Zunächst schien Carole Dieschbourg die Aufarbeitung der „Gaardenhaischen“-Affäre aussitzen zu wollen. Dann kam doch der überraschende Rücktritt. Entscheidend war dabei die in der Verfassung festgehaltene Prozedur zur Anklage von Ministern – aber nicht nur.

Zweieinhalb Jahre war das „Gaardenhaischen“ in der Versenkung verschwunden. Nun ist die Affäre um den Differdinger Ex-Bürgermeister und Ex-Abgeordneten von Déi Gréng, Roberto Traversini, krachend zurück in der Aktualität. Der Streit um die Rechtmäßigkeit einer Genehmigung für Bauarbeiten mitten in einem Naturreservat hat Carole Dieschbourg nun ihre politische Karriere gekostet.

„Ich fände es unverantwortlich, wenn nochmals im Parlament über diese Affäre gesprochen und Zeit verloren werden würde.“ So begründete Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) am Freitag ihren Rücktritt. Noch zwei Stunden zuvor hatte sie via Pressemitteilung angekündigt, der Justiz als Ministerin Rede und Antwort stehen zu wollen.

Grund für diese Kehrtwende war offenbar die späte Erkenntnis, dass die Verfassung dem Parlament umfassende Rechte im Falle von Ermittlungen gegen ein Regierungsmitglied gibt. Carole Dieschbourg bat den Parlamentspräsidenten um die Aufhebung ihrer „ministeriellen Immunität“. Das sieht das Luxemburger Grundgesetz aber in dieser Form nicht vor.

Fatales Missverständnis

Im Artikel 116 der Verfassung heißt es: Die Abgeordnetenkammer hat die Ermessensfreiheit („pouvoir discrétionnaire“), ein Mitglied der Regierung anzuklagen. In der Praxis heißt das, dass die Justiz gegen eine Ministerin bis zu einem gewissen Umfang ermitteln kann. Dann muss aber das Parlament entscheiden. Deshalb haben die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft Luxemburg das Dossier zu der Voruntersuchung am Donnerstag an Parlamentspräsident Fernand Etgen (DP) übergeben. Dem Parlament hätte es freigestanden, weitere Ermittlungen in Auftrag zu geben.

Es war dieses Szenario, das Carole Dieschbourg laut eigener Aussage verhindern wollte. Man dürfe „keine Zeit mehr verlieren“, indem man die ganze Affäre noch einmal im Parlament aufrolle. Konkret bedeutet das, dass die grüne Politikerin sich am Freitag zwischen der ersten Reaktion um 9.30 Uhr und dem Rücktritt gegen 11.30 Uhr wohl bewusst wurde, dass es nicht eine simple Abstimmung über ihre „Immunität“ geben werde.

Ich verstehe, dass Carole Dieschbourg nicht Opfer einer Prozedur aus dem 19. Jahrhundert werden möchte.“François Bausch, Vizepremierminister

Die Brisanz lag allein schon darin, dass alle im Parlament vertretenen Parteien Einblick in die Untersuchungsakte bekommen hätten. Die Opposition hätte demnach viel Munition erhalten, um die Ministerin und ihre Partei im beginnenden Wahlkampf politisch vorzuführen. Einen Vorgeschmack dafür gab es schon am 10. Oktober 2019, als der CSV-Abgeordnete Michel Wolter die Ministerin Carole Dieschbourg in einer parlamentarischen Debatte scharf angriff.

Premierminister Xavier Bettel (DP) betonte damals, dass es nicht am Parlament sei, Richter zu spielen. Der Premier schlug damals vor, dass das Parlament sich nochmals mit dem Fall befassen sollte, wenn die Justiz ihre Arbeit abgeschlossen habe. Dass das Parlament dagegen nicht nur als Kontrollorgan der Exekutive, sondern auch in der strafrechtlichen Prozedur eine Rolle spiele, hatte der Regierungschef offensichtlich nicht auf dem Schirm. Oder er nahm bewusst in Kauf, dass die ganze Affäre noch einmal ganz neu aufgerollt werden würde.

„Unwürdige Prozedur“

Dem Szenario des Parlaments als Untersuchungs- und Anklageinstanz kam Carole Dieschbourg nun zuvor. Die Ex-Ministerin ging davon aus, dass für sie mit dem Rücktritt die normale strafrechtliche Prozedur gelten würde. Die Ergebnisse der „enquête préliminaire“ unterliegen nämlich dem Untersuchungsgeheimnis.

In der Regierung hat man sich offenbar darauf verständigt, dass die in der Verfassung festgehaltenen Abläufe als einziger Rücktrittsgrund gelten sollen. „Ich verstehe, dass Carole Dieschbourg nicht Opfer einer Prozedur aus dem 19. Jahrhundert werden möchte“, sagte der grüne Vizepremier François Bausch am Freitag im Gespräch mit Reporter.lu. Es sei ungerecht und nicht am Parlament, über diese Affäre zu richten. Ähnlich äußerte sich LSAP-Vizepremierministerin Paulette Lenert im Interview mit „RTL“: Die Prozedur sei dem 21. Jahrhundert „unwürdig“. Der Prozess gegen Carole Dieschbourg hätte dann in aller Öffentlichkeit stattgefunden.

Applaus und Anerkennung von den ehemaligen Mitarbeitern im Ministerium: Carole Dieschbourg nach ihrer Rücktrittserklärung am Freitag. (Foto: Gilles Kayser)

Tatsächlich stammen die entsprechenden Artikel des Grundgesetzes noch aus dem Jahr 1868, dem Ursprung der aktuellen Verfassung. Im Rahmen der laufenden, umfassenden Reform soll diese Regelung ebenfalls verschwinden. Künftig soll in der Verfassung stehen, dass nur die Staatsanwaltschaft gegen einen Minister ermitteln darf. Lediglich die Festnahme eines Regierungsmitglieds soll künftig vom Parlament abgesegnet werden müssen.

Wäre dieser Teil der Verfassungsreform bereits in Kraft, dann wäre Carole Dieschbourg wie jeder andere Bürger von den Ermittlern angehört worden und die Justiz hätte dann über eine Anklage entscheiden können. In gewisser Weise kostete also die verspätete Verfassungsreform die grüne Politikerin am Ende ihr Amt.

Anhörung statt Anklage

Hinzu kommt also ein zweites großes Missverständnis: Die Generalstaatsanwaltschaft bezog sich in ihrer Pressemitteilung vom Freitag auf die Verfassung und schrieb, dass es die Kompetenz des Parlaments sei, ein Regierungsmitglied anzuklagen („accuser“). Das führte zum Eindruck, dass die Untersuchung bereits so weit fortgeschritten sei, dass es zu einer Anklage kommen könne.

Das ist aber nicht der Fall. Die Ermittlungen seien Teil einer Voruntersuchung, wie ein Sprecher der Justiz gegenüber Reporter.lu bestätigte. Es lägen Elemente vor, die auf eine mutmaßlich illegale Vorteilsannahme („prise illégale d’intérêts) hindeuten. Am 2. Oktober 2019 kam es im diesem Kontext zu einer Hausdurchsuchung im Umweltministerium, wie die Staatsanwaltschaft Luxemburg damals mitteilte. Da es aber um ein Regierungsmitglied ging, konnte die Justiz nicht den nächsten Schritt machen – ein formelles Strafverfahren einleiten.

Dabei dürfte es um den Verdacht gehen, dass Carole Dieschbourg ihren Parteikollegen Roberto Traversini im Zusammenhang mit der Genehmigung von Arbeiten an dem wohl bekanntesten Gartenhaus des Landes begünstigt haben könnte. Das ist jedenfalls der Kern der Vorwürfe gegen die ehemalige Ministerin. Zu den genauen Vorwürfen und möglichen Vergehen will sich die Justiz jedoch nicht äußern. Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Ich fände es unverantwortlich, wenn nochmals im Parlament über diese Affäre gesprochen und Zeit verloren werden würde.“Carole Dieschbourg,Ex-Umweltministerin

Carole Dieschbourg stellte es am Freitag dagegen so dar, als ob es nur darum gehe, ob sie von der Justiz verhört werden könne. Die unklare Lage erinnert an die Affäre „Liwingen/Wickringen“. Dem früheren Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) war dabei mutmaßliche Erpressung im Rahmen eines Bauprojektes vorgeworfen worden.

Das Parlament stimmte im Juli 2012 mit großer Mehrheit gegen eine Anklageerhebung. In einem Rechtsstaat dürfe es keine Vermischung der Rollen von Justiz und Parlament geben, so die Erklärung. Die Abgeordneten verwiesen auf die – damals bereits geplante – Verfassungsreform, die Abhilfe schaffen sollte. Nur verpasste die damalige CSV-LSAP-Mehrheit und dann ab 2013 auch die Dreierkoalition, das verfassungsrechtliche Problem endgültig zu lösen.

Parlament wartet auf Gutachten

Déi Gréng betonten in einer Pressemitteilung, dass Carole Dieschbourg ihr Amt aufgegeben habe, „um die Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft zu erleichtern, mit ihren Erläuterungen zur Aufklärung des genannten Falles beizutragen und somit maximale Transparenz walten zu lassen.“

Die Opposition sieht das allerdings anders. Es sei nicht klar, ob das Parlament dennoch eine Anklage vorbereiten müsse, sagte CSV-Fraktionschefin Martine Hansen „RTL“. Mit dem Rücktritt wolle die Regierung offenbar verhindern, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sich mit der Affäre befassen würde, sagte der Abgeordnete Sven Clement (Piraten) dem „Luxemburger Wort“.

Fest steht: Die Folgen des Rücktritts auf die weitere Prozedur sind nicht so klar, wie Carole Dieschbourg das annahm. Der erweiterte Parlamentsvorstand hat nun ein rechtliches Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob der Rücktritt die Abgeordneten von der Pflicht entbindet, über eine „mise en accusation“ zu entscheiden. Am Montag soll das Gutachten vorliegen. Tatsächlich war Jeannot Krecké 2012 bereits als Wirtschaftsminister zurückgetreten, als das Parlament über seine Anklage entschied. Die in der Verfassung festgehaltene Prozedur gelte auch für Ex-Minister, wenn es um ihre Amtszeit gehe, hielt die Motion damals fest.

Offene Fragen einer Affäre

„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, betonte Carole Dieschbourg am Freitag mehrmals. Doch als sie im Oktober 2019 vor dem Parlament Stellung bezog, blieben viele Fragen ungeklärt. Die interne Aufklärung im Ministerium verlief auch in den darauffolgenden zweieinhalb Jahren schleppend.

Im Dunstkreis der Ministerin wird die Tragweite der Affäre bis heute heruntergespielt – Stichwort: Es handele sich nur um ein „Gaardenhaischen“. Doch das verkennt, dass es um den damals durchaus einflussreichen Politiker Roberto Traversini ging und auch um eines der wichtigsten und ältesten Naturschutzreservate des Landes.

Der lange Schatten einer Affäre: Im Juli 2019 berichtete Reporter.lu erstmals über die Interessenkonflikte des ehemaligen Bürgermeisters und Abgeordneten Roberto Traversini. (Foto: Matic Zorman)

Dazu kam ein ganzes Konvolut an weiteren Affären, das sich um das „Haus im Grünen“ des damaligen Bürgermeisters rankte. Sie habe die Genehmigung für Roberto Traversini behandelt wie jede andere, betonte Carole Dieschbourg in ihrem Statement am Freitag. Das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung „bestätigt“, so die Politikerin weiter.

Doch dieser Teil ihrer Verteidigung erweist sich auf den zweiten Blick als eine falsche Darstellung. Tatsächlich reichte der auf Immobilien- und Umweltrecht spezialisierte Anwalt Georges Krieger im September 2019 Klage gegen die strittige Genehmigung des Ministeriums ein. Sein Mandant war eine Firma, die Parzellen in der Nähe des „Gaardenhaischen“ besitzt. In ihrem Urteil von Februar 2021 befassten sich die Verwaltungsrichter aber nicht im Detail mit der Genehmigung, sondern wiesen die Klage als unzulässig ab. Die Parzellen der Firma seien nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum Grundstück von Roberto Traversini und deshalb liege keine Schädigung des Klägers vor.

Serie von Ungereimtheiten

Von einer Bestätigung der Genehmigung kann also keine Rede sein. Es ist ein weiterer kommunikativer Fehltritt des Umweltministeriums in einer langen Reihe von Ungereimtheiten im Umgang mit den politischen Affären der vergangenen Jahre.

Im Fall der „SuperDrecksKëscht“ behauptete Carole Dieschbourg, dass in einem von ihr in Auftrag gegebenen Audit „keine Unregelmäßigkeiten“ festgestellt worden seien. Nach den Recherchen von Reporter.lu zu diesem 100-Millionen-Euro-Auftrag setzte die Ministerin auf eine häppchenweise Transparenz. Im Dossier der illegalen Deponie auf dem „Crassier“ in Differdingen schaffte sie es bis zuletzt auch nicht, die Probleme in den Griff zu bekommen und ein Gesamtkonzept erstellen zu lassen.

Der Rücktritt von Carole Dieschbourg hat definitiv die politische Brisanz aus der juristischen Aufarbeitung der „Gaardenhaischen“-Affäre genommen. Ob dieser Schritt jedoch zu mehr Transparenz in all den andauernden Affären führen wird, muss sich erst noch zeigen.


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