Im neuen Schuljahr gibt es für Schüler wieder kostenlose oder zumindest stark subventionierte Milch. Was als Solidaritätsmaßnahme für Luxemburgs Bauern begann, hat bis heute Tradition. Bio- oder Nachhaltigkeitskriterien spielen dabei allerdings kaum eine Rolle.
Milch gehört in vielen Schulen zum Alltag. Bis heute gilt Kuhmilch als wichtiger Bestandteil einer gesunden Ernährung. Aus der traditionellen Ernährungspyramide sind Milchprodukte nicht wegzudenken. Auch das hiesige Gesundheitsministerium empfiehlt: drei Portionen täglich (insgesamt 600 ml) sollten es sein.
Um Kinder dazu zu animieren, genug Milch zu trinken, macht Luxemburg alljährlich beim von der EU subventionierten „Schulmilchprogramm“ mit. Ganz umsonst wird einmal wöchentlich weiße Milch an Kinder im Primär-und Vorschulalter teilnehmender Schulen verteilt. In Sekundarschulen wird zudem Schokoladenmilch stark subventioniert – und kostet dadurch deutlich weniger als Cola, Fanta und Co.
Das Ziel? „Kinder sollen den Geschmack weißer Milch wieder entdecken“ und „mehr Milch zu sich nehmen“, steht in der Strategie zum Programm, das Luxemburg 2017 nach Brüssel schickte. Die Initiative ist ein Relikt aus den 1970er Jahren: Sie wurde von der EU ins Leben gerufen und wird hierzulande seit 1977 ausgeführt.
Aus „Solidarität mit Luxemburgs Bauern“
Um den „Geschmack weißer Milch“ und gesunde Ernährungsgewohnheiten ging es damals weniger. Das Programm war als Hilfsmaßnahme für Milchbauern angedacht. „Damals waren die Milchpreise enorm in den Keller gefallen“, erinnert sich Landwirtschaftsminister Romain Schneider (LSAP) im Gespräch mit REPORTER. Es ging beim Schulmilchprogramm demnach um die „Solidarität mit den Bauern“ und die „Promotion von Milchprodukten“, so der Landwirtschaftsminister.
Denn die Bauern blieben oft auf ihrer Milch sitzen: Sie produzierten zu viel. Absatzmärkte fehlten. Von Butterbergen und Milchseen war die Rede. Nicht umsonst führte die Europäische Gemeinschaft in den 1980er Jahren die sogenannten Milchquoten ein, die erst 2015 wegfielen.
Es ist kein Geheimnis, dass in Luxemburg zu viel Milch produziert wird. Da freut sich der Bauer über jeden Liter, der in Luxemburg einen Absatz findet.“Patrick Kolbusch, BIOG
Viel besser als damals geht es den Milchbauern heute nicht. Angebot und Nachfrage sind weiterhin nicht im Gleichgewicht. Ein großer Teil der in Luxemburg produzierten Milch wird teils zu Spottpreisen im Ausland abgesetzt. Das vor allem aus ökonomischen Gründen gestartete Schulmilchprogramm hat also weiterhin durchaus seine Daseinsberechtigung.
Vor allem der Luxlait-Konzern profitiert
Ein Blick in die Geschäftszahlen zeigt: Im Schuljahr 2017/18 wurden insgesamt 150 Tonnen an Milchprodukten über das Programm verteilt. Etwa 45.000 Kinder waren die Endabnehmer. Rund 92.000 Liter weiße Milch wurden insgesamt verteilt oder verkauft. Hauptabnehmer waren Vor- und Primarschulen (75.600 Liter).
Angesichts der Zahlen scheint die Initiative also tatsächlich eine konstante Nachfrage zu schaffen. „Es ist kein Geheimnis, dass in Luxemburg zu viel Milch produziert wird. Da freut sich der Bauer über jeden Liter, der in Luxemburg einen Absatz findet“, sagt etwa Patrick Kolbusch von der Biobauerngenossenschaft „BIOG“.
Den Luxlait-Bauern hilft das Programm bestimmt.“Fredy de Martines, „d’Fair Mëllech“
Dabei profitiert insbesondere „Luxlait“ von dem Schulmilchprogramm. Der Großmilchproduzent unterzeichnet seit 2015 jährlich einen Vertrag mit dem Staat, davor belieferte die Molkerei die Schulen auf Anfrage. Allein im kommenden Schuljahr erhält „Luxlait“ laut Auftragszuschlag rund 200.000 Euro vom Staat. „Den Luxlait-Bauern hilft das Programm bestimmt“, scherzt so etwa Fredy de Martines von der Kooperative „d’Fair Mëllech“.
Luxlait lässt seinerseits über ihren Pressesprecher verlauten, dass man zufrieden sei, den Auftrag auszuführen. Darüber hinaus stand die Konzernführung nicht für eine Reaktion zur Verfügung.
Zugeschnitten auf große Produzenten
Dass „Luxlait“ fast schon ein Abonnement auf den Milchauftrag hat, liegt auch an der mangelnden Konkurrenz. „Wir sprechen von sehr großen Quantitäten: Luxlait ist da am besten aufgestellt“, erklärt Minister Romain Schneider.
Laut Wettbewerbsregeln können sich zwar auch ausländische EU-Konzerne bewerben. Jedoch scheint die Ausschreibung wie auf „Luxlait“ zugeschnitten. Neben dem Preis ist die Lieferfrist wichtigstes Kriterium bei der Vergabe des Auftrags. In der Strategie zum Schulmilchprogramm bis 2023 werden „lokale Produkte“, „kurze Lieferketten“ und der „regionale Einkauf“ als Hauptauswahlkriterien aufgelistet.

Auch die kleineren lokalen Betriebe fallen damit raus, es sei denn sie beteiligen sich als Subunternehmer oder der Auftrag geht an mehrere Firmen. Kaum ein hiesiger Milchproduzent schafft den logistischen Kraftakt, fast hundert Schulen und Lyzeen mit Produkten zu beliefern. „Luxlait hat das immer gemacht. Uns ist das zu kompliziert“, sagt etwa Fredy de Martines. Dieses Jahr war „Luxlait“ die einzige Firma, die überhaupt ein Dossier eingereicht hat.
Bio-Produkte haben keine Priorität
Bio oder nicht: Diese Frage spielt beim Schulmilchprogramm kaum eine Rolle. Im Vergabeschlüssel der diesjährigen Ausschreibung wird das Kriterium „Bio“ lediglich mit zehn, der Preis etwa mit 150 Punkten gewertet.
In der Langzeitstrategie zur Initiative hat Luxemburg weder „Bio“ noch Umweltkriterien wie „Nachhaltigkeit“ als Prioritäten hervorgehoben. Dabei war die Förderung biologischer Landwirtschaft bereits im Regierungsprogramm von 2013 ein Thema. Dort stand etwa: „Le Gouvernement promouvra l’utilisation des produits du terroir de qualité et des produits biologiques dans les lieux de restauration collectifs qui fonctionnent sous tutelle étatique.“
Dennoch ist den Schulen weiterhin selbst überlassen, ob sie Biomilch bestellen oder nicht – mit teils paradoxen Folgen: Die „BIOG“ etwa nahm vor zwei Jahren am Programm teil. Das Projekt stellte sich aber schnell als unsinnig heraus, da sich der Aufwand für die wenigen Bio-Bestellungen nicht lohnte. „Ich kann doch nicht einen riesigen LKW für 2 Liter Milch nach Echternach fahren lassen“, sagt Patrick Kolbusch. „Wir würden als BIOG gerne mitmachen, weil wir das Programm gut finden. Dafür müssen wir aber erst einen Partner finden, der den Transport übernimmt.“
Es ist gefährlich, Milch blind als gesundes Produkt darzustellen.“Danielle Krier, „Ligue médico-sociale“
Im besagten Schuljahr (2017/18) lag der Anteil der Biomilch bei insgesamt 18 Prozent (23 Prozent in Vor-und Grundschulen). Dieses Schuljahr rechnet das Landwirtschaftsministerium mit einer Nachfrage von 30 Prozent in Vor- und Grundschulen.
Romain Schneider verweist seinerseits auf das pädagogische Rahmenprogramm der Schulmilchinitiative, bei der Kinder und Jugendliche Luxemburger Milchbetriebe besuchen. Dank der teilnehmenden Biobauern und „fermes pédagogiques“ würden sich Biomilchbestellungen im Aufwärtstrend befinden. Zudem will das Landwirtschaftsministerium Bioprodukte im Rahmen des zukünftigen Bioaktionsplans bei Schulen intensiver fördern. Man wolle den Schulen allerdings weiterhin überlassen, welche Milch sie letztlich bestellen.
Umstrittene medizinische Wirkung
Geht es bei der Schulmilchinitiative um die Gesundheitsförderung von Kindern, stellt sich zudem die Frage, wie zeitgemäß das Programm noch ist. Milch ja, aber in Maßen, sagt dazu die Ernährungsberaterin der „Ligue médico-sociale“ Danielle Krier. „Es ist gefährlich, Milch blind als gesundes Produkt darzustellen. Man muss das immer individuell betrachten und in den Kontext setzen.“
Milchprodukte seien zwar wichtige Fett-, Eiweiß, und Kalziumlieferanten. Zu viel Milch sei jedoch ungesund, warnt die Ernährungsberaterin. Sie hält es für wichtig, im Rahmen solcher Schulprogramme auch die Eltern zu sensibilisieren.
Schokomilch ist ungesund. Die Welternährungsorganisation empfiehlt, dass Zucker auf 5 Prozent des Gesamtkalorienbedarfs beschränkt wird.“Danielle Krier, „Ligue médico-sociale“
So hält Krier es denn auch für „unhaltbar“, dass Schokoladenmilch Teil des Schulmilchprogramms ist. Kinder in Vor-und Grundschulen kommen zwar nicht in den Genuss der „Schoklasmëllech“. In Sekundärschulen wird sie jedoch fast so stark subventioniert wie weiße Milch (0,30 gegen 0,28 Euro pro Liter). Einzige Bedingung: Sie darf laut Lastenheft nicht so prominent ausgestellt werden wie die normale Milch und der Zuckergehalt muss unter sieben Prozent liegen.
Dennoch kritisiert Danielle Krier diesen Aspekt der Subvention besonders: „Schokomilch ist ungesund. Die Welternährungsorganisation empfiehlt, dass Zucker auf 5 Prozent des Gesamtkalorienbedarfs beschränkt wird. Und hierzulande wird zuckerhaltige Milch promoviert.“
Weniger schlimm sieht das Romain Schneider. Sein Argument: Es sei immer noch besser, die Kinder trinken Schokoladenmilch als Cola oder Red Bull. Die Hauptzutat sei schließlich Milch. Ein Glas Schokoladenmilch als Muntermacher trinke er schließlich auch gerne: „Aber sie muss gut kalt sein“.
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