Im Rekordtempo reagierten Regierung und Sozialpartner auf die Energiekrise. Klimaschutz war offenbar keine Priorität. Dabei wird die Zeit zum Handeln immer knapper. Und Luxemburg tut sich ohnehin schwer, eine ambitionierte Klimapolitik konsequent umzusetzen. Eine Analyse. 

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Die Regierung beschließt mit den Sozialpartnern eine Spritpreissenkung. Nicht einmal eine Woche später veröffentlicht der Weltklimarat einen Bericht, wonach der Welt nur noch drei Jahre bleiben, um das Schlimmste abzuwenden. Die nicht ganz neue Botschaft: Die CO2-Emissionen müssen verringert werden – und zwar drastisch. Je länger entsprechende Maßnahmen verschleppt werden, desto schwieriger wird es, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Doch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stellt die bisherigen Vereinbarungen zum Klimaschutz infrage. Die Energieversorgung Europas war seit der Ölkrise vor fast 50 Jahren nicht mehr dermaßen bedroht. Eigentlich sollte die sichere Versorgung aus Russland einen kontinuierlichen Umstieg auf erneuerbare Energiequellen ermöglichen, so die politische Begründung. Um einem kompletten Ausfall zuvorzukommen, überlegen stattdessen nun mehrere Länder, die Laufzeit von Kohlekraftwerken zu verlängern. Auf die Energiekrise wird nun mit reichlich Geld für ärmere Haushalte und energieintensive Unternehmen reagiert. Dies aber geht zwangsläufig auf Kosten der Klimapolitik.

„Langfristig“ ist nicht mehr angebracht

Gleichzeitig wird eine rasche Energiewende von der Politik als unmögliches Unterfangen bezeichnet. Selbst die grüne Co-Parteivorsitzende Djuna Bernard verteidigte die Regierungspolitik damit, dass neben der Spritpreisreduzierung auch mehrere Maßnahmen für die Energiewende beschlossen wurden, um „langfristig die nötigen Schwerpunkte zu setzen“. Sie glaube, so die Abgeordnete von Déi Gréng im Interview mit „Radio 100,7“, „das spiegelt sich auch in diesem Maßnahmenpaket wider“.

Zur Erinnerung: Laut dem Weltklimarat führen die bereits beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen zu einer Erderwärmung von 3,2 Grad. Allein das Festhalten daran wäre ein Katastrophenszenario für die Welt. Kein Land bliebe mehr verschont; Ernteausfälle, Hungersnöte und extreme Wetterereignisse würden laut den Wissenschaftlern immer häufiger auftreten. In Paris einigten sich die Regierungen 2015 auf eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Und selbst dieses Ziel würde die Wahrscheinlichkeit von extremen Wetterereignissen noch erhöhen.

Angesichts der Dringlichkeit der globalen Erwärmung ist also kaum noch Zeit für „langfristige“ Maßnahmen. Die Handschrift der Grünen im Tripartite-Abkommen ist auch nur mit Mühe erkennbar. Bei aller Koalitionsräson und der Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs der hohen Energiepreise kann Luxemburgs Regierung das Offensichtliche nicht leugnen: Ihr „Solidaritéitspak“ ist ein weiterer Rückschritt in Sachen ambitionierter und glaubwürdiger Klimaschutzpolitik.

Fahrpläne, Anreize und ein Trostpreis

Dabei ist die Energiewende in der Tat eine große Herausforderung, vor allem für die Industrie. Laut dem Luxemburger Regulierungsinstitut (ILR) sind fast 200 Unternehmen für mehr als die Hälfte des nationalen Stromverbrauchs verantwortlich. Zudem müssen manche Industrien ihren Energieverbrauch von Gas auf Strom umstellen. Beim Erdgasverbrauch ist die Verantwortung der Industrie umso deutlicher. Gerade mal fünf Industriebetriebe machen hier ein Viertel des Gesamtverbrauchs aus.

Ausgerechnet für diese Unternehmen gibt es jedoch noch keinen Fahrplan, wie die Energiewende gelingen soll. Zwar hat sich die Regierung als Ziel gegeben, bis 2030 die Hälfte der Emissionen in der Industrie einzusparen. Die nötigen Maßnahmen lassen aber noch auf sich warten, wie Reporter.lu berichtete.

Private Haushalte sind laut ILR hingegen für rund 15 Prozent des Stromverbrauchs und für ein Drittel des Gasverbrauchs verantwortlich. Zudem heizt weiterhin ein Viertel der Haushalte mit Heizöl. Insgesamt schätzte das Energieministerium den Endverbrauch von Wohnungen für das Jahr 2018 auf mehr als 6.000 Gigawattstunden (GWh). Um die Klimaziele der Regierung zu erreichen, müsste der Verbrauch bis 2030 auf 4.600 GWh und bis 2040 auf 2.700 GWh reduziert werden – bei einer gleichzeitig steigenden Bevölkerung. Die Ziele sind ehrgeizig und könnten dennoch nicht ausreichen.

An Zielen und Ambitionen mangelt es Blau-Rot-Grün nicht. Doch bei der konkreten Umsetzung ist die Bilanz gemischt. (Foto: Mike Zenari)

Die Regierung setzt deshalb seit 2016 auch auf finanzielle Anreize für Immobilienbesitzer zur energetischen Sanierung ihrer Wohnungen. Das Programm ist ein Grundpfeiler für die Energieeinsparungen der Haushalte. Doch vor allem bei Geringverdienern hielt sich der Erfolg bisher in Grenzen. Gerade einmal 20 Anträge wurden zwischen 2017 und 2020 eingereicht, um die Sanierung über einen „Klimakredit“ ohne Zinssatz vorzufinanzieren. Die Maßnahme wurde nun auch auf Besserverdiener ausgeweitet.

Zudem wurden die Anreize erhöht. Ende März verabschiedete das Parlament eine Überarbeitung der „Prime House“-Initiative. Demnach können die Kosten für den Austausch einer Heizölheizung durch eine Wärmepumpe zu 80 Prozent vom Staat übernommen werden. Im Schnitt liege der Wert jedoch eher bei 60 Prozent, heißt es aus dem Energieministerium. Die Hilfe soll nun auf bis zu 100 Prozent steigen. Es ist eine der wenigen Maßnahmen im Tripartite-Abkommen, bei denen die Grünen sich im Sinne des konkreten Klimaschutzes durchsetzen konnten. Ein Trostpreis angesichts der bevorstehenden Herausforderung.

66 Millionen Euro für fossile Energie

Je nach Einkommen könnte der Umstieg von Heizöl auf Wärmepumpen also ganz vom Staat getragen werden. Das Wohnungsbauministerium soll die Differenz zwischen den „Prime House“-Prämien und dem Kaufpreis übernehmen. Am Gesetzesprojekt wird noch gearbeitet. Kostenpunkt: zwei Millionen Euro. Es ist die billigste Maßnahme des Tripartite-Abkommens. Im Vergleich dazu soll die Preisreduktion beim Sprit bis Juli und beim Heizöl bis Dezember um jeweils 7,5 Cent pro Liter den Staat 66 Millionen Euro kosten. Für die restlichen Punkte des „Prime House“-Programms ist ein Budget von 13 bis 16 Millionen Euro jährlich veranschlagt. Das bedeutet, mit der Spritpreisreduktion könnten während mehr als drei Jahren Sanierungsprämien vom Staat übernommen werden.

Zum Erreichen der Klimaziele ging das Energieministerium allerdings davon aus, dass die Sanierungsrate schneller voranschreitet als bisher. Offizielle Zahlen existieren nicht, das Energieministerium schätzte aber 2019, dass jährlich die Gebäudehülle von etwa 1.750 Wohneinheiten saniert wird. Diese Zahl müsste sich künftig mehr als verdoppeln. Die Investitionen würden demnach von 84 auf 191 Millionen Euro jährlich steigen. Doch die Frage stellt sich, wer diese Sanierungsarbeiten überhaupt durchführen soll.

 

Laut einer Umfrage des Handwerksverbands aus dem Jahr 2021 sind nämlich acht von zehn Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. „Statt etwa 750 Arbeitskräfte würden circa 2.500 benötigt", schreibt auch das Ministerium in der „Langfristigen Renovierungsstrategie Luxemburg“. Doch gegen diesen Fachkräftemangel wurde von der Regierung wenig unternommen. Zwar führt Minister Claude Meisch (DP) regelmäßig neue Ausbildungsgänge ein, doch an der Attraktivität der Berufe hat dies offenbar kaum etwas geändert. Seit 2016 geht auch die Zahl der Schüler in der Berufsausbildung zurück.

Dabei ist laut dem Klimabericht gerade die Sanierung von Altbauten in Industriestaaten von besonderer Bedeutung. In Luxemburg wird ihre Rolle jedoch laut dem Bericht des Ministeriums etwas abgeschwächt. Ein Grund: Durch die Wohnungskrise werden überdurchschnittlich viele Immobilien im Hinblick auf einen Neubau abgerissen. Demnach führte die Regierung früh hohe Energiestandards für Neubauten ein. Die beiden größten Hebel zur Verbesserung der Klimabilanz in Luxemburg bestehen daher vielmehr beim Transport und der Stromversorgung.

Das Potenzial der Erneuerbaren

Doch auch bei der Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien wird das bisherige Tempo in Luxemburg der Dringlichkeit nicht gerecht. Dabei ist in den letzten Jahren der Preis für den Bau von Fotovoltaik- oder Windanlagen stetig gefallen. Und gerade diese Energiequellen werden im Weltklimabericht als effizienteste und vergleichsweise günstigste Maßnahmen beschrieben. Zwar hat sich die Produktion von erneuerbarem Strom seit 2012 verdreifacht, im nationalen Mix liegt der Anteil jedoch gerade mal bei zehn Prozent. Im Vergleich zu 2020 soll die Solarstromgewinnung nun bis 2040 verfünffacht werden. Dazu hat der Staat im vergangenen Oktober die Einnahmen eines Haushalts aus dem Verkauf seines Stroms zum Teil von der Steuer befreit. Zudem schreibt er jährlich mehrere Großprojekte für Fotovoltaikanlagen aus.

Dabei wird auch die öffentliche Hand ihrer Vorreiterrolle nicht gerecht. Denn während manche Unternehmen bereits auf große Solaranlagen auf ihren Dächern setzen, bleibt aber vor allem beim Staat und den Gemeinden noch viel zu tun. Im Herbst 2021 hieß es von Regierungsseite, dass an diesem Punkt weitergearbeitet werden muss. Aus dem Ministerium von François Bausch (Déi Gréng) ist nun zu vernehmen, dass es einige Fortschritte gab, genaue Zahlen wolle man aber erst im Mai vorlegen. Dafür habe die Regierung allerdings die Sanierung von Gebäuden im Staatsbesitz schneller vorangetrieben als geplant.

Noch schwieriger gestaltet sich jedoch die Förderung von Windenergie. In der nationalen Strategie spielt sie eine untergeordnete Rolle, da die meisten potenziellen Standorte bereits erschlossen wurden, heißt es aus dem Energieministerium. Doch auch Bürgerinitiativen wehren sich zum Teil gegen neue Anlagen. Minister Claude Turmes (Déi Gréng) setzt deshalb zusätzlich auf internationale Partnerschaften wie etwa den Bau von Offshore-Windkraftanlagen im Meer vor Dänemark oder Solarstrom aus Südeuropa.

Und täglich grüßt der Tanktourismus

Dieser Strom wird auch benötigt, um eine weitere Wende einzuleiten. Der Luxemburger Fuhrpark soll genau wie Haushalte und Industrie auf elektrisch umgestellt werden. Für das Erreichen der nationalen Klimaziele ist die Mobilitätswende womöglich der einfachste und größte Hebel. Der Transportsektor ist laut dem Energie- und Klimaplan für fast 60 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Im Vergleich sind es in Deutschland weniger als ein Fünftel aller Treibhausgase.

60 Prozent der CO2-Emissionen: Neben der Energie- spielt auch die Mobilitätswende eine Schlüsselrolle beim Erreichen von Luxemburgs Klimazielen. (Foto: Eric Engel)

Eigentlich sollte die CO2-Steuer dafür sorgen, den Preis für fossile Brennstoffe zu erhöhen, um so den Konsum zu verringern. Durch die Energiekrise stiegen die Preise jedoch schneller als erwartet. Zu schnell, wie es scheint. In den Tripartite-Verhandlungen mussten deshalb die Grünen einer Spritpreisreduktion zustimmen, die faktisch einer Aussetzung der CO2-Steuer gleichkommt. Die Maßnahme steht am offensichtlichsten im direkten Widerspruch mit den eigenen Klimazielen.

Dabei ging die Regierung bereits zuvor sehr zögerlich mit der Einführung einer CO2-Steuer um. Die Preiserhöhung sollte nicht zu stark ausfallen, um weiterhin konkurrenzfähig mit den Nachbarländern zu sein. Auch deshalb bezeichnete die deutsche Umweltorganisation „Germanwatch“ den festgelegten Preis von 20 Euro pro Tonne CO2 als „homöopathisch“. Inzwischen liegt der Preis bei 25 Euro pro Tonne, einen Lenkungseffekt könnte sie aber erst ab 50 Euro erzielen.

Kleines Land, große Verantwortung

Somit bleibt der Klimaschutz das Stiefkind der Tripartite-Verhandlungen. Claude Turmes will weiter auf EU-Ebene über zusätzliche Maßnahmen verhandeln. Der Verbrauch von fossilen Energien könnte kurzfristig etwa durch eine Homeoffice-Pflicht oder eine Senkung des Tempolimits auf den Autobahnen reduziert werden. Dies wäre sowohl für die Energie- als auch die Klimakrise von Nutzen. Doch allein wolle Luxemburg dies nicht beschließen.

Warum Luxemburg hier keine Vorreiterrolle einnehmen kann, konnte Claude Turmes bei „RTL“ nicht erklären. „Es geht nicht darum, dass wir auf die anderen warten wollen. Es geht darum, die Maßnahmen weiter auf politischer Ebene einzusetzen, die uns im großen Ganzen weiterbringen“, so der Minister. Das zaghafte Handeln wird gerne damit begründet, dass Luxemburg allein keinen Einfluss auf den Preis von Erdöl oder Gas habe. Einen Einfluss auf den Klimawandel hat man allerdings schon.

Nur Katar verbraucht jährlich mehr Ressourcen als Luxemburg. Seit dem 14. Februar lebt das Land auf Pump. Auch dies ist wohl nur ein weiterer Kontrast zum zaghaften Handeln und zur Spritpreisreduktion. Im Interview mit Reporter.lu ließ Claude Turmes bereits Anfang des Jahres durchblicken, welche Rolle der Klimaschutz für diese Regierung spielt: "Das, was wir in dieser Koalition beschlossen haben, ziehen wir jetzt bis zum Ende dieser Legislaturperiode durch. Dann kommen Wahlen und dann schauen wir weiter", so der Minister.

Man kann die Turmes-Perspektive noch etwas weiter drehen: Bekanntlich müssen neue Regierungen in ihrem ersten Amtsjahr sich erst einarbeiten, bevor große neue Reformen vorgelegt werden können. Dann bleibt nur noch ein Jahr, bevor der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit seinen Höhepunkt erreicht haben muss, um dann endlich abzunehmen.


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