François Bausch will auch in seinen neuen Ämtern Akzente setzen. Ein Gespräch über Sinn und Zweck der luxemburgischen Armee, die Rolle des Großherzogtums im globalen Drohnenkrieg der USA und darüber, wie man als Grüner überhaupt zum Verteidigungsminister wird.
Interview: Christoph Bumb und Charlotte Wirth
Herr Bausch, Sie haben den Protest von Tilly Metz und anderen EU-Abgeordneten auf einem Atomwaffen-Stützpunkt als „unrechtmäßig“ bezeichnet. Gleichzeitig haben Sie sich als Politiker stets gegen eine Aufrüstung in Europa ausgesprochen. Darf man davon ausgehen, dass Sie die Forderung nach einer atomaren Abrüstung teilen?
Ja, ganz klar. Ich bin davon überzeugt, dass die Theorie der Abschreckung äußerst zweifelhaft ist. Es kann nur eine Strategie geben: Alles dafür zu tun, dass Nuklearwaffen eines Tages komplett verschwinden. Ich weiß aber auch, dass das einfacher gesagt ist als getan. Zumal in einer Welt, in der nicht jeder unser Verständnis von Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilt.
Stichwort „Einfacher gesagt als getan“: Das gilt für Luxemburg wohl noch mehr als für andere Staaten. Welche Mittel hat man als luxemburgischer Minister, um überhaupt Einfluss auf den Lauf der weltpolitischen Dinge auszuüben?
Wir müssen an vorderster Front stehen und uns dafür stark machen – sei das in der NATO oder in bilateralen Gesprächen. Wir sind nicht größenwahnsinnig, wir glauben nicht, dass wir die Welt retten können. Wir sind als kleines Land auch am wenigsten verdächtig, eine andere Entwicklung anzustreben. Aber wir sind mit unserer Einstellung nicht allein unter unseren Verbündeten. Man muss sich bewusst sein, dass es aktuell auch andere Tendenzen gibt. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen der Haltung der USA oder Russlands einerseits und der großen Mehrheit der Europäer, die sich für eine nukleare Abrüstung engagieren.
Ich war nie ein Pazifist. Am Anfang meines politischen Wirkens war ich eher Teil der extremen Linken. Da habe ich auch Revolutionen unterstützt.“
Und doch ist auch Luxemburg in der Logik der NATO-Strategie der „nuklearen Teilhabe“ eingebunden. Die in Europa stationierten US-Atomwaffen sollen sogar modernisiert werden – manche würden es aufgerüstet nennen. Wie realistisch ist da die Forderung nach dem Gegenteil?
Wenn ich als Politiker nicht mehr daran glauben würde, dass eine Abrüstung machbar ist, sollte ich besser zurücktreten. Ich bin überzeugt davon, dass Fortschritte möglich sind. Die Meinung der betreffenden Länder kann sich sehr schnell ändern, das sollte man nicht vergessen. Dann sind auch andere politische Perspektiven möglich. Mein Eindruck ist, dass der Diskussionsprozess innerhalb der NATO über mögliche Maßnahmen zur Abrüstung noch nicht abgeschlossen ist.
Anders gefragt: Hat die NATO überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?
Ich denke schon, dass wir eine Allianz zur Verteidigung brauchen. Ich war aber auch immer der Meinung, dass man diese Allianz nach dem Ende des Kalten Krieges hätte komplett neu aufbauen müssen. Dann wäre man nicht in der Philosophie des Kalten Krieges verhaftet geblieben. Das ist es ja, was heute noch in manchen Hinterköpfen steckt. Wir sind aus dem alten Konfrontationsdenken nie richtig heraus gekommen. Wenn es nach mir geht, sollte man die NATO zumindest reformieren. Die NATO soll ein Verteidigungsbündnis sein und keine offensive Allianz. Wir müssen uns besser an die veränderte Situation der Welt anpassen.
Sie sprechen von Abrüstung, gleichzeitig steigert Luxemburg stetig seine Verteidigungsausgaben. Wie passt das zusammen?
Also, wir befinden uns ja immer noch in einem Rahmen, der bescheiden ist. Wir sind jetzt bei 0,6 Prozent Ausgaben des BIP und werden demnächst bei 0,7 Prozent sein. Hinzu kommt, dass wir in Luxemburg mit diesen Ausgaben Einrichtungen modernisieren, die nun einmal viel Geld kosten. Ein Armeedepot, ein Schießstand und mehr: Das sind alles keine offensiven militärischen Anlagen.

Ihr Vorgänger Etienne Schneider hat einmal gesagt, dass die NATO-Partner wohl erstaunt wären, wenn Sie wüssten, was in Luxemburg alles als Verteidigungsausgaben durchgeht …
Ich bin doch erstaunt. Island ist auch in der NATO, hat aber überhaupt kein Militärbudget. Es wird sicher versucht, Druck auszuüben. Davon sollte man sich aber nicht beeindrucken lassen. Man darf nicht vergessen: Die zwei Prozent des BIP, die man für Verteidigung ausgeben soll, sind eine Richtlinie. Die muss nicht jedes Land unbedingt erfüllen. Natürlich machen die USA Druck auf ihre Partner, um eine gerechtere Verteilung der Lasten zu erreichen. Aber es ist doch absurd, wenn man ein Land von der Dimension der Vereinigten Staaten mit einem Kleinstaat wie Luxemburg gleichsetzen will. Selbst wenn wir uns darauf einlassen würden, müsste ich ja morgen anfangen, einen Militärflughafen und ein paar Militärflugzeuge zu kaufen. Das ist doch alles Quatsch.
Ich denke nicht, dass der luxemburgische Staat eine Verantwortung hat, in dem Sinn, dass er haftbar gemacht werden könnte. Wir haben aber auch eine moralische Verantwortung.“
Luxemburg investiert auch seit Jahren in Satelliten. Wie bewerten Sie diesen Beitrag zur globalen Militärkapazität?
Da gibt es Dinge, auf die man aufpassen muss. Ich bin dabei, mir das alles im Detail anzuschauen. Für mich ist es wichtig, dass wir uns möglichst viele Garantien geben, dass diese Technologien nicht für Dinge eingesetzt werden, die ich nicht gutheiße. Das ist natürlich nicht einfach …
Ist es überhaupt möglich?
Das weiß ich nicht. Lassen Sie es mich so sagen: Wir sind zwar nicht unmittelbar verantwortlich. Doch man kann auch moralisch verantwortlich sein. Das schaue ich mir wie gesagt jetzt genau an. Die Beteiligungen, die jetzt da sind, kann ich nicht rückgängig machen. Aber ich will alles dafür tun, dass wir hier besser aufpassen.
Was heißt das jetzt konkret?
Das gilt für alles, was im Verantwortungsbereich des Verteidigungsministers liegt. Ich will in den kommenden fünf Jahren dafür sorgen, dass wir Initiativen ergreifen, die erstens in Luxemburg angesiedelt sind und zweitens den reinen Verteidigungscharakter widerspiegeln. Luxemburgs Armee kann bei Missionen ihre Stärken vor allem bei logistischen Aufgaben und bei der Observation ausspielen. Dies ermöglichen heutzutage eben auch satellitengestützte Drohnen.
Die Nutzung von Satelliten betrifft ja aber eben nicht nur passive Überwachungsmissionen. Sie sind doch lange genug in der Politik, um zu wissen, um was es geht. Muss man da nicht als Minister klar Position beziehen?
Ich meine damit vor allem die Frage der bilateralen Verträge. Bisher gibt es solche im Satellitenbereich ja noch nicht. Es gibt einige Anfragen und wir stellen auch mit „GovSat“ Kapazitäten in Afghanistan zur Verfügung. Doch zwischen Staaten gibt es noch keine solchen Verträge.
Es geht doch auch darum, dass das Unternehmen SES mit seinen Satelliten verschiedene Drohnenmodelle unterstützt, die auch militärisch etwa für gezielte Tötungen genutzt werden können. Der luxemburgische Staat ist Mehrheitsaktionär bei der SES. Sie haben eben von einer moralischen Verantwortung gesprochen. Fühlen Sie die heute auch persönlich?
Ich denke nicht, dass der luxemburgische Staat eine Verantwortung hat, in dem Sinn, dass er haftbar gemacht werden könnte. Wir haben aber auch eine moralische Verantwortung. Diese Aktivität ist auch mit gewissen Risiken für das Image Luxemburgs verbunden. Wenn bei irgendeiner Mission ein Kollateralschaden entsteht, dann kann das auch Konsequenzen für unser Image und sogar für unsere Sicherheitslage haben. Deshalb mache ich mir da tatsächlich Sorgen. Die Situation ist heute, wie sie ist. Aber ich will das ganz sicher stärker thematisieren.
Solange die Welt so ist, wie sie ist, und die Menschen so sind, wie sie immer schon waren, brauchen wir eine Armee.“
Sie haben die Prioritäten für Auslandsmissionen der Armee angesprochen. Per Gesetz sollen Möglichkeiten zur Beteiligung Luxemburgs an militärischen Operationen ausgebaut werden. Widerspricht das nicht Ihrem Ansatz, wie Sie Ihn beschrieben haben?
Es handelt sich hier um eine Verwechslung. Mit dem Gesetz, das im Parlament diskutiert wird, werden nicht die Missionen definiert, sondern die Bedingungen, unter denen die Armee entsendet und stationiert werden kann. Das Gesetz über friedenserhaltende Operationen stammt aus dem Jahre 1992 und ist offensichtlich veraltet. Es geht unter anderem darum, eine klare gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die Gründe zur Entsendung von Soldaten klar zu definieren. Déi Lénk sagen jetzt, dass wir die parlamentarische Kontrolle abschaffen wollen, aber das ist natürlich nicht richtig …
Aber die Prozeduren werden doch schon vereinfacht …
Es wird vereinfacht, ja. Das liegt unter anderem daran, dass es in der Vergangenheit sinnvolle Missionen gab, bei denen wir nicht mitmachen konnten. Das gilt auch für humanitäre Krisen. Wenn uns unsere belgischen Partner zum Beispiel fragen, ob wir nach einem Erdbeben in Pakistan mit dem Militärflugzeug A400M und Soldaten behilflich sein können, können wir doch nicht sagen, dass wir jetzt erst mal sechs Monate brauchen bis die Prozedur durchlaufen ist. Das geht einfach nicht.
In der einleitenden Begründung des Gesetzes werden ja aber auch ganz andere Beispiele angeführt. Zum Beispiel wird die Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat ausdrücklich erwähnt. Das sind dann ja aber keine humanitären Einsätze mehr …
Das ist auch etwas, was mir in den Diskussionen mit den Abgeordneten eingeleuchtet hat. Diese Beispiele wurden nicht glücklich gewählt, um den Grund der Reform zu untermauern. Ich habe den Mitgliedern der zuständigen Kommission deshalb versprochen, dass wir uns noch einmal anschauen, wie das unsere Nachbarländer gelöst haben. Auf dieser Grundlage sollten wir dann die Missionen der Armee und deren gesetzliche Grenzen klar regeln. Dazu gehört auch, dass man die Prozeduren an die Charakter der Missionen anpasst. Wenn es um Kampfeinsätze geht, muss die Prozedur der Beratung und Beteiligung des Parlaments zwingend sein.
Nur um das klar zu machen: Solche Kampfeinsätze werden nicht ausgeschlossen?
Nein, aber das ist beim aktuell gültigen Gesetz auch nicht der Fall. Im Kosovo und in Bosnien wurde der Frieden mit Gewalt, mit Bomben und kämpfenden Soldaten durchgesetzt. Das ist also nichts Neues. Es geht darum, die Missionen klar und möglichst konkret zu beschreiben: Für humanitäre Missionen in Krisengebieten sollte es reichen, wenn die Regierung die außenpolitische Kommission im Parlament konsultiert. Auch bei Initiativen, um nach einem Konflikt in einem Land Sicherheitskräfte auszubilden, werden wir uns sicher schnell einig. Wenn es aber um „peace enforcement“ geht, haben wir es mit einem anderen Risiko zu tun. Da bin ich ganz klar dafür, dass das Parlament vor der Entsendung von Soldaten einen Beschluss fassen muss. Ich bin offen, das alles zu diskutieren.
Déi Lénk sehen das etwas kritischer …
Ich denke, Déi Lénk haben das Bedürfnis verspürt, wohl auch vor dem Hintergrund vom Protest von Tilly Metz, mich als grünen Kriegsminister darzustellen. Ich bin kein Kriegsminister. Das besagte Gesetz stammt nicht einmal von mir. Ich habe es natürlich im Ministerrat mitgetragen, aber es stammt nicht aus meiner Feder. Ich bin offen, hier noch einmal über alle Punkte zu diskutieren. Wir wollen aber auch ein sauberes Gesetz, das der Realität von heute und nicht jener von 1992 entspricht.

Wenn wir Ihre Leitlinien jetzt zusammenfassen: Für Abrüstung, keine offensiven Missionen, moralische Verantwortung … Wäre es eigentlich so absurd, zu sagen, dass Luxemburg dafür eigentlich keine Armee im eigentlichen Sinne mehr braucht?
Doch, ich denke schon. Aber so, wie ich es eben beschrieben habe: defensiv, auch hier zu Hause. Wir brauchen ja auch im Inland eine gut ausgebildete Armee. Für Katastrophen, aber auch potenziell für andere Krisen. Wir haben Glück, dass wir nie eine Situation hatten wie etwa Frankreich. Aber es gibt keine Garantie, dass wir ewig von einer angespannteren Sicherheitslage verschont bleiben. Solange die Welt so ist, wie sie ist, und die Menschen so sind, wie sie immer schon waren, brauchen wir eine Armee.
Ob es sinnvoll war, den A400M zu kaufen, da habe ich auch heute noch meine Zweifel. Das Flugzeug ist aber vor 20 Jahren bestellt worden. Ich kann jetzt nicht sagen, dass es verschrottet werden soll.“
Muss dazu auch ein teures Militärflugzeug gehören, dass wir noch nicht einmal selbstständig benutzen können?
Es ist nicht schlecht, dass unser Militär auch in der Luftfahrt aktiv ist. Ob es sinnvoll war, den A400M zu kaufen, da habe ich auch heute noch meine Zweifel. Das Flugzeug ist aber vor 20 Jahren bestellt worden. Ich kann jetzt nicht sagen, dass es verschrottet werden soll. Wir müssen jetzt schauen, dass wir es sinnvoll nutzen. Generell sollten wir aber Material kaufen, das wir auch zivil nutzen können. Das Beispiel der zwei neuen Helikopter finde ich super, weil auch die Polizei sie gebrauchen kann. Das sollte auch die Leitlinie für die Zukunft sein.
Wenn es überhaupt um den Zweck einer Armee geht, waren Sie ja früher anderer Meinung, oder?
Nein. Ich war nie ein Pazifist, der sagt, dass man Waffen nie benutzen darf. Am Anfang meines politischen Wirkens war ich eher Teil der extremen Linken. Da habe ich auch Revolutionen unterstützt, zum Beispiel in Nicaragua. Mein Grundprinzip lautet, dass man alles dafür tun muss, um Konflikte zu vermeiden. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass sich Menschen gegen Diktaturen wehren können müssen. Womit ich nicht für Bürgerkriege bin. Aber es gibt Situationen, in denen es nötig ist, wenn man demokratische Rechte und Freiheiten verteidigen will. Manchmal geht das nur auf eine Art und Weise, über die ich nicht froh bin. Ich bin nicht naiv.
Eine andere Frage: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie jetzt Polizei- und Verteidigungsminister sind?
Das war das Resultat von langen Diskussionen in den Koalitionsverhandlungen. Es ging darum, dass wir als Grüne unserem Wahlresultat entsprechend behandelt werden. Unsere wichtigste Forderung war, dass wir unsere Ressorts behalten. Zudem wollten wir die Ressorts Energie und Kultur. Beim Wohnungsbau waren wir nicht abgeneigt. Dann kommt es in Verhandlungen aber auch zum Punkt, wo unsere Partner uns sagen: „Um ein Gleichgewicht zwischen den Parteien herzustellen, müsst ihr auch Bereiche übernehmen, die vielleicht nicht klassisch zu euch passen. Ihr bekommt eure Wunschressorts, aber dann auch die Verteidigung und die innere Sicherheit.“
Aber warum traf es letztlich Sie? Warum nicht Felix Braz?
Auch da gab es lange Diskussionen. Es war eine Option, dass Felix Braz die innere Sicherheit übernehmen könnte. Da haben wir uns aber schnell daran erinnert, dass wir die Vermischung zwischen Justiz, Polizei und Verteidigung als Oppositionspartei immer abgelehnt haben. Dann wäre es möglich gewesen, einer neuen Ministerin die Ressorts anzuvertrauen. Da es sich dabei aber nicht um einfache Politikbereiche handelt, habe ich mich zur Verfügung gestellt. Mir war allerdings wichtig, die Mobilität und die öffentlichen Bauten als Ressorts zu behalten. Ich habe Lust, in diesen mir sehr wichtigen Bereichen die angefangenen Initiativen weiter zu gestalten.
Bei dieser Regierung fällt jetzt aber auf, dass manche Minister – wie Sie – sehr unterschiedliche Bereiche verantworten, die nicht unbedingt zueinander passen. Hätte man die zweite Auflage dieser Koalition nicht dafür nutzen können, um sachlich sinnvollere Synergien zu schaffen?
Das ist nicht falsch. Doch diese Frage stellt sich bei jeder Regierungsbildung. Zu zweit ist es schon nicht einfach, zu dritt ist es noch schwieriger. In der Theorie kann man sich Vieles vorstellen. Doch in der politischen Praxis ist es oft schwer, das konsequent umzusetzen.
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