Wer in Luxemburg seine Heizkosten nicht mehr bezahlen kann, muss es mit einer komplexen Bürokratie aufnehmen. Zwar soll laut den Energieversorgern niemand im Kalten sitzen gelassen werden. Doch die Sozialämter sind für einen Ansturm schlecht gerüstet.
Die Webseite, auf der man eine „Unterstützung von Haushalten, die unter Energiearmut leiden“ beantragen kann, enthält eine interessante Information: Über der Erklärung, welche Formalitäten erforderlich sind, um diese staatliche Hilfe zu erhalten, steht in einem hellbraunen Balken: „Vor mehr als 5 Jahren aktualisiert“.
Es ist sinnbildlich für die aktuelle Energiekrise in Luxemburg. Die Preise explodieren, doch die Regierung zögert noch mit angemessenen Gegenmaßnahmen. Anfang des Monats versicherte Premierminister Xavier Bettel (DP) zwar, dass Energie kein Luxus sein darf: „Wir können es uns nicht erlauben, dass das Heizen hier in Luxemburg abhängig vom Gehalt wird.“ Das Risiko der Energiearmut, dass ganze Bevölkerungsschichten nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Gas-, Heizöl- und Stromrechnungen zu bezahlen, ist angesichts der rasanten Preisentwicklung jedoch schon heute real.
Staatliche Hilfe „sur demande“
Dabei ist die Frage, ob und zu welchen Bedingungen einkommensschwache Haushalte vom Staat Unterstützung erwarten können, zweitrangig. Die Hauptfrage ist eher: Wie kommen diese Gelder schnell und ohne unnötige administrative Hürden an die Menschen, die sie brauchen?
Wer mit dem Bezahlen der Strom-, Gas- oder Heizölrechnung in Schwierigkeiten gerät, dem tun sich drei Möglichkeiten auf. Je nach Hilfe sind unterschiedliche Ministerien zuständig, einerseits das Familienministerium, dem die Sozialämter unterstehen, andererseits das Energieministerium, das Beratungen anbietet und eigene Prämien auszahlen kann.
Eine erste Möglichkeit wäre es, eine Teuerungszulage („allocation de vie chère“) zu beantragen. Dies geschieht über die Sozialämter oder individuell über das staatliche Internetportal „guichet.lu“. An die Zulage ist automatisch eine Energieprämie gekoppelt. Wer zu viel verdient, um für diese Hilfe in Frage zu kommen, kann auch eine angepasste Prämie beantragen, die nach dem Einkommen gestaffelt wird. Für diese Prämien allein rechnet das Familienministerium mit Ausgaben von 15 Millionen Euro pro Jahr. Das Gesamtbudget für die „allocation de vie chère“ beträgt 43,5 Millionen jährlich.
Wir sind der festen Überzeugung, dass der Staat stärker eingreifen muss, die Sozialämter allein können das nicht stemmen.“Ginette Jones, „Entente des offices sociaux“
Die dritte Möglichkeit ist der Gang zum Sozialamt. Dieses kann Rechnungen übernehmen und eine Beratung durch die Klimaagentur des Energieministeriums anbieten. Dabei wissen die Sozialämter oft schon im Voraus, wenn Haushalte Probleme haben: Wenn die vierte Mahnung des Energieversorgers im Briefkasten liegt, erhält das zuständige Sozialamt davon eine Kopie. Nur passiert daraufhin nichts automatisch.
Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe vom Sozialamt brauchen, müssen diesen Schritt selbst machen. Dass genau dies vielen schwerfällt, stellte bereits 2019 eine Studie der Universität Luxemburg fest. Über 70 Prozent der befragten Antragsteller bei den Sozialämtern würden diese immer noch als „Armenbüro“ betrachten und sich deshalb auch schämen, auf ihre Leistungen zurückzugreifen, so die Bewertung der Reform der Sozialämter von 2009. Zudem hält die Studie fest, dass viele Gemeinden nicht darauf erpicht seien, Werbung für ihre Sozialämter zu machen, weil sie dann einen Ansturm befürchten würden.
Kaum belastbare Statistiken
An diesem Umstand scheint sich drei Jahre später kaum etwas geändert zu haben. Die Sozialämter sehen sich auch nicht als einzige Anlaufstelle für Menschen, die von Energiearmut betroffen sind. „Wir sind der festen Überzeugung, dass der Staat stärker eingreifen muss, die Sozialämter allein können dies nicht stemmen“, sagt Ginette Jones, die Präsidentin der „Entente des offices sociaux“ im Gespräch mit Reporter.lu. Sie kritisiert auch den Mangel an belastbaren Statistiken, die es in Luxemburg zur Verteilung der Hilfen durch die Sozialämter gibt. Allein deshalb könne man nicht immer optimal gegen Missstände vorgehen.

So ist es zum Beispiel schwierig herauszufinden, welche Summen genau die Sozialämter für Energie ausgezahlt haben. Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt das Familienministerium, das die Sozialämter zusammen mit den Gemeinden betreibt, dies liege an der Software des „Syndicat Intercommunal de Gestion Informatique“ (SIGI), die es „aus technischen Gründen nicht erlaubt, sämtliche Informationen zu Energiehilfen herauszufiltern“. Konkret heißt dies, dass das Ministerium nur die Nothilfezahlungen aufführen kann, nicht aber die vorgestreckten Gelder.
2021 gab es bei den Sozialämtern 828 Not-Anträge betreffend Gas, Heizöl und Elektrizität. Ausgegeben wurden fast 388.000 Euro. Die meisten Anträge wurden von Einwohnern mit Luxemburger Staatsbürgerschaft gestellt, darauf folgten Anträge von Einwohnern mit portugiesischer Staatsbürgerschaft. Im gleichen Jahr wurden aber auch 81 Anträge auf Energiehilfe von den Sozialämtern abgelehnt. Der Betrag, den die Sozialämter für allgemeine Haushaltsnothilfen – einschließlich Wasser und Lebensmittel – 2021 ausbezahlt haben, liegt bei einer Million Euro.
Der Energieanteil beträgt folglich etwas mehr als ein Drittel. Damit beläuft er sich auf knapp 1,6 Prozent des Gesamtbudgets der Sozialämter, das 2021 bei 24 Millionen Euro lag. So zeigt sich, dass der Rückgriff auf Notzahlungen, die nur in Frage kommen, wenn das soziale Netz keine andere Möglichkeiten mehr vorsieht, noch sehr marginal war.
Alarmierende Perspektiven
Doch auch die Organisation der Sozialämter ist oft nicht optimal. Die Reform von 2009 sieht vor, dass auf 6.000 Bewohner ein Sozialarbeiter und eine halbe Verwaltungsstelle finanziert werden. Die Gemeinden geben dem Gesetz nach fünf Euro pro Einwohner aus, das Ministerium gibt dieselbe Summe nochmal hinzu.
Dass dies zu Ungerechtigkeiten führt, zeigt die Statistik des Familienministeriums. Während Südgemeinden, wie Petingen, in Wirklichkeit bis zu 20 Euro pro Einwohner in das Sozialamt stecken, sind es in anderen Gemeinden, wie beispielsweise Hesperingen, bloß 99 Cent. Auch sind nicht alle Sozialämter gut genug aufgestellt, um die bürokratischen Hürden zu stemmen, stellt die Bewertungsstudie der Universität von 2019 an vielen Stellen fest.
„Noch haben wir einen Handlungsspielraum und werden auch eingreifen, wenn der Staat es nicht macht“, bestätigt Ginette Jones. Sie mahnt aber: „Die Umverteilung durch Steuern, die nötig wäre, um das Schlimmste abzuwenden, können die Sozialämter nicht verwirklichen“.
Die Studie hat nachweislich festgestellt, dass das öffentliche Bewusstsein der sozialen Arbeit und der Sozialämter eher vernachlässigt wurde.“Studie der Universität Luxemburg zur Reform der Sozialämter
Dabei gibt es Grund zur Besorgnis in Luxemburg. Eine Studie zum Phänomen der „Working Poor“ in Europa, an der die Universität Luxemburg beteiligt ist, kommt zu einem alarmierenden Resultat: Das Risiko, trotz Arbeit arm zu sein, ist in Luxemburg am dritthöchsten, nur in Spanien und in Rumänien ist es noch höher.
Für den Koordinator der Studie, Luca Ratti von der Universität Luxemburg, sind die steigenden Energiepreise besorgniserregend. „Höhere Energiepreise werden sicher Haushalte betreffen, die jetzt schon Entbehrungen ertragen müssen. Während Luxemburg historisch einen sehr hohen Anteil an Menschen hat, die trotz Arbeit arm sind, ist die Quote derer, die wirklich Entbehrungen hinnehmen müssen, noch verhältnismäßig niedrig“, so der Rechtswissenschaftler im Interview mit Reporter.lu. Durch die steigenden Energiepreise könnten viele Haushalte nun in diese Kategorie abgleiten, meint Luca Ratti.
Auch andere Indikatoren, wie der Gini-Koeffizient, der die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft misst, verheißen in Bezug auf Luxemburg nichts Gutes. „Dies ist nie eine gute Nachricht für ein Land. Die zunehmende Ungleichheit setzt die Bevölkerung nämlich verschiedenen wirtschaftlichen Risiken aus, womit die negativen Konsequenzen einer ökonomischen Krise schwieriger aufzufangen sind“, so Luca Ratti weiter. Auch die Wohnungspreiskrise könnte noch weiter zur Armutsgefährdung eines Teils der Luxemburger Bevölkerung beitragen, so der Forscher der Universität Luxemburg.
Politische Koordination gefragt
Ein weiteres Problem sieht Ginette Jones in der längerfristigen Perspektive. Viele politische Maßnahmen würden sich vor allem an Immobilienbesitzer und nicht an Mieter wenden. Dies könnte sich rächen, meint die Präsidentin der „Entente des offices sociaux“. „Die Mieter bekommen ihre Abrechnung immer erst am Ende des Jahres. Für den kommenden Winter wird dies dann Ende 2023 sein. Das heißt, dass wir es hier mit einem längerfristigen Problem zu tun haben. Auch deshalb ist der große Ansturm bis jetzt ausgeblieben.“ Dabei sollte einem bewusst sein, dass Mieter „zu den verletzlichsten Personengruppen in dieser Krise gehören“, so Ginette Jones.

Ein Grundproblem, das sich auch in dieser Krise zeigt: Luxemburgs soziales Netz ist zwar breit, aber auch komplex aufgebaut. Und viele Maßnahmen sind kaum bekannt. Das Familienministerium gibt in seinem letzten Jahresbericht etwa zu, dass das Projekt zur Bekämpfung von Energiearmut, das es seit 2017 gibt, relativ wenig genutzt wird. Auf Nachfrage verweist das Ministerium von Corinne Cahen (DP) auf das Energieministerium, das dabei die Führung habe. Auch die Details anderer Hilfemaßnahmen, wie die „subvention loyer“, bei der die Energiekosten nicht eingerechnet werden, oder die „allocation de vie chère“, sind der breiten Öffentlichkeit nicht immer bekannt.
Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass sich die zuständigen Verwaltungen zunehmend bemühen, die Hilfen in Zukunft besser zu koordinieren. Laut Informationen von Reporter.lu hat das Energieministerium zudem zwei neue Posten bei der „Klima-Agence“ geschaffen, die sich exklusiv mit Energiearmut beschäftigen sollen. Das Energieministerium bestätigte auf Nachfrage von Reporter.lu, dass Gespräche mit den Energieversorgern und den Sozialämtern stattfinden, um die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten zu fördern. „Aus Sicht der Energieversorger läuft die Zusammenarbeit mit den Sozialämtern momentan eher gut“, so ein Sprecher des Energieministeriums.
Dies bekräftigt auch der Hauptversorger der luxemburgischen Haushalte „Encevo“: „Das Einbinden der Sozialämter in unsere Prozeduren soll eben gerade verhindern, dass einkommensschwachen Familien die Lieferungen abgeschnitten werden. Generell verhält es sich so, dass Energieversorger ihre Lieferungen in Kälteperioden nicht einstellen, auch wenn die Rechnungen nicht bezahlt werden“, so ein Sprecher auf Nachfrage von Reporter.lu.