Die Steuereinnahmen sprudeln und keiner weiß so recht, warum. Auch die Regierung kann sich die gute Finanzlage selbst nicht erklären. Stattdessen freut sie sich vorsichtshalber auf ein frohes Fest der Verteilungspolitik und unterdrückt jegliche skeptischen Stimmen.
„The party is over“, wird Alan Greenspan am Dienstag in den internationalen Medien zitiert. Der Einschätzung des früheren Chefs der US-Notenbank nach sei ein Höhepunkt in der Entwicklung der Aktienkurse an der Wall Street erreicht. Investoren und nicht zuletzt die Staaten dieser Welt sollten sich vorsichtshalber auf eine Talfahrt gefasst machen.
Während die Party in den USA zu Ende gehen könnte, geht die Feierstimmung in Luxemburg erst richtig los. „De Staatsfinanzen geet et gutt“, twitterte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Dienstag. Hintergrund sind neue Zahlen, wonach die Einnahmen des Staates schneller anwachsen als die Ausgaben und im Zentralstaat mit einem Überschuss von knapp 300 Millionen Euro gerechnet wird. Ein ausgeglichener Haushalt auf allen Ebenen – die sogenannte „schwarze Null“ – ist greifbar nahe.
Noch wichtiger: Diese positive Entwicklung des Staatshaushalts erlaube es laut Gramegna, das „ambitionierte Regierungsprogramm“ der Dreierkoalition umzusetzen. An dieser Stelle liefert das Finanzministerium jedoch keine weiteren Details. Wie viel die angekündigten Maßnahmen aus dem neuen blau-rot-grünen Programm kosten werden, wird im Gegensatz zur frohen Botschaft über die sprudelnden Steuereinnahmen nicht kommuniziert.
Koalition blendet Finanzierbarkeit komplett aus
Warum auch, könnte man sich denken. Das Geld ist da. Wie viel genau davon nach den geplanten Reformen noch übrig bleibt, sehen wir dann später, so die unausgesprochene Leitlinie der Koalition. Dieser neue unbeschwerte Umgang mit den Staatsfinanzen deutete sich auch schon in den Koalitionsverhandlungen ab. Die Finanzierungsfrage war offensichtlich nur am Rande ein Thema. Und auch die unsicheren mittelfristigen Aussichten blendeten die Verhandlungsdelegationen erfolgreich aus.
Mit rund einem Jahrzehnt der krisenbedingten Unterbrechung findet Luxemburg wieder zu seinem bewährten Finanzierungsmodell zurück: Der Staat steigert stetig seine Ausgaben und die Konjunktur sorgt per Zauberhand für die Gegenfinanzierung.“
Diese Haltung ging dem Vernehmen nach ziemlich weit. Wie es aus Teilnehmerkreisen heißt, lehnten die drei Parteien es ausdrücklich ab, die absehbaren Mehrausgaben durchrechnen zu lassen. Auf ein entsprechendes Angebot des „Comité économique et financier national“, der die sogenannte „Note au formateur“ verfasste, gingen die Delegationen von DP, LSAP und Déi Gréng jedenfalls nicht ein. Nur aus den Reihen der Liberalen soll es vereinzelte Stimmen gegeben haben, die auf die Notwendigkeit einer nachvollziehbaren Finanzierbarkeit der Versprechen aus dem Programm hinwiesen.
Zu einer konkreteren Schätzung der geplanten Mehrausgaben wird es wohl erst bei der Aufstellung des nächsten regulären Staatshaushalts Anfang 2019 kommen. Doch mit den neuesten Zahlen im Rücken wird auch dies wohl eher zur Pflichtübung. Die politische Leitlinie, wonach der finanzielle Spielraum für unbezifferte Reformvorhaben vorhanden sei, wurde bereits ausgegeben. Und in der Tat: Objektiv betrachtet befindet sich Luxemburg in einer sehr komfortablen finanziellen Lage. Die kurzfristige Entwicklung der Staatsfinanzen dürfte der neuen blau-rot-grünen Hemmungslosigkeit Recht geben.
Rätselraten um steigende Steuereinnahmen
Dabei berufen sich die Finanzpolitiker der Koalition vor allem auf die günstige Entwicklung der Steuereinnahmen. Besonders bei den direkten Steuern – etwa Einkommensteuer und Betriebsteuern – steigen die vom Staat eingetriebenen Summen. Von 2017 auf 2018 geht die Regierung von einem Anstieg der Einnahmen um 8,8 Prozent aus. Im gleichen Zeitraum sollen die Ausgaben lediglich um 7,3 Prozent ansteigen. Diese Zahlen sind noch längst nicht sicher, denn bis April 2019 können prinzipiell noch weitere Ausgaben für das Budgetjahr 2018 dazukommen. Die definitive Abrechnung kommt später.
Die sprudelnden Steuereinnahmen spiegeln dennoch einen Trend wider. Die Ausmaße der verbesserten Situation sind aber selbst für die Regierung überraschend und machen sie gewissermaßen sprachlos. Als der Finanzminister am Dienstag jedenfalls die neuen Zahlen im Finanzausschuss des Parlaments präsentierte, fielen ihm auch keine stichhaltigen Gründe für die positive Entwicklung ein. Und auch im Ministerium ist man angesichts der merklich besseren Daten ratlos.
Die Steuerreform von 2016 könnte zwar diverse positive konjunkturelle Effekte erzeugt haben, heißt es. Auch die vorherigen blau-rot-grünen Anstrengungen zur Konsolidierung des Staatshaushalts haben zu einer besseren finanziellen Lage beigetragen. Laut aktuellen Zahlen macht dabei die Erhöhung der Mehrwertsteuer mit 370 Millionen Euro in 2017 einen wesentlich höheren Anteil der Konsolidierung aus als das Sparprogramm („Zukunftspak“) mit rund 300 Millionen Euro im gleichen Jahr. Der Löwenanteil des Aufschwungs und der Mehreinnahmen dürfte jedoch eher auf den andauernden Boom des Finanzsektors zurückzuführen sein, so die offizielle Vermutung.
Mehr Einnahmen in nahezu allen Bereichen
Im Detail und anhand von neuen Zahlen des Finanzministeriums lässt sich allerdings aufschlüsseln, woher die vorausgesagte Steigerung der Einnahmen um über eine Milliarde Euro von 2017 zu 2018 im Einzelnen stammt. Demnach machen höhere Einnahmen aus den direkten Steuern rund 800 Millionen Euro aus: Einkommensteuer (ca. 390 Millionen Euro), Körperschaftssteuer (162 Millionen), Vermögensteuer (146 Millionen). Prozentual sind die Einnahmen aus der Besteuerung von Kapitalerträgen mit einem Plus von 129 Millionen Euro bzw. 39 Prozent am stärksten angestiegen.
Doch auch die Einnahmen aus Zöllen und Akzisen sollen 2018 im Vergleich zum Vorjahr zum Teil rasant zunehmen. Knapp 45 Millionen Euro mehr (bzw. ein Plus von 50 Prozent) bei den Akzisen auf Tabakprodukte und auch zehn Millionen Euro mehr auf Kraftstoffe (plus 5,9 Prozent). Die Liste ließe sich weiterführen: Mehrwertsteuer, Droits d’enregistrement, Taxe d’abonnement – nahezu in allen Bereichen sollen die Einnahmen des Staates nach Angaben des Finanzministeriums ansteigen.
Wenn sich die Prognosen in den kommenden Jahren auch nur ansatzweise bestätigen, werden die Gegner einer beschleunigten, prozyklischen Verteilungspolitik einen schweren Stand haben.“
Im Lichte dieser Schätzungen lässt sich die Spendierfreudigkeit der Dreierkoalition freilich besser nachvollziehen. Wenn sich die Prognosen in den kommenden Jahren auch nur ansatzweise bestätigen, werden die Gegner einer beschleunigten, prozyklischen Verteilungspolitik einen schweren Stand haben.
Mit rund einem Jahrzehnt der krisenbedingten Unterbrechung findet Luxemburg wieder zu seinem bewährten Finanzierungsmodell zurück: Der Staat steigert stetig seine Ausgaben und die Konjunktur sorgt per Zauberhand für die Gegenfinanzierung. Damit dürfte die Politik, inklusive Oppositionsparteien, jedenfalls bald wieder im Modus der Zeit vor der Finanzkrise von 2007-2008 angekommen sein. Der einzige Unterschied: Vor der Krise hatte Luxemburg quasi noch keine Staatsschulden angesammelt.
Gramegna will Leuten „keine Angst machen“
Passend dazu wollen die Regierungsparteien auch keine Spielverderber oder Schwarzmaler mehr akzeptieren. Diese Devise geht mittlerweile soweit, dass der Finanzminister sogar zaghafte Hinweise auf mögliche Veränderungen von Konjunktur und Finanzlage unterdrücken will. Die konkreten Auswirkungen von Szenarien, in denen die Situation sich verschlechtern könnte, soll jedenfalls nicht mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Der Grund: Man wolle den Leuten „keine Angst machen“, so Pierre Gramegna am Dienstag laut RTL. Im Parlament regte sich gegen diese eigenwillige Entmündigung der Bürger nur wenig Widerstand.
Dabei sind selbst die pessimistischsten Szenarien nicht so spektakulär, dass man die Bürger da draußen davor bewahren müsste. Im allerschlimmsten Fall müsste Luxemburg im Zuge von Brexit, internationaler Steuerharmonisierung und anderen Risiken eine Milliarde Euro stemmen. Das hört sich zwar nach viel an, doch ähnliche finanzielle Herausforderungen hat selbst diese Regierung bereits gemeistert, siehe „Zukunftspak“ und Steuererhöhungen in der ersten Hälfte der vergangenen Legislaturperiode.
Allerdings haben die international begründeten Horrorszenarien aber einen Vorteil: Sie wurden von den Verwaltungen überhaupt ansatzweise beziffert. Damit haben sie den hausgemachten Mehrausgaben, auf die sich die Regierungsparteien nach den Wahlen geeinigt haben, bereits einiges voraus. Angesichts des gefühlten Volumens des Koalitionsprogramms der kommenden fünf Jahre dürfte die Freude über die „schwarze Null“ aber auch nicht das erste Ziel von Blau-Rot-Grün sein.
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