Keine Deponie, keine Bauprojekte? Mit dieser Frage muss sich Luxemburg womöglich bald auseinandersetzen. Dem Land gehen die Deponien für Bauschutt aus. Gemeinden wollen den Müll nicht vor der eigenen Haustür. Die Regierung bleibt bis auf Weiteres untätig.

Wer tagsüber nach Sanem fährt, steht oft erst einmal im Stau. Etliche Lastwagen reihen sich aneinander. Die LKW-Fahrer warten darauf, ihre Last auf die Deponie „Remblai Gadderscheier“ zu bringen. Die Schlange ist oftmals so lang, dass die Laster den Kreisverkehr blockieren.

„Luxemburg leidet an einem chronischen Platzmangel für die Deponierung von inerten Abfällen.“ Das stand 2003 im sektoriellen Plan zu Bauschuttdeponien. Heute, knapp 17 Jahre später, hat sich die Lage nicht entschärft, sondern verschlimmert.

Das stete Wirtschaftswachstum, unzählige Bauprojekte und die verzweifelten Versuche, dem chronischen Wohnungsmangel hinterherzubauen, führt zu immer größeren Mengen an Bauschutt und Erdaushub. Doch dem Land gehen die Deponien aus, um diese Abfälle zu beseitigen.

Kein Platz für den Abfall

Über sechs Millionen Tonnen Bauabfall („déchts de construction et de démolition“) mussten allein 2015 entsorgt werden. Der Großteil besteht aus Erdaushub („terre d’excavation“). Das geht aus dem nationalen Abfallplan von 2018 hervor. Theoretisch stehen zu ihrer Entsorgung elf Deponien, Aufschüttungen („remblais“) und Gruben („carrières“) zur Verfügung.

In der Praxis sind manche davon jedoch nur phasenweise geöffnet. Laut Pol Faber, dem Generalsekretär des „Groupement des entrepreneurs“ und gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrates des Deponiebetreibers Recyma, sind nur fünf Deponien richtig funktionsfähig. Benötigt werden allerdings mindestens 15. Eine Deponie für problematische, etwa industrielle Abfälle fehlt gänzlich.

Sogar die wenigen Deponien, die Luxemburg besitzt, erreichen langsam das Ende ihrer Kapazitäten. In rund sieben Jahren seien die Halden voll, antwortete Umweltministerin Carole Dieschbourg (déi Gréng) im April 2018 auf eine parlamentarische Anfrage von Max Hahn (DP). 2025 wäre demnach das Limit erreicht.

„Ohne Deponie kein Südspidol“

„Die Lage ist sehr schlimm“, sagt Pol Faber. Bereits seit 20 Jahren sei der Engpass „enorm“. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch Lösungen sind keine in Aussicht.

Insbesondere im Süden spitzt sich die Situation zu: Die Deponie „Remblai Gadderscheier“ ist fast voll und wird künftig als Industriezone genutzt. Gespräche über den Bau einer weiteren Deponie auf dem Gelände laufen zwar, doch eine Entscheidung ist so bald nicht zu erwarten. Dazu kommt, dass das ganze Areal des „Crassier“ Differdingen bereits mehrere, mit Industrieabfällen belastete Deponien beherbergt.

Gleichzeitig durchläuft gerade der Süden des Landes einen regelrechten Bauboom. Bei Wohnungsbauprojekten lässt sich vielleicht in die Höhe bauen und etwa auf Tiefgaragen verzichten. Bei Projekten mit der  Größenordnung des „Südspidols“ ist das jedoch kaum möglich. „Wir brauchen bald gar nichts mehr zu bauen. Ohne Deponie gibt es kein Südspidol“, beschreibt ein Deponie-Betreiber die Dringlichkeit der Lage.

Katastrophale CO2-Bilanz

Das Deponieproblem ist auch ein Umweltproblem. Denn ein Mangel an Halden bedeutet: Unzählige LKW-Fahrten quer durch das Land, die Luxemburgs CO2-Ausstoß in die Höhe treiben. Bereits heute müssten Lastkraftwagen von der Hauptstadt bis nach Colmar-Berg fahren, um ihren Bauschutt loszuwerden.

Die CO2-Bilanz sei „eine Katastrophe“, kommentiert Pol Faber. Er verweist auf eine rezente Studie des „Groupement des entrepreneurs“. Daraus geht hervor, dass durch den Mangel an Deponien jährlich rund 5.200 Tonnen CO2 zusätzlich anfallen – genug, um eine Stadt wie Grevenmacher zu heizen.

Die Schlange der Lastwagen, die mit laufendem Motor vor dem Eingang der Halden im Stau stehen, wird also immer länger. Mit den großen Umwegen und langen Wartezeiten steigen zudem die Kosten für die Baufirmen. Eine klare „Lose-Lose-Situation“.

Dabei muss Luxemburg laut EU-Regeln dafür sorgen, dass Abfälle möglichst nahe an dem Ort entsorgt werden, an dem sie anfallen. Es nützt also nichts, wenn sich im Norden oder Osten des Landes Deponien befinden, während es im Süden keine Halde mehr gibt. Und: Die EU-Staaten müssen selbst über die nötigen Infrastrukturen für ihre anfallenden Abfälle verfügen.

Spitzt sich die Lage weiter zu, kann Luxemburg also nicht einfach ins Ausland ausweichen. „Die Transfers von Inertabfällen zur Beseitigung im Ausland sind untersagt“, steht denn auch im nationalen Abfallplan.

Keine Lösung für problematische Abfälle

Für belastete Abfälle ist die Lage sogar noch dringlicher. Denn mit der „Gadderscheier“ schließt Luxemburgs einzige Deponie, die leicht belastete Abfälle annehmen kann. Eine Stätte für problematische Abfälle gibt es hierzulande aktuell schlicht nicht. Nach der Sanierung der Differdinger Industriehalde „Ronnebierg“ Anfang der 2000er Jahre konnte kein neuer Standort für eine solche Deponie gefunden werden.

Doch gerade bei Bauprojekten im Süden des Landes fallen oftmals solch belastete Böden an. Der Grund hierfür liegt nahe: Nach jahrzehntelanger industrieller Nutzung sind viele Flächen kontaminiert und bedürfen einer mitunter aufwändigen Instandsetzung.

Luxemburg hat bereits versucht, diese Situation mithilfe fragwürdiger Methoden zu entschärfen. Wie Recherchen von REPORTER zeigen, kamen in den letzten Jahren problematische Böden nach Differdingen, die bei der Sanierung von Industriebrachen ausgehoben wurden. Sie wurden in die ehemalige Industrie-Deponie („décharge historique“) von ArcelorMittal eingebaut, die seit 2013 saniert wird. Die Genehmigungen dafür stellte das Umweltministerium aus.

Entsorgung im Ausland fällt bald weg

Doch ansonsten bleibt nur die Möglichkeit, die Materialien für viel Geld ins Ausland zu bringen. Laut dem nationalen Abfallplan handelte es sich 2015 um rund 193.000 Tonnen belastete Abfälle  Bei 70 Prozent davon handelte es sich um Erde und Schotter, die gefährliche Stoffe enthielten.

Doch wie lange sind die Nachbarländer noch bereit, Luxemburgs Abfälle anzunehmen? Nicht mehr lange, sagt Pol Faber vom „Groupement des entrepreneurs“. Deutschland, Luxemburgs bevorzugter Partner in solchen Fragen, wolle nämlich künftig auf diese Art der Zusammenarbeit verzichten.

Gemeinden leisten Widerstand

Die Behörden machen die Gemeinden für die aktuelle Patt-Situation verantwortlich. Der sektoriale Inertabfall-Plan beklagt den „Widerstand der politischen Verantwortlichen“, die sich aus „elektoralem Opportunismus“ gegen die Deponie-Projekte wehren. An weiterer Stelle ist von „lokalem Egoismus“ die Rede. Gleichzeitig räumen die Verfasser jedoch ein: „L’installation d’une décharge pour déchets inertes constitue de façon indéniable une atteinte au milieu naturel pouvant porter atteinte à des écosystèmes plus ou moins vastes.“

Wie weit Gemeinden gehen können, um die Errichtung von Deponien in unmittelbarer Nähe zu verhindern, zeigt das Beispiel Differdingen: Die Gemeinde beteiligte sich jüngst am Kauf von rund 115 Hektar in Frankreich, um das Projekt einer Deponie direkt hinter der Grenze zu verhindern. Dabei war zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal bekannt, welche Art Deponie hier entstehen würde.

Studie lässt auf sich warten

Doch allein die Suche nach neuen Flächen, die überhaupt für eine Deponie infrage kommen, gestaltet sich schwierig. Benötigt werden Areale von rund 30 bis 40 Hektar. Sie müssen gut ans Straßennetz angebunden sein und dürfen nicht in Naturschutzzonen liegen.

2016 kündigte das Umweltministerium eine umfassende Untersuchung an, um neue Standorte zu finden. Bis heute hat das Ministerium diese Studie nicht veröffentlicht. Nicht einmal die Deponie-Betreiber kennen den Inhalt. In der bereits zitierten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von 2018 deutet die Umweltministerin 15 weitere Standorte für Bauschuttdeponien an, ohne jedoch weitere Details zu nennen.

Sei einmal ein passender Standort gefunden, müsse oft mit einer Vielzahl an Grundstückbesitzern verhandelt werden, sagt Pol Faber. Es reiche, dass einer sich querstellt und sein Grundstück nicht verkaufen will. „Das wird immer komplizierter. Die Leute hoffen darauf, ihr Grundstück lukrativ als Bauland zu verkaufen.“

Andeutungen und Planspiele

Die Behörden setzen daher auf Abfallvermeidung: Der Deponiemangel soll bereits bei der Planung von Bauprojekten mit eingerechnet werden. „Besser planen, weniger baggern“, lautete denn auch der Titel einer Informationsbroschüre des Ministeriums von 2015. Doch diese Maßnahme kann nur bedingt Abhilfe schaffen. Denn in Luxemburg kann nicht maßlos in die Höhe gebaut werden – das verbieten die Gemeindevorschriften. „Dann müssten wir in allen Gemeinden die Bautenreglemente ändern“, so Pol Faber. Und: Größere Bauprojekte wie das des Südspidols kommen nur schwer ohne Keller und Parkhaus aus.

Wie verzweifelt sich die Suche nach Deponien inzwischen gestaltet, zeigt das Beispiel des „Crassier Differdange“. Bis heute lässt ein Konzept zur Sanierung der stark belasteten Halde auf sich warten. Allerdings sollen hier neue Deponien entstehen: eine Bauschuttdeponie und eine Byproduct-Deponie. Genau jene Deponien also, die Luxemburg so dringend braucht.

Wie es heißt, ist die Umweltverwaltung noch immer damit beschäftigt, die Planung für die neuen Standorte abzuschließen. 2018 sprach Ministerin Carole Dieschbourg von einem neuen Standort und vier Erweiterungen von bestehenden Bauschuttdeponien. Zudem will die Regierung darauf achten, dass alle Regionen des Landes ohne weite Wege auf die neue Aufteilung zurückgreifen können. Alles Weitere sind bis jetzt jedoch Planspiele des Ministeriums, die sich erst bei Vorlage der lang erwarteten Studie bewerten lassen.