Parteizentralen als auch für die Fraktionen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir alle eine solche Debatte möglich machen müssen. Es kann auch nicht sein, dass eine kritische Diskussion in der Politik oder in den Medien direkt als parteiinterner Streit aufgefasst wird. Andere Meinungen gehören dazu, und ich habe das ja auch in diesem Gespräch an manchem Beispiel deutlich gemacht.

Geht die Kritik an Ihrer Partei nicht auch auf ein grundlegendes Missverständnis zurück? Manche Sympathisanten erwarten von den Grünen eine sehr progressive, radikal ökologische oder einfach eine linke Politik. Doch die Mandatsträger der Partei sind schon seit mehreren Jahren auf einem anderen Kurs …

Natürlich haben sich Déi Gréng über die Jahre ihrer Existenz enorm verändert. Ich finde, eindeutig zum Positiven, aber das sieht vielleicht nicht jeder so. Jede Partei muss sich entscheiden, ob sie gestalten will und damit zwangsläufig das Feld der politischen Unschuld verlässt. Oder ob sie lieber immer in der Opposition bleibt, dann wohl meistens mit zwei oder drei Parlamentariern. Dann kann man natürlich ewig die reine Lehre vertreten. Ich respektiere jeden, der dieser Auffassung ist. Ich frage mich aber auch immer: Gibt es eigentlich wirklich so viele Anhänger einer radikalen linken Politik, die keine Kompromisse eingehen soll? Ich bezweifle das und das zeigen auch die Wahlresultate. Die allermeisten Menschen im Land suchen und wollen einen Konsens, davon bin ich überzeugt.


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