Luxemburg beteilige sich nicht an Kriegen, lautet die offizielle Position der Regierung. Durch die Satellitenprogramme der SES trägt das Land aber aktiv zum Drohnenkrieg der USA bei. Laut Experten machen die Satellitenbetreiber diese Form der modernen Kriegsführung überhaupt erst möglich.

„Das ist vertraulich.“ Die Antwort aus der Presseabteilung der „Société Européenne des Satellites“ (SES) fällt zunächst knapp aus. Die Frage nach der militärischen Nutzung seiner Satelliten hört der Konzern nicht zum ersten Mal. So haben die Verantwortlichen eine gewisse Erfahrung darin, zu betonen, dass der luxemburgische Satellitenbetreiber nur eine Dienstleistung zur Verfügung stellt, für deren genaue Nutzung letztlich die Kunden verantwortlich seien.

Dass darunter auch militärische Missionen fallen, ist allerdings kein Geheimnis. Zu den Kunden der SES gehört das US-Verteidigungsministerium. Die 100-prozentige Tochtergesellschaft „SES Government Solutions“ bezeichnet sich auf der eigenen Webseite als „führender Anbieter von Lösungen kommerzieller Satellitenkommunikation für die US-Regierung“. Ziel sei es dabei ausdrücklich, die Leistungsfähigkeit von militärischen Missionen der US-Streitkräfte zu erweitern – „no matter where they are“.

SES wirbt mit militärischen Kapazitäten

Dazu gehört nicht zuletzt das Ermöglichen von Drohneneinsätzen. Satelliten der SES unterstützen Missionen verschiedener militärischer Programme, darunter die sogenannten „Predators“, „Gray Eagles“ und „Reapers“, wie es in einem „SES White Paper“ des Jahres 2016 heißt.

Die Bezeichnungen stehen für die üblichen Drohnenmodelle, die vom US-Militär in diversen Einsätzen verwendet werden. Das unbemannte Luftfahrzeug „MQ-9 Reaper“ wird von Experten etwa als „Arbeitspferd“ des US-Drohnenkriegs bezeichnet. Ausgerüstet mit vier „Hellfire“-Raketen sowie zwei lasergesteuerten 500-Pfund-Bomben kann es zusätzlich zu Aufklärungszwecken zur Zerstörung von Gebäuden und Fahrzeugen oder zur gezielten Tötung von Menschen verwendet werden.

Wie das britische „Bureau of Investigative Journalism“ recherchiert hat, seien seit 2004 allein von US-Streitkräften und -Geheimdiensten mindestens 5.846 Drohnenattacken durchgeführt worden, bei denen bis zu 11.650 Menschen getötet worden seien – darunter 751 bis 1.609 Zivilisten und 252 bis 369 Kinder.

Kein Einfluss auf die Nutzung der Satelliten

Dass die SES über ihre Tochterfirma „SES Government Solutions“ Missionen unterstützt bzw. ermöglicht, bei denen Menschen getötet werden können, streitet auch SES-Pressesprecher Marcus Payer auf Nachfrage nicht ab. Sein Unternehmen habe letztlich keinen Einfluss darauf, wie die Kunden das Satellitensystem nutzen.

„Wenn wir einen Vertrag mit einer Fernsehgesellschaft abschließen, können wir als SES auch nicht beeinflussen, was der Sender ausstrahlt. Dafür sind wir nicht verantwortlich“, so Marcus Payer im Gespräch mit REPORTER. Während beim Fernsehen eine Person aber lediglich auf die Fernbedienung drückt, um den Sender zu wechseln, ist es bei Militäreinsätzen ein Soldat, der die Drohnen auf Ziele loslassen kann.

Militärsatelliten Teil des Geschäftsmodells

Das Geschäftsmodell des Luxemburger Konzerns, der 2017 rund zwei Milliarden Euro umsetzte, ist also klar definiert: SES stellt das Satellitennetz zur Verfügung, alles weitere ist den Kunden selbst überlassen. Zum Kerngeschäft des Unternehmens mit Sitz im Schloss Betzdorf zählt freilich die Telekommunikationsbranche.

Doch laut Angaben des Unternehmens hat sich die Auftragslage bei Regierungen in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Laut dem Jahresbericht 2017 gehören zu den Kunden von „SES Government Solutions“ allein 50 Auftraggeber aus 15 US-Regierungsbehörden. Payer präzisiert, dass die SES mit rund 60 Regierungen bzw. staatlichen Institutionen zusammenarbeitet – auch in Europa.

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Durch die SES ist Luxemburg ganz klar in Kriege verwickelt.“Justin Turpel, ehemaliger Abgeordneter von „Déi Lénk“

Anfang November kam eine neue Zusammenarbeit hinzu. Die SES-Tochtergesellschaft „LuxGovSat S.A.“, ein Joint Venture des Luxemburger Staates und der SES, zog ihre erste große Partnerschaft an Land. Gemeinsam mit „Telespazio France“ wird „GovSat“ ab Ende 2018 dem französischen Verteidigungsministerium bestimmte Kapazitäten zur Verfügung stellen. Eine ähnliche Kooperation besteht auch schon mit der belgischen Marine.

Offiziell heißt es in der Pressemitteilung, dass LuxGovSat das französische Militär mit Kommunikationssatelliten unterstützt. Was das genau bedeutet? Dazu gibt es keine genaueren Angaben. „Das wird Ihnen auch niemand erklären wollen“, sagt der Pressesprecher der SES. „Hier geht es um Sicherheitslösungen. Das ist vertraulich“, so Marcus Payer. Für welche genauen Zwecke die Kapazitäten genutzt werden können, wollten auf Nachfrage von REPORTER weder LuxGovSat noch Telespazio France kommentieren.

Das Gesetz und die unmögliche Kontrolle

Im Gesetz über die Gründung von LuxGovSat steht, dass keine Drohnen über das System gesteuert werden sollen („Il importe de spécifier d’emblée que le futur GovSat luxembourgeois est destiné à des fins de communication et non pas au pilotage de drones“). Der Pressesprecher von SES präzisiert aber, dass weder die Tochtergesellschaft LuxGovSat noch SES selbst Einfluss darauf haben, wie ihre Kunden das Satellitensystem nutzen. „Wir stellen nur sicher, dass das System, das wir anbieten, funktioniert.“ Alles andere sei, wie gesagt, „vertraulich“.

Diese Kritik an SES kommt ganz klar aus einer pazifistischen Ecke. Souveräne Staaten, also auch Luxemburg, haben ein Interesse daran, ihr Militär zu unterhalten. Und das verteidigen wir auch.“Marcus Payer, Pressesprecher der SES

LuxGovSat, die Betreiberfirma des Luxemburger Kommunikations- und Militärsatelliten, wurde 2015 ins Leben gerufen, nicht zuletzt weil das Großherzogtum seine Militärausgaben für die NATO erhöhen musste. GovSat-1 startete im Januar dieses Jahres von Cape Canaveral aus ins Weltall. Seine Kapazitäten sollen das Programm „Alliance Ground Surveillance“ (AGS) der Nato unterstützen.

Für LuxGovSat gelten bei diesem Programm wiederum andere Regeln als bei früheren Kooperationen. Drohnen der Nato dürfen beispielsweise auf das System von LuxGovSat zugreifen. In einem zusätzlichen Gesetz hielt die Regierung deshalb fest, dass bei AGS-Missionen die Observationsdrohnen „Global Hawk“ eingesetzt werden. Diese seien aber nicht bewaffnet, präzisiert die Regierung weiter.

Beim Start des GovSat-1 von der Cape Canaveral Air Force Station im US-Bundesstaat Florida: Premierminister Xavier Bettel, Erbgroßherzog Guillaume, Erbgroßherzogin Stéphanie, Vize-Premier und Verteidigungsminister Etienne Schneider, Colonel Marc Assel. (Foto: SIP/Charles Caratini)

Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) hatte noch 2015 im Parlament behauptet, dass eine Nutzung der SES-Satelliten für gezielte Tötungen unmöglich sei, da es sich um reine „Observierungsdrohnen“ handele. Im Fall des Systems „Global Hawk“ trifft das durchaus zu.

Was der zuständige Minister nicht sagte: Bei anderen Kooperationen der SES wird die Unterstützung von Kampfdrohnen ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Generell betont die SES, dass man die genaue Nutzung ihrer Satellitensysteme – auch GovSat – eben nicht kontrollieren könne, was der Darstellung des Ministers widerspricht. Ebenso lässt sich so nicht mit Sicherheit sagen, ob man die besagte Passage aus dem Gesetz einhalten bzw. deren Einhaltung überhaupt kontrollieren kann.

Pragmatismus und „pazifistische Ecke“

Die Kritik, dass es zumindest mittelbar an Kriegseinsätzen der US-Streitkräfte beteiligt sei, kontert das Unternehmen jedoch nicht nur mit Vertraulichkeit, sondern auch mit einer eher politischen Überzeugung. „Diese Kritik an SES kommt ganz klar aus einer pazifistischen Ecke. Souveräne Staaten, also auch Luxemburg, haben ein Interesse daran, ihr Militär zu unterhalten. Und das verteidigen wir auch“, so Marcus Payer. Der Pressesprecher präzisiert jedoch: „Das Satellitengeschäft ist ein Geschäft, bei dem es sowohl um zivile als auch um militärische Konnektivität geht. Und wir bieten unseren Kunden beides an.“

Zu der besagten „pazifistischen Ecke“ gehört wohl auch Justin Turpel. Der ehemalige Abgeordnete (Déi Lénk) kritisiert die SES ebenso wie die Luxemburger Regierung scharf dafür, dass sie Drohneneinsätze unterstützen. „Die Fakten liegen auf dem Tisch. Durch die SES ist Luxemburg ganz klar in Kriege verwickelt.“ Er ist der Meinung, dass durch solche Militäreinsätze Gewalt in Krisengebieten nur noch zusätzlich angeheizt werde.

Am Ende sind immer die Staaten für ihr militärisches Handeln verantwortlich.“Marcel Dickow, Experte für Sicherheitspolitik

Justin Turpel bezweifelt auch, dass die Unternehmen für ihre Militärbeteiligungen zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür gebe es eine viel zu enge Verstrickung zwischen den Gremien der Firmen und der Regierung. „Wer soll diese Betriebe dann überhaupt noch kontrollieren?“, fragt er. „Die Beamten machen das sicher nicht.“

In der Tat sitzen einige Spitzenbeamte in den Verwaltungsräten von der SES. Der Staat hält 11,58 Prozent an der SES, über den Weg der 100-prozentigen Staatsbanken BCEE und SNCI kommt sie auf exakt ein Drittel der Anteile. Mitglieder im Verwaltungsrat sind unter anderem: Jean-Paul Zens, Jean-Paul Senninger, Anne-Catherine Ries sowie Pierre Goerens (als Regierungskommissar), allesamt Berater von Premier Xavier Bettel (DP) im Staatsministerium. Auch Statec-Direktor Serge Allegrezza (für die SNCI) und Spuerkeess-Chefin Françoise Thoma (für die BCEE) sind in den Aufsichtsgremien der SES vertreten. Bei GovSat, wo der Staat unmittelbar 50 Prozent der Anteile hält, sind es Patrick Heck (Direktor im Verteidigungsministerium) und Jacques Thill (stellvertretender Generalsekretär des Regierungsrats).

US-Firma in Luxemburg auf schwarzer Liste

Auch der Bau des GovSat-1 Satelliten sorgte für Kritik. Produziert wurde er von der US-Firma Orbital ATK, die auf der schwarzen Liste des staatlichen Rentenfonds („Fonds de compensation commun au régime général de pension“ – FDC) geführt wird. Der Grund: Das Unternehmen ist für die US-Armee im Bereich der Atomwaffen aktiv.

Die Erklärung von Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage: Orbital ATK sei zwar auf der Ausschlussliste des FDC wegen seinen Atomwaffenprogrammen. Das habe aber nicht mit seinen Aktivitäten im Bereich der Raumfahrt zu tun. Gleiches Argument liefert auch Patrick Biewer, CEO von LuxGovSat, auf Nachfrage von REPORTER.

Die Frage der politischen Verantwortung

Für Kritiker der militärischen Aufrüstung wie Justin Turpel gibt es indes keinen Zweifel: Durch die Beteiligungen an SES und LuxGovSat sei der Staat letztlich auch mitverantwortlich für die Strategie der Unternehmen, die eben auch die militärische Nutzung von Satelliten, und damit mögliche „gezielte Tötungen“ per Drohnen umfasst. Seine Partei fordert deshalb seit geraumer Zeit, das militärische Satellitenprogramm der SES zu beenden.

Unabhängige Experten äußern sich in dieser Frage differenzierter. Entscheidend sei, auf welcher Ebene man die Frage der Verantwortung stellt, sagt Marcel Dickow von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin. „Am Ende sind immer die Staaten für ihr militärisches Handeln verantwortlich“, so der Experte für Rüstungs- und Sicherheitspolitik.

Nur wenn es ans Töten geht, müssen die Auftragnehmer abgelöst werden. Den Knopf drücken die anderen – das muss ein Soldat machen.“
Pratap Chatterjee, Journalist und Autor von „Drone, Inc.“

Allerdings könnten in Extremfällen, etwa bei Kriegsverbrechen, „auch andere Beteiligte zur Rechenschaft gezogen werden“, so Dickow weiter. Es sei aber in jedem Fall „schwer nachzuweisen, ob oder inwiefern ein Telekommunikationsunternehmen da mit involviert ist“. Einerseits seien die Daten, die über die Satelliten der Firma übertragen werden, verschlüsselt. Andererseits würden diese Daten nicht gespeichert werden.

Letztlich müsse laut Marcel Dickow jedes Unternehmen ethisch für sich entscheiden, ob es sich an solchen militärischen Operationen beteiligen will. Hinzu komme, dass sich diese Firmen selbst angreifbar machen. In einer ausgeweiteten Konfliktsituation zwischen hochtechnologisierten Staaten wären Satelliten eine erste Angriffsfläche und unter Umständen „ein legitimes Ziel“ in einer militärischen Konfrontation.

Das „täglich Brot“ der Satellitenfirmen

Der Experte weist aber auch auf das enorme wirtschaftliche Potenzial für die Satellitenbetreiber hin. „Es ist das tägliche Brot von Kommunikationsdienstleistern.“ Und das Geschäft werde in absehbarer Zeit auch nicht kleiner. „Die Staaten kaufen Bandbreiten ein, auch weil sie so viele Drohnen haben, dass ihre Kapazitäten gar nicht ausreichen“, so Dickow. Dabei könnten sich Unternehmen eben nicht zusichern lassen, wie die Bandbreiten ihrer Satelliten genutzt werden. Noch entscheidender sei aber: „Die Streitkräfte würden sich auch gar nicht darauf einlassen.“

Auch Pratap Chatterjee betont die wirtschaftlichen Interessen jener Unternehmen, die sich mit den Militärs dieser Welt einlassen. Der Journalist hat unter anderem über Firmen berichtet, die in den Kriegen Afghanistan mit der US-Regierung Geschäfte machten. In seinem rezenten Buch „Drone, Inc.“ beschreibt Chatterjee im Detail die Ausmaße des globalen Drohnenkriegs der USA sowie die Rolle von privaten Firmen.

Moderne Kriegsführung wäre sonst gar nicht machbar.“Marcel Dickow, Experte für Sicherheitspolitik

Dabei seien einerseits große europäische Rüstungskonzerne involviert, aber auch „Satellitenfirmen – etwa Intelsat oder SES, die in Luxemburg sitzen“, so Chatterjee im Interview mit „Spiegel Online“. „Die Daten der Drohnen werden über Satelliten in die USA geschickt. Die amerikanischen Militärsatelliten sind allerdings überlastet. Deswegen nutzt die US-Armee die europäischen Stationen.“ Weite Teile der Drohnenprogramme seien mittlerweile an private Unternehmen ausgelagert worden; nur eines dürfen diese Firmen nicht: Ziele angreifen. „Nur wenn es ans Töten geht, müssen die Auftragnehmer abgelöst werden. Den Knopf drücken die anderen – das muss ein Soldat machen.“

Unternehmen wie SES tragen dennoch eine gewisse Eigenverantwortung. Denn sie könnten diese Nutzung einfach verhindern, indem sie nicht mehr mit Kunden zusammenarbeiten, die Drohnen als Kriegsmittel einsetzen. Doch die beteiligten Firmen „wollen das offenbar gar nicht, weil dies lukrative Verträge sind“, so Pratap Chatterjee.

Doch auch die Armeen dieser Welt seien mittlerweile auf die Satellitenbetreiber angewiesen, betont Marcel Dickow. In weit entfernten Einsatzgebieten bzw. in Ländern ohne die nötige Infrastruktur, sei die Kommunikation über Satelliten unerlässlich. Militärische Einsätze wie in Afghanistan oder im Mali seien ohne Satellitenunterstützung undenkbar. „Moderne Kriegsführung wäre sonst gar nicht machbar.“