Der Crassier in Differdingen beschäftigt die Politik weiter, national wie lokal. Die Umweltverträglichkeitsstudie zum Bau einer neuen Deponie ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch bewilligten die Gemeinden Sanem und Differdingen eine zusätzliche Aufschüttung auf dem Gelände.

Vor rund einem Jahr berichtete Reporter.lu, dass der Stahlkonzern ArcelorMittal in Differdingen eine Deponie betreibt, ohne dafür eine Genehmigung vom Umweltministerium zu haben. Weitere Recherchen ergaben, dass es neben dieser Deponie auf dem Gelände des „Crassier“, noch zu zahlreichen weiteren Unregelmäßigkeiten gekommen war: eine Altdeponie, die nicht – wie versprochen – saniert, sondern weiter als Bauschuttdeponie genutzt wurde und hoch belastetes Sickerwasser, das in die Korn lief.

Die Recherche über den „illegalen Giftmüll von Differdingen“ schlug hohe Wellen. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) musste sich vor den Abgeordneten erklären und lud die Presse zu einer Ortsbesichtigung ein. Die Gemeinderäte von Differdingen und Sanem sprachen eine „opposition formelle“ gegen eine neue Bauschutt- und Inertstoffdeponie der Unternehmen Cloos und ArcelorMittal auf dem Crassier-Gelände aus.

Zudem wurde ein „Comité de Suivi“ ins Leben gerufen. Darin vertreten sind die betroffenen Gemeinden, die Umweltverwaltung und Vertreter des Stahlkonzerns ArcelorMittal. Ziel des Gremiums: Mögliche Umweltschäden auf dem Gelände zu verhindern oder zumindest einzugrenzen.

Ein Jahr nach der Enthüllung hat sich jedoch nur wenig an der Ausgangssituation auf dem Gelände des Crassier, dieser riesigen Halde zwischen Differdingen und Sanem, geändert. Laut Informationen von Reporter.lu kam das Comité de Suivi genau zwei Mal zusammen. Bedingt durch die Corona-Pandemie fand der Austausch jeweils per Videokonferenz statt. Wirkliche Fortschritte gab es bei den Treffen keine. Doch in den vergangenen Wochen kam aus anderen Gründen Bewegung in die Aufarbeitung der Affäre.

Das lange Warten auf die Studien

Nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten auf dem Crassier-Gelände hat ArcelorMittal letztes Jahr Wasserproben auf dem Gelände durchgeführt und an die Verwaltung weitergereicht. Dies bestätigt die Umweltverwaltung auf Nachfrage von Reporter.lu. Die Proben würden aktuell überprüft, heißt es weiter. Sobald die Ergebnisse vorliegen, werde man sie an die Gemeinden weiterreichen, so die Umweltverwaltung. Man wolle vermeiden, dass mangelhafte oder fehlerhafte Dokumente zu „falschen Schlüssen führen“ könnten.

Wie gefährlich unkontrollierte Sickerwässer aus Altdeponien sein können, zeigten Messungen, die an der angrenzenden Deponie „Lamesch“ durchgeführt wurden. Bei Wasser, das aus der Deponie lief, stellte man eine Belastung durch Schwermetalle fest. Die an das Kronospan-Gelände grenzende Deponie „Lamesch“ ist bereits seit 20 Jahren stillgelegt und mittlerweile nur noch schemenhaft als solche zu erkennen. Die Gemeinden Differdingen und Sanem machten die Sanierung dieser Halde zur Bedingung für den Bau einer neuen Deponie.

Im Volksmund oft nur „Crassier“ genannt, erstreckt sich eine Ansammlung von mehreren Deponien auf einem Areal von rund 150 Hektar zwischen dem ArcelorMittal-Werk in Differdingen, dem Industrieareal „Gadderscheier“ und dem „Woiwerbësch“. (Foto: Claude Piscitelli)

Das Genehmigungsverfahren für die geplante Bauschutt- und Inertstoffdeponie liege aber weiterhin „auf Eis“, betont das Umweltministerium auf Nachfrage. Ein Grund dafür sei, dass die für eine Genehmigung benötigte Umweltverträglichkeitsstudie („Evaluation d’incidence sur l’environnement“ – EIE) noch nicht abgeschlossen ist. In der Prozedur muss der Bauträger der Umweltverwaltung einen detaillierten Plan seines Vorhabens und dessen konkrete Auswirkungen auf die Umwelt vorlegen. Letztlich obliegt es dem zuständigen Ministerium, das Vorhaben zu prüfen und abschließend zu bewerten. Zudem sieht das Verfahren eine aktive Bürgerbeteiligung vor.

Das entsprechende Verfahren lief bereits im Jahr 2017 an. In dessen Verlauf wurde von den Bauträgern (ArcelorMittal und Cloos S.A.) eine Rahmenuntersuchung des Projekts (eine sogenannte Scoping-Studie) verfasst. Diese griff einige Bedenken der Gemeinden auf. Besonders bei der Frage, wie sich die Altdeponien auf das Grundwasser auswirken, vermochte die Studie jedoch nicht, die Bedenken zu beseitigen.

Der neueste Winkelzug am „Crassier“

Zwar versprach man sich mit der Sanierung der „Décharge historique“ eine Besserung in den Schicht- und Grundwässern, jedoch könne „nicht ausgeschlossen werden, dass Schadstoffe mit dem Sickerwasser über Risse in das Tongestein eindringen könnten“, heißt es in der besagten Scoping-Studie. Der Bericht schlägt deshalb beim Bau einer neuen Deponie vor, dass dabei die natürliche Barriere „durch eine künstliche technische Barriere (Einbau einer Tonschicht) ergänzt werden muss.“

Umso erstaunlicher erscheint, dass die Schöffenräte aus Differdingen und Sanem dem Gemeinderat vergangene Woche mitteilten, dass man die Baugenehmigung für eine Aufschüttung (Remblai technique) auf dem Gebiet des „Aleweier“ auf dem Crassier erteilt habe. Das Areal befindet sich unterhalb der Werksdeponie von ArcelorMittal und der geplanten Inertstoffdeponie auf dem Crassier.

 

Sowohl die Bürgermeisterin von Differdingen, Christiane Brassel-Rausch (Déi Gréng), als auch die Bürgermeisterin von Sanem, Simone Asselborn-Bintz (LSAP), betonten dabei, dass die Gemeinden verpflichtet seien, die Genehmigung zu erteilen, da die Commodo-Prozedur eingehalten wurde.

Für die Aufschüttung soll bevorzugt Aushub, der beim Bau des neuen „Südspidols“ anfällt, genutzt werden. Die Betreibergesellschaft Cloos S.A. bestätigt auf Nachfrage von Reporter.lu, dass es sich bei dieser Aufschüttung zwar nicht um eine neue Deponie handele, diese jedoch in Zukunft als Fundament für die geplante Inertstoffdeponie dienen könnte. Jener Deponie also, deren Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Und für welche, beide beteiligten Gemeinden vor dem Bau eine Gesamtübersicht des Crassier-Geländes forderten und bis dahin eine „Opposition formelle“ aussprachen, an der sie auch weiterhin festhalten.

Es wurde kein Druck auf uns ausgeübt. Wir haben wie Erwachsene miteinander geredet.“Christiane Brassel-Rausch, Bürgermeisterin von Differdingen

Andere Quellen, die mit der Prozedur vertraut sind, sehen in der Genehmigung der „Remblai technique Aleweier“ hingegen einen juristischen Winkelzug. Indem man eine Bauschuttablagerung als „Aufschüttung“ bezeichne, umgehe man das noch laufende Genehmigungsverfahren.

Eine Entscheidung also, von der eigentlich alle profitieren: Die Gemeinden wahren ihr Gesicht, indem sie an ihrer „Opposition formelle“ festhalten können. Das Umweltministerium kann sich weiterhin auf das laufende Verfahren berufen und im Wirtschaftsministerium freut man sich, den Mangel an Bauschuttdeponien in Luxemburg ein wenig verringert zu haben. Bleibt eben nur die Frage, wie sicher und umweltverträglich die neueste „Aufschüttung“ am Crassier für die Bevölkerung ist.

Zwischen Deponie und Aufschüttung

Laut Informationen von Reporter.lu soll beim Termin mit den Gemeinden im Umweltministerium auch Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) anwesend gewesen sein. Die Frage, ob das Wirtschaftsministerium Druck auf die betroffenen Gemeinden ausgeübt habe, bestreitet die Bürgermeisterin von Differdingen, Christiane Brassel-Rausch (Déi Gréng), vehement: „Es wurde kein Druck auf uns ausgeübt. Wir haben wie Erwachsene miteinander geredet. Zudem wurde uns versichert, dass nur unbedenkliches Material in der Aufschüttung Verwendung findet.“

„Mir sinn d’Poubelle vum ganzen Land“, heißt es oft in Differdingen. Und in der Tat wird der Crassier auf absehbare Zeit weiter als überdimensionierte Müllhalde herhalten müssen. (Foto: Christian Peckels)

Beide Bürgermeisterinnen betonen, dass beide Gemeinden ihre Entscheidung zur Erteilung der Genehmigung zusätzlich mit einem juristischen Gutachten abgesichert hätten. Auch das zuständige Umweltministerium betont auf Nachfrage den juristischen Unterschied zwischen beiden Projekten. „Die Aufschüttung (Remblai) und das Projekt zur Bauschuttdeponie sind prozedural unabhängig voneinander, auch wenn die Deponie nachher auf der Aufschüttung aufliegt.“

Bei der Frage nach der Beteiligung der Umweltverwaltung, verweist das Ministerium auf die politische Zuständigkeit: „Es ist nicht die Umweltverwaltung, die eine Genehmigung erteilt, sondern der für Umwelt zuständige Minister (Umweltministerin Carole Dieschbourg, Anm. d. Red.), der die Abfallgenehmigung für die Aufschüttung auf dem Gelände „Aleweier“ erteilt hat.“

„Nur ein Loch aufgefüllt“

Mit den Vorwürfen konfrontiert, relativiert der Bauträger Cloos S.A. den Impakt auf die geplante Deponie. Ein zuständiger Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden will, erklärt seine Sicht auf das Vorhaben: „Die Aufschüttung hat nichts mit der Deponie zu tun. Wir füllen bloß ein Loch auf dem Gelände auf. Zudem ist nur ein kleiner Teil des „Aleweier“ von der Aufschüttung betroffen.“ Der Mitarbeiter bestätigt jedoch, dass die Aufschüttung beim Bau der Deponie als Fundament genutzt werden kann.

Die Baustelle des Südspidols ist wichtig für die ganze Region und wir sind keine Nimby-Gemeinde. Deshalb sind wird bereit, unsere Pflicht zu erfüllen.“ Simone Asselborn-Bintz, Bürgermeisterin von Sanem

Von einem aufgefüllten „Loch“ spricht auch die Bürgermeisterin von Sanem, Simone Asselborn-Bintz. „Die Baustelle des Südspidols ist wichtig für die ganze Region und wir sind keine Nimby-Gemeinde (Nimby steht für „Not-in-my-backyard“, Anm. d. Redaktion). Deshalb sind wird bereit, unsere Pflicht zu erfüllen“, erklärt die Bürgermeisterin und Abgeordnete der LSAP. Zugleich habe das Wohl der Bürger und der Natur höchste Priorität. Deshalb habe man an der „Opposition formelle“ festgehalten. Denn nur so bleibe man als Gemeinde in das Genehmigungsverfahren rund um die neue Inertstoffdeponie eingebunden.

Ähnlich sieht es auch die Bürgermeisterin von Differdingen. „Uns wurde sowohl vom Wirtschaftsministerium als auch vom Umweltministerium versichert, dass wir jederzeit Zugang zum Gelände haben werden. Auch Wasserproben auf dem Gelände bleiben möglich“, so Christiane Brassel-Rausch im Interview mit Reporter.lu.

Sachzwang vor umweltpolitischen Bedenken

Hinter vorgehaltener Hand unterstreicht man in gut informierten Kreisen jedoch die paradoxe Situation, in der sich die betroffenen Kommunen damit befinden. Eine Deponie dürfe es noch nicht geben, aber die eigentliche Nutzung als Deponie werde so bereits faktisch sichergestellt, so eine Einschätzung. Und das, ohne dass die zuvor formulierten Bedenken der Gemeinden berücksichtigt wurden. So siege letztlich der Sachzwang über die Vorsorgepflicht, aber der Mangel an Bauschuttdeponien und Lagerstätten würde von einem nationalen Problem auf die kommunale Ebene verlagert, so eine Quelle, die mit der Vorgeschichte des Dossiers vertraut ist.

Ein konkretes Datum, wann die Umweltverträglichkeitsstudie der neuen Bauschutt- und Inertstoffdeponie abgeschlossen sein wird, blieb das Umweltministerium auf Nachfrage indes schuldig. Bisher liege beim Ministerium noch keine Commodo-Anfrage für deren Bau durch die Betriebe vor. Wann die unübersichtliche Lage am Crassier sowohl juristisch als auch umweltpolitisch geklärt wird, steht somit weiterhin aus.


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