Um den höheren Mindestlohn und zwei weitere Urlaubstage auszugleichen, will Blau-Rot-Grün die Betriebssteuern senken. Doch diese Rechnung geht für die Unternehmen nicht auf. Gleichzeitig drohen die Steuereinnahmen aufgrund neuer internationaler Regeln zu schwinden.

Der Mindestlohn werde erhöht und als Ausgleich die Steuern für Unternehmen gesenkt, erklärte DP-Präsidentin Corinne Cahen den Deal bei der Vorstellung des Koalitionsprogramms. Bereits während des Wahlkampfes schlug LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider vor, die Steuern zu senken als Gegenleistung für eine 38-Stunden-Woche, wie er beim REPORTER-Live-Interview erklärte.

Am Ende der Koalitionsverhandlungen stand jedoch keine kürzere Arbeitswoche, sondern lediglich ein gesetzlicher Urlaubstag und ein Feiertag mehr. Die Erhöhung des Mindestlohns müssen die Unternehmen nur zu einem Teil finanzieren. So oder so geht die Rechnung aber nicht auf: „Es ist ein politischer Ausgleich, kein ökonomischer“, sagt Jean-Jacques Rommes, Vertreter der Arbeitgeber im Wirtschafts- und Sozialrat.

Ein Scheingeschenk für kleine Unternehmen

Das Koalitionsprogramm sieht als erste Maßnahme vor, dass der niedrige Steuersatz von 15 Prozent für Unternehmen gelten soll, die einen Gewinn von bis zu 175.000 Euro pro Jahr erwirtschaften. Bisher lag die Schwelle bei 25.000 Euro. Das richte sich besonders an kleine und mittlere Unternehmen, „die uns allen am Herz liegen“, wie die frühere Firmenchefin Cahen erklärte.

Den Staat kostet die Maßnahme fast nichts und den Unternehmen bringt es nichts.“Jean-Jacques Rommes

Doch was nach einer deutlichen Senkung klingt, ist keine. Denn die 15 Prozent gelten lediglich für die Körperschaftssteuer, die Gewerbesteuer bleibt gleich. Der Unterschied beträgt also drei Prozentpunkte gegenüber dem regulären Körperschaftssteuersatz von 18 Prozent. Konkret heißt das: Bei einem Gewinn von 175.000 Euro pro Jahr spart ein Unternehmen durch diese Maßnahme maximal 4.500 Euro.

Dazu kommt, dass kleinere Unternehmen kaum Gewinne erwirtschaften und entsprechend wenig Steuern zahlen. Im Handel lagen die Überschüsse 2015 bei knapp drei Prozent des Umsatzes – und das ist noch vor Investitionen und Rückzahlung von Krediten. Bei Bauunternehmen sind es zehn Prozent. Das zeigen Zahlen der Statistikbehörde Statec. Wie es Rommes zusammenfasst: „Den Staat kostet die Maßnahme fast nichts und den Unternehmen bringt es nichts.“

Eine Senkung von 100 Millionen Euro

Ein zweiter Punkt des Regierungsprogramms ist die Senkung des Steuersatzes für Unternehmen von heute 26 auf 25 Prozent nächstes Jahr. Rechnet man die Senkung mit den erwarteten Einnahmen in den Haushaltsplänen durch, dann erhält man zumindest eine grobe Schätzung. Demnach würde ein „taux d’affichage“ von 25 Prozent, die Unternehmen um 100 Millionen Euro entlasten.

Die Mindestlohnerhöhung hat Folgen für die gesamte Gehältertabelle in den Betrieben.“Nicolas Henckes

Doch die Entlastung ist ungleich verteilt. Die Steuereinnahmen stammen generell von einer geringen Zahl von Unternehmen. 2017 zahlten 0,84 Prozent der Betriebe drei Viertel aller Einnahmen aus der Körperschaftssteuer. Die wenigen großen Steuerzahler gewinnen am meisten von einer Steuersenkung.

Die Mehrheit der Betriebe etwa im Handel machen weniger als 175.000 Euro Gewinn, erklärt der CLC-Direktor Nicolas Henckes. Die Senkung des Steuersatzes ist demnach nur für große Unternehmen und internationale Konzerne von Bedeutung, so Henckes weiter. Das sind dann nicht unbedingt die, denen die Mindestlohnerhöung und die zusätzlichen Urlaubstage am meisten Sorgen bereiten.

Kosten von grob 250 Millionen Euro

Wie viel der höhere Mindestlohn die Unternehmen kosten wird, ist schwer zu berechnen, da viele Faktoren mitspielen. Klar ist aber, dass der qualifizierte Mindestlohn ebenfalls steigen wird. „Das hat Folgen für die gesamte Gehältertabelle in den Betrieben“, erklärt Nicolas Henckes.

Klar ist aber, dass die zwei zusätzlichen Urlaubstage für die Unternehmen teuer werden, denn Löhne müssen sie für diese fehlenden Arbeitsstunden trotzdem zahlen. Bei 400.000 Beschäftigten und einem mittleren Stundenlohn von 39 Euro schlagen die künftig fehlenden 16 Arbeitsstunden mit etwa 250 Millionen Euro zu Buche, so die Rechnung von Henckes. Das ist keine exakte Zahl, da viele Beschäftigte bereits 26 Urlaubstage durch Kollektivverträge haben. Dennoch zeigt es die Größenordnung.

Versprechen mit ungewissem Wert

Auf den ersten Blick lässt die neue Gießkannenpolitik von Blau-Rot-Grün die Unternehmen also außen vor. Allerdings lässt das Koalitionsabkommen zwischen den Zeilen zwei Türen offen für weitere Steuersenkungen für Unternehmen.

Die erste betrifft die Gewerbesteuer, die zu den Einnahmen der Gemeinden zählt. 2020 will die Regierung prüfen, ob die bisher je nach Gemeinden unterschiedliche Besteuerung auf ein einheitliches Niveau gebracht wird. Als Beispiel: In der Hauptstadt zahlt ein Unternehmen aktuell insgesamt 26 Prozent Steuern, in Kehlen sind es dagegen fast 30 Prozent. Die Voraussetzung wird aber wohl sein, dass die Grundsteuerreform zuerst umgesetzt wird, um Löcher in den kommunalen Kassen zu verhindern. Doch die Grundsteuer ist ein äußerst kompliziertes Terrain.

Der Hintergrund des zweiten Versprechens sind neue internationale Regeln, die dazu führen, dass viele Luxemburger Steuernischen verschwinden. Das heißt, dass große Unternehmen weniger Möglichkeiten haben, ihren Gewinn kleinzurechnen. Sie müssten demnach deutlich mehr Steuern zahlen. Die Wirtschaftsverbände warnen, dass dann viele Konzerne Luxemburg verlassen würden.

Sie will Blau-Rot-Grün offenbar beruhigen. „Die Regierung verpflichtet sich, die Folgen dieser Veränderungen zu berücksichtigen, so dass die tatsächliche Steuerlast für die Betriebe nicht das aktuelle Niveau übersteigt“, heißt im Koalitionsabkommen.

Ob das zu einer weiteren Senkung des Steuersatzes führt, scheint aber fraglich. Sowohl LSAP als auch Déi Gréng machten Wahlkampf gegen weitere Erleichterungen. Die DP wünschte sich dagegen einen Steuersatz in Richtung von 21 Prozent. Wie eine Einigung der drei Partner aussehen könnte, bleibt offen.

Verschwindende Nischen bedeuten hohes Risiko

Während den Koalitionsverhandlungen warnten die hohen Beamten vor den Folgen der neuen internationalen Regeln. Dazu zählen vor allem die EU-Richtlinien gegen Steuervermeidung – kurz Atad. Den ersten der beiden Texte muss das Parlament noch dieses Jahr verabschieden. Atad werde deutliche Auswirkungen in Luxemburg haben, sagte die Direktorin der Steuerverwaltung Pascale Toussing.

In der trockenen Sprache der Amtsstuben formuliert die „Note au formateur“, dass ein „hohes Risiko“ bestehe, dass die Staatsfinanzen durch die neuen Steuerregeln „bedeutend“ belastet würden. Das ist beachtenswert, denn dieses Dokument umreißt den finanziellen Spielraum der neuen Regierung. Zu spüren werden die Folgen frühestens 2020, eher aber 2021 sein, schätzen die hohen Beamten, des „Comité économique et financier“.

Die weiteren Details der „Note au formateur“ lesen Sie hier: Das brüchige Fundament des Aufschwungs

Die Schmerzgrenzen austesten

Diese Folgen haben durchaus die Größenordnung der wegfallenden Einahmen der „TVA commerce électronique“. Nur war damals klar, wie groß das Loch sein würde. Es sei nicht möglich, die finanziellen Auswirkungen von Atad und co. genau einzuschätzen, sagte die Direktorin der Steuerverwaltung den Sozialpartnern.

Klar sei aber, dass man Unruhe bei den großen Unternehmen und den Big Four verspüre, was die Ausrichtung der Luxemburger Steuerpolitik angehe, meint Jean-Jacques Rommes. Man müsse verhindern, dass die ersten Konzerne Luxemburg verlassen. Es gelte deshalb den optimalen Steuersatz zu finden, der einerseits die Einnahmen maximiere und andrerseits die Konzerne nicht aus Luxemburg vertreibe, so der frühere „administrateur délégué“ der UEL. Laut den Wirtschaftsverbänden liegt dieser Satz bei 21 Prozent.

Das Problem ist aber, dass eine kleine Zahl von Unternehmen einen sehr, sehr hohen Anteil der Steuern zahlt. 2017 zahlten vier Unternehmen über 40 Millionen Euro Steuern. Zur Einschätzung: Mit den Steuern eines einziges Betriebs könnte der Staat den gratis öffentlichen Transport finanzieren. Vier weitere Unternehmen zahlten zwischen 30 und 40 Millionen Euro, geht aus einer Studie des Wirtschafts- und Sozialrats hervor. Wie werden sich diese Unternehmen in den nächsten Jahren entscheiden?

Um wirklich zu wissen, was zu tun ist, müsste der Finanzminister die knapp 50 Unternehmen, die am meisten Steuern zahlen, einzeln empfangen, sagt Rommes. „Und sie fragen, wo ihre Schmerzgrenze liegt.“