Die Grünen gelten als Klimaschutzpartei schlechthin. Doch seit sie an der Macht sind, hagelt es regelmäßig Kritik von Umweltverbänden. Der realpolitische Ansatz ist allerdings nicht nur Ausdruck der Koalitionsdisziplin. Er entspricht mittlerweile dem Wesen der Partei.
Hin und wieder gelingt es François Bausch, eine ganze Debatte kurz und bündig auf den Punkt zu bringen. „Das Problem ist weniger, was wir bis jetzt beschlossen haben, sondern, dass wir es auch umsetzen“, sagte der Vizepremier und führende Politiker von Déi Gréng kürzlich im Interview mit „Radio 100,7“. Es ging dabei um die Lehren, die seine Partei und die ganze Regierung aus dem jüngsten Bericht des Weltklimarats ziehen müssten.
In seinen Worten schwang ein Hauch von Selbstkritik mit. Gleichzeitig erteilte Bausch aber eben auch all jenen eine Absage, die sich von Luxemburgs Grünen beim Klimaschutz ein höheres Tempo erwarten. Dazu gehören etwa die Aktivisten und Aktivistinnen von „Youth for Climate“, die weitreichendere Maßnahmen und noch stärkere Reduktionen der Treibhausgase fordern, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten.
Der letzte IPCC-Bericht gibt diesen Forderungen im Grunde recht. Doch Déi Gréng sehen die Sache offenbar gelassener. Denn auch die Umweltministerin Carole Dieschbourg argumentierte nach Veröffentlichung des Berichts, dass man für weitere Klimaschutzmaßnahmen einen „gesellschaftlichen Konsens“ benötige. Es sind Worte, die genau so auch vom liberalen Koalitionspartner und der konservativen CSV zu hören sind.
Klimaziele und tatsächliche Maßnahmen
Die Reaktion der grünen Minister verdeutlicht die Hemmungen, mit denen die einstige „Klimapartei“ mittlerweile in diesem Politikfeld agiert. Radikale Forderungen sind aus Rücksicht auf die Koalitionsdisziplin, aber auch aus realpolitischer Überzeugung, fehl am Platz. Währenddessen wird die Kritik an der Politik von Déi Gréng immer lauter. Einstige Unterstützer wenden sich ab. Die Partei befindet sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen dem, was von ihr erwartet wird, und dem, was sie als Regierungspartei erreicht.
Im Koalitionsprogramm konnte man sich in der Klimapolitik nur auf Ziele einigen, sodass die Grünen jede einzelne Maßnahme mit ihren Partnern neu aushandeln müssen.“Paul Polfer, „Klimabündnis Lëtzebuerg“
Allerdings hat die Partei auch aus ihren Fehlern gelernt. Dass sowohl der Verkehrsminister als auch die Umweltministerin vor allem auf die Umsetzung und nicht die Ausweitung der Klimaziele pochen, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch bereits mehrmals lagen angekündigte Ziele und anschließend beschlossene Gesetze weit auseinander. Es klingt dementsprechend sinnvoll, dass sich Luxemburgs Grüne stärker auf die Umsetzung und die konkrete Erreichung der Ziele konzentrieren wollen.
Ein Beispiel für nicht umsetzbare Ankündigungen ist das Klimagesetz. Gleich mehrere Abschnitte des ersten Entwurfs aus dem Umweltministerium mussten ersatzlos gestrichen werden. Der Text wurde zudem schlecht ausgearbeitet und vom Staatsrat regelrecht zerpflückt. Doch vor allem fehlten bei der Verabschiedung des Klimagesetzes im Dezember noch die sektoriellen Ziele zur Reduktion der Treibhausgase.
Handwerkliche Patzer und Versäumnisse
Bis zum Sommerbeginn war etwa nicht klar, wie die Einsparungen im Transportsektor oder im Wohnungsbau erreicht werden sollten. Dabei handelt es sich eigentlich um das Herzstück des Gesetzes. Vor der Ankündigung der sektoriellen Ziele fragte sich etwa der „Mouvement écologique“, wie am Ende über die Einhaltung der Ziele befunden werden könne, wenn diese erst nach einem halben Jahr festgelegt würden, und erwog sogar rechtliche Schritte gegen die Regierung.
Das Klimagesetz sieht zudem die Gründung einer „Plattform Klima“ aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft und Sozialpartnern vor, die über die Ziele beraten sollen. Gleichzeitig soll ein „Observatoire“ die Einhaltung der sektoriellen Klimaziele überwachen. Obwohl das Parlament das Gesetz bereits im Vorjahr verabschiedete, wurde für beide Gremien noch niemand ernannt. Lediglich für die Ausarbeitung der sektoriellen Klimaziele wurde vor einem Jahr eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet.
Die „Plattform Klima“ und das „Observatoire“ sollen ihre Arbeit allerdings erst Anfang Oktober anlässlich der „Klimaexpo“ aufnehmen, bestätigt das Umweltministerium auf Nachfrage. Die Gremien, die also für eventuelle Anpassungen zuständig sind, gibt es zurzeit noch gar nicht.
Das Koalitionsprogramm als Ursünde
Für diese Patzer gibt es mehrere Gründe. Angefangen mit dem Koalitionsabkommen. Nur durch das gute Wahlresultat von „Déi Gréng“ konnte Blau-Rot-Grün weiter regieren. Doch die Partei habe diesen Umstand während der Koalitionsverhandlungen zum Klimaschutz nicht ausreichend genutzt, bemerkt der Koordinator von „Klimabündnis Lëtzebuerg“, Paul Polfer, im Gespräch mit Reporter.lu. „Im Koalitionsprogramm konnte man sich in der Klimapolitik nur auf Ziele einigen, sodass die Grünen jede einzelne Maßnahme mit ihren Partnern neu aushandeln müssen“, so das ehemalige grüne Parteimitglied.
Für die Partei wird das zunehmend zum Problem. Die CO2-Steuer steht sinnbildlich für dieses mühselige Unterfangen. Diese war im blau-rot-grünen Abkommen nicht vorgesehen. Anfangs forderten DP und LSAP sogar anstelle einer CO2-Steuer einen „gestaffelten Dieselpreis“, durch den der Treibstoffpreis nur für Lkws erhöht werden sollte. Nach zähen Verhandlungen konnte man sich auf einen Kompromiss einigen.
Es ist nicht die Zeit, sich zurückzulehnen. Da sind nicht nur die von den Grünen geführten Ministerien gefordert.“François Benoy, klimapolitischer Sprecher von Déi Gréng
Die Regierung hat jedoch nur eine Bepreisung für die kommenden zwei Jahre festgelegt und die weitere Verantwortung damit an die nächste Regierung übergeben. „Dabei wäre es für Unternehmen wichtig zu wissen, welcher Preis langfristig angepeilt wird, um die nötigen Investitionen zu tätigen. Die CO2-Bepreisung ist dadurch ein gutes, aber stumpfes Instrument“, kritisiert Paul Polfer.
Dessen ist man sich auch bei den Grünen bewusst. „An uns hat es sicherlich nicht gelegen, dass der Preis nicht höher angesetzt wurde“, sagt der umwelt- und klimapolitische Sprecher der Grünen, François Benoy, im Gespräch mit Reporter.lu. Mit der bisher festgelegten Preisentwicklung könnten die Emissionen um elf Prozent verringert werden, was aber immer noch 17 Prozent über der Projektion von Einsparungen liege, rechnet der Abgeordnete vor. „Ohne eine höhere Bepreisung bei der CO2-Steuer werden wir unsere Ziele also nicht erreichen“, so François Benoy. Gleichzeitig investiere die Regierung aber verstärkt in den öffentlichen Transport, um ein alternatives Angebot zum Auto zu fördern.
Die Verantwortung der Koalitionspartner
Auch beim Klimaschutzgesetz scheiterte die Partei punktuell am Widerstand der Koalitionspartner. Der erste Entwurf des Umweltministeriums sah etwa vor, dass sich die verantwortlichen Ministerien bei Nichteinhaltung der sektoriellen Ziele um Lösungen für das kommende Jahr bemühen müssten. Doch das Umweltministerium konnte sich im Kabinett nicht durchsetzen. Der angenommene Text sorgt dagegen für mehr Flexibilität. Demnach könnten verpasste Ziele in einem Sektor von einem anderen kompensiert werden. Allerdings besteht dadurch auch das Risiko, dass die Verantwortung für Einsparungen zwischen den Sektoren hin- und hergeschoben wird.
„Wir müssen jetzt wirklich am Ball bleiben, um die sektoriellen Ziele zu erreichen. Es ist nicht die Zeit, sich zurückzulehnen. Da sind nicht nur die von den Grünen geführten Ministerien gefordert“, äußert sich auch François Benoy. Dabei liegt die Betonung auf der Bereitwilligkeit der anderen Parteien, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Es reiche nicht, nur von Klimaschutz zu reden, man müsse auch die teils schwierigen Entscheidungen umsetzen, so der Parlamentarier.
Um den Klimawandel aufzuhalten, benötige man „fundamentale gesellschaftliche Veränderungen“, so François Benoy weiter. Auch das könne die Partei nicht ohne die Unterstützung der anderen Parteien schaffen. Als einzige Partei würde sie etwa auch kritisch auf die Rolle des Finanzplatzes in der Klimapolitik hinweisen. „Die Verantwortung Luxemburgs ist durch den Finanzplatz besonders groß. Dieser muss klimaresilient werden, also auf umweltschädliche Investitionen verzichten“, sagt der Abgeordnete.
Anhaltender Zwist mit der Zivilgesellschaft
Im Diskurs der Partei gibt es durchaus noch einzelne radikalere Forderungen. Trotzdem überwiegt auch beim Klimaschutz die Koalitionsräson. Hinzu kommt, dass sich die Grünen selbst 2018 in ihrem Wahlprogramm zum Teil undefinierte Ziele setzten. So wolle man etwa „klima- und umweltschädliche Subventionen im Staatshaushalt schrittweise abbauen“ und die „Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen vom Tank- und Tabaktourismus reduzieren“. So vage die Ziele formuliert sind, so schwierig kann man die Partei später an der Erfüllung ihrer politischen Ansprüche messen.
Für manche früheren Unterstützer und Sympathisanten wurde der Bogen der programmatischen Flexibilität von Déi Gréng denn auch schon überspannt. Laut Paul Polfer war der Auslöser für seinen Parteiaustritt die Zustimmung zum CETA-Abkommen. „Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, erklärt der Koordinator des „Klimabündnis“.
Solange es in Luxemburg keine Partei neben den Grünen gibt, die sich glaubwürdig für den Klimaschutz einsetzt, haben sie wenig zu befürchten.“Paul Polfer, „Klimabündnis Lëtzebuerg“
Für viele Vertreter der Zivilgesellschaft stieß die Abstimmung mitten in der Pandemie auf großen Frust und Enttäuschung. Ganz abwenden von den Grünen werden sich die Dissidenten trotz fundamentaler Kritik jedoch eher nicht. „Solange es in Luxemburg keine Partei neben den Grünen gibt, die sich glaubwürdig für den Klimaschutz einsetzt, haben sie wenig zu befürchten“, schätzt Paul Polfer.
Trotz der Kritik sieht man innerhalb der Partei auch keinen Grund zur Aufregung. Es sei „total normal“, dass die Jugend in Sachen Klimaschutz mehr von der Regierung verlange, meint François Benoy. Er sehe trotzdem keinen Bruch seiner Partei mit der Zivilgesellschaft. Déi Gréng seien auch die einzige Partei, die auf den Brief der Aktivisten von „Youth for Climate“ geantwortet habe, so der klimapolitische Sprecher seiner Fraktion.
Auf Nachfrage erklärt „Youth for Climate“ allerdings, dass auch die DP und Déi Lénk auf den Brief reagiert hätten. Zudem traf sich Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) mit Vertretern des Aktionsbündnisses. Wohl auch hier sind die Selbstwahrnehmung der Grünen und die gesellschaftliche Realität also zwei verschiedene Paar Schuhe.


