Nach Jahrzehnten erfolgloser Politik müsse ein Umdenken her, sagt die Aktivistin Zohra Barthelemy von „Youth for Climate“. Ein Gespräch über Klimaberichte, sinnvolle Verbote und warum Aufklärung, Dialog und Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz so wichtig sind.

Interview: Pol Reuter

Laut dem letzten IPCC-Bericht wird eine Erderwärmung von 1,5 Grad höchstwahrscheinlich bereits in den 2030er-Jahren erreicht. Hat der letzte Bericht Sie überrascht?

Eigentlich bestätigt sich damit nur, was wir bereits wussten. In ihrer Deutlichkeit hat sich die Diagnose aber verändert. Der Bericht sagt unmissverständlich, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird.

Die Dringlichkeit nimmt zu und damit auch der Handlungsdruck auf die Politik. Hat der Klimaschutz der letzten Jahrzehnte versagt?

Die Maßnahmen waren nicht vergebens, sie gingen einfach nicht weit genug. Der letzte IPCC-Bericht besagt, dass bereits beschlossene Maßnahmen und Klimapläne nicht ausreichen. Bis 2030 müssen einschneidende Maßnahmen kommen, wenn man noch eine Erderwärmung unter 1,5 Grad anstrebt. Die Staaten können das Ziel der Klimaneutralität also nicht erst auf 2050 verschieben oder bis 2030 vielleicht ihre Treibhausgase halbieren.

Ist das Ziel von 1,5 Grad denn überhaupt noch realistisch?

Ich glaube, es hängt ganz davon ab, wie ernst dieser Bericht von der Politik genommen wird. 2022 werden noch die zwei weiteren Teile des IPCC-Berichts über die Folgen und die Verminderung des Klimawandels publiziert, was weiteren Druck auslösen könnte. Ehrlich gesagt: Es könnte knapp werden, dieses Ziel zu erreichen, denn die vorherigen Berichte haben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass mehr unternommen werden muss, um den Klimawandel aufzuhalten. Trotzdem ging die respektlose Ausbeutung unserer Ressourcen, die auf der Maxime der ökonomischen Gewinnmaximierung beruht, munter weiter.

Wir Jugendliche machen in unserer Freizeit die Arbeit, die eigentlich Erwachsene hauptberuflich tun sollten.“Zohra Bathelemy

Inwiefern hat Luxemburg zu wenig unternommen?

Das Klimagesetz wurde 2020 verabschiedet und erst jetzt wurden die sektoriellen Ziele vorgestellt. Jetzt prahlt die Regierung sogar mit diesen Zielen. Währenddessen fehlt noch immer der im Gesetz vorgesehene wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Beirat. Wenn die Klimapolitik in diesem Tempo fortschreitet, steuern wir eher auf eine Erwärmung von zwei Grad oder gar mehr zu, was eine absolute Katastrophe wäre. Auch wenn das Ziel der EU oder Luxemburgs, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu verringern, zu tief ansetzt, ist jeder Schritt in diese Richtung begrüßenswert. Dadurch könnte die Erderwärmung vielleicht um ein Hundertstel oder ein Zehntel Grad verringert werden. Die Frage ist ja jetzt nicht mehr, ob wir die Erderwärmung aufhalten können, dafür ist es bereits zu spät. Die Frage ist, sie so viel zu begrenzen wie nur möglich, um weitere Hitzewellen oder Überschwemmungen zu vermeiden. In dem Fall gibt es riesige Unterschiede, ob eine Erwärmung von 1,7 oder 1,8 Grad stattfindet.

Die 18-jährige Zohra Barthelemy ist Schülerin am Lyzeum in Echternach und engagiert sich schon seit rund drei Jahren bei der Plattform „Youth for Climate Luxembourg“.

Luxemburg ist für einen Bruchteil eines Zehntelprozents der ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich. Was kann eine luxemburgische Klimapolitik also tatsächlich bewirken?

Pro Kopf sind die Emissionen allerdings umso größer. Bereits Mitte Februar hat Luxemburg seine natürlichen Ressourcen, die eigentlich jährlich zur Verfügung stehen, aufgebraucht. Nur Katar hat eine noch schlechtere Klimabilanz. Doch auch die Rolle des luxemburgischen Finanzplatzes darf nicht unterschätzt werden. Gerade weil dieser Finanzplatz weiterhin mit vielen Millionen klimaschädliche Projekte finanziert und gerade weil auch der Staat mit seinem eigenen Fonds und der Rentenkasse in fossile Energien investiert, steht Luxemburg durchaus in der Verantwortung.

Die Regierung sieht allerdings den Finanzplatz gerade als Teil der Lösung. Stichwort „Green Finance“ …

Im Sommer 2019 veranstaltete die „Asian Infrastructure Investment Bank“ ihre erste jährliche Vollversammlung außerhalb von Asien in Luxemburg. Die Regierung freute sich über die Präsenz der vermeintlich grünen Bank im Großherzogtum. Letztlich hat aber auch diese Bank mehr in fossile Energieträger als in erneuerbare Energie investiert. „Green Finance“ ist also nur eine Ausrede, um den Anschein zu erwecken, dass tatsächlich etwas gegen den Klimawandel unternommen würde. In ein paar Jahrzehnten könnte vermutlich eine ökologische Transition stattfinden, doch das steht noch in den Sternen. Diese Zeit haben wir nicht, wir können nicht darauf warten, dass die Wirtschaft sich vielleicht dazu entscheiden könnte, den Planeten nicht für ihren eigenen Profit zu zerstören. Das haben wir seit 50 Jahren erfolglos versucht – mit dem Ergebnis, dass uns nun das Wasser bis zum Hals steht.

Dennoch haben die gleichen Ansätze Konjunktur. Auch im Privatbereich versucht die Regierung mit Anreizen Menschen von einem klimafreundlicheren Leben zu überzeugen. Kürzlich wurden etwa die Prämien für Elektrofahrzeuge verlängert. Sie sollen dazu beitragen, den Fuhrpark des Landes bis 2030 zur Hälfte zu elektrifizieren.

Elektromobilität ist auch keine Klimarettung. Der Großteil des luxemburgischen Stroms kommt aus deutschen Kohlekraftwerken oder Atomkraftwerken aus Frankreich. Solange das der Fall ist, sind Elektroautos auch nur geringfügig grüner als Verbrennungsmotoren. Außerdem bleiben sie für viele unerschwinglich. Einem Geringverdiener, der einen Gebrauchtwagen für 3.000 Euro kauft, nützt auch eine Prämie von 8.000 Euro für ein Elektroauto nichts. Irgendwie sind es auch sie, die den Preis für diese Politik zahlen müssen, weil die Steuern für Diesel langfristig steigen werden. Das sind also nur Scheinlösungen. Was wir benötigen, ist eine Umgestaltung unserer Gesellschaft, um mit den Folgen des Klimawandels zu leben, ihn aber auch wirksam abzufedern.

Meine Freiheit wird nicht durch das Maskentragen eingeschränkt, weil ich dadurch die Freiheit anderer Menschen schütze. Das Gleiche sollte auch für die Klimakrise gelten.“Zohra Bathelemy

Doch einer solchen Umgestaltung stehen viele skeptisch gegenüber. Vor allem liberale und konservative Politiker sprechen gerne von einer „grünen Verbotspolitik“, die die Freiheit der Menschen einschränke …

Viele gut gestellte Luxemburger haben Angst, ihre Privilegien zu verlieren. Als Gesellschaft müssten wir vielleicht die Definition des Freiheitsbegriffs überdenken. Bedeutet Freiheit etwa, fünf Mal im Jahr mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen? Es gibt kein Recht auf einen klimaschädlichen Lebensstil, weil man somit die Freiheit anderer einschränkt. Das war auch meine Einstellung während der Pandemie. Meine Freiheit wird nicht durch das Maskentragen eingeschränkt, weil ich dadurch die Freiheit anderer Menschen schütze. Das Gleiche sollte auch für die Klimakrise gelten.

Also soll man auch über Verbote reden können?

Natürlich. Als der Sicherheitsgurt eingeführt wurde, gab es auch Diskussionen, dass es eine Beschneidung der Freiheit wäre. Während der Pandemie wurden auch einschneidende Maßnahmen genommen, um das Leben anderer zu schützen. Diese Solidarität sollte auch in anderen Bereichen gelten. Als Gesellschaft sollten wir also darüber reden, inwiefern Verbote auch nützlich sein könnten.

Umweltministerin Carole Dieschbourg sagte kürzlich, dass es einen gesellschaftlichen Konsens für einen weitergehenden Klimaschutz braucht. Gibt es angesichts der Dringlichkeit noch Zeit für neue gesellschaftliche Debatten?

Nicht nur diese Regierung hat es oft versäumt, den Dialog mit den Bürgern zu suchen. Ein erster Schritt sollte eigentlich sein, die Menschen über den Klimawandel zu informieren. In meiner Schulzeit war das Thema Klima kaum präsent. Viele Eltern mit einem Acht-Stunden-Tag haben schlicht keine Zeit, sich danach noch über die Klimakrise zu informieren. Das zeigt, dass die Regierung auch nicht wirklich vorhat, diesen Dialog zu öffnen. Denn sie unternehmen nichts, um der Bevölkerung tatsächlich die Möglichkeit zu geben, sich das Wissen anzueignen, um am Dialog teilzunehmen. Wenn man nur mit den Menschen redet, die auch das Privileg hatten, sich zu informieren, ist es kein Dialog mit der gesamten Bevölkerung. Genau dadurch fühlen Menschen sich übergangen, haben Angst und zeigen wenig Verständnis für die klimapolitischen Maßnahmen.

Regelmäßig, wie hier im November 2019 vor der Abgeordnetenkammer, demonstriert „Youth for Climate“ auch in Luxemburg für eine wirksamere und glaubwürdigere Klimaschutzpolitik. (Foto: Matic Zorman)

Die Bewegung „Fridays for Future“ versucht seit drei Jahren über Proteste auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Trotzdem zeigen Sie sich enttäuscht über den mangelnden Fortschritt. Waren die Proteste also nutzlos?

Ich glaube, ohne die weltweite Fridays-for-Future-Bewegung wäre der Fortschritt in der Klimapolitik noch viel geringer ausgefallen. Wir haben den riesigen Felsen vielleicht ein bisschen in Bewegung setzen können. Je mehr Menschen auf die Straße gehen, desto höher der Druck. Es macht einen Unterschied, ob wir zu zehnt, 100 oder 1.000 Menschen demonstrieren. Aber natürlich erfordert das auch viel Arbeit. Ich mache eigentlich nichts anderes mehr, als zur Schule zu gehen und gegen die Klimakrise zu kämpfen. Die mentale Gesundheit unseres gesamten Teams, unsere Freizeit und unsere Jugend leiden darunter. Wir Jugendliche machen in unserer Freizeit die Arbeit, die eigentlich Erwachsene hauptberuflich tun sollten.

Hat man als Jugendbewegung in Luxemburg ein wirkliches Druckmittel? Das Wahlrecht besitzt ja nur ein Bruchteil der Demonstranten …

Wenn eine Regierung vor etwas Angst hat, dann ist es, nicht mehr wiedergewählt zu werden. Deshalb haben wir auch unsere Strategie geändert. Menschen allen Alters sind während der Demonstrationen willkommen. Die Klimakrise betrifft ja auch die Kinder oder Enkelkinder vieler Menschen. Nur gemeinsam kann Druck auf die Regierung ausgeübt werden und das wollen wir auch am kommenden weltweiten Streik am 24. September erreichen.

Das ist der erste größere Protest seit Beginn der Pandemie. War das klimapolitisch ein verlorenes Jahr?

Für das Klima war die Pandemie ein Glücksfall, da die Emissionen sanken. Ich finde es aber erschreckend, dass die Menschen, die unser Land durch eine Krise führen sollen, unfähig sind, an mehreren Themen gleichzeitig zu arbeiten. Die Klimakrise rückte in den Hintergrund, obwohl das eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Es werden weitere Wirtschaftskrisen und Pandemien kommen. Wie wollen Regierungen also mit Wetterkatastrophen, Pandemien, Wirtschaftskrisen und Klimawandel umgehen? Es kann ja nicht sein, dass eine gewählte Regierung sich stets nur auf ein Thema konzentrieren kann. Das zeugt von einer gewissen Inkompetenz.

Eine Regierungsbeteiligung der Grünen rettet auch nicht das Klima.“Zohra Bathelemy

Ende September ist nun der nächste Streiktag. Man könnte meinen, genau zwei Tage vor der Bundestagswahl kriegen die Grünen eine Wahlkampfhilfe …

Die deutschen Grünen haben oft bewiesen, dass der Klimawandel ihnen weniger wichtig ist als Macht. Der Dannenröder Forst in Hessen musste etwa für eine Autobahn Platz machen – dort regieren die Grünen mit. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen rettet auch nicht das Klima…

In Luxemburg sind die Grünen seit 2013 Teil der Regierung …

Genau. Das gilt auch hierzulande. In Sanem soll demnächst ein halber Wald gerodet werden, um eine Umgehungsstraße zu bauen. Der grüne Verkehrsminister baut zurzeit unzählige Straßen, wissend, dass der Transportsektor den größten Anteil an den luxemburgischen Treibhausgasen hat. Dabei sollte das Ziel eigentlich sein, dass Menschen weniger Auto fahren müssen.

Was hindert die Grünen an einer ehrgeizigeren Klimapolitik?

Als stärkste Kraft innerhalb der Koalition bremst die DP meiner Meinung nach die Grünen aus. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik und wirksamer Klimaschutz sind nur schwer miteinander vereinbar. Allerdings hält auch die LSAP am Glauben fest, dass hauptsächlich Arbeitende am meisten für die Klimakrise zahlen müssten, und bremsen deshalb meiner Meinung nach die nötigen Maßnahmen. Dabei sind es die Reichen und Wohlhabenden, die für den Großteil der Treibhausgase verantwortlich sind und die deshalb auch für den Klimaschutz zahlen müssen.


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