Die Pläne für die neue Bauschutt- und Industriedeponie auf dem Crassier Differdingen werden konkreter. Der Betreiber hat Ende April die erforderliche Umweltstudie vorgelegt. Das von den Anliegergemeinden geforderte Sanierungskonzept für das ganze Gelände fehlt weiterhin.
Das Dossier „Crassier“ geht in die nächste Runde. Am 24. April hat die Firma Cloos S.A. der Umweltverwaltung eine Umweltverträglichkeitsprüfung zum Betrieb einer Bauschuttdeponie und einer Deponie für Produktionsabfälle aus der Stahlindustrie auf dem Gelände vorgelegt. Es ist eine Voraussetzung für die Genehmigungsprozedur. Das 78-seitige Dokument liegt Reporter.lu exklusiv vor. Ein klare Antwort auf die Bedenken der Gemeinde liefert der Bericht nicht.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Reporter.lu exklusiv über Missstände auf dem rund 150 Hektar großen Industriegelände zwischen Differdingen und Sanem berichtet. Zur Erinnerung: Der „Crassier“ ist eine Ansammlung von letztlich fünf Deponien und industriellen Altlagerungen. Genutzt wurden sie von Gemeinden, Bauunternehmen und nicht zuletzt von ArcelorMittal.
Besonders problematisch damals wie heute: Eine Werksdeponie des Stahlproduzenten erhielt nie eine Genehmigung. Zudem wurde die sogenannte „Décharge historique“ weiter von ArcelorMittal genutzt, obwohl die problematische Lagerstätte seit 2013 saniert werden sollte. Bereits 2017 forderten die Gemeinderäte von Sanem und Differdingen in einer gemeinsamen Stellungnahme ein Gesamtkonzept für den „Crassier“.
Dem Projekt einer neuen Deponie auf dem Gelände widersprachen die beiden Gemeinderäte hingegen formell. Eine wirkliche Handhabe gegen die Pläne haben die Gemeinden dabei nicht. Denn das Gelände gehört ArcelorMittal und dem Staat. Ob eine Genehmigung für die neue Deponie erteilt wird, entscheidet allein die Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng).
Standort Crassier ziemlich alternativlos
Einige der Kritikpunkte der Gemeinden versucht die Umweltverträglichkeitsprüfung zu entkräften und beschäftigt sich unter anderem mit den Fragen nach einem Alternativstandort, der Grundwassersituation sowie der Sanierung der Altlagerungen. Allgemeiner Tenor der Studie: Die neue Deponie soll die Lösung für die Probleme auf dem Industriegelände sein. Verfasst hat die Studie das Ingenieur-Büro Novatec aus Remerschen.
Es herrscht in Luxemburg ein dringender Bedarf für eine Inertstoffdeponie vom Typ B (…). Es besteht also dringender Handlungsbedarf zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit.“Umweltstudie zum „Crassier“
Den Standort „Crassier“ für eine neue Deponie sieht die Studie dabei nicht etwa als Problem, sondern als naheliegende Lösung: „Bei der Auswahl eines Standorts (…) liegt es auf der Hand, ein Gelände zu bevorzugen, welches bereits industriell vorgenutzt ist und über eine geeignete Infrastruktur verfügt“. Alternative Standorte im Süden des Landes seien deshalb auch nicht als Ersatz für die Deponie auf dem „Crassier“-Gelände zu betrachten, sondern „sie wären als eine notwendige Ergänzung für den zukünftig absehbaren Bedarf anzusehen“.
Die Studie hebt allerdings die Dringlichkeit bei der Standortsuche nach einer Inertstoffdeponie hervor: „Es herrscht in Luxemburg ein dringender Bedarf für eine Inertstoffdeponie vom Typ B (…). Es besteht also dringender Handlungsbedarf zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit.“ Sonst wäre man gezwungen, die Ablagerungen im Ausland zu entsorgen, betont der Bericht. Auf einer Deponie vom Typ B dürfen unter anderem Beton, Ziegelsteine, Fliesen, Gleisschotter sowie Boden und Steine entsorgt werden.
Den Mangel an Bauschuttdeponien monierte im März auch die Handwerkskammer. Aktuell verfüge Luxemburg lediglich über fünf zugelassene Bauschuttdeponien und keine einzige, auf der verunreinigte Böden entsorgt werden können.
Neue Deponien als Sanierungskonzept
Die Lösung für die Altlasten auf dem Gelände sieht die Studie ebenfalls in der Gestaltung der neuen Deponien. So soll etwa ein Teil der Ablagerungen aus der Stahlindustrie die Basis für die Deponie bilden. Den Grund liefert die Studie gleich mit: „Da deren Umlagerung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu bewerkstelligen wäre, wird zumindest ein Teil dieser Materialien vor Ort bleiben und dort die Basis der neuen Deponie bilden.“
Auch die sogenannte „Décharge historique“, also jene Halde, die ArcelorMittal seit 2013 sanieren sollte und dennoch weiter nutzte, soll in die neue Deponie integriert werden. Diese soll nämlich bis an die Nordflanke der Altdeponie heranreichen. Dadurch soll der Eintritt von Sickerwasser unterbunden werden. Dies soll durch eine sogenannte Oberflächenabdichtung erreicht werden. Diese besteht aus einer 0,5 Meter dicken Tonschicht und einer verschweißbaren, 2,5 Millimeter dicken Dichtungsfolie.
Doch lediglich die neue Deponie soll abgedichtet werden. Dadurch soll der Wasserzustrom zu den Altlasten abgeschnitten werden. „Damit ist diese Altlast soweit gesichert, dass von ihr keine schädlichen Auswirkungen mehr auf die Umgebung ausgehen werden“, wird im Bericht versichert. Ein zentrales Anliegen der Gemeinden, nämlich, dass die Altlasten für eine spätere Sanierung frei zugänglich bleiben, würde durch die Deponie jedoch erschwert.
Für die während des Betriebs der Deponie anfallenden Sickerwasser soll auf ein Drainage-System gesetzt werden, das belastetes Abwasser in eine Deponie-Kläranlage leiten soll.
Daten aus Grundwasserbohrungen
Für Bedenken in den Gemeinden Differdingen und Sanem sorgt auch die Grundwassersituation. Sickerwasser könnte Schwermetalle aus den Altablagerungen lösen und ins Grundwasser einbringen, so die Befürchtung. Durch die neuen Deponien wären die Altlasten nicht mehr zugänglich und eine Sanierung unmöglich.
Auch auf diesen Druck der Gemeinden hin hat die Betreibergesellschaft der Deponie, Cloos S.A. neue Bohrungen in Auftrag gegeben. Dies, nachdem Tiefbohrungen aus dem Jahr 2005 unter anderem erhöhte Konzentrationen von Nitrit, Fluorid, Chlorid und Molybdän (ein Schwermetall) nachgewiesen hatten. Die Gemeinden hielten damals fest, dass nicht geklärt sei, „ob und in welchem Umfang Sickerwasser der Altdeponie ins Grundwasser der tiefer gelegenen Schichten eindringen“. Deshalb bestünden „im Bereich des Grundwasserschutzes erhebliche Wissensdefizite“, so die Gemeinden 2017 in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Der ‚Crassier‘ in Differdingen stellt eine Altlastverdachtsfläche dar (…). Eine von dieser industriellen Altablagerung ausgehende Gefährdung ist generell nicht auszuschließen und zum Teil auch gegeben.“Umweltstudie zum „Crassier“
Die im vergangenen Jahr durch das Ingenieurbüro Geoconseil durchgeführten Bohrungen kommen laut der Umweltverträglichkeitsprüfung zu „der Schlussfolgerung, dass das oberflächennahe Kluftgrundwasser (…) keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung durch die früher oder gegenwärtig im Planungsgebiet abgelagerten Stahlwerksabfälle aufweist.“
Schließlich legt sich die Impaktstudie darauf fest, dass „zwischen den teilweise belasteten Sickerwässern in den Schlackeablagerungen und dem oberflächennahen natürlichen Grundwasserhorizont keine Verbindung besteht.“ Neue Tiefbohrungen wurden allerdings nicht durchgeführt. Die Studie führt weiterhin die Ergebnisse aus dem Jahr 2005 als aktuellen Wissensstand an.
Die Ergebnisse der Bohrungen werden, wie die gesamte Studie, derzeit von der Umweltverwaltung geprüft, weshalb die Behörde auf Nachfrage von Reporter.lu zum aktuellen Zeitpunkt keine Bewertung der Messergebnisse abgeben wollte.
Gesamtkonzept nur Randthema
Das von den Gemeinden geforderte Gesamtkonzept für das „Crassier“-Gelände behandelt die Studie nur am Rande. „Der „Crassier“ in Differdingen stellt eine Altlastverdachtsfläche dar (…). Eine von dieser industriellen Altablagerung ausgehende Gefährdung (insbesondere der Oberflächengewässer über Sickerwässer, potentiell auch des Grundwassers) ist generell nicht auszuschließen und zum Teil auch gegeben“, resümiert die Studie den Ist-Zustand auf dem Deponiegelände.
Ich bin bei dem Bauvorhaben weiterhin skeptisch. Vor allem die fehlende Transparenz und nicht existente Bürgerbeteiligung stören mich.“Myriam Cecchetti, Abgeordnete von Déi Lénk
Die Lösung für diese Problematik ist laut der Analyse denkbar einfach: Der Betrieb der neuen Deponien soll Abhilfe schaffen. Denn „das Bauvorhaben erfüllt (…) die Anforderungen, die man an ein reines Altlastensanierungsprojekt auf der Fläche des Planungsgebiets stellen würde.“ Und nach der Laufzeit der geplanten Deponien könne das Gebiet, laut der Umweltverträglichkeitsprüfung, als „altlastentechnisch saniert“ gelten.
Abschließend schlussfolgert der Bericht, dass durch die beiden neuen Deponien „absehbare Gefährdungen und Nachteile für Mensch und Natur auf ein akzeptables Mindestmaß reduziert werden.“
Warten auf mehr Transparenz
Die Anliegergemeinden zögern ihrerseits noch mit einer Bewertung der vorliegenden Impaktstudie. Auf Nachfrage von Reporter.lu betonte die Bürgermeisterin der Gemeinde Sanem, dass der Umweltdienst der Gemeinde die Dokumente derzeit prüfe. Nach Abschluss der Prüfung wolle man sich, in Absprache mit der Gemeinde Differdingen zu den Plänen äußern, so Simone Asselborn-Bintz (LSAP).
Kritischer äußerte sich die Gemeinderätin aus Sanem und neue Abgeordnete von Déi Lénk, Myriam Cecchetti: „Ich bin bei dem Bauvorhaben weiterhin skeptisch. Vor allem die fehlende Transparenz und nicht existente Bürgerbeteiligung stören mich.“ Die besagte Studie wollte die Politikerin erst nach gründlicher Prüfung im Detail kommentieren.
Wie das Projekt der neuen Deponien auf dem „Crassier“-Gelände weitergeht, bleibt indes abzuwarten. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist zwar eine notwendiger Teil des Genehmigungsverfahrens, entspricht jedoch keiner Baugenehmigung. Und diese habe die Firma Cloos S.A. bisher noch nicht beantragt, erklärt die Umweltverwaltung auf Nachfrage von Reporter.lu. Erst wenn dieser Antrag vorliegt, leite man das Kommodo-Verfahren ein. Und erst dann erhält auch die Öffentlichkeit Einsicht in die Studie und die Wasserproben. Wann dies der Fall sein wird, steht noch nicht fest.
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