Das neue Programm der Dreierkoalition enthält viele Ankündigungen und einige teure Versprechen. Ein nachvollziehbarer Plan zur Finanzierung fehlt jedoch. Ohne anhaltendes Wachstum hat Blau-Rot-Grün ein Problem. Ein Kommentar.

Man stelle sich vor, man wäre nach der Lektüre eines Koalitionsprogramms wesentlich schlauer als zuvor. Zumindest in einem Punkt trifft diese Kritik zu, nämlich bei der Frage der Finanzierung. Auf über 200 Seiten legen die Koalitionsparteien, mal mehr, mal weniger detailliert ihre politischen Ziele dar. Was die einzelnen Maßnahmen kosten, geschweige denn, wie sie gegenfinanziert werden sollen, steht nirgends.

Dass in den Wahlprogrammen keinerlei Schätzungen der Kosten vorgenommen werden – daran scheint sich die interessierte Öffentlichkeit längst gewöhnt zu haben. Dass dieses finanzpolitische Vakuum sich bis in die Koalitionsverhandlungen verlagert, ist auch kein neues Phänomen. Auch CSV-geführte Regierungen tätigten ihre programmatischen Ankündigungen eher nach finanziellem Bauchgefühl. Nach dem Motto: Versprechen können wir sofort, gerechnet wird später.

Mangelnde politische Rechenschaft

Es handelt sich also um ein grundsätzliches Problem in der luxemburgischen Politik. Wie will man ein Koalitionsprogramm angemessen und objektiv bewerten, wenn man die Zahlen dahinter nicht kennt? Wie will man einschätzen, ob etwa die Erhöhung des Mindestlohns oder die Steuersenkung für Unternehmen finanziell verantwortliche Maßnahmen sind, wenn man nicht weiß, wie hoch die Mehrausgaben oder Mindereinnahmen des Staates dadurch ausfallen?

Nur wenn die Wirtschaft weiter auf dem aktuellen Niveau wächst, hat die Koalition überhaupt eine Chance, ihre Versprechen umzusetzen. Nur so ergibt das Programm überhaupt einen Sinn.“

Dabei beschränkt sich dieses Problem nicht auf die interessierte Öffentlichkeit. Wie es heißt, wurden für die Koalitionsverhandlungen keine neuen Studien zur Evaluation der Kosten in Auftrag gegeben. Das war bei der knappen Zeit, die sich die Koalition (ebenso wie die meisten ihrer Vorgänger) für die Verhandlungen gab, auch nicht möglich. Fest steht damit aber, dass auch die verantwortlichen Parteien finanziell im Trüben fischen.

Hinzu kommt freilich, dass manche steuerliche Maßnahmen schwer zu beziffern sind, weil sie von anderen Faktoren und nicht zuletzt von der generellen wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Gerade deshalb wäre Vorsicht und zumindest ein Plan B zur Gegenfinanzierung geboten. Solange man nicht abschätzen kann, wie viel ein politisches Versprechen ungefähr kosten wird, besteht die Gefahr, dass es unter Umständen nicht finanzierbar ist. So könnten die Bürger am Ende doch noch zur Kasse gebeten werden.

Prinzip Hoffnung statt Finanzierungsplan

Das stimmt umso mehr, wenn man sich die Summe der im Koalitionsprogramm festgehaltenen Maßnahmen vergegenwärtigt: Erhöhung bzw. Steuerbefreiung des Mindestlohns, „Gratis“-Öffentlicher-Transport, „Gratis“-Betreuung in den „Maisons relais“, Senkung der Betriebssteuern, Steuerentlastungen im Rahmen der Individualisierung der Einkommensteuer, neue Infrastrukturprojekte …

Bei keinem dieser Punkte nennt das blau-rot-grüne Programm auch nur eine Ziffer zur Finanzierung. Überhaupt fehlt es in diesem Koalitionsprogramm an Maßnahmen, bei denen die Bürger etwas weggenommen bekommen oder draufzahlen könnten. Die einzige Maßnahme, die als Gegenfinanzierung durchgehen könnte, ist die Reform der Kilometerpauschale – doch auch hier fehlen die Details. Ansonsten setzen die Autoren des Programms auf das Prinzip Hoffnung, etwa bei Einnahmen aus einer höheren Besteuerung von Kraftstoff – auch hier aber ohne jegliches Zahlenmaterial.

Ungedeckter Scheck in ungewisser Höhe

Was dieses Mal ebenso fehlt: Eine generelle Einschätzung der Lage. Zu Beginn jeder Koalitionsverhandlungen stellen die Verwaltungen des Staates den Parteien ihre Sicht der finanziellen und konjunkturellen Dinge dar. Die sogenannte „Note au formateur“, die 2013 noch in frühem Verhandlungsstadium medienwirksam ausgeschlachtet wurde, weil sie zur pessimistischen Erzählung der blau-rot-grünen „Sparkoalition“ passte, wurde dieses Mal unter Verschluss gehalten.

Dabei ist heute schon klar, dass die Bäume der politischen Versprechen nicht in den Himmel wachsen – auch in Luxemburg nicht. Das Wirtschaftswachstum ist immer noch nicht auf Vor-Finanzkrisen-Niveau. Und Luxemburgs anhaltende Schuldenpolitik eröffnet im Fall eines Konjunkturabschwungs auch keine massiven budgetären Spielräume.

Gießkannenpolitik ohne Gewähr

Die Erfahrung vergangener Legislaturperioden zeigt zudem, dass sich das wirtschaftliche Umfeld und damit die finanziellen Rahmenbedingungen des Staates schnell wandeln können. Ende 2013 wurde noch der Untergang des Landes bzw. die Implosion der Staatsfinanzen an die Wand gemalt. Im Rückblick zeigt sich, dass sich die Konjunktur schon 2014, also ohne Zutun der neuen Koalition wesentlich erholt hatte.

Alle Zeichen stehen nämlich auf Durchregieren mit großzügiger Gießkannenpolitik. Doch auch dieser Plan basiert nur auf einer vagen ökonomischen Prognose.“

Das wahre Finanzierungsmodell des neuen Programms liest man demnach nur zwischen den Zeilen und lautet: Wachstum. Nur wenn die Wirtschaft weiter auf dem aktuellen Niveau wächst, hat die Koalition überhaupt eine Chance, ihre Versprechen umzusetzen. Nur so kann die Verteilungspolitik der vergangenen drei Jahre weitergeführt werden. Nur so ergibt das Programm überhaupt einen Sinn. Ein kleiner konjunktureller Einbruch würde dagegen genügen, um den blau-rot-grünen Plan über den Haufen zu werfen.

Alle Zeichen stehen nämlich auf Durchregieren mit großzügiger Gießkannenpolitik. Doch auch dieser Plan basiert nur auf einer vagen ökonomischen Prognose. 2016 konnte sich die Dreierkoalition noch eine Steuerreform ohne Gegenfinanzierung leisten, die so nicht im damaligen Koalitionsprogramm stand. Auch dieses Mal könnten die ungeschriebenen Zahlen und Maßnahmen des Programms sehr schnell zur ausschlaggebenden politischen Realität werden.